Feiert fröhlich Urstände: „Zigeunerhatz“
Politisch korrekt hilft kein bisschen: Da können die Medien in ihrem unnachahmlich tönernen Stil noch so sehr „Landfahrer“ schreiben, sagen, senden, der und die Deutsche wissen auch am Niederrhein, um wen es sich handelt, dafür muss man kein Lutheraner sein. Eben. Die sind dreckig, klauen und betrügen und sind gefährlich. (Komischerweise wollten sie diesmal nicht deutschen Frauen hinterher). Das weiß man schon vorher. Und die Behörden üben eifrig Vollzug der Volksmeinung. Zu den „Abenteuern“ einiger Hundert Irren in der BRD: „Antiziganistische Stimmungsmache und die Ordnungspolitik haben es in den letzten Tagen einer ethnischen Minderheit fast unmöglich gemacht, sich an religiösen Traditionen zu beteiligen. Die »Traveller« sind bestimmt keine Engel, unter ihnen mag es Kriminelle geben und wenn die Jugendlichen mal aus der Enge des Wohnwagenlebens ausbrechen, schlagen sie auch über die Stränge. Aber einen Grund für Sorgen und Angst lieferten die »Traveller« in den letzten Tagen nicht. Ein etwas entspanterer Umgang, mit dieser unter Diskriminierung leidenden Minderheit und der Versuch konstruktive Lösungen zu finden, hätte den Behörden gut zu Gesicht gestanden“ – so endet der Beitrag „Himmelfahrt ohne Landfahrer“ von Sebastian Weiermann am 16. August 2017 in neues deutschland , womit ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Wahrung der deutschen Leitkultur geworfen wird. Siehe dazu auch zwei Hintergrundbeiträge:
- „“Homo Sacer und „Die Zigeuner““ von Roswitha Scholz in der Ausgabe Nummer 4 von Exit vom Juni 2007 leitete ihren Beitrag – auch heute noch passend – so ein: „Eine Untersuchung der Funktion des „Zigeuners“ bzw. des entsprechenden Klischees im Kapitalismus und die Thematisierung des Antiziganismus (dieser scheinbar bloß marginalen Rassismusvariante) ist deshalb vielleicht eher geeignet, Einsicht in die Abgründe, Ur- und Untiefen des Kapitalismus zu erlangen (gerade wenn im Zuge des Obsoletwerdens der abstrakten Arbeit immer mehr Menschen überflüssig werden) als die Befassung mit der Krise des armen, identitätsgebeutelten Mannes, der allerhand Unheil anrichtet, weil er unter „Bewältigungsdruck“ (Lothar Böhnisch) steht, oder als die Beschäftigung mit der Frage, ob die Klassengesellschaft zurückkehrt oder nicht – alles Dinge, die heute allenthalben vordringlich verhandelt werden und geeignet sind, das abgehalfterte (männlich)-weiße Subjekt selbstmitleidig wieder zum Hauptopfer zu stilisieren. Erst recht lässt die mittlerweile entfachte Unterschichts- und Prekariatsdebatte die Thematisierung des Antiziganismus geraten erscheinen, gerade wenn auch der Absturz der Mittelklasse in den Focus der öffentlichen Aufmerksamkeit rückt“.
- „Die Aktualität von Antiziganismus“ am 26. April 2017 ist Ausgabe 4/2017 der Zeitschrift Lernen aus der Geschichte (LaG), worin etwa informiert wird: „Rassistische Bilder von Sinti und Roma als angeblich faule „Sozialschmarotzer“ und Bettler_innen haben eine immer wiederkehrende Konjunktur und der Rassismus gegen Sinti und Roma gehört neben dem Antisemitismus wohl zu den langlebigsten und hartnäckigsten Ressentiments. Die rassistischen Stereotype gegen die heute größte Minderheit Europas haben sich in einem sechshundertjährigen Prozess, also seit Ende des 15. Jahrhunderts, als Sinti und Roma erstmals als vogelfrei erklärt wurden (Scholz 2009: 25), herausgebildet. Noch heute werden Sinti und Roma mit dem Begriff „Zigeuner“ bezeichnet, obwohl die meisten Angehörigen der Minderheit diesen Begriff als stigmatisierend und abwertend zurückweisen. Der Studie „Die enthemmte Mitte“ aus dem Jahr 2016 zufolge gaben 57,8% (zum Vergleich: 2014 waren es 55,4%) der Befragten an, dass sie ein Problem damit hätten, wenn in ihrer Nähe Sinti und Roma leben würden“.