Glückliche Finanzelite – dank unsinniger Krawalle braucht über das Versagen der G20 nicht geredet werden
Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 11.7.2017
Leider ist die aktuelle Berichterstattung zum G20-Gipfel in Hamburg nicht nur ziemlich demokratieverachtend – sondern dadurch auch einfach noch finanzmarktfreundlich. Krawalle für die Finanzindustrie: So kann über das totale Versagen der G20 geschwiegen werden. Wie jetzt der Finanzkapitalismus offensiv gegen weitere Regulierung geschützt werden kann – Wird jetzt dem radikalen Protest – dank Alternativlosigkeit – jede Anschlussfähigkeit verloren gehen?
Ein Versagen der G20 auf der ganzen Linie
Welch Glück für diese total versagende internationale Politik- und Finanzelite, dass ein paar „Chaoten“ (siehe den Interpretationsversuch von Martin Kaul entlang dem Text aus Frankreich „Der kommende Aufstand“ (http://www.taz.de/!5423733/ ) in Hamburg Krawall gemacht haben. So wird diese Art von sinnentleerter „Selbstverwirklichung“ dann letztlich als Akt der Befreiung vom „Schweinesystem“ (Globalisierung, Faschismus, Neoliberalismus, Gentrifizierung etc.) gesehen. (http://www.sueddeutsche.de/politik/autonome-selbstverwirklichung-nur-einen-steinwurf-entfernt-1.3581153 )
Harry Nutt sieht diese Kultur der Verweigerung durchaus als Teil der politischen Kultur bei uns. Nur – und damit ändert sich die Gesamt-Konstellation dieser Protest-Kultur – sieht Nutt in dieser jetzigen Verweigerung einen Verlust jeglicher Anschlussfähigkeit: Wir sind gekommen, um nicht länger mitzumachen! (http://www.fr.de/politik/essay-nicht-mitmachen-a-1311216 ) Dies kurzerhand als unpolitisch zu qualifizieren, ist wiederum selbst wiederum Ausdruck eines allzu naiven Politikverständnisses, erklärt Harry Nutt.
Dabei ist diese Unerbittlichkeit und Härte kein Novum in der deutschen Protest-Kultur: weder rechts noch links. Jedoch – früher – ist es zentralen linken Akteuren (des Sraßenkampfes) wie Joschka Fischer und Jürgen Trittin nebst anderen gelungen ihre Staatsfeindschaft in die unbedingte Überzeugung zu verwandeln, für diesen Rechtsstaat einzutreten.
Die Neuauflage eines langen Marsches durch die Institutionen ist inzwischen – schon angesichts der „Alternativlosigkeit“ – unwahrscheinlich.
Jedoch – und das ist das Neue stellt Harry Nutt fest – gibt es heutzutage wenig Indizien dafür, dass aus dieser radikalen Globalisierungskritik ein Weg zu einer belastbaren Bereitschaft führt, zu einem zukunftsfähigen Gemeinwesen beizutragen. Jedenfalls sieht der heutige Hamburger Straßenkämpfer in den Vertretern der NGO`s, die für eine andere Klimapolitik kämpfen, kaum mehr als verdächtige Aspiranten eines fragwürdigen Mainstreams.
Und so steht das heutige Regierungshandeln vor dem kaum aufzulösenden Problem, die Staatsfeinde an den politischen Rändern ebenso einzuhegen wie auf der anderen Seite die ungenierte Zerstörungswut jener Staatenlenker, auf die man in den bilateralen Formaten der Weltpolitik zur politischen Steuerung der Weltpolitik und Weltwirtschaft unweigerlich angewiesen ist. (http://www.weser-kurier.de/deutschland-welt/deutschland-welt-politik_artikel,-jetzt-weiss-die-ganze-welt-wer-der-klimakiller-ist-_arid,1622991.html )
Die kritische Agenda des Protestes in Hamburg zum G20-Gipfel (http://morgenlage.tagesspiegel.de/morgenlage-politik-am-dienstag-11-juli-2017/ ) fällt dann „alternativlos“ hinten runter. Trotz gewaltiger friedlicher Proteste (http://www.attac.de/kampagnen/g20-in-hamburg/startseite/ ) und den vielen Menschen, die sich in der Kritik an den G20 daran ganz friedlich und kritisch konstruktiv beteiligt haben, braucht über dieses Engagement der großen Menge an Demonstranten auf der Strasse mit ihren Zielen jetzt gar nicht mehr gesprochen zu werden (vgl. auch Rudolf Hickel: Diese Abschluss-Erklärung des G20-Gipfels ist kein messbarer Fortschritt, jedoch auch messbarer Rückschritt – aber dann noch hart erkämpfter Stillstand: http://www.weser-kurier.de/deutschland-welt/deutschland-welt-politik_artikel,-jetzt-weiss-die-ganze-welt-wer-der-klimakiller-ist-_arid,1622991.html )
Obwohl also die G20 in allen Punkten versagt haben, braucht jetzt kaum eine/r sich darüber politisch auseinander zu setzen. (http://static.onleihe.de/content/taz/20170710/TAZ_20170710/vTAZ_20170710.pdf )
Warum „alle Welt“ nur über die Gewaltexzesse von radikalen Minderheiten spricht? Die Polizei kann nicht nur nicht das Demostrationsrecht schützen, sondern destruiert dieses Grundrecht zum Gnadenrecht der Polizei.
So können jetzt alle nur über die Gewaltexzesse am Rand des Gipfels sprechen – und diese linksradikalen Störer zum Feinbild Nummer 1 im Bundestagswahlkampf aufzubauen (http://www.fr.de/politik/nach-dem-g20-gipfel-feindbild-linksradikale-a-1311321 ), so als ob die Politik nicht auch andere, viel bedeutendere Probleme zu lösen hätte, vor denen sie anscheinend jetzt – auch international – so hilflos scheitert.
Dabei muss auch der friedliche Protest zuschauen, wie der Krawall allein noch die Bühne einer Öffentlichkeit erobern kann. (was soll jetzt daraus gelernt werden?)(http://www.attac.de/startseite/teaser-detailansicht/news/attac-lehnt-sinnlose-zerstoerung-ab-1 )
Obwohl dann auch noch dieser Krawall – skandalöserweise – die Einschränkung der grundrechtlich garanierten Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit durch die Polizei provoziert, wird dies nicht zum Anlass genommen, wie Rudolf Hickel es gerne sähe, die Inhalte der Abschlusserklärung zu diskutieren.
Aber Elke Steven hatte bei ihrer Demonstrations-Beobachtung öfter den Eindruck gewinnen müssen, dass die Polizei so vorging, als ob sie nicht ein Grundrecht schützen wolle, sondern als ob das Demonstrationsrecht inzwischen auch in Deutschland – ähnlich wie in Russland – ein Recht sei, das auf Gnade der Polizei gewährt wird – oder eben nach Belieben auch polizeilich abgewürgt werden kann. (http://www.grundrechtekomitee.de/node/873 )
Nun das hat dann auch schon wieder – schlechte – Tradition, dass sich der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz „flächendeckend“ vor seine Polizei stellt: „Die Polizei hat alles richtig gemacht“. (http://www.sueddeutsche.de/politik/treffen-der-g-scholz-polizei-hat-alles-richtig-gemacht-1.3580471 ) Dabei wurde durch willkürliche Aktionen der Polizei beim Gipfel auch noch die Pressefreiheit „nach Gutdünken“ eingeschränkt. (http://www.fr.de/politik/g20-gipfel-pressefreiheit-nach-gutduenken-a-1311349 )
Heribert Prantl kommentiert dieses polzeiliche Versagen dann so: Die Grundrechte sind auch bei einem G20-Gipfel kein abstrakter Kokolores. (http://www.sueddeutsche.de/politik/prantls-blick-grundrechte-sind-kein-abstrakter-kokolores-1.3580097 )
Und die liberale „Zeit“ merkt noch an, Fragen an den Polizei-Einsatz beim G20-Gipfel müssen erlaubt sein. (http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-07/g20-hamburg-krawalle-polizei-rechtsstaat-erik-marquardt-gastbeitrag )
Das wundersame Ablenkungsmanöver vom Scheitern der Politik – jetzt auch noch bei der Finanztransaktionssteuer.
Und dann kann – ganz nebenbei – wohl durch Macron auch noch die Finanztransaktionssteuer gekippt werden. (= der nächste Termin für die Einigung am 10. Juli ist verschoben… http://www.attac.de/index.php?id=394&no_cache=1&tx_ttnews%5Btt_news%5D=9257 ) Für die Lösung so mancher Probleme hätte die Finanztransaktionssteuer jedoch eine solide Finanzierung hergeben können! Das passt dann wieder zu diesem G20-Gipfel in Hamburg,der so hermetisch von KritikerInnen abgeschirmt wird.
Die von der Politik – wieder einmal – „vergessene“ Finanztransaktionssteuer – bis 2016 gedacht zur „Bändigung“ der Finanzmärkte und zum Ausgleich für die Opfer der rasanten Ungleichheit – war sogar Bestandteil des Koalitionsvertrages der deutschen Großen Koalition – steht somit wieder oder immer noch in den Sternen: Jetzt mahnen 52 Top-Manager sie an – „Ein Weckruf – für die zugunsten der Finanzindustrie schlampenden PolitikerInnen – aus der Finanzindustrie“ (https://www.oxfam.de/ueber-uns/aktuelles/2017-07-04-finanztransaktionssteuer-weckruf-finanzbranche – und hier jetzt noch der Brief an die Regierungs-ChefInnen selbst: https://oxfam.app.box.com/s/w6djgzj1zydjwe55mvxa244nfk6zssrm/file/193490412122 )
Ja, und das hätte die Steuer – bisher durch die Politiker absichtsvoll verschlampt – „zeitnah“ erbringen können. (https://fts.oxfam.de/ )
Die permanente Irrealität der „FTS“ – ähnlich dem Ungeheuer von Loch Ness.
Franziska Augstein bemühte für diese FTS einst das Bildnis vom „Ungeheuer von Loch Ness“ (vgl. dazu https://www.labournet.de/?p=106262) – wie dieses Ungeheuer taucht auch die FTS immer wieder einmal auf – aber keine / keiner bekommt sie je richtig zu sehen… (http://www.steuer-gegen-armut.org/ )
Das ziemlich ungedämpfte „Toben“ der Finanzmärkte kann „dank“ dieser politischen Eliten so dürftig „reguliert“ weitergehen.
Ingo Arzt hat zum Gipfel noch einmal das bisherige Versagen an Finanzmarkt-Regulierungen ordentlich zusammen gestellt: Sein Resümee gegenüber den (Schein-?) Versuchen der politischen Eliten – die vor allem im sog. „Finanzstabilitätsrat“ zusammengefasst sind, – wird hart. Es geht bei diesem Gremium der G20 nur noch um die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit – stabile Finanzmärkte wären etwas Anderes!
Im Jahr 2008 zerstörten die Finanzmärkte um ein Haar die Weltwirtschaft. Seitdem erließen die G20 – Staaten Regel um Regel, um die Monster der Finanzindudtrie zu besänftigen. Dabei haben sie das Thema doch glatt verfehlt. (http://www.taz.de/!5423436/ )
Und jetzt möchte der französische Präsident Macron einerseits einen gemeinsamen Haushalt für Europa schaffen, aber gleichzeitig eine sinnvolle Regulierung der Finanzmärkte zusammen mit einer Steuerquelle für öffentlich Haushalte wie die Finanztransaktionssteuer auf der Zielgerade für die 10 europäischen „Gutwilligen“ noch verhindern. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/deutschlandfrankreich-paar-der-gegensaetze-1.3577806 ) Soweit wird der deutsch-französische Ministerrat in dieser Woche wohl nicht gehen… Das heißt, es wird wieder nur weiter ohne Beschlussfassung vor sich hergeschoben…
Dabei schwebt über der krisenbedrohten Finanzszene noch die Drohung des amerikanischen Präsidenten, die Banken erst noch weiter zu „entfesseln“ (vgl. „Trump entfesselt die Banken wieder – es könnte einem Angst und Bang werden“: https://www.labournet.de/?p=111327) – und dieses Europa starrt hilflos wie das Kaninchen auf die Schlange auf diese Krisenzukunft der Finanzindustrie.
Zu der Ankündigung von Ronald Trump, dass die USA jetzt auch noch – außer aus dem Klimavertrag – aus der Regulierung der Finanzmärkte durch den früheren US-Präsidenten Obama auszusteigen gedenkt, wird dann kein Wort mehr verloren. (http://www.weser-kurier.de/deutschland-welt/deutschland-welt-politik_artikel,-jetzt-weiss-die-ganze-welt-wer-der-klimakiller-ist-_arid,1622991.html )
Und Europa muss gerade einmal gut 20 Milliarden Euro den italienischen Banken für ihre faulen Kredite hinterherwerfen – was dann sogar der deutsche Finanzminister Schäuble, „für Europa als ganz gut gelaufen“, betrachtet. (https://www.freenet.de/finanzen/nachrichten/italiens-bankenrettung-befeuert-eudebatte-ueber-abwicklung-maroder-institute_6182404_4710836.html )
Ja, läuft etwas in Europa nur dann gut, wenn das Geld den Finanzinstituten hinterher geworfen wird, jedoch bei den Menschen – wie in Griechenland – erscheint dies bisher unmöglich?
Ob jetzt im Weiteren daraus jedoch im Kreise der EU-Staaten ein „Aktionsplan“ zum Problem fauler Kredite entsteht, der diese „Rettungen“ der Finanzindustrie endgültig überflüssig macht, darf wieder einmal bezweifelt werden.
Siehe zum Hintergrund: