BigBrotherAwards 2017 in der Kategorie Bildung: Die Technische Universität München (TUM) und die Ludwig Maximilians Universität München (LMU)
„Die Technische Universität München und die Ludwig-Maximilian-Universität München erhalten den BigBrotherAward 2017 in der Kategorie Bildung für die Kooperation mit dem Online-Kurs-Anbieter Coursera. Coursera als Wirtschaftsunternehmen verfügt mit den Daten über den Lernerfolg der Studierenden über einen großen Datenschatz und behält sich vor, diesen auch wirtschaftlich zu nutzen...“ Siehe die Laudatio von Frank Rosengart:
BigBrotherAwards 2017 in der Kategorie Bildung: Die Technische Universität München (TUM)
und die Ludwig Maximilians Universität München (LMU)
Laudatio von Frank Rosengart
Der BigBrotherAward 2017 in der Kategorie Bildung geht an die TU München und die Ludwig-Maximilian-Universität München, vertreten durch Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang A. Herrmann und Prof. Dr. rer. pol. Bernd Huber für die Kooperation mit dem Online-Kurs-Anbieter Coursera.
Die Idee klingt grundsätzlich verlockend: Eine Professorin oder ein Dozent hält eine Vorlesung an der Uni. Diese Vorlesung zeichnet man „nebenbei“ auf Video auf und bietet das Ergebnis interessierten Studierenden weltweit an. Diese können damit Vorlesungen hören und sehen, die an ihrem Studienort oder in ihrem Land nicht angeboten werden. „Massive Open Online Course“, kurz MOOC, heißt diese Form von Bildungsglobalisierung. Die Firma Coursera aus den USA ist unbestrittener Weltmarktführer unter den Anbietern von Online-Kursen .
Eine Firma? Ja, genau, es geht dabei ums Geldverdienen. Der Abruf der meisten Vorlesungsmaterialien ist kostenlos, wenn man sich erst mal mit seinen persönlichen Daten eingeloggt hat. Bezahlen muss ein Student üblicherweise, wenn er sich die Teilnahme offiziell bestätigen lassen möchte, um sich bei seiner Uni den Besuch des Kurses für sein Studium anrechnen zu lassen. Doch lässt sich damit das große Geld verdienen?
Dazu werfen wir einen Blick in den Vertrag zwischen Coursera und – zum Beispiel – der Universität Michigan: Unter dem Kapitel „Ausblick – Monetarisierung“ findet sich ein Absatz, der vorsieht, dass Coursera Firmen anbieten darf, Studierende nach bestimmten Kursen und Lernerfolgen zu filtern und diese gezielt anzusprechen. Für Firmen oder Personalagenturen eine bequeme Möglichkeit, mit potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten für Top-Jobs zu finden und mit ihnen in Kontakt zu treten. Selbstverständlich nicht kostenlos.
Nun lässt sich bereits erahnen, welchen Datenschatz sich Coursera mit Hilfe der Hochschulen hier aufbauen kann: Die Tatsache, an welchem Kurs jemand teilnimmt und wie gut und schnell er oder sie die Prüfung dazu ablegt, sind äußerst interessante Informationen.
Aber nicht nur für Firmen ist Coursera ein Datenschatz: Die Daten der Studierenden werden in den USA gespeichert und verarbeitet. Damit dürften sie auch dem Zugriff durch US-Behörden ausgesetzt sein und können zum Beispiel Auswirkungen auf Einreisegenehmigungen usw. haben. Wie offen und transparent Coursera im Umgang mit den Daten und entsprechenden kritischen Nachfragen dazu ist, durfte ein Schweizer Professor erfahren, der versucht hat, bei Coursera eine Information über die von ihm und seinen Teilnehmern gespeicherten Daten zu bekommen: Er und sein Kurs wurde von der Online-Uni rigoros gesperrt.
Die Münchener Universitäten, die heute den BigBrotherAward bekommen, haben eine Kooperationsvereinbarung mit Coursera geschlossen. Ausgesuchte Vorlesungen werden von den Unis für die Online-Präsentation produziert und bei Coursera eingestellt. Studierende können Online-Kurse besuchen und damit Leistungspunkte für ihr Studium erwerben.
Wir bewerten die Kooperation der Münchner Hochschulen mit Coursera vor allem als eine Marketingmaßnahme. Die Hochschulen können sich dort weltweit präsentieren und stehen damit in einer Reihe internationaler Elite-Unis. Allerdings schmückt sich Coursera auch mit deren Namen.
Die Datenschutz-Problematik scheint dabei ausgeblendet zu sein. Ebenso wie eine kritische Auseinandersetzung mit der Frage, wem die produzierten Inhalte gehören und wem mögliche Einnahmen zugutekommen.
Noch ist das Kursangebot über Coursera übrigens freiwillig für die Studierenden – dieser BigBrotherAward soll eine Warnung an die Hochschulen sein, Online-Kurse bei datenschutztechnisch zweifelhaften Anbietern nicht zum Pflichtangebot für den Scheinerwerb zu machen.
Es ist eigentlich schlimm genug, wenn Bildung zum Wirtschaftsgut verkommt, indem öffentlich finanzierte Hochschulen ihr Angebot über kommerzielle Anbieter verbreiten. Falls es keine geeignete europäische Plattform für das Angebot von MOOC gibt, wäre es eine Sache der Unis, eine solche Plattform aufzubauen.
Mit der Verleihung des BigBrotherAwards an die TUM und die LMU möchten wir die beiden Universitäten und auch alle anderen Bildungseinrichtungen daran erinnern, dass das langfristige Geschäftsmodell von solchen „Bildungsanbietern“ daraus besteht, dass die Studierenden durch die Verträge von Coursera nicht die „Kunden“ des Online-Bildungsangebotes sind, sondern das Produkt, das verkauft wird.
Herzlichen Glückwunsch an die Technische Universität und die Ludwig-Maximilians-Universität München zum BigBrotherAward 2017.
- Siehe zum Hintergrund: BigBrotherAwards 2017: „Oscars für Datenkraken“