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Positionen der italienischen Gewerkschaftslinken zum Referendum: No!
Am Sonntag, den 4. Dezember 2016 ist Volksabstimmung in Italien: Über die geplante Verfassungsreform der Regierung Renzi (wir berichteten). Was in der neoliberalen europäischen Propaganda als Demokratisierung oder zumindestens Modernisierung dargestellt wird, ist für die Gewerkschaftsbewegung in Italien – und insbesondere für die Gewerkschaftslinke verschiedener Strömungen – vor allem: Ein Angriff auf demokratische Rechte, eine „Reform der Bosse“ mit der diese Regierung ihr Kampfprogramm fürs Kapital krönen möchte. Weswegen kräftig mobilisiert wird, am Sonntag mit „Nein!“ zu stimmen. In einer weiteren Dokumentation des LabourNet Germany zu diesem Referendum und den Positionen der Gewerkschaftslinken heute die (kommentierte) Übersetzung des Gewerkschaftsforums Hannover von zwei Beiträgen aus dem Italienischen: Ein Flugblatt der linken Opposition im größten Gewerkschaftsbund CGIL und ein Gespräch mit einem Vorstandsmitglied der Basisgewerkschaft USB. Dabei wird auch hier unterstrichen, dass es darum geht, ein „soziales Nein“ zu sagen, das sich eben gegen Renzis gesamte Politik wendet. Siehe dazu die kommentierte Übersetzung beider Dokumente – wir danken!
Flugblatt der CGIL Opposition
(Gewerkschaftsforum Hannover: Auch die linke Oppositionsströmung im größten italienischen Gewerkschaftsbund CGIL, „Il Sindacato è un’altra cosa“ („Gewerkschaft ist was anderes“) wendet sich scharf gegen die von der so genannt „mitte-linken“ Regierung Renzi in Rom geplante weitgehende Verfassungsänderung und wirbt in dem folgenden Flugblatt für ein NEIN. Es wurde am 27. Oktober 2016 auf ihrer Website (www.sindacatounaltracosa.org ) veröffentlicht) . Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern: Gewerkschaftsforum Hannover. Kontakt: gewerkschaftsforum-H@web.de
- Am 4. Dezember stimmen wir mit NEIN
- Nein zur Regierung Renzi!
- Nein zur Verfassung der Bosse!
Renzi hat die Revision der Verfassung verlangt, die die Frucht der Resistenza <des antifaschistischen Widerstandes> ist, mit einer knappen Mehrheit in einem illegitimen Parlament. Nun sucht er im Referendum die plebiszitäre Zustimmung. Er versucht es mit Unterstützung des Industriellenverbandes Confindustria, der mit dem Jobs Act die Freiheit zu kündigen, zu erpressen und einzuschüchtern erlangt hat und so gegen diejenigen vorgeht, die würdevolle Löhne, humane Arbeitsbedingungen, Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit fordern.
Renzi und die Unternehmerschaft schicken sich in der Tat an, die Institutionen zu verändern, um die „Gegen-Reformen“ leichter durchsetzen zu können, die auf politischen oder sozialen Widerstand stoßen. Damit setzen sie eine arbeiter- und volksfeindliche Politik fort, die von den Unternehmern und den starken Machtzentralen diktiert wird: Senkung der Kapital- und Unternehmenssteuern, Privatisierung des Gesundheitswesens, Zersetzung der Tarifverträge und des Arbeitsschutzes. Das heißt die Verfassung wird deformiert, um einem Programm zum Sieg zu verhelfen: der Vorherrschaft des Unternehmens und der Beseitigung der sozialen Rechte. Tatsächlich verleiht diese Änderung (Reduzierung auf 100 <ernannte und nicht mehr frei gewählte> Senatoren bei Beibehaltung von 630 Abgeordneten), verbunden mit dem Italicum (blockierte Listen mit Ultra-Mehrheitswahlrecht, genau wie im Acerbo-Gesetz der zwei Jahrzehnte des Faschismus vorgesehen) dem Chef der größten Partei eine exorbitante Macht (auch wenn diese nur eine kleine Minderheit darstellt). Er kann die absolute Mehrheit der Parlamentarier ernennen und mit ihren Hilfe nicht nur die Regierung, sondern auch den Staatspräsidenten und diverse Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes. Das bedeutet: Er kann alle institutionellen Ämter nach seinem Gutdünken in die gewünschte Richtung lenken.
Die Macht wird damit in der Regierung konzentriert, die das Parlament verpflichten kann, innerhalb von drei Monaten über ihre Vorschläge abzustimmen. Die Gewaltenteilung wird also verzerrt und der Exekutive die Möglichkeit gegeben, die Ausarbeitung der Gesetze zu beeinflussen. Nicht der Senat wird abgeschafft, sondern das Votum des Volkes. Die Zuständigkeiten der beiden Kammern werden sich unterscheiden und so vielfältige Wege der Gesetzgebung schaffen (ungefähr zehn, darunter Wege über beide Kammern, exklusive sowie konkurrierende, und zwar mit und ohne Urteilsbefugnis). Streitigkeiten, bei denen sich der Stärkere und damit erneut die Regierung durchsetzt, sind da unvermeidlich. Kosten und Privilegien werden nicht einmal angetastet. Für die Gewählten wird nämlich kein normales durchschnittliches Arbeitsgehalt vorgeschlagen, sondern ihre übertrieben hohen Bezüge beibehalten.
- Mit dieser Gegenreform wird die Kaste also nicht reduziert! Sie wird einem einzigen Mann untergeordnet, der das Kommando hat.
- Die Politik wird nicht erneuert. Der Regierung werden größere Machtbefugnisse übertragen.
- Der Gesetzgebungsweg wird nicht vereinfacht. Die Funktionen der Kammern werden nur wirrer gestaltet.
Die Verfassung barg in sich das Programm der Resistenza <des antifaschistischen Widerstandes>, mitsamt ihren Kompromissen zwischen Arbeit und Kapital. Mit ihrer Revision entscheidet man sich nur für ein Lager: das der Bosse. Das ist das Programm der EU, die das europäische Sozialmodell hinter sich lassen will (wie EZB-Chef Draghi 2012 sagte), gegen die antifaschistischen Verfassungen mit starken Parlamenten und die die Rechte der Arbeit schützen (wie die US-Großbank JP Morgan 2013 forderte).
- Deshalb müssen wir bei dem verfassungsfeindlichen Referendum mit NEIN stimmen.
- In diesem Kampf muss man, ohne Wenn und Aber, auf der richtigen Seite stehen.
- Der der Welt der Arbeit.
- Jetzt und immer: Widerstand!
CGIL-Opposition „Il Sindacato è un’altra cosa“
***********
Die sozialen Gründe für das NEIN – Interview mit Fabrizio Tomaselli, USB von Radio Città Aperta
(Gewerkschaftsforum Hannover: Das italienische Verfassungsreferendum am 4. Dezember 2016 versetzt die bürgerliche Presse zunehmend in Angst, da die Umfragen kurz vor dem Stichtag von einer Niederlage des neoliberalen Umbauprojektes der Regierung von Matteo Renzi ausgehen. Er selbst hat für den Fall einer Ablehnung seinen Rücktritt angedroht und Horrorszenarien der Unregierbarkeit, eines Neuaufflammens der Schuldenkrise, grauenhafte Folgen für den Euro bzw. die EU und anderes mehr an die Wand gemalt. Gern wird vonseiten seiner Demokratischen Partei, die selbst mit Silvio Berlusconis früherer rechter Hand Alessandro Alfano als Innenminister regiert, auch behauptet, ein NEIN-Votum würde den Rechtsradikalen in die Hände spielen, obwohl der Verband der Antifaschistischen Partisanen (ANPI) zu den schärfsten Gegnern der Verfassungsänderungen zählt. Nach den Motiven der linken Basisgewerkschaften, das Projekt abzulehnen, fragte der linksradikale Internetradiosender „Radio Città Aperta“ (Radio Offene Stadt; www.radiocittaperta.it) das Führungsmitglied der Unione Sindacale di Base (USB), Fabrizio Tomaselli. Die schriftliche Form des Interviews erschien in der Onlinetageszeitung „Contropiano“ vom 9. November 2016. „Contropiano“ ist das Organ des aus einer Strömung der Arbeiterautonomie-Bewegung von 1977 / 78 hervorgegangenen Rete dei Comunisti (Netzwerk der Kommunisten) und erfreut sich – in Zeiten eines stetigen Niedergangs der linken Tageszeitung „il manifesto“ – inzwischen einer umfangreichen Leserschaft. Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern: Gewerkschaftsforum Hannover. Kontakt: gewerkschaftsforum-H@web.de)
Wir sind telefonisch mit Fabrizio Tomaselli von der Nationalen Exekutive der USB verbunden. Guten Tag Fabrizio!
„Auch Euch einen Guten Tag…“
Zuerst einmal danke, dass Du Zeit für uns hast. An einem Morgen, an dem sich die ganze Welt mit den Ergebnissen der Wahlen in Amerika beschäftigt, wollen wir uns auf unser Land konzentrieren, weil auch wir in weniger als einem Monat eine sicherlich nicht weniger wichtige Volksbefragung haben werden, von der wir uns wünschen, dass sie Konsequenzen für die Regierung unseres Landes hat. Klar, dass hier vom Referendum am 4. Dezember die Rede ist und mit Fabrizio wollen wir über die nationale Kampagne für das soziale NEIN sprechen, das nach den Kampftagen des 21. und 22. Oktober neu startet. Fabrizio, was sind die nächsten Verabredungen / Termine?
(FT) „Die nächsten Verabredungen begannen bereits ab dem 23.Oktober, in dem Sinne, dass die Kampagne, was uns anbelangt, mit Sicherheit bis zum 4.Dezember weitergeht und zwar vor allem an den Arbeitsplätzen, aber auch in den Territorien, wo wir aktiv sind. Schließlich haben wir als Koordination des Eurostop-Bündnisses und des sozialen NEIN zwei nationale Aktionstage festgelegt, die am 25.November und unmittelbar vor dem Referendum stattfinden sollen. Ein allgemeiner Mobilisierungstag gerade mit Bezug auf die Themen der Arbeit, der Prekarität und ganz klar bezüglich des NEIN. Alle werden sich in diesen Informations- und Mobilisierungstagen mit verschiedenen Initiativen engagieren und wir natürlich zuallererst. Anschließend wird es am 2.Dezember die Demonstration zum Abschluss der Referendumskampagne geben. Die machen wir als Koordination für das soziale NEIN in Rom auf der Piazza della Indipendenza, kurz vor der deutschen Botschaft.
Wir gehen dorthin, um ein Signal zu setzen, dass das NEIN beim Referendum auch einen wichtigen Grund in der und eine Auswirkung auf die Europäische Union hat und nicht so sehr auf Deutschland als Land. Es geht dabei um die Rolle der Europäischen Union, die enorme Schäden am Sozialstaat, an den Ökonomien und damit auch an den Taschen und em Leben der einfachen Leute verursacht. Diese beiden Tage sind also wichtig, Ich wiederhole jedoch: Wir werden die Kampagne weiterhin jeden Tag führen. Das eindeutige NEIN, das soziale NEIN hat gerade mit der Tatsache zu tun, dass wir die Verfassung als Instrument einer weit verbreiteten Demokratie verteidigen wollen. Wir machen uns keine Illusionen und denken nicht, dass die Verfassung das bestmögliche Produkt des sozialen Zusammenlebens in einem Land ist, auch weil sie in vielen Aspekten gar nicht umgesetzt wurde. Wir möchten sie auch verbessern… Das Problem ist jedoch nicht allein die Architektur der Verfassung. Das Problem liegt im mittlerweile seit zehn Jahren laufenden Angriff auf den Sozialstaat, auf die Rechte der Werktätigen, auf die Arbeit und somit auf das gesellschaftliche Leben des Landes. Dies ist unser NEIN. Es ist ein NEIN auch zur Austerität, ein NEIN zur Regierung Renzi. Wir hoffen, einen Beitrag zu leisten, um ihm einen Stoß zu versetzen und ihn nach Hause zu schicken.“
Gerade über diese Themen wollten wir mit Dir sprechen. Warum ist es besonders wichtig, diese Aspekte der Kampagne für das soziale NEIN zu betonen?
(FT) „Es ist wichtig, weil wir den Eindruck haben, dass es <uns> einerseits – ich sage es ganz brutal – einen Vorteil verschafft. Wir stellen fest, dass Renzi und seine Regierung Tag für Tag schwächer werden, auch aufgrund der internationalen Ereignisse: wegen dem Brexit, aber auch wegen dem, was letzte Nacht <in den USA> passiert ist…
Aber auch das Gegenteil stimmt: Das NEIN, von den Professoren, die diese Arbeit machen und die sie durchaus auch gut machen, allein in juristischen Begriffen, ausschließlich verfassungsrechtlich, erklärt, ist am Ende nicht klar genug. Kurz gesagt: Dadurch wird das wahre Gewicht dieses NEIN nicht verständlich, das heißt die Schäden, die der Sieg des JA mit sich bringen würde.
Es geht nicht nur darum einige bedeutende Regeln und kleinere Regelungen der Verfassung zu verändern, sondern es geht wirklich darum den Aufbau der ‚Regierbarkeit‘ des Landes zu ändern. Das heißt die Regierung entscheidet und das Parlament gehorcht. Doch die Regierung gehorcht ihrerseits den allgemeinen, internationalen ökonomischen Regeln, die unserem Land von außen diktiert werden. Diese Dinge werden vom juristischen Standpunkt aus nicht in angemessener Weise verdeutlicht. Das, was wir hingegen tun, ist gerade auch am Verständnis der Konsequenzen eines JA und natürlich im Gegensatz dazu, der Konsequenzen des NEIN zu arbeiten.
Wir sehen, dass irgendeiner sagt: ‚Aber wer für das NEIN eintritt, ist konservativ.‘ Das ist wirklich die größte Dummheit, die man erzählen kann. Die guten Dinge zu bewahren, bedeutet nicht, ein Konservativer zu sein. Es bedeutet, kein Idiot zu sein. Die schlechten Dinge zu bewahren, kann negative Effekte hervorrufen. Aber heute scheint mir, dass ihr Vorhaben ist, alles zu ändern. Alles zu ändern, nur um hingegen die ökonomischen und sozialen Mechanismen, die derzeit den Sozialstaat zerstören und die das soziale Gefüge dieses Landes zerstören, unverändert zu lassen.“
Und möglicherweise geht es auch darum, die Macht ein bisschen stärker zu zentralisieren, um den Prozess, von dem Du sprachst, einfacher zu machen. Sehr gut, Fabrizio. Wir danken Dir, dass Du bei uns warst. Danke.
„Danke an Euch.“