Vive L`Europe: Bücher zur Perspektive für ein gemeinsames Europa
Eine Literaturschau im Herbst des Jahres 2016 – ein Jahr vor der Bundestagswahl in Deutschland – von Volker Bahl vom 11.11.2016
„Vive l`Europe“ – Europa mit seiner Krise ist im Krisenmanagement wie Herakles am Scheideweg angekommen (https://de.wikipedia.org/wiki/Herakles_am_Scheideweg ).
Entweder eine Verbesserung der institutionellen Struktur – oder weiterer Zerfall – und wie bei Herakles wird das erstere eindeutig das Schwierigere – aber wohl auch das nachhaltig Erfolgreichere werden.
Europa ist in seiner Krise am Scheideweg angekommen, schreibt Claus Offe in seinem Band „Europa in der Falle“: Entweder gelingt eine erhebliche Verbesserung ihrer institutionellen Struktur oder es kommt zu ihrem Zerfall. Der Status quo jedenfalls lässt sich nicht fortschreiben. (https://www.perlentaucher.de/buch/claus-offe/europa-in-der-falle.html ) Weiter schreibt er in der Einleitung noch: Man kann von einer „Krise des Krisenmangements“ sprechen. Selbst wenn Einigkeit darüber bestünde, was zu tun ist, bliebe die zweite und schwierigere Frage unbeantwortet: Wer kann diese notwendigen Schritte umsetzen.
Das Identifizieren wünschenswerter strategischer Ziele hilft uns wenig, wenn niemand – als durchsetzungsfähige Institution für Europa – bereit und in der Lage ist, sie anzugehen. Ohne Antwort auf diese Frage befinden wir uns nicht nur in einer Krise von Europa, sondern wir stecken in einer Falle.
Claus Offe hatte diesen – politisch so virulenten – Gedanken schon vor einigen Jahren in einem Interview mit der polnischen Zeitung „Krytika Polityka“ ausgeführt – und dann im Januar 2013 in den „Blättern“ veröffentlicht. (Siehe dazu – mit Anmerkungen versehen – https://www.labournet.de/?p=21892) Weiter schreibt er: Wenn die dramatischen Verhandlungen der Mitglieder der Eurogruppe vom Juli 2015 über die Bewältigung der griechischen Schulden- und Wirtschaftskrise eines überdeutlich demonstriert haben, dann ist es die Unfähigkeit der versammelten Regierungen, Lösungen zu finden, die zugleich effektiv und nachhaltig sind (im Gegensatz zu absehbar kontraproduktiven und kurzlebigen Scheinlösungen) und die zudem von allen Beteiligten als legitim anerkannt werden können (im Gegensatz zu einer unverhohlenen Nötigung eines Mitgliedsstaates durch die anderen). (Siehe dazu sowohl „Der Bruch in Europa in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli 2015 durch die manifest gewordene Hegemonie Deutschlands mit der Forderung nach einem Grexit“: https://www.labournet.de/?p=84385 – als auch noch „Die große aktuelle Frage zu Griechenland: Geht es noch um das Ringen nach vernünftigen ökonomischen Lösungen – oder nur um brutalst mögliche Abstrafung der Griechen? – vom 14. Juli 2015 bei https://www.labournet.de/?p=83452)
In die politische Umsetzung „übersetzt“ kommt für Claus Offe dazu, dass die Tiefe der aktuellen Krise einem zentralen Widerspruch geschuldet ist: Die Dinge, die im Interesse der Stabilisierung von Union und Eurozone dringend angegangen werden müssen, sind innerhalb der Mitgliedstaaten gleichzeitig in hohem Maße unpopulär.
Das was zu tun geboten ist, können die nationalstaatlichen Eliten, sowohl im Zentrum als auch in der Peripherie ihren Wählern nicht „verkaufen“. (Wie schwierig das in den USA war eine wenigstens ansatzweise Regulierung der Finanzindustrie wieder – nach der Deregulierungsphase – mit dem Dodd-Frank-Act wieder hinzubekommen, schildert Ingo Arzt in der TAZ: https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5350866&s=Ingo+Arzt&SuchRahmen=Print/ )
Das Ergebnis sind – inzwischen – 22 000 (!) Seiten Regulierung, die immer weiter 1 600 Lobbyisten der Finanzindustrie begleiten.)
Aber Offe insistiert darauf, dass die Politik ihre Rolle ausfüllen müsse: Schließlich sind die politischen Parteien, die diesen „Verkauf“ zu organisieren hätten, d.h. erklären und akzeptabel machen, nach wie vor wesentliche nationale Machterwerbsorganisationen, die – bisher – im Geiste eines positivistischen Opportunismus den (vermeintlich) „gegebenen“ und unabänderlichen Präferenzen der Wähler folgen, anstatt sich veranlasst zu sehen, diese Präferenzen zu prägen, einen Konsens zu bilden und grenzüberschreitende Vertrauensbeziehungen und Solidaritäten zu schaffen. (eben Politik zu machen, anstatt „blind“ auf die Marktkräfte zu vertrauen)
Deshalb: Woran es demnach in entscheidender Weise fehlt, ist nicht so sehr Geld (das eigentlich verschleudert wird) sondern Konsens und geeignete institutionelle Mechanismen der Konsensbildung und der Mobilisierung politischer Unterstützung.
Die Diskrepanz zwischen dem, was aus wirtschaftlicher Sicht notwendig ist, und dem, was politische Akteure strategisch für durchsetzbar halten, führt dann auf beiden Seiten der sich vertiefenden Spaltung Europas zu der vielbeschworenen „Unregierbarkeit“ Europas. (Siehe vor allem die Einleitung bei Offes „Europa in der Falle“: http://www.deutschlandfunk.de/europa-in-der-krise-appell-an-eine-rationale-moral.1310.de.html?dram:article_id=356316 )
An diesem Punkt anzusetzen, haben sich einige „Promis“ verschiedener Provenienz (Herkunft) angenommen.
Deshalb bin ich auch der Ansicht, wenn man all dies zusammendenken und für eine gemeinsame Politik bündeln will, sollte man eher als von dem politischen Projekt „Rot-Grün-Rot“ noch von einer europäischen Mosaik-Linken reden.
Die Zukunft der Eurozone – Wie wir den Euro retten und Europa zusammenhalten
Vielleicht hast du jedoch zunächst Lust – mit dem Ziel Rot-Rot-Grün möglich zu machen (http://www.fr-online.de/gastbeitraege/gastbeitrag-rot-rot-gruen-jetzt-,29976308,34892470.html ) – und wo kann das „durchdringender“ gelingen als bei Europa – in die Auseinandersetzung mit weiteren aktuellen Büchern einzusteigen. Dabei finde ich es durchaus weiter wichtig über reine Parteigrenzen hinweg zu denken – und mit Hans-Jürgen Urban auch von der europäischen „Mosaik-Linken“ zu sprechen, die auch noch besser vernetzt werden muss. (https://www.labournet.de/?p=94716)
Europa geht auch solidarisch – statt populistischer Renationalisierung: Für ein geeintes Europa, bitte links abbiegen – statt hilflos fasziniert den Aufschwung der Rechten zu betrachten, denen es um eine Zerschlagung der europäischen Idee geht.
Sehr ausführlich hat das jetzt Pascal Beucker in der TAZ getan – und stellt fest „Revolution statt Staus quo“ (http://www.taz.de/!5349678/ ). Es kann nicht um die Verteidigung des schlechten Staus quo gehen – ein europäisches Projekt, das die gegenwärtig herrschenden Eliten dabei sind, vor die Wand zu fahren. Eine Konsequenz daraus ist der Aufschwung der äußersten Rechten. Getrieben von ihrer fatalen Sehnsucht nach Volk und Vaterland propagieren Marine Le Pen, Heinz-Christian Strache, Geert Wilders oder Frauke Petry die Zerschlagung der europäischen Idee. (http://www.fr-online.de/gastbeitraege/europaeische-union-europa-geht-auch-solidarisch,29976308,34903430.html )
Aber es ist so falsch sein Heil jetzt, in einer Renationaliserung Europas zu suchen. (http://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/europa-geht-auch-solidarisch/ ) Deshalb kann es aber auch nicht darum gehen, diesen miserablen Status quo zu verteidigen! (https://www.neues-deutschland.de/artikel/1030580.echte-veraenderung-statt-nur-verlaesslichkeit.html )
In ihrer „Streitschrift für eine andere Europäische Union“ fordern die Sozialdemokratin Gesine Schwan, der Grüne – und Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi – Frank Bsirske, der Linksparteiler Axel Troost und ihre Mitautorinnen zu Recht eine „Radikalreform“ der EU. (http://www.vsa-verlag.de/uploads/media/www.vsa-verlag.de-Busch-ua-Europa-geht-auch-solidarisch.pdf )
Ein solch radikales Konzept für ein gemeinsames Projekt Europa wurde schon von Italienern als Kriegsgefangene ausgearbeitet – in jenem „Manifest von Ventotene“ (siehe zum Bezug dieses Manifestes von Ventotene zu dem heutigen Zustand von Europa „Ventotene als Menetekel für Europa: Gewogen und zu leicht befunden“: https://www.labournet.de/?p=103483).
Anna Lehmann in der TAZ („Europa, bitte links abbiegen“: http://www.taz.de/!5349843/ ) geht noch ausführlich auf dieses gemeinsame und parteiübergreifende Projekt dieser „Streitschrift“ ein, dessen zentrale Botschaft in der These liegt,dass die EU und der Euro sich reformieren lassen – gegen all diese rechten, aber auch linken Ausbruchsversuche aus dem Euro. Die Autoren der Streitschrift kennen sich weitgehend aus der Gruppe „Europa neu begründen“. (Vgl dazu das letzte Drittel auf der Seite 2 bei https://www.labournet.de/?p=101572)
Aber eine Rückkehr zu einem lockeren Verbund von Nationalstaaten beendet das Projekt Europäische Union, warnt Gesine Schwan. Ja, im Gegenteil sieht Gesine Schwan gerade Deutschland mit seiner Dominanz als eine wesentlich Triebkraft für die „Renationalisierung“ in Europa. (Vgl. z.B. im ersten Drittel ser Seite 2 bei https://www.labournet.de/?p=101572 und http://www.taz.de/!5349843/ )
Ach, erinnert sei noch an Gesine Schwans wunderbaren Devise: „Wer von der Rechtsentwicklung in Europa spricht, darf von der Austeritätspolitik nicht schweigen.“ (Siehe auf der Seite 2 unten ff. bei https://www.labournet.de/?p=94716 – und auch noch „Viele Menschen sind zu mehr Europa bereit“ (Gesine Schwan) nach dem ersten Drittel auf der Seite 1 bei https://www.labournet.de/?p=101572)
Wenn man dies politische Projekt „Europa geht auch solidarisch“ dem rot-rot-grünen Spektrum zuordnen kann, so kontrastiert damit doch die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sarah Wagenknecht, mit ihrem neuen Buch „Reichtum ohne Gier“, zu dem Stephan Hebel feststellt: Die Deutsche setzt ohne Umschweife auf die nationale Karte. „Der EU-Binnenmarkt war… von Anfang an ein Deregulierungsprojekt im Interesse der großen Banken“, stellt sie apodiktisch fest., gerade so, als wäre die (auch) ökonomische Einigung nicht nur in ihrer jetzigen Form, sondern auch schon im Grundsatz nichts anderes als ein Werk der Neoliberalen, schreibt Stephan Hebel in der Frankfurter Rundschau. (http://www.fr-online.de/literatur/kapitalismuskritische-buecher-gier-bringt-das-gemeinwohl-in-misskredit,1472266,34902824.html )
Dann ist bei ihr die Schlußfolgerung natürlich zwingend: Da eine Demokratisierung der Eurozone als gescheitert gelten“ könne (was für eine kleinmütige Diagnose gemessen an der Vison von Varoufakis (zu seine neuen Werk „Das Euro-Paradox“ siehe weiter unten), meint dazu noch Stephan Hebel. (Siehe z.B. das Manifest von Ventotene)
Und jetzt auch noch die Sozialdemokratische Partei mit Sigmar Gabriel: „Die Zukunft der Eurozone“ / „Wie wir den Euro retten und Europa zusammenhalten“
Sigmar Gabriel stellte jetzt bei der Friedrich-Ebert-Stiftung auch ein Buch zur Eurozone vor: „Wie wir den Euro retten und Europa zusammenhalten.“
(https://www.fes.de/oas/portal/pls/portal/filefunctions.download/PLAKON/VERANSTALTUNG/206304/F24087472/Einladung_Zukunft_der_Eurozone.pdf )
Martin Reeh schrieb in der TAZ (27.Oktober) zu dieser Veranstaltung, dass die Moderatorin Cerstin Gammelin von der Süddeutschen Zeitung unzufrieden mit dieser Art Veranstaltung war – und bemängelte: es würden derzeit nur kluge Bücher zum Euro geschrieben, aber nicht gehandelt.Das wollte der Wirtschaftsminister Gabriel so nicht stehen lassen – und meinte – so ganz jenseits den ökonomischen Vorstellungen dieses von ihm vorgestellten Buches – „man kann ja nicht sagen, dass in Griechenland nicht gehandelt wurde.“ Der SPD-Chef hatte das Austeritätspaket gegen die griechische Syriza-Regierung schon 2015 vehement verteidigt… (Vgl. dazu Niels Kadritzke: http://monde-diplomatique.de/shop_content.php?coID=100075 )
Es steht in dem Artikel von Martin Reeh in der TAZ nicht vermerkt, ob die Journalistin Cerstin Gammelin mit dieser Antwort – in ihrer eventuellen Widersprüchlichkeit zum vorgestellten Buch – zufrieden war.
Jedenfalls Marin Reeh erlaubt es sich, das Wahlprogramm der SPD von 1998 zu zitieren: „Wir wollen eine europäische Koordinierung der nationalen Wirtschafts- und Finanzpolitiken, um in Europa mehr Wachstum und Beschäftigung zu erreichen.“ (von diesem Ansatz ist bis jetzt nichts zu bemerken – aber zwischendurch hatte sich die SPD ja auch – unter der Regierung Schröder (Hartz IV usw.) – der neoliberalen Doktrin radikal zugewandt, die so etwas nicht vorsah) Und noch einmal zur SPD 1998: „Die Währungsunion muss getragen werden von einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik aller Länder.“ (nun in gewisser Weise wurde das ja durch die Austeritätspolitik (die Schulden sind schuld) in Europa durch den EU-Vertrag mehr oktroiert als „gemeinsam“ geschaffen. (Vgl. dazu den Abschnitt „Diese harte Dogmatik der Europa-Verträge muss Europa zum Scheitern bringen – also doch erst eine den Kompromiss suchende „Paartherapie“ institutionel ermöglichen“ – auf der Seite 1 unten bei https://www.labournet.de/?p=96317)
Jedenfalls analysierte Gabriel die aktuelle Krise Italiens als Schuldenkrise der italienischen Banken (zu der Krise der italienischen Banken siehe noch ab der Seite 2 bei https://www.labournet.de/?p=101242), ja, immer muss der Schuldner schuld sein – auch wenn es gerade für Deutschland gar keine gute Position ist, Gläubiger zu sein (siehe dazu „Auf der Spur des verlorenen Geldes – Das Eine-Billion-Euro-Loch“ von Ulrike Herrmann: http://www.taz.de/!5348343/ ). So verliert Deutschland den „geglaubten“ Vorteil der Exportüberschüsse durch den relativ starken Vermögens-Verlust bei den daraus folgenden Schulden. (Siehe auch noch die Seite 5 – bei https://www.labournet.de/?p=96317)
Allerdings ist es kein Wunder, dass Gabriel so argumentiert, denn die Bankenkrise führt leicht zur politischen Krise in Europa (Vgl. dazu „…Eine Bankenrettung – noch einmal nach 2008 – wäre das politische Ende der Kanzlerin Merkel“ auf der Seite 4 ab der Mitte bei https://www.labournet.de/?p=105174), während Keynesianische Ökonomen sie vor allem als Konsequenz der deutschen Dominanz im Euro verstehen – konstatiert Martin Reeh noch. (http://www.taz.de/!5349356/ )
Dennoch kann der dort auch geäußerte Wunsch Gabriels nach einem „ordentlichen Wachstumsprogramm für Europa“ (in Abkehr von der rigiden Sparpolitk eines Wolfgang Schäuble = 0 Prozent Verschuldung = die so populäre Politik der „schwarzen Null“) schon ein Fortschritt sein. Das könnte den „Eine-Billion-Verlust“ in den Auslandsschulden wenigstens für die Zukunft ein Stück weit vermeiden, wenn das Geld für Investitionen in Deutschland ausgegeben würde. (http://www.taz.de/!5348343/ )
Ob allein dadurch der Euro – bzw. dann Europa nebst den Verwerfungen in Südeuropa noch gerettet werden kann, steht auf einem anderen Blatt aber es wäre doch ein Anfang aus der bisherigen Sackgasse der bloßen Austerität auszusteigen.
Inwieweit dieses Buch „Die Zukunft der Eurozone“ jetzt eventuell „kontrastiert“ mit jenem anderen Buch „Europa geht auch solidarisch“ (http://www.vsa-verlag.de/uploads/media/www.vsa-verlag.de-Busch-ua-Europa-geht-auch-solidarisch.pdf ) – oder doch eher eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten aufweist, – eben für ein rot-rot-grünes Bündnis – wird sich zeigen. Im Zweifelsfalle kann man sagen, „doppelt genäht, hält besser“!
Auch Vernetzung über Partei-Grenzen hinweg für ein gemeinsames Europa: Yanis Varoufakis mit seiner Initiative „Demokratie in Europa 2025“ und seinem Buch „Das Euro-Paradox“
Varoufakis hat die europäische Situation beim Verschwinden einer großen Erzählung für dieses Europa so zutreffend Anfang diesen Jahres beschrieben: „Ich bin ein scharfer Kritiker der Kanzlerin Merkel, aber für ihre Haltung gegenüber den Füchtlingen für ihre spontane Entscheidung, die Grenzen offen zu halten, empfinde ich höchste Anerkennung. Sie hat für diese Entscheidung in ihrer eigenen Partei einen hohen Preis bezahlt. Wenn Politiker der „anderen Seite“ etwas tun, was Lob verdient, macht mich das sehr glücklich… “ (Vgl. in der Mitte auf der Seite 2 bei https://www.labournet.de/?p=93936)
Ja, das war dieser so offensichtliche Gegensatz zwischen einem miserablen Managen der Eurokrise und der – wenigstens anfangs – mutigen Flüchtlingspolitik aus Deutschland – jene vorgezeigte Solidarität in der Flüchtlingskrise im krassen Kontrast zur fehlenden Solidarität in der Eurokrise. (Vgl. auf der Seite 1 unten bei https://www.labournet.de/?p=91359)
Nach diesen ungereimten Halbheiten und Widersprüchen in Europa möchte Yanis Varoufakis doch eine gemeinsame „große Erzählung“ für Europa machen, die so schrecklich fehlt. (Siehe dazu „Wer bewegt wen?“ bei „Doch noch auf dem Weg zu einer großen Erzählung für Europa“: https://www.labournet.de/?p=93062) Oder man kann immer noch sagen „Europa kennt keine große Erzählung mehr, weil eine solche das Finanzkapital für sich – ohne weiteren Sinn – gestohlen hat“. (Siehe auch Seite 2 unten bei https://www.labournet.de/?p=93936)
Dieser Geschichte für die Zukunft Europas wendet sich jetzt Yanis Varoufakis in einem neuen Buch „Das Euro-Paradox“ zu, das auch Stephan Hebel richtig begeistert (http://www.fr-online.de/literatur/kapitalismuskritische-buecher-gier-bringt-das-gemeinwohl-in-misskredit,1472266,34902824.html ). In seinem schillernden, mit Anektoten in Ich-Form gespickten Stil arbeitet sich Varoufakis durch bald ein Jahrhundert Wirtschaftsgeschichte von der Großen Depression 1929 ff. bis zu seinem eigentlichen Anliegen vor : Wer dieser „Fehlkontruktion“ des Euro eine andere Alternative entgegensetzen will als die Rückkehr in die nationalen Grenzen, der braucht mehr und nicht weniger Europa – wie unsere Freunde von „Europa geht auch solidarisch“.
Das derzeit geltende Modell, da stimmt Varoufakis auch mit den Ausstiegsbefürwortern überein, meint Stephan Hebel, kann einfach auf Dauer nicht funktionieren. Mit einiger Übertreibung, aber geradezu amüsant arbeitet der Ökonomie-Professor den paradoxen Prozess heraus – der gerade bei dem aktuell so selbst-quälerischen Umgang mit dem Euro-Regime in Frankreich interessant ist (vgl. dazu auf der Seite 1 in der Mitte bei https://www.labournet.de/?p=100830) -, in dem der Euro vom Mittel zur Eindämmung der DM-Vorherschaft, wieder zum Instrument einer Wirtschaftspolitik wurde, die besonders deutschen Interessen dient – kurzfristig jedenfalls (vgl. dazu auch Ulrike Herrmann mit ihrem Kommentar zu den Streiks in Frankreich im letzten Sommer: Frankreichs Sommermärchen wird gestört – durch die Großdemonstrationen gegen die französische Arbeitsmarktreform (= zur Schwächung der Gewerkschaften,um die Löhne zu drücken) – aber: – und damit trifft Ulrike Herrmann dem Nagel auf den Kopf – die Lösung liegt nicht in Frankreich, sondern in Deutschland (siehe in der Mitte der Seite 2 bei https://www.labournet.de/?p=100830)
Jahr für Jahr – fährt Stephan Hebel in seinem Bericht zu dem Buch von Varoufakis fort – erzielt Deutschland erheblich Exportüberschüsse. Die Importeure, mit Krediten deutscher Banken geradezu überhäuft und ihrerseits oft genug von unverantwortlichen Politikern regiert, bezahlen dafür in der Starkwährung Euro. Wenn sie in die Krise geraten, fehlt ihnen – unter dem Dach des gemeinsamen Euro – das traditionell einzige Mittel der Wahl: die eigene Währung, die sie abwerten könnten, um die teuren Importe zu drosseln und die eigene Währung wieder anzukurbeln.
Es geht also um die Systemfehler des Euro (wie dieser auch die Deutschen durch gewaltigen Vermögensverlust beschädigt (vgl. auch den Abschnitt „Das über allem stehende Dogma der Wettbewerbsfähigkeit verschleudert deutsches Geld“ auf der Seite 1 unten bei https://www.labournet.de/?p=106557) – und nicht um die müßige – ewig populistische – Debatte über die Verantwortung „der Griechen“ oder „der Deutschen“.
Seine Lösung stellt Varoufakis unter das Motto „Überschuss-Recycling“ – das heißt das Verbot der „Vergemeinschaftung von Schulden“ muss fallen. (http://www.fr-online.de/literatur/kapitalismuskritische-buecher-gier-bringt-das-gemeinwohl-in-misskredit,1472266,34902824.html )
Die deutsche Wirtschaftsideologie des „Ordoliberalismus“ tut der Weltwirtschaftskrise, die immer wieder Ausgangspunkt der Überlegungen zur Überwindung auch der Eurokrise ist, einfach die Gewalt des Prokrustes an. (http://de.wikimannia.org/Das_Bett_des_Prokrustes )
Während Stephan Hebel (vorletzter Link) in seiner Literatur-Besprechung nach Wagenknecht und Varoufakis noch zu Robert B. Reich weiterschreitet, möchte ich hier ausscheren und zum „Wirtschaftsweisen“ Peter Bofinger kommen, der so wunderbar die Ideologie der deutschen Ökonomen – die die Euro- und Europa-Diskussion so beherrscht – kommen.
Auch hier geht es – wie bei Varoufakis – um die Geschichte seit der „Großen Depression“, aber wie die Deutschen mit ihrem ökonomioschen Star Walter Eucken, daraus nur eine recht beschränkte Ideologie entfalten konnten: Unter der Überschrift „Walter Euckens langer Schatten“ erörtert Peter Bofinger dieses permanente zu kurz Greifen der deutschen Sicht auf die Ökonomie in einem Essay der Süddeutschen Zeitung (http://makronom.de/der-lange-schatten-des-walter-eucken-15665 )
Eucken hat – geprägt durch das Grauen des Nationalsozialismus, der aus der Weltwirtschaftskrise in Deutschland hervorging, – eine spezifische ökonomisch-historische Situation theoretisch verabsolutiert. Er entwickelte nämlich eine spezifische Sicht auf die Große Depression der Jahre 1929 bis 1933. Und so schlussfolgerte er aus dieser Sicht, dass bei flexiblen Preisen und Löhnen eine Vollbeschäftigungspolitik entbehrlich sei.
Rückblickend ist erstaunlich, dass Eucken ernsthaft glaubte, er könne allgemeine ökonomische Prinzipien aus der speziellen deutschen Erfahrung der Jahre 1933 bis 1945 ableiten. Die schlichte Ablehnung der „Vollbeschäftigungspolitik“ ist nämlich schon zu seiner Zei durch die Realität widerlegt worden. Das beste Beispiel ist der „New Deal“ in den Vereinigten Staaten (http://stephan.schulmeister.wifo.ac.at/fileadmin/homepage_schulmeister/files/New_Deal_Keynes_Gesellschaft_2015.pdf ). Und Peter Bofinger meint noch: Wenn man Euckens Analysen mit den komplexen Theorien von Keynes, Hayek oder Schumpeter vergleicht, ist es eigentlich nur schwer nachvollziehbar, warum er in Deutschland so eine anhaltende Wertschätzung genießt. Aber sein Erbe lebt jedenfalls im deutschen makroökonomischen Paradigma weiter und erfreut sich bester Gesundheit: Die Aversion gegen die „Vollbeschäftigungspolitik“ wird von Politikern wie Bundesfinanzminister Schäuble in europäischen und internationalen Gremien (vgl. den Konflikt mit dem IWF auf dem letzten Treffen (https://www.tagesschau.de/wirtschaft/iwf-weltbank-115.html sowie http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/waehrungsfonds-und-deutschland-im-clinch-14470724.html ) eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht. Dabei fragte der stellvertretende IWF-Chef auch noch präziser nach: So häuft also Deutschland Jahr für Jahr mit seinen Exportüberschüssen Vermögenswerte an – die einfach schlecht angelegt sind und leicht verfallen können. (was ja schon der Fall ist!) „Wollen sie das als Nation?“, fragte konkret IWF-Lipton. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/iwf-vize-lipton-iwf-verwahrt-sich-gegen-deutsches-griechenland-ultimatum-1.3198063 )
Und Euckens negative Einstellung gegenüber den Gewerkschaften wird von deutschen Ökonomen weitergetragen, wenn sie mit Struktur-Reformen darauf abzielen, die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften zu schwächen. (Vgl. auch den Abschnitt im letzten Drittel „… spezifisch deutsche Philosophie der Wirtschaftspolitik…“ auf der Seite 2 etwa im letzten Drittel bei https://www.labournet.de/?p=100830 – sowie noch stärker in die Geschichte der Bundesrepublik ausgreifend auf der Seite 1 bei https://www.labournet.de/?p=102866)
Bei allen – theoretischen – Schwächen des „Ordoliberalen“ Walter Eucken wegen der spezischen wirtschaftlichen Situation in der Weltwirtschaft von Deutschland, konnten die Deutschen damit recht gut fahren, obwohl dies weltwirtschaftliche „Trittbrettfahren“ für sich genommen schon fragwürdig ist.
Aber fährt Peter Bofinger fort: Bei allen Schwächen dieses „ordungspolitischen“ Ansatzes muss man jedoch anerkennen, das Deutschland damit in den vergangenen Jahren ganz gut gefahren ist. Aber das liegt – wieder – an der spezifischen Konstellation der deutschen Volkswirtschaft. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt ist Deutschland als drittgrößte Volkswirtschaft in der Gruppe der fortgeschrittenen Volkswirtschaften ein sehr großes Land. Aber gemessen an der sehr großen Offenheit seiner Volkswirtschaft, also der Relation der Exporte zum Bruttoinlandsprodukt, befindet sich Deutschland eigentlich in der Gesellschaft sehr kleiner Volkswirtschaften.
Diese Offenheit – durch die Exporte – erlaubt es der deutschen Wirtschaftspolitik die Nachfrageseite zu vernachlässigen – aber eben nur solange es wiederum genügend andere Volkswirtschaften gibt, die mit ihrer Fiskalpolitik für den notwendigen Dampf in der Weltwirtschaft sorgen. Ein solches Trittbrettfahren ist für sich schon – auch politisch – fragwürdig. Aber es wird dann gefährlich, wenn deutsche Ökonomen und Politiker es auf weitere große Wirtschaftsräume wie den Euro-Raum oder die Vereinigten Staaten zu übertragen versuchen.
Der Versuch – in der aktuellen Situation – die weltweit durch ein chronisches Nachfragedefizit gekennzeichnet ist, eine globale „Schwarze Null“ zu realisieren, führt zum schwarzen Loch für die Weltwirtschaft. (http://makronom.de/der-lange-schatten-des-walter-eucken-15665 )
Vehement wehrt sich Bofinger deshalb auch gegen die Mehrheit im Sachverständigenrat, wenn die jetzt mit ihrer engstirnigen Ideologie auch noch den Rückbau für Europa fordern – denn notwendig sind jetzt staatliche Organisationen, die – wieder – eine Kontrolle über die Märkte gewährleisten. (Vgl. den Abschnitt „Also nicht Rückbau von Europa, sondern staatliche Organisationen, die eine Kontrolle über die Märkte gewährleisten“ auf der Seite 4 in der Mitte bei https://www.labournet.de/?p=102613)
Und so schreibt Peter Bofinger zwar keine Bücher, weil er als „Wirtschaftsweiser“ vollauf damit beschäftigt ist, immer wieder seine „Minderheitsvoten“ in den jährlichen Gutachten des Sachverständigenrats zu formulieren. (http://www.wiwi.uni-wuerzburg.de/lehrstuhl/vwl1/sachverstaendigenrat/minderheitsvoten/ )
Im letzten SVR-Gutachten sollen es sieben solche „andere Meinungen“ gewesen sein, um auf diese Weise der dogmatischen Verkürzung der spezifisch deutschen Ökonomie doch noch die möglichen Alternativen aufzuzeigen. (Vgl. „Sachverständigenrat doch einmal im Kreuzfeuer der Kritik“ bei https://www.labournet.de/?p=106557)