Sachverständigenrat doch einmal im Kreufeuer der Krtitik: Ohne eine Basis in der wirtschaftlichen Realität bleibt der Sachverständigenrat Wirtschaft in seinen alten ideologischen Gräben einfach nur stecken

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 3.11.2016

KapitalismuskritikIch kann bisher selbst noch nicht genau wahrnehmen kann, welche Minderheitsmeinung z.B. Peter Bofinger, der einzige Aufrechte, nicht gefangen im neoliberalen Mainstream, in diese SVR-Gutachten für 2017 eingebracht hat.
Die Frankfurter Rundschau schreibt dazu: Sieben Minderheitsvoten von Peter Bofinger belegen die tiefen Meinungsverschiedenheiten in diesem Sachverständigenrat Wirtschaft… – oder wie es Heinz-Josef Bontrup im Interview in der Frankfurter Rundschau ausdrückt: „Da kann man von einem neoklassischen oder neoliberalen Berater-Kartell reden. Man spricht nur untereinander. Man lässt niemanden von außen herein“. (http://www.fr-online.de/wirtschaft/interview-mit-heinz-josef-bontrup–ein-neoliberales-beraterkartell-,1472780,34908922.html externer Link)

Einzige Ausnahme ist Peter Bofinger (der von den Gewerkschaften bestimmt werden konnte und somit als „linker“ Ökonom gilt, dabei sollte es doch nicht um einen ideologischen Streit gehen, sondern darum, welche „Meinung“ am klarsten die Realität abzubilden vermag -also realitätstauglich ist), der so alleine aber einen schweren Stand hat.“ So wird aber jetzt schon dieses Gutachten öffentlich diskutiert.

Es wurde am 2. Novemeber mittags vorgestellt (http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/index.html externer Link = der Link führt zur Presse-Erklärung sowie zum Gesamt-Gutachten des SVR).

Die Frankfurter Rundschau titelt am 3. November: „Abfuhr für Wirtschaftsweise“ – Reformempfehlungen für die Bundesregeirung werden als – bloß – ideologisch kritisiert. Mit solch einem Widerspruch haben die fünf Wirtschaftsweisen kaum gerechnet: Nach der Vorstellung ihres Berichtes über diese – sogenannten – Reformen und die ökonomische Zukuftsfähigkeit Deutschlands zweifelten von der Bundeskanzlerin bis zu den Gewerkschaften viele Stimmen die Empfehlungen dieser Sachverständigen an. (Siehe „Wer hört noch auf die Wirtschaftsweisen“ von Markus Sievers: http://www.fr-online.de/wirtschaft/wirtschaftsweise-wer-hoert-noch-auf-die-weisen-,1472780,34907780.html externer Link)

Das über allem stehende Dogma der Wettbewerbsfähigkeit verschleudert deutsches Geld

Das Gutachten der „Wirtschaftweisen“ 2017 steht unter der Überschrift „Zeit für Reformen“ – und natürlich steht die „Wettbewerbsfähigkeit“ bei diesem deutschen Gremium nach altgwohnter Art an vorderster Stelle. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/konjunktur-wirtschaftsweise-kritisieren-die-grosse-koalition-1.3229988 externer Link)

Die Damen und Herren des SVR haben wohl keine Ahnung davon – wie es Ulrike Herrmann neulich so schön vorgerechnet hat -,dass durch den mit dieser Wettbewerbsfähigkeit „errungenen“ Exportüberschuss und die damit einhergehende Auslandsverschuldung Deutschland rund eine Billion an Vermögen verloren hat (= Exportüberschuss im Verhältnis zum Auslandsvermögen – siehe „Auf der Spur des verlorenen Geldes“: http://www.taz.de/!5348343/ externer Link) Oder muss man jetzt sogar schon sagen, diese Herren und Dame können nur schlecht oder überhaupt nicht mit dem deutschen Geld umgehen?

Die auch noch nicht verstandene Geldpolitik des Mario Drahi – denn was die Politik versäumt, kann die Geldpolitik nicht richten. Oder ist das nicht mehr Ökonomie, sondern schon Populismus

Dann reihen diese Ökonomen sich auch noch in die so populäre Phalanx der Kritiker der Geldpolitik der EZB unter Mario Draghi ein, indem sie Draghi auffordern, seine – aus deutscher Sicht! – unkonventionelle Geldpolitik zu beenden. (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/sachverstaendigenrat-kritisiert-ezb-14507550.html externer Link)

Ist das jetzt noch Ökonomie – oder schon reiner Populismus muss man sich fragen. Dieser Problemstellung nämlich widmet sich Cerstin Gammelin in der Süddeutschen: Das ist eine seltsam verkürzte Debatte, stellt sie fest. (http://www.sueddeutsche.de/politik/ezb-praesident-draghi-ein-retter-kein-zerstoerer-1.3229970 externer Link)

Eine derartige Debatte verschweigt nämlich, dass es gerade einem unkonventionellen Versprechen Draghis zu verdanken ist, dass es heute die Eurozone überhaupt noch gibt. Mit seinem Satz, er werde alles tun, was nötig ist, um die Eurozone zu retten,beendete der Italiener im Juli 2012 alle Spekulationen um das baldige Ende des Euro (auf das damals wahrhaftig spekuliert wurde.) Ohne ihn wäre der Traum vom einigen Europa mit eine gemeinsamen Währung schon damals geplatzt!
Des weiteren kann man Draghi nicht vorwerfen, was die nationalen Regierungen (wo ja angeblich bei den Renationalisierungs-Fans die ökonomische Klugheit liegen soll) versäumen.

In einer idealen Eurowelt hätten nämlich die Euro-Staaten längst alles Nötige unternommen, um die Währung zu sichern… Schließlich geht es um die existentielle Entscheidung, ob der Währungsverbund um eine echte Steuer- und Sozialunion erweitert werden soll, die eines Tages in die Vereinigten Staaten von Europa münden könnte (http://www.fr-online.de/gastbeitraege/europaeische-union-europa-geht-auch-solidarisch,29976308,34903430.html externer Link) – oder ob man lieber einen reinen Währungsverbund haben und zum Europa der Nationalstaaten zurückkehren will.

Vieles, was politisch nötig wäre, geschieht einfach nicht. Genau das hat Draghi zum Getriebenen gemacht, der eine Maßnahme nach der nächsten ergreift, um zu verhindern,dass die Eurozone zerfällt. (http://www.sueddeutsche.de/politik/ezb-praesident-draghi-ein-retter-kein-zerstoerer-1.3229970 externer Link) Im Gegenteil meint dazu Peter Bofinger in einem seiner Minderheitsmeinungen, das Wachstum in Deutschland habe sich gerade durch die Geldpolitik der EZB weiter gut entwickelt, was Bofinger gerade auf Impulse durch die Europäische Zentralbank zurückführt.

Weniger Wachstum – bei möglichst sinkenden Löhnen

Am realistischten bleiben die ökonomischen Sachverständigen dann noch bei der Frage des zu erwartenden Wachstums. (http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/wirtschaftsweise-rechnen-fuer-2017-mit-weniger-wachstum-a-1119242.html externer Link)

Nur dafür sind wiederum die Löhne ein wichtiger Faktor – und dass diese als ein Faktor von Macht doch wieder angemessen erhöht werden, das hat jetzt gerade Rudolf Hickel eingebracht (http://www.daserste.de/information/ratgeber-service/geldcheck/wer-verdient-was-er-verdient-wie-wichtig-sind-tarifvertraege-100.html externer Link).

Und bezogen auf Europa (= „interne Abwertung“ – statt der Möglichkeit die Währung abzuwerten!) stellen uns das noch einmal Thorsten Müller, Thorsten Schulten und Sepp Zuckerstätter vor (http://blog.arbeit-wirtschaft.at/loehne-und-wirtschaftliche-entwicklung-in-europa-die-3-irrtuemer-der-internen-abwertung/ externer Link) – und machen damit auch wieder auf den Unsinn dieser dogmatischen Europa-Spar-Politik aufmerksam, die auch die Löhne im Visier hat.

Um diesen als Sachzwänge einer Währungsunion (Euro) daherkommenden Lohnsenkungen nicht mit Renationalisierung-Aufrufen entgegenkommen zu wollen, haben eine gewerkschafts- und parteiübergreifende politische Koalition die Streitschrift „Europa geht auch solidarisch“ gerade jetzt vorgestellt (http://www.fr-online.de/gastbeitraege/europaeische-union-europa-geht-auch-solidarisch,29976308,34903430.html externer Link). Statt sich in das Fahrwasser der Re-Nationalisierung zu begeben, muss eine Koalition der Linken für den Erhalt des europäischen Einigungswerkes kämpfen und sich den neoliberalen und rechtspopulistischen Zerstörern eines gemeinsamen Europas in den Weg stellen.

Gerechtigkeit in Deutschland ist laut diesem SVR schon längst „vollendet“: Deshalb ist für den SVR eine Diskussion über Verteilung einfach überflüssig!

Zwar werde die Diskussion über die Gerchtigkeit in Deutschland intensiv geführt, meint noch etwas herablassend der Sachverständigenrat. (Vgl. dazu z.B. die Debatte um „Ungleichheit und Umverteilung“ bei https://www.labournet.de/?p=61517 – oder auch noch zuletzt den WSI-Verteilungsbericht von Dorothee Spannagel: http://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_report_31_2016.pdf externer Link pdf)

Diese Debatte stößt jedoch im SVR nur auf Unverständnis: „Allerdings ist die Ungleichheit im vergangenen Jahrzehnt weitgehend unverändert geblieben.“ Im Minderheitsvotum von Peter Bofinger dagegen heißt es: „Bei der Entwicklung der Nettoeinkommen von Personen in Haushalten mit mindestens einem erwerbsfähigen Haushaltsmitglied hat sich seit dem Jahr 1999 eine deutliche Schere herausgebildet: Für die zehn Prozent am oberen Rand seien die Einkommen seitdem um zehn Prozent gestiegen, für die am unteren Rand um zehn Prozent gefallen“. (http://www.fr-online.de/wirtschaft/wirtschaftsweise-wer-hoert-noch-auf-die-weisen-,1472780,34907780.html externer Link)

Dazu meint Heinz-Josef Bontrup von der Memorandums-Gruppe (siehe allgemein http://www2.alternative-wirtschaftspolitik.de/uploads/m2216.pdf externer Link pdf): Besonders ärgert uns, dass der Rat (der Sachverständigen) die Verteilungsfrage komplett ausklammert (= FR vom 3.11. 2016). Wir von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (http://www.alternative-wirtschaftspolitik.de/ externer Link) sagen dagegen, dass die Verteilungsfrage die entscheidende Frage in der Ökonomie ist.
Und so betrachtet gemahnt das einen an einen großen Skandal, wenn die OECD feststellen muss, in kaum einem OECD-Land seien die Chancen, aus den niedrigen Einkommensgruppen aufzusteigen, so schlecht wie in Deutschland. (http://www.fr-online.de/wirtschaft/studie-schwache-aufstiegschancen,1472780,34841882.html externer Link) Ja, die Aufstiegschancen sind sogar noch immer weiter gesunken: Ganz oben – oder eben ganz arm auf ewig! (http://www.sueddeutsche.de/politik/verteilungsbericht-ganz-oben-oder-ganz-arm-1.3199043 externer Link)

Das ist jedoch nicht nur eine Frage, ob es einfach nur gerechter zugehen soll bei uns, sondern gleichzeitig auch eine Frage, ob unsere weitere wirtschaftliche Entwicklung immer weiter dahin schwindet.
Marcel Fratzscher, der Präsident des großen Wirtschaftsinstitutes DIW in Berlin, schildert das Drama einer solchen Entwicklung, wenn die Armen keine Chancen mehr haben und auch noch immer ärmer werden: In seinem Buch „Verteilungskampf“ macht er klar, dass ein solches Land – mit einer derartigen Verteilungsstruktur – ökonomisch scheitern muss – und auch langfristig Wohlstand und Wachstum verliert. (http://www.fr-online.de/wirtschaft/diw-chef-ungleichheit-kostet-wachstum,1472780,33944388.html externer Link)

Finanzkrise, Ungleichheit und ökonomische Instabilität – Ungleichheit ist die entscheidende Frage in der Ökonomie –

Dabei – und das sprach ja Bontrup mit seinem Dictum: Die Ungleichheit ist eine ganz zentrale, ja eben „entscheidende“ Frage in der Ökonomie – ist die hohe Ungleichheit in Einkommen und Vermögen – zusammen mit der Deregulierung der Finanzmärkte – der Ursprung der globalen Finanzkrise. Dem ist dann der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz in einem ganzen Werk noch nachgegangen, das Rudolf Hickel dann bei uns noch vorgestellt und zur Lektüre empfohlen hatte (http://rhickel.iaw.uni-bremen.de/ccm/homepages/hickel/aktuelles/joseph-stiglitz-arm-und-reich-/ externer Link).

Der große Ökonom Anthony Atkinson hatte sich deshalb auch in einer großen Studie auf die Frage der Ungleichheit konzentriert. Er stellt den aktuellen Charakter unserer Gesellschaften auf den Prüfstand und fragt gleich provokativ: „Wenn wir Banken retten können, wieso können wir dann nicht Menschen retten?“
(Vgl. dazu „Anthony Atkinson: Noch Keynes bezeichnete die Ökonomik als moralische Wissenschaft: Finanzkrise, Ungleichheit, und makroökonomische Instabilität“ – bei https://www.labournet.de/?p=103627)

Es geht also keineswegs „nur“ um eine Neid-Debatte bei einer immer unverschämter werdenden gesellschaftlichen Spaltung mit immer mehr und immer weiteren „Abgehängten“, sondern gerade auch um den Wahnsinn eines immer krisenanfälligeren Finanzkapitalismus (siehe dazu zuletzt auch den DGB: http://www.dgb.de/themen/++co++930b199e-8faa-11e6-b967-525400e5a74a externer Link), der diese immer krasser werden Umverteilung zu seiner Basis hat.

Aber eine Auseinandersetzung um diese uns stark tangierende Zukunftsfrage – sogar jenseits der Frage, ob die Ökonomik auch eine moralische Wissenschaft ist -, kann der SVR mit seinem beschränkten marktradikalen Verständnis nicht einmal rühren.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=106557
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