Mehr Klarheit wagen! Mehr Opposition wagen! Daraus ergibt sich die richtige Strategie!
Artikel von Dieter Wegner vom Oktober 2016
Einige Anmerkungen zu dem Referat der Kollegin Jana Seppelt „Mehr Strategie wagen“ (Sekretärin verdi Berlin) auf der Streikkonferenz III in Frankfurt/M.
Die Kollegin Seppelt sagte: „Klar ist schon lange: Die Zeiten der Sozialpartnerschaft sind vorbei“. Da pflichten wir ihr absolut bei! Aber warum ist ihre Erkenntnis noch nicht bei den Vorständen der acht Einzelgewerkschaften angekommen?! Warum triefen die Aussagen von Vorstandsmitgliedern nur so von Beteuerungen und Forderung nach Sozialpartnerschaft? (Mit der Ausnahme der Reden am 1. Mai, da wird in den letzten Jahren auch schon mal der Begriff „Klassenkampf“ gebraucht und die Arbeit“geber“ werden hart angegangen, weil sie sich der Sozialpartnerschaft entzögen).
Vertritt die Kollegin Seppelt diesen Standpunkt auch offensiv innerhalb von verdi und DGB gegenüber den Apologeten der Sozialpartnerschaft? Verdi hat ein Zukunftsbündnis „Dienstleistung 4.0“ abgeschlossen mit Kapitalsverbänden und der Regierung, die IGM hat ein Zukunftsbündnis „Industrie 4.0“ mit Kapital und Staat abgeschlossen. Inhaltlich und strategisch gehen diese Bündnisse noch über die Ideologie der Sozialpartnerschaft hinaus – sie sind das Anstreben einer Symbiose mit eben diesen Kräften, ausdrücklich um den Standort Deutschland zu sichern, konkurrenzfähig zu machen und weiter an der Spitze zu halten.
Wo bleibt die Auseinandersetzung von Hauptamtlichen (und erst recht von Ehrenamtlichen!) um die Ideologie der Klassenharmonie und der Sozialpartnerschaft? Wo bleibt die Kritik an der Gewerkschaftsspitze und Teilen des Apparates, daß sie die Partnerschaft mit dem Kapital statt mit den Belegschaften praktizieren?
Bekenntnisse „unter uns“, wie auf Streikkonferenzen, sind zwar erfreulich und es ist ein angenehmes Gefühl, es zur Kenntnis zu nehmen. Aber was not tut ist die Organisierung aller Kräfte, die Front machen gegen die jahrzehntelange Ideologie und Praxis der Sozialpartnerschaft. Es geht um den Aufbau einer Opposition, die Klarheit bringt für den Kampf gegen Angriffe von Kapital- und Staatsseite: Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft. Klarheit ist notwendig, Durchmogeln und daß wir Sozialpartnerschaft mit den Sozialpartnern an den Gewerkschaftsspitzen üben, geht nicht. Es geht darum, den KollegInnen an der Basis, die immer häufiger gezwungen sind, sich der Angriffe der Kapitalisten zu erwehren, eine Orientierung zu geben. Es geht darum, eine Kraft zu bilden, an die sie sich anschließen können und ideologisch orientieren können – es geht darum, Front gegen die Sozialpartnerschaftsideologie zu machen, egal wo sie auftaucht, in den Reden der Gewerkschaftsführer, den Gewerkschaftszeitungen oder auf Gewerkschaftsschulungen. Die Sozialpartnerschaftsvorstellung ist eine Kampfmethode von Staat und Kapital und eine Ideologie in den Köpfen der GewerkschaftsführerInnen und vieler Hauptamtlicher. Gemeinsam versuchen Kapital, Staat und Gewerkschaftsführer diese Ideologie in die Köpfe der Mitglieder und Belegschaften zu versenken damit sie wehrlos werden. Damit das TINA-Prinzip (there is no alternative) von Thatcher, Blair, Schröder und Merkel auch in den Betrieben durchgesetzt wird.
Die Kollegin Seppelt beschreibt neue kräftige Impulse: „mehr trauen“, „neue Strategien entwickeln“, „neue Aktionsformen erfinden“. Genau, dieser frische Wind ist zu begrüßen! Dann sagt sie: „Das wird die Gewerkschaften notwendigerweise verändern“. Und sie sagt: „Es geht um Konfliktorientierung, nicht um blinde Offensiven“.
An dieser Stelle ist es wichtig, sich mit der Gewerkschaftsgeschichte (hier nur des DGB seit 1945) zu befassen. Es hat 1945 und in den zehn Jahren danach eine starke Arbeiterbewegung gegeben, auf Sozialismus orientiert und durchaus nicht auf Sozialpartnerschaft mit Kapital und Staat. Um sowohl die Basis als auch die Spitzen auf diesen Kurs zu bringen, mußte die Gewerkschaftsbewegung durch „Säuberungen“ erst umgepolt werden: Von der US-Militäradministration, CIA, Adenauer-Regierung, BND, katholischer Kirche und auch von Spitzenkräften aus DGB und SPD. Das klingt nach Verschwörungstheorie, kann aber nachgelesen werden in den beiden Büchern von Viktor Agartz dem Cheftheoretiker des DGB nach 1945, der Opfer dieser Ausrichtung der Politik auf die Interessen der USA und des Kapitals wurde. Er beschreibt es in den beiden Büchern: „Verraten und verkauft“ und „Gewerkschaft und Arbeiterklasse“. Agartz als vehementer Gegner der Sozialpartnerschaft und der Westausrichtung des DGB mußte kaltgestellt werden. Das wurde er durch einen Hochverrats- und Landesverratsprozeß. (Von Heinemann und Posser verteidigt, mußte er freigesprochen werden, wurde aber aus der Gewerkschaft und der SPD ausgeschlossen und war politisch erledigt).
Die Schilderung von Fällen von „Säuberungen“ durch die Vorstände aller DGB-Gewerkschaften von Gegnern der Sozialpartnerschaft über all die Jahrzehnte könnten jetzt seitenlang fortgesetzt werden. Es bleibt nur festzustellen: Die Zementierung, die die Sozialpartnerschaftsideologie in den Anfangsjahren erfuhr gilt noch heute. Auch wenn die Vorstände angesichts des Verlustes von Millionen Mitgliedern und immer häufiger aufflackernden Widerstandes in den Betrieben etwas flexibler gegenüber aktiven Mitgliedern reagieren. So einfach wie die Kollegin Seppelt es beschreibt: „Das wird die Gewerkschaften notwendigerweise verändern“ wird das also nicht gehen! Ideologisch stellen sich die Gewerkschaftsführungen auf die heutige Situation mit einer neuen Wortprägung (und daraus folgenden möglichen Praxis) ein: Konfliktive Sozialpartnerschaft.
Wir sind jedoch der grundsätzlichen Einstellung, daß wir in einer Klassengesellschaft leben mit dem antagonistischen Widerspruch von Arbeit und Kapital und daß Gewerkschaften die Grundposition daraus zu ziehen haben: Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft. Jeder lacht auf, wenn er in einer Fabel liest, daß Fuchs und Huhn eine Partnerschaft vereinbaren. Jeder weiß, dass die nicht lange halten wird.
Was sind die Grundpositionen für uns?: Auf der einen Seite die Gewerkschaftsvorstände, verhaftet der sozialdemokratischen Ideologie der Sozialharmonie, des sozialen Friedens in Betrieb und Gesellschaft, der Sozialpartnerschaft, die sich damit theoretisch und praktisch ins andere Lager begeben und auf der anderen Seite die Mitglieder und die Belegschaften in der konsequenten Verteidigung ihrer Interessen! Sobald sie diese Interessen konsequent verteidigen, müssen sie sich nicht nur gegen den Kapitalisten wehren sondern auch gegen ihre Gewerkschaft Stellung nehmen, die die Kampfkraft der Belegschaft nicht ausschöpft, den Kampf dämpft und ablenkt und vorzeitig einen Kompromiß sucht – aus Rücksicht auf ihren Partner. Falls kämpferische Belegschaften auf solidarische Hauptamtliche treffen, die sie in ihrem Kampf konsequent begleiten, stellt das die Ausnahme in der aufgezeigten Konstellation dar. Sie riskieren allerdings ihren Job.
Es ist der Kollegin Seppelt völlig Recht zu geben, wenn sie sagt, daß es nicht um „blinde Offensiven“ geht! Dazu gehört aber unabdingbar, daß man seine eigene Geschichte kennt, zumindest die Nachkriegsgeschichte der Organisation in der man sich befindet und in und mit der man kämpfen will. Der Zustand der Gewerkschaften, die sozialpartnerschaftlich eingestellten Vorstände, die sich in Wirklichkeit im anderen Lager befinden, sind Grundlage und Bedingung für unseren Kampf. Das müssen wir sehen und akzeptieren! Sich was vorzumachen und zu glauben, daß die Vorstände und Teile des Apparates sich ändern, wenn sie unsere Meinungen erfahren, schwächt uns, indem wir Wünschen nachlaufen.
Solange wie die Kapitalisten und ihre Manager das kapitalistische System gegen uns verteidigen, genau so lang werden es ihre Sozialpartner in unseren eigenen Reihen auch tun. Das nicht sehen und akzeptieren zu wollen ist Verblendung und macht wehrlos.
Die Kollegin Seppelt sagt weiter: „Tarifabschlüsse, die nicht schön sind, müssen nicht schön geredet werden“. Ihr ist völlig zuzustimmen. Aber zu fragen ist: Warum ist das so? Warum war das so, in all den letzten Jahrzehnten. Ich habe es fast nie anders erlebt. (Ausnahme: Als die ÖTV mal 11 Prozent rausholte Anfang der 70er Jahre). Meine Erklärung: Das Schönreden liegt in der Natur der Sache. Bei beiden Seiten. Und von Seiten der Gewerkschaftsführung wird oft noch den KollegInnen die Schuld zugeschoben, daß sie nicht aktiv genug seien, daß sie nicht genug KollegInnen geworben hätten. Die Schuld in der Sozialpartnerschaftsideologie zu suchen scheidet in der Aufarbeitung aus: Wenn die Kollegin Seppelt fordert: „offenes Reden über Strategie“, „demokratische Kultur“, „Ehrlichkeit“ so ist das bedingungslos zu unterstützen! Aber genau das wird an seine Grenzen stoßen, weil dadurch die heilige Religion der Sozialpartnerschaft tangiert wird!
Folgender Aussage der Kollegin Seppelt ist nur halb zuzustimmen: „Die Angriffe der Arbeitgeberseite nehmen immer dann zu, wenn wir uns auf den Weg machen, Arbeitsbedingungen zu verbessern.“ Die Angriffe nehmen nicht nur zu, wenn es um die Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen geht, sondern sie nahmen in den letzten 15 Jahren zu als neue Kapitalsstrategie des Fertigmachens/Union Bustings. Die ReferentInnen Werner Rügemer, Jessica Reissner und Elmar Wigand haben es in ihren Arbeitsgruppen ausführlich dargestellt. Tragisch ist es, besonders für die KollegInnen, die nicht nur Betroffene von Fertimachern sondern auch zu Opfern geworden sind und mit ihrem Arbeitsplatz und mit ihrer Gesundheit für ihre Courage bezahlt haben. Tragisch ist es aber auch, wenn weder der DGB noch eine der Einzelgewerkschaften diese Kampfansage des Kapitals angenommen hat. Stattdessen spielen sie die Fälle als Einzelfälle herunter. Und sind immerhin in den letzten Monaten so flexibel geworden, die Autoren des Buches: „Die Fertigmacher“ (Wigand/Rügemer) zu Informationsveranstaltungen über Fertimacher/Union Busting einzuladen, also aufzuklären. Aber nur aufzuklären und auf Rechtsschutz durch die Gewerkschaften hinzuweisen und auf den Staat zu orientieren, daß der stärker gegen die Verletzter der Sozialpartnerschaft durchgreift, reicht nicht. Was fehlt und wirken würde, wäre, den Fehdehandschuh aufzunehmen und eine zentrale Stelle einzurichten, bei der alle Angriffe von Seiten des Kapitals auf KollegInnen gesammelt und daß diese veröffentlicht werden mit Nennung der Firma, der Anwaltskanzlei (des Fertigmachers)! Diese Sprache würden die Kapitalisten verstehen! Und die betroffenen KollegInnen würden Mut schöpfen.
Bei einem workshop am 7. Mai d.J. haben die TeilnehmerInnen, meist selbst Betroffene von Union Busting/Fertigmachern, eine Resolution verabschiedet: „Hamburger Aufforderung“ und an die Hamburger DGB-Vorsitzende Karger geschickt. Darin ging es genau darum: Daß der DGB eine zentrale Stelle einrichtet und alle Fälle der Fertigmacher, des Union Busting sammelt und veröffentlicht und eine task force einrichtet, die den örtlichen Hauptamtlichen bei der Bekämpfung der Fertigmacher hilft. Außer einer freundlichen Empfangsbestätigung durch die Kollegin Karger ist nichts passiert.
Wenn die Kollegin Seppelt fordert: „Die Gewerkschaften müssen sich untereinander vernetzen. Dafür brauchen wir eine starke Beteiligung der Ehrenamtlichen – nicht nur Diskussionen der Hauptamtlichen“. Dann ist auch dem unbedingt zuzustimmen! Wirkliche Vernetzung passiert aber nur von unten! Daß die Belegschaften, die im Kampf sind, Solidarität bekommen von anderen Belegschaften und UnterstützerInnen! Und daß sie – nach Beendigung ihres Kampfes – diese erfahrene Solidarität zurückgeben indem sie andere kämpfende Belegschaften unterstützen, egal in welcher Branche. Und auch über Grenzen hinweg!
Meine Erfahrung der letzten Jahrzehnte war allerdings, daß genau das scharf aus dem Apparat beobachtet wurde, wenn KollegInnen verschiedener Betriebe und Branchen selbständig Kontakt untereinander aufnahmen, ohne den Hauptamtlichen vorher um Erlaubnis zu fragen. In den letzten Jahren hat sich die Kontrolle in einigen Gewerkschaften (wie verdi) etwas gelockert, es herrscht etwas mehr das Prinzip „lange Leine“. Es wird mehr Spielraum gewährt und an das Mitmachen der Basis appelliert. Das sollte genutzt werden: Hergestellte Kontakte sind für die Zukunft wichtige Punkte auf der Habenseite!
Auf der Streikkonferenz III habe ich die Teilnahme von KollegInnen von Mercedes Bremen vermißt, daß sie in einer Arbeitsgruppe ihren Kampf darstellen. Daß die KollegInnen einer Schicht in einem „wilden“ Streik rausgegangen sind, um gegen Leiharbeit, Werkverträge zu protestieren. Sie gerieten dabei nicht nur in Konflikt mit der Firmenleitung sondern auch mit der örtlichen IG Metall (und später auch mit der Hauptverwaltung in Frankfurt). Die Bremer IGM machte Sozialpartnerschaft mit der Firmenleitung und war (auch) mit der Wiedereinführung der Samstagarbeit einverstanden. Hunderte KollegInnen bekamen Abmahnungen. Das hätte verhindert werden können, wenn sich die örtliche IGM hinter die KollegInnen gestellt hätte und damit den Streik legalisiert.
Zu diesem Konflikt, der nicht zu Ende ist, auch nicht, wenn im nächsten Jahr wahrscheinlich die nächste Streikkonferenz IV stattfindet, sollten wir dann eine Arbeitsgruppe bilden!
Meiner Meinung nach würde das unter Jana Seppelts Begrifflichkeiten von „demokratische Kultur und Ehrlichkeit“ passen.
Es wäre den Organisatoren der Konferenz zu empfehlen, Konflikte wie diesen bei der Streikkonferenz IV aufzunehmen – an zentraler Stelle. Das würde dem Grundgedanken seit der Streikkonferenz I (März 2013 in Stuttgart): „Erneuerung durch Streik“ sehr entsprechen.
Dieter Wegner, Hamburg
- Siehe zum Hintergrund das Referat von Jana Seppelt und weitere Beiträge zur Konferenz im Dossier: Konferenz “Erneuerung durch Streik”