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Was ist falsch gelaufen mit der EU und der Türkei Wie kommen wir zu Rechtsstaat und Demokratie in der Türkei? Gibt es nur den Weg zu noch mehr Instabilität?
Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 18.8.2016
… und wieder ein neuer „Zwischenstand“ zu den türkischen Verhältnissen unter Berücksichtigung der deutschen öffentlichen „Anteilnahme“ an diesen Verhältnissen (= Berichte) – deshalb wurde eine chronologische Reihenfolge beibehalten, die die ganzen politischen Ambivalenzen des politischen Prozesses nach dem Putsch vom 15. Juli eher deutlich werden lässt – auch wenn es einen Charakter der Vorläufigkeit erhält, der aber doch schon klare Tendenzen deutlich macht.
Und dann nach dem Extremismus-Papier?: Berlin bemüht sich um Entspannung – zur „Rettung“ des Flüchtlingsdeals: „es besteht kein Anlass dieses sinnvolle Abkommen in Frage zu stellen“.
Nach der brisanten Verschlusssache über die Türkei bemüht sich Berlin um Entspannung wieder (http://www.fr-online.de/tuerkei/verschlusssache-tuerkei,23356680,34640470.html ) Wie nennt das dann die Süddeutsche „Herumeiern auf höchstem Niveau“ (http://www.sueddeutsche.de/politik/berlin-und-ankara-regierung-im-tuerkei-dilemma-rumeiern-auf-hoechstem-niveau-1.3124970 )
Aber der Regierungssprecher Seibert betont dennoch: Was die Kooperation zwischen EU und Türkei in der Flüchtlingsfrage angehe, gebe es keinen Anlass, „dieses sinnvolle Abkommen in Frage zu stellen.“
Luisa Selling nennt es ein offenes Geheimnis: Jener Vorwurf, die Türkei lasse Dschihadisten gewähren und unterstütze sie, ist nicht neu. Den Journalisten Can Dündar haben solche Anschuldigungen zeitweilig ins Gefängnis gebracht, seine Zeitung berichtete über Waffenlieferungen des Geheimdienstes nach Syrien, allem Anschein nach an den IS…
Überbewerten sollte man den Eklat um das Papier trotzdem nicht. Er wird die ohnehin schlechten Beziehungen weiter belasten… Der Flüchtlingspakt wird trotzdem halten. (http://www.sueddeutsche.de/politik/islamisten-helfer-ein-offenes-geheimnis-1.3124664 )
Jedenfalls reagiert Ankara zunächst beleidigt: Berlin will uns zermürben – aber das deutsche Außenministerium distanziert sich schon einmal von den Vorwürfen (http://www.sueddeutsche.de/politik/streit-zwischen-tuerkei-und-deutschland-ankara-berlin-will-uns-zermuerben-1.3125001 ).
Dabei bleibt es doch dabei, dass die Vorwürfe stimmen. So betont Frank Nordhausen in der Frankfurter Rundschau „Islamisten genießen Ankaras Schutz“. Die enge Beziehung Erdogans zu Hamas und Muslimbrüdern ist bekannt, auch seine Milde gegenüber Dschihadisten. – Und weiter schreibt er: Anders als bei gemäßigten Islamisten wie den Muslimbrüdern, der Hamas oder der Hizbut-Tahrir ist Erdogans Politik gegenüber harten Dschihadisten wie dem „Islamischen Staat“ oder der Al-Nusra-Front in Syrien widersprüchlich und gehorcht eher pragmatischen als ideologischen Vorgaben. Die Türkei hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie Rebellentruppen in Syrien unterstützt, aber immer Wert darauf gelegt, dass es dich dabei um „moderate Gruppen“ handele.
Als Reporter 2015 – der Cumhuriet – aufdeckten, dass auch Islamisten mit Waffen beliefert wurden, räumte der Staat das indirekt ein, indem er die Journalisten wegen „Geheimnisverrats“ verurteilte (siehe auch weiter unten das Interview mit Can Dündar)… Und weiterhin gehen Regierung und Justiz unnachsichtig gegen jeden vor, der eine Verbindung das türkischen Staates mit dem IS behauptet… Und umgekehrt können Islamisten vor Gericht weiterhin mit Milde rechnen… (http://www.fr-online.de/tuerkei/extremismus-in-tuerkei-islamisten-geniessen-ankaras-schutz,23356680,34640472.html )
Und die Süddeutsche erschließt sogar die Symbolik von Erdogan in der Sympathie für die Muslimbrüder. (http://www.sueddeutsche.de/politik/muslimbrueder-erdoans-extreme-freunde-1.3124974 )
Und obwohl Erdogan die „Äquidistanz“ des türkischen Staates zu den Religionen betont, wird der sunnitische Islam, dem sich die meisten Türken zurechnen, eindeutig bevorzugt, über eine Religionsbehörde gefördert – und kontrolliert zugleich…
Und hier noch dieser Einschnitt mit dem „Geheimpapier“ aus dem Innenministerium: Was ist falsch gelaufen mit der Türkei???Darf jetzt die Türkei – auch für Deutschland – eine zentrale Aktionsplattform für Islamisten sein?
Statt sich auf Europa zuzubewegen könnte es sein, dass die Türkei schon längst einen radikalen Schnitt hin zu den Islamisten (Saudi-Arabien) und gegen Europa vollzogen hatte, wie ein Papier aus dem Innenministerium (CDU) uns deutlich zu machen versucht. (https://www.tagesschau.de/inland/tuerkei-619.html )
Dieser Vorstoß hat wohl erst einmal auch die SPD irritiert, denn das Außenministerium (Steinmeier) war wohl in diese Veröffentlichung nicht involviert. (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundesregierung-wirft-tuerkei-terror-unterstuetzung-vor-a-1107915.html )
So steht jetzt diese brisante Einschätzung – heiß gekocht für den Wahlkampf – im Raum: Die Türkei ist eine zentrale Aktionsplattform für die Islamisten (http://www.zeit.de/news/2016-08/16/terrorismus-bericht-tuerkei-zentrale-aktionsplattform-fuer-islamisten-16124005 ).
Und das wird zum Wasser auf die Mühlen von Österreich für die Sitzung des EU-Ministerrates im September. (vgl. dazu weiter unten den Vorstoß von Österreich in dem Abschnitt „Rechtsstaat und Demokratie – jetzt? – nur mit oder ohne Erdogan?…“)
Europa wird sich – zusammen oder ohne die Flüchtlingsfrage – schon bald zu den „nicht-islamistischen“ – d.h. eigenen Werten klar bekennen oder auch „verabschieden“ müssen. Es wird durch den Antrag der aktuellen österreichischen Regierung eine spannende EU-Ministerrat-Sitzung für Demokratie und Rechtsstaat im September werden.
Jedenfalls kommentiert Gerrit Wustmann bei Heise das schon jetzt: Dieses Papier aus dem Bundesinnenministerium bringt nichts als die schon bisher bekannten Fakten, die nur jetzt regierungsoffiziell offengelegt, politisch interpretiert und zugänglich gemacht werden: Das Resultat zeigt die vor allem seit 2011 schrittweise islamisierte Innen- und Außenpolitik Ankaras (welche Rolle spielt der jetzt durch den Putsch aktuell gewordenen Bruch mit der islamischen Gülen-Bewegung (vgl. dazu vor allem Can Dündar und Ahmet Sik vor allem in ihren Interviews hier weiter unten), die die Türkei zur zentralen Aktionsplattform für Islamisten im Nahen und Mittleren Osten gemacht hat. Dies birgt dann den eigentlichen Sprengstoff sowohl für die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei (da hat wohl auch Europa schon bisher viel konzeptionslos rum“geschlampt“) – als auch für den halbgaren Flüchtlingsdeal von Europa mit der Türkei (http://www.heise.de/tp/artikel/49/49151/1.html ).
Die Süddeutsche zitiert in ihrem Bericht noch die außenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Sevim Dagdelen: „Es kann nicht angehen, dass man in der Öffentlichkeit den Terrorpaten Erdogan als Partner bezeichnet, während man intern – in diesem Papier des Innenministeriums – vor der Türkei als Drehscheibe des bewaffneten Islamismus warnt. (http://www.sueddeutsche.de/politik/terrorismus-ungewoehnlich-deutliche-kritik-an-erdoan-1.3123417 )(Vgl. dazu gerade den Journalisten Can Dündar, der seine „Verfolgung“ durch diesen türkischen Erdogan-Staat gerade der Tatsache verdankt, dass er Waffenlieferungen an den IS aufgedeckt hatte – vgl. dazu auch sein Interview)
Was vorher geschah:
Mei, und dann diese Türkei, jetzt immer noch in einem politischen Prozess, der in der Schwebe zwischen schwindender Demokratie und und autokratischer Herrschaft bleibt. Einer Türkei zu der du vielleicht ein innigeres Verhältnis noch hast als ich – und falls dich diese politischen Prozesse in der Türkei – gerade jetzt nach dem Putsch – auch in ihrer ganzen unschönen Ambivalenz – noch genauer interessieren, habe ich für dich einmal – wieder – eine „fortlaufende“ Übersicht versucht…
Zunächst hat jetzt dann unsere Bundeskanzlerin Merkel doch klare Worte noch zu Syrien in Richtung Putin und Russland gefunden – und Moskau Zynismus vorgeworfen (http://www.sueddeutsche.de/politik/syrien-merkel-wirft-moskau-zynismus-vor-1.3121574 ).
Nur die politisch- beeinträchtigten und -verfolgten Menschen in der Türkei müssen so klare Worte gegenüber Erdogan vermissen, obwohl dieser politische Prozess zwischen schwindender Demokratie und autokratischer Herrschaft noch mehr in der Schwebe ist und gerade „EU-seitig“ fest beobachtet und auch klar Position bezogen werden müsste – dessen Ausbleiben gerade noch einmal der Chefredakteur der türkischen Zeitung „Cumhuriet“, Can Dündar, in der Frankfurter Rundschau so bedauert „Und Merkel sagte nichts“ (http://www.fr-online.de/tuerkei/ex–cumhuriyet–chef–und-angela-merkel-sagte-nichts-,23356680,34628632.html ). (Vorerst lebt Can Dündar, um nicht weiter im Gefängnis dieser Nach-Putsch-Türkei zu landen, im Exil – und weiter zu Can Dündar siehe auch noch noch seinen Artikel zum Putsch in der Türkei in der FAZ (= weiter unten))
So geht auch diese aktuelle Geschichte über die Türkei für uns weiter, wobei man immer stärker zu der Auffassung gelangen könnte, dass die ganz zentrale Frage ist, ob aus dem Putsch am 15. Juli nun die Demokratie als Sieger aus dem blutigen Chaos hervorgehen wird – oder ein einzelner Politiker. Die Entscheidung über diese Frage wird dadurch nicht einfacher, dass die AKP in lauten Schlachtrufen verkündet, die Demokratie hätte gesiegt. Hier wieder ein Tagebuch-Eintrag von Yavuz Baydar (http://www.sueddeutsche.de/kultur/tuerkisches-tagebuch-xxiii-es-ist-zeit-aufzuwachen-1.3118887 ).
Es könnte ja sein, dass es realistischer werden könnte, die Alternative von Medico International als aktuellen Maßstab zu nehmen, um mit der Türkei umzugehen: „Illiberale Demokratie oder Faschismus?“ (https://www.medico.de/illiberale-demokratie-oder-faschismus-in-der-tuerkei-16512/ , siehe dort vor allem den Schluss!!)
Und in diesem ganzen Zwiespalt, der gegen eine so richtig klares und eindeutiges Urteil über die Lage in der Türkei spricht, werden „wir“ wohl noch weiter „allein“ gelassen. So erklärt Ömer Ezeren bei genauerem Hinschauen auf die Ereignisse nach dem Putsch den Erdogan zum Papiertiger, denn durch den vereitelten Putsch sind ihm doch seine wichtigsten Repressionsorgane verloren gegangen. (http://www.taz.de/!5321722/ )
Pinar Ögünc sieht so vieles im Moment nur als Täuschung an (http://www.taz.de/!5325026/ ).
Das war wieder eine aktuelle kleine Fortsetzung für unsere Beschäftigung mit „dieser“ Türkei nach dem Putsch vom 15. Juli 2016.
… sorry, den Beitrag in der „Diplo“ zur Türkei konnte ich inzwischen lesen, aber er lässt uns auch in dieser momentanen Ambivalenz für die Situation in der Türkei zurück und damit sah ich mich nicht – sozusagen zusätzlich – veranlasst, ihn hier in diesen Text noch speziell hinein zu verarbeiten… (http://monde-diplomatique.de/artikel/!5313962 ) – dennoch ist er lesenswert!
Ich finde immer noch, nicht der Bundeskanzler Christian Kern aus Österreich, sondern die Christiane Schlötzer (= Bedeutung der Beitrittsverhandlungen… – siehe dazu gerade auch das Interview mit Can Dündar hier am Anfang in der Frankfurter Rundschau) hat die beste Idee für den Umgang mit der Türkei, denn zu ungeklärt ist die ganze politische Gemengelage – bis jetzt nach dem Putsch – in der Türkei, was selbst ein intimer Kenner der türkisch-staatlich-politischen Verhältnisse wie Ahmet Sik („Die Armee des Imam“) erklärt (= siehe jetzt das ausführliche Interview mit ihm in der „Frankfurter Rundschau“ (12. August 2016) mit Frank Nordhausen: http://www.fr-online.de/tuerkei/guelen-bewegung–eine-mafia–die-religion-benutzt-,23356680,34612444.html ).
Auf die Frage, wie würden Sie die Gülen-Bewegung beschreiben, erklärt er: „Sie besitzt zwei Gesichter: Das zivile Gesicht und das militaristische Gesicht. Auf der zivilen Seite geht es ihren Millionen Mitgliedrn darum, durch ein Netzwerk zu wachsen, um Schulen, Zivilgesellschft, Universitäten zu durchdringen. Leute, die in diesem zivilen Bereich tätig sind, sollten – außer bei direktem Nachweis direkter Komplizenschaft mit den Putschisten – keinem Strafverfahren unterworfen werden. Aber es gibt auch den militaristischen Flügel, den ich in meinem Buch (= „Die Armee des Imam“) versucht habe zu enthüllen. Er organisierte sich im Sicherheits- und Justizapparat. Diese Seite begann zu einem bestimmten Zeitpunkt, den Staat und alles anzugreifen, was sie als Hindernis ansahen. Hierfür gibt es eine interne Kontrollstruktur, die alles über beide Seiten weiß, und an der Spitze steht Fethullah Gülen, den viel Anhänger als Mehdi (Messias) bezeichnen. Kurz: Es handelt sich um eine Mafia, die Religion als ein Instrument benutzt, um Macht zu erlangen und sie funktioniert wie ein Geheimdienst.“
Vor diesem Interview mit dem türkischen investigativen Journalisten Ahmet Sik kommt auch die zentrale Frage: Woher rührt diese alte Feindseligkeit, dieses Lagerdenken, die beide in diesem Putschversuch kulminierten.
Zu diesen analytischen Feststellungen des Ahmet Sik möchte ich jedoch noch die jüngsten Überlegungen vom Yavuz Baydar aus einem Tagebuch in der SZ (Nr. XXII) vorausschicken (http://www.sueddeutsche.de/kultur/tuerkisches-tagebuch-xxii-erdoan-haelt-die-massen-in-explosiver-hypnose-1.3117319?reduced=true ). Dieser Tagebucheintrag von Baydar ist noch nicht im Netz – im Gegensatz zu den vorherigen, die schon viel Aufschluss zur Lage in der Türkei geben (http://www.sueddeutsche.de/kultur/tuerkisches-tagebuch-xx-exodus-der-tuerkischen-elite-1.3114044 = mit all den vorherigen)
Weil dieser vorletzte Beitrag (XXII) eben noch nicht im Netz ist, möchte ich – eben bevor man sich auf die schwierigen und auch wieder ein Stück weit unklaren Verhältnisse in der Türkei mit Ahmet Sik in diesem Interview von Frank Nordhausen in der FR einlässt (vgl. zu den Erkenntnissen von Ahmet Sik auch schon in diesem Text den Schluss (= der letzte Abschnitt „Versuch – einer vielleicht vorläufigen – Orientierung über… „), möchte ich Baydar doch erst einmal in seinen zentralen Aussagen einfach zitieren: „Immer wenn ich an diesem Tagebuch schreibe, kehre ich am Ende zur selben beunruhigenden Frage zurück: Was ist es eigentlich, das in den letzten 15 Jahren in der Türkei so schief ging? Woher rührt diese alte Feindseligkeit, das Lagerdenken, die immer noch an der türkischen Seele nagen? Warum steuerte diese große Nation so zielstrebig auf die Katastrophe zu, die dann in diesem schrecklichen Putschversuch kulminierte? (Dabei gab es eine lange „stabile“ Phase, in der diese jetzigen „Putschisten“ der Gülenisten & Co. mit der AKP zusammen den Staatsapparat „eroberten“: http://www.fr-online.de/tuerkei/guelen-bewegung-vom-freund-zum-feind-der-tuerkei,23356680,34570546.html )
Und jetzt ist diese Feindseligkeit… nicht verschwunden. Im Gegenteil: Eine Rhetorik der Drohung, der Rache und der Vergeltung hat von der Gesellschaft Besitz ergriffen. Die Polarisierung, für die in den letzten vier Jahren vor allem Erdogan verantwortlich war, hat ein neues Ausmaß erreicht. Das Türkische Volk ist weiterhin tief gespalten – zu Hause wie im Ausland! (Siehe gerade auch in Deutschland)
Meine Besorgnis rührt genau daher: Was die Türkei in den letzten 5 Jahren von einer schlimmen Episode zur nächsten trieb, ist zu einem großen Teil der tiefen Verbohrtheit ihrer Bürger in Sachen Identitätspolitik geschuldet. (Sorry, wenn mein Einwurf doch nicht alles umfasst und löst, so schießt mir für Deutschland ein ganz wichtiges Ereignis durch den Kopf, das eine Lösung dieser so kontroversen Identitätspolitik wenigstens andeuten könnte: Der Dreißig-jährige Krieg – mit seimem Abschluss im „Westfälischen Frieden“ – wiederum rund 130 Jahre nach der Reformation… und in Augsburg feiern die Bürger noch heute am 8. August mit ihrem „Friedensfest“ gemeinsam auf ihrem Rathausplatz die Religionsfreiheit , die sie mit dem Abschluss jenes Friedensschlusses erhalten konnten…)
Deutschland hat also sehr lange gebraucht um zu dem heutigen Standard zu gelangen… Allgemein wichtig für diese Frage ist daher immer wieder noch die Religionsfreiheit, wie sie der Philosoph Pierre Bayle schon 1686 – ein Jahr nach der Aufhebung des Toleranzediktes in Frankreich – in einer für das neuzeitliche Toleranzdenken bahnbrechenden Schrift formulierte „Es gibt nichts Schändlicheres als mit Zwang zu bekehren“ (http://www.fr-online.de/literatur/pierre-bayle-ueber-toleranz-toleranz-ist-keine-gnade–sondern-vernunft,1472266,34634942.html ).
Deshalb ist Toleranz keine Gnade, sondern eine Sache der Vernunft.
Rechtsstaat und Demokratie – jetzt – nur mit oder ohne Erdogan – Eine Selbstfindung Europas zu „seinen“ Werten und die Rolle der Türkei dabei
Das Thema ist jetzt ganz offiziell auf der EU-Ebene gelandet – und nicht nur „am Rande“ thematisiert worden. (http://www.grundrechtekomitee.de/sites/default/files/160803%20gemeinsame%20PE.pdf )
Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern will es für September auf der Tagesordnung des EU-Ministerrats setzen (http://www.tagesschau.de/ausland/tuerkei-eu-oesterreich-103.html ). Dabei spielt es für den österreichischen Bundeskanzler eine wichtige Rolle. dass die westlichen Standards für Demokratie in der Türkei nicht eingehalten werden. (Nur jetzt – aber dafür früher?: http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-oesterreichs-kanzler-christian-kern-fuer-ende-der-eu-verhandlungen-a-1106049.html )
Folglich möchte er, dass die EU die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbricht. (http://www.sueddeutsche.de/politik/christian-kern-oesterreichs-kanzler-will-keinen-eu-beitritt-der-tuerkei-1.3107267 )
Werden die Standards für Rechtsstaatlichkeit erst jetzt verletzt?
Der frühere türkische Verfassungsrichter Yekta Özden sieht das nicht so einfach: Obwohl bisher noch keine bedeutenden Kemalisten bei der jüngsten Entlassungs- und Verhaftungswelle betroffen waren, meint er der Krieg von Erdogan gegen die Kemalisten (könnten sie in der Türkei als Hort der Verfassung gelten?) hat nie aufgehört!
Der ehemalige Verfassungsrichter Özden hat mitgewirkt an einer Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichtes gegen die Vorgänger-Organisation der heutigen AKP, der islamistischen Wohlfahrtspartei (Refah). Nach diesem Verbot wurde die heutige AKP von und mit Erdogan gegründet, die für Özden eigentlich doch die islamistische Agenda de Refa umsetzt. (http://www.sueddeutsche.de/politik/yekta-guengoer-oezden-erdoans-krieg-hat-nie-aufgehoert-1.3107700 )
Eine weitere türkische Stimme, ob man Erdogan als Demokrat trauen kann erhebt der Journalist Yavuz Baydar in dem „Türkischen Tagebuch“ „Fatale Gedanken“ (http://www.sueddeutsche.de/kultur/tuerkisches-tagebuch-xvi-warum-man-erdoan-nicht-trauen-kann-1.3107409 ): „Wirklich fassungslos bin ich allerdings über die Tatsache, dass in der Türkei inzwischen viele einstige Erdogan-Kritiker offenbar der Ansicht sind, dass eine Rückkehr zur Demokratie nur mit Erdogan möglich ist. Dieser Gedanke scheint sich auch in der deutschen Öffentlichkeit breit zu machen. Ich halte ihn für fatal, weil man Erdogan als Demokraten eben nicht trauen kann, denn er hat es nach dem Putschversuch versäumt, Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit wieder herzustellen. (Vgl. die Anklage: https://www.labournet.de/?p=89985) Im Gegenteil, fährt Baydan fort: Die massiven Inhaftierungswellen und die bisher erlassenen Dekrete („Notverodnungen“) deuten darauf hin, dass er fest entschlossen ist, Parlament und Justiz weiter zu schwächen.
Die Stimmung nach dem Putsch deutet er nicht als Sieg der Demokratie, sondern als seinen Sieg.
Welche Bedeutung haben die EU-Beitrittsverhandlungen für eine Sicherung der Demokratie in der Türkei?
Die deutsche Bundesregierung will jedoch nicht die Verhandlungen der EU mit der Türkei abbrechen. Wegen der Bedeutung der Türkei bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise (vgl. dazu ganz praktisch den Bericht im SZ-Magazin über die bisherige „Bewältigung der Flüchtlingskrise“ im bayerischen Landkreis Schongau) und bei den Bemühungen um einen Freiden in Syrien will Berlin den Konflikt mit Ankara nicht verschärfen. Das EU-Türkei-Abkommen ist ein zentraler Baustein von Angela Merkels Flüchtlingspolitik, sollte es scheitern, wäre das ein schwerer Rückschlag für die deutsche Bundeskanzlerin. Und so erklärt der Präsident der EU-Kommission Juncker auch die Verhandlungen mit der Türkei abzubrechen, wäre ein schwerwiegender außenpolitischer Fehler.
In den Kommentaren wird einem Abbruch zum jetzigen Zeitpunkt auch noch eine andere Bedeutung für die Demokratie in der Türkei beigemessen. So warnt Christiane Schlötzer mit eindringlichen Worten für die Gefahr eines Abbruchs der Verhandlungen gerade für die Demokratie in der Türkei: Eigentlich bräuchte die Türkei gerade jetzt Hilfe aus Europa. All die Prozesse gegen angebliche und echte Putschisten müssten von europäischen Beobachtern verfolgt werden. Europäische Menschenrechtsorganisationen müssten Zugang zu Haftanstalten und Polizeikellern verlangen.
Nur wenn – auf diese Weise – ein klares Bild entsteht, was in der Putschnacht am 15. Juli und seither in der Türkei vorgefallen ist, wird das Land irgendwann wieder zur Ruhe und Rechtsstaatlichkeit zurückfinden. Und darüber sollte die EU schleunigst reden. „Es gibt wichtigeres zu tun, als Verhandlungen zu stoppen“ (http://www.sueddeutsche.de/politik/europa-die-tuerkei-braucht-hilfe-1.3108267 )
Und zu einem klaren Bild über die demokratischen „Zustände“ in der Türkei gehört wohl auch: Wenn ich das richtig sehe, kommt es dafür unter anderem auch auf die Einschätzung zu diesem Urteil von Can Dündar vom Cumhuriyet (1.) an – und 2.) welchen Stelllenwert Ahmet Sik und seinem Buch „Die Armee des Imam“ eingeräumt wird???
Gab es in der Türkei je eine Demokratie und einen Rechsstaat entsprechend unserem „Verfassungsverständnis“? Versuch einer – vielleicht vorläufigen – Orientierung über die Verhältnisse nach dem Putsch in der Türkei.
Irgendwie scheint es derzeit uns mit unseren Maßstäben von Staat und Gesellschaft einigermaßen schwierig zu sein, ein angemessenes Urteil zu den aktuellen „Verhältnissen“ in der Türkei unter Erdogan abzugeben. Wenn ich z.B. so Christiane Schlötzer in der Süddeutschen Zeitung von „früher“ lese, ergibt sich – für mich – kein schlüssiges Bild über die aktuelle politische Lage in der Türkei.
Kann man überhaupt im derzeitigen Zustand – nach unseren Maßstäben einer demokratisch und rechtsstaatlich-verfassten Ordnung – richtig und falsch oder auch „gut“ und „böse“ unterscheiden? Yavuz Baydar zeichnet in seinem letzten Eintrag des „Türkischen Tagebuchs“ (XIV) eigentlich vor allem ein Bild der Unsicherheit und Verworrenheit. (tiefsitzende Verwirrung und Spaltung) (http://www.sueddeutsche.de/kultur/tuerkisches-tagebuch-xiv-wo-sind-die-akp-mitglieder-die-am-putsch-teilgenommen-haben-1.3104887 ) … In der Zwischenzeit hinterlässt die Orientierungslosigkeit der türkischen Medien bei vielen Beobachtern einen bitteren Nachgeschmack – denn: immer neue Schuldzuweisungen brechen über die sogenannten westlichen Medien herein…
Gestern hatten dann einige ausländische Kollegen genug: „Ich bin sehr besorgt, was bei Hürriyet abgeht. Wer sind die angeblichen Analytiker aus dem Westen, die den Putsch unterstützen „, fragte Toni Alaranta, Sozialwissenschaftler beim European Union Research Prgramme auf Twitter, „Ich habe mehr als 100 Artikel über den Putsch gelesen. Kein einziger war verschwörerisch oder hatte Verständnis für die Putschisten.“, kommentierte der kanadische Journalist Jack Ashdown.
Meine bescheidene Meinung dazu (= Baydar): All das ist nur ein perfekter Vorwand, um die wirklich ernsten innenpolitischen Fragen, die das Land nach dem Putsch betreffen, nicht diskutieren zu müssen…
Jürgen Gottschlich in der TAZ versucht der Gemengelage in der Türkei – so zwischen Erdogans AKP und den Gülenisten (in der Türkei nur die „Gemeinde“ genannt) – aufzuschlüsseln. (http://www.taz.de/!5323191/ ) Er sieht jedenfalls bei den Leuten der Gülen-Bewegung keine verfolgten Demokraten. Die Gülen-Bewegung strebt dagegen einen islamischen Staat an – und demokratisch, tolerant oder säkular sind ihre Ziele keineswegs.
Wenn Erdogan in diesem Machtkampf derzeit die Oberhand bekommt, werden die Gülen-Leute nicht automatisch zu Demokraten.
Wie Can Dündar, der Chefredakteur von Cumhuriyet, kürzlich in der FAZ darlegte, handelt es sich eben um den Machtkampf von zwei islamischen Bewegungen um die Macht im Staate. („Blutiger Rosenkrieg“ (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/wie-erdogan-mit-seinem-alten-geschaeftspartner-fethullah-guelen-brach-14355383.html )
Und wie dieser Machtkampf um den Staat von Seiten der Gülen-Bewegung und Gülen selbst geführt wurde, hat einer der besten investigativen Journalisten der Türkei, Ahmet Sik, in seinem – rasch verbotenen – Buch „Die Armee des Imam“ untersucht. (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-77855764.html ) Das Buch wurde verboten, aber den Tatbestand hat eigentlich niemand bestritten… (http://blog.initiativgruppe.de/2011/05/05/ahmet-sik-die-armee-des-imams/ )
Als die AKP 2002 an die Regierung kam, und so völlig ohne Verwaltungs- und Regierungserfahrung war, hatte Erdogan mit seiner AKP ein Interesse, den bisher überwiegend säkularen kemalistischen Ministerialapparat in den Griff zu bekommen. Das nötige „Know-How“ stellte die „Gemeinde“ des Gülen zur Verfügung. 2013 kam dann der Bruch zwischen Erdogan und Gülen. (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/wie-erdogan-mit-seinem-alten-geschaeftspartner-fethullah-guelen-brach-14355383.html )
Nach außen hin wird Gülen jedoch vehement bestreiten, dass die Mitglieder seiner muslimischen Sekte innerhalb der Institutionen Seilschaften bildeten, die dann auf das Kommando des Sektenführers hörten. Nur Ahmet Sik konnte das Gegenteil nachweisen. (http://blog.initiativgruppe.de/2011/05/05/ahmet-sik-die-armee-des-imams/ )
Den Rechtsstaat und die Einhaltung von Menschenrechten, die jetzt aktuell so vermisst werden und die mit dem Abschied der Türkei aus der Europäischen Menschenrechtskontion am 21.Juli 2016 einen gewissen Höhepunkt erlangt hat (http://www.humanistische-union.de/nc/aktuelles/aktuelles_detail/back/aktuelles/article/kein-deal-mit-der-tuerkei-ueber-menschenrechte/ ), hat somit wohl keine der islamischen Strömungen, AKP und Gülenisten, garantiert.
Und nun ist wohl die Türkei in diesem muslimischen Kampf um die Macht nicht nur sehr gespalten, sondern auch total verunsichert ist. Und zum Abschluss gehen wir noch einmal zu dem Chronisten Baydar: Wenn Erdogan sich jetzt nicht dazu durchringt, versöhnlichere Töne anzuschlagen, dann bekommen wir noch mehr Instabilität in der Türkei. (http://www.sueddeutsche.de/kultur/tuerkisches-tagebuch-xiv-wo-sind-die-akp-mitglieder-die-am-putsch-teilgenommen-haben-1.3104887 )
So könnte wohl nur eine Rückkehr zu Rechtsstaatlichkeit und einer Achtung der Menschenrechte der türkischen Regierung aus dieser „Putsch-Sack-Gasse“ heraushelfen – zumal sie wohl die Mehrheit der Türken hinter sich weiß…
- Siehe dazu unser Dossier: EU-Türkei-Deal in der Flüchtlingsfrage