Eine europäische Säule sozialer Rechte: Chance für ein soziales Europa?
Dossier
„In der Europäischen Union sind derzeit laut Eurostat mehr als 21 Millionen Menschen arbeitslos – und das auf der Basis einer Berechnungsweise, die die Arbeitslosigkeit untererfasst. Beinahe jede/r Vierte ist in Europa von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Insbesondere in den Ländern, die eine radikale Spar- und Deregulierungspolitik unter Aufsicht der sogenannten „Troika“ umgesetzt haben, ist eine massive soziale Krise entstanden. Vor diesem Hintergrund erscheint es auf den ersten Blick als wichtige Maßnahme, dass die Europäische Kommission eine Initiative für eine „europäische Säule sozialer Rechte“ gestartet hat. Doch kann der Vorschlag der Kommission überhaupt einen Beitrag zu dem dringend notwendigen Kurswechsel in Richtung eines sozialen Europas einleiten? (…) Die öffentliche Konsultation zur europäischen Säule sozialer Rechte bietet eine Gelegenheit für eine Debatte darüber, wie ein soziales Europa gelingen kann. Aus Sicht von ArbeitnehmerInnen gilt es klarzumachen, dass die Auflistung einiger sozialpolitischer Zielsetzungen zur kosmetischen Ergänzung der neoliberalen Integrationsweise nicht ausreichen wird…“ Beitrag von Sarah Bruckner und Nikolai Soukup vom 15. Juli 2016 beim blog arbeit-wirtschaft.at , siehe dazu:
- [EU-Sozialgipfel am 7. und 8. Mai in Porto] Mehr Niedriglöhnerei, digital und gendermäßig aufgehübscht. Null-Stunden-Arbeitsvertrag: jetzt zulässig
„Der zweitägige EU-Sozialgipfel in Portugal begann mit der Feststellung, „Corona“ habe die prekär Beschäftigten und gering gebildeten noch ärmer gemacht, die ohnehin hohe Arbeitslosigkeit der Jugend gefördert und die soziale Ungleichheit dramatisch verschärft. Die Trendwende soll, so die Absichtserklärung von Porto, mit drei Zielen erreicht werden: Erstens sollen bis zum Jahr 2030 mindestens 78 Prozent der 20- bis 64-jährigen einen Arbeitsplatz haben. Zweitens sollen 80 Prozent der Erwachsenen mit dem Recht auf lebenslanges Lernen grundlegende digitale Fähigkeiten erwerben – dabei soll der Gender Pay Gap, die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen, mindestens halbiert werden. Drittens soll die Zahl der anerkannt Armen um mindestens 15 Millionen sinken. Im Unterschied zu dem, was man gemeinhin unter „sozial“ versteht, ging es beim Sozialgipfel also vor allem um den Arbeitsmarkt, um Zahl und Art der Arbeitsplätze, um Arbeitsrecht. Auch ein von der EU-Kommission vorgeschlagener Europäischer Mindestlohn war Thema. Darüber gab es aber – wie schon vorher – keine Einigkeit. (…) Seit Jahrzehnten hat die EU mehrere Dutzend Richtlinien zum Arbeitsrecht beschlossen. Am bekanntesten sind die Entsende- und die Dienstleistungsrichtlinie. Zum gleichen Recht von Mann und Frau auch in der Arbeit gab es 2002 und 2004 zwei Richtlinien: Sie haben die seitdem wachsende Ungleichheit, vor allem im Bereich der prekären und befristeten Arbeit, nicht aufgehalten. Die ESSR ist der Versuch, die vielen Richtlinien zusammenzufassen. Die ESSR stellt aber den historisch niedrigsten Standard dar: Nicht nur die Arbeitsrechte der UNO und der Internationalen Arbeitsorganisation ILO werden weiter unterlaufen, sondern auch viele bisherige, schon sehr niedrige EU-Standards. (…) Im Recht Nr. 10 heißt es: „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht auf ein Arbeitsumfeld, das ihren beruflichen Bedürfnissen entspricht und ihnen eine lange Teilnahme am Arbeitsmarkt ermöglicht.“ Im Klartext heißt das: Arbeitsmigranten aus Rumänien und Flüchtlinge (die nicht ertrunken oder verhungert sind) werden in Deutschland und Frankreich von den Unternehmern und Vermittlern und Jobagenturen dort eingesetzt, wo ihre Ansprüche und vielleicht anerkannten Qualifikationen am besten hinpassen. Und was bedeutet eine „lange“ Teilnahme am Arbeitsmarkt? Wie lang ist „lang“? Lebenslang? Bis zur gesetzlichen Rente? Oder eben solange, bis die Arbeitskraft verschlissen ist wie in den Fleischfabriken? (…) Die kollektiven Arbeits-, Tarif- und Gewerkschaftsrechte, die Mitbestimmung und Belegschaftsvertretung fehlen in der „Europäischen Säule“ vollständig. Das setzt die bisherige Politik der Arbeitsrechte in der EU fort: Gefördert werden individuelle Rechte – die der privaten Unternehmer besonders. Allerdings darf zeitgeistgemäß der Begriff „soziale Inklusion“ nicht fehlen. (…) Die Richtlinie 2019/1152 zur Umsetzung der ESSR hat den gekonnt irreführenden Titel „Transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen“. Danach sind nun auch die unter den Tory-Regierungen in Großbritannien entwickelten Null-Stunden-Arbeitsverträge zugelassen: Sie enthalten keine verpflichtende Zahl der Arbeitsstunden, die dürfen auch mal Null pro Woche betragen. Die Richtlinie besagt lediglich: Sie sollen nur nicht „missbraucht“ werden. So gibt es nun das Recht auf Mehrfachbeschäftigung: Gelegenheits-, Mini- und Teilzeit-Jobber, Null-Stunden-Vertragler und „gig worker“ sollen das „Recht“ bekommen, nebenbei noch einen Zweit-, Dritt- usw. Job anzunehmen. Weiter heißt es: „Die Richtlinie hat einen breiten persönlichen Anwendungsbereich . Er soll sicherstellen, dass alle Arbeitnehmer/innen in allen Beschäftigungsverhältnissen – selbst in den flexibelsten atypischen und neuen Formen wie Null-Stunden-Verträge, Gelegenheitsarbeit, Hausarbeit, Arbeit auf der Grundlage von Gutscheinen oder Arbeit über Plattformen – in den Genuss dieser Rechte kommen.“ Auch das ist nun mit der Erklärung von Porto Grundlage des EU-Arbeitsrechts. (…) Die Digital- und Plattformkonzerne haben nun ein noch größeres Einzugsgebiet und können sich noch großflächiger und schneller vergleichsweise gut qualifizierte Menschen aus armen Staaten und Regionen suchen, um sie gegen gut qualifizierte Menschen in reicheren Staaten und Regionen ausspielen. Viele „regulär“ Beschäftigte verdienen so wenig, dass sie erpressbar und dankbar für eine auch schlecht bezahlte digitale Nebenarbeit sind. Dabei nimmt das Gender Pay Gap zu. Mit der forcierten Digitalisierung wird die EU also diese Entwicklungen eher unterstützen als verhindern. (…) Die nötige Trendwende wurde beim EU-Sozialgipfel nicht eingeleitet, im Gegenteil. Und übrigens unterstützen auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung und der Europäische Gewerkschaftsbund die ESSR. Den Kampf für menschenrechtliche Arbeitsrechte und gegen die Armut müssen andere in die Hand nehmen.“ Artikel von Werner Rügemer vom 09. Mai 2021 in Telepolis - Hier arbeiten Menschen. Welche Reformen sind im Sinne von Beschäftigten in der EU? Forschende haben zum Sozialgipfel eine Studie vorgelegt
„Am Bau und in Pflegeheimen, in Fabriken, Büros und Homeoffices: In der Europäischen Union arbeiten Millionen Beschäftigte für wenig Geld und schlecht abgesichert. Die vor vier Jahren verkündete »Europäische Säule sozialer Rechte«, in der Grundsätze für ein soziales und gerechtes Europa formuliert sind, hat die Lage nicht wesentlich verbessert. Forschende der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (HBS) haben nun zum EU-Sozialgipfel, der am Freitag in Porto stattfand, eine Studie vorgelegt. Darin erläutern sie, welche Reformen jetzt aus ihrer Sicht besonders wichtig sind. Neben Forderungen zur Wirtschaftspolitik und Mitbestimmung plädieren sie dafür, die sozialen Rechte von Beschäftigten zu stärken. (…) Rund 15 Prozent aller Erwerbstätigen in der EU sind selbstständig, früher waren viele in der Landwirtschaft tätig, heute arbeiten mehr im Dienstleistungssektor, so die Böckler-Studie mit dem Titel zukunftsozialeseuropa. Ein wachsender Anteil sei solo-selbstständig. Diese Menschen sollten generell in die gesetzlichen sozialen Sicherungssysteme einbezogen werden, die EU sollte dabei Mindeststandards definieren, fordern die Autorinnen und Autoren. Zwar steht in der »Europäischen Säule sozialer Rechte«, die die EU auf dem Sozialgipfel in Göteborg 2017 verkündet hat, dass auch Selbstständige das Recht auf angemessenen Sozialschutz haben. Doch die Erklärung ist nicht bindend. Erwerbstätige wie Crowdworker sollten sich zudem zusammenschließen, streiken und Tarifverträge aushandeln dürfen, fordert die Böckler-Studie…“ Artikel von Eva Roth vom 07.05.2021 in ND online zu- „Social Deal ist Voraussetzung für Green Deal“: EU-Sozialgipfel: Neue Studie zeigt Reformbedarf für zukunftsfähiges Europa. PM der HBS vom 05.05.2021 zur Studie „Green Deal nur mit Social Deal“ als Böckler Impuls Ausgabe 07/2021
- Kein Garant sozialer Rechte: Die Europäische Union dient zuerst großen wirtschaftlichen und politischen Interessen
„Das Vorhaben klingt vielversprechend. Auf ihrem Gipfel am Freitag in der nordportugiesischen Stadt Porto bastelt die EU weiter an ihrer 2017 in Göteborg ausgerufenen »sozialen Säule«. Insbesondere zugunsten junger Menschen sollen angesichts der dramatischen Folgen der ökonomischen Shutdowns in der Coronakrise Schritte unternommen werden. Die Geschichte der Europäischen Union und der sie leitenden Interessen und neoliberalen Prämissen lassen nicht unbedingt erwarten, dass sich der Staatenbund nun zum Vorkämpfer sozialer und Arbeitsrechte mausert. (…) Die hier empfohlenen vagen Regeln bleiben hinter Standards wie denen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und auch den in etlichen EU-Mitgliedsstaaten verankerten Arbeitsrechten sogar noch zurück. Nicht in Sicht sind dringend nötige armutsfeste Mindestlöhne, wofür allerdings die nationalen Parlamente zuständig sind…“ Artikel von Peter Steiniger vom 7.05.2021 beim ND online - Atypische und prekäre Arbeitsbedingungen auf der EU-Agenda: Aussicht auf sozialen Fortschritt?
„Vor dem Hintergrund der sogenannten „europäischen Säule sozialer Rechte“ rückt die EU-Kommission die Arbeitsbedingungen atypisch Beschäftigter, insbesondere von ArbeitnehmerInnen mit neuen Beschäftigungsformen, auf die EU-Agenda.(…) Doch kann es gelingen, die Widersprüche zwischen deklarierten sozialen Zielen und Prinzipien auf der einen Seite und einer großteils einseitig-neoliberalen wirtschaftspolitischen Ausrichtung und der Unterordnung der sozialen Dimension auf der anderen Seite zumindest ansatzweise aufzulösen? Gesamthaft gesehen hängt dies davon ab, ob ein grundlegender Kurswechsel in Richtung eines sozialen Europas gelingt. Im Einzelnen stellt sich ganz unmittelbar die Frage, ob die jeweiligen sozialpolitischen Initiativen auf der EU-Agenda weitreichend genug sind oder zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. (…) Es ist zu begrüßen, dass das Ziel der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, besonders für ArbeitnehmerInnen in atypischen und prekären Beschäftigungsverhältnissen, erneut auf die EU-Agenda gesetzt wurde. Auf der Basis des vorliegenden Kommissionsvorschlags gilt es nun, jene Bestimmungen zu verteidigen, die die Rechte der ArbeitnehmerInnen verbessern würden. Wie notwendig das ist, zeigen beispielsweise die Kommentare der Regierungsfraktionen im EU-Ausschuss des Bundesrats, die im Zusammenhang mit dem Richtlinien-Vorschlag vor zu viel Bürokratie warnen. Anstatt insgesamt zu weitgehend zu sein – wie Unternehmenslobbys und neoliberale politische Kräfte argumentieren –, muss die geplante Richtlinie hinsichtlich der Stärkung der Rechte der ArbeitnehmerInnen viel weiter gehen. Insbesondere die vorgeschlagenen Mindeststandards sind hinsichtlich ihres Schutzniveaus deutlich zu wenig ambitioniert. Notwendig ist eine umfassende Agenda zur Stärkung der Qualität der Arbeit in der EU. Um die soziale Dimension der EU substanziell zu stärken, müssen diese Strategien zudem in politischen Druck auf unterschiedlichen Ebenen eingebettet sein, der auf einen grundlegenden Kurswechsel in der EU abzielt.“ Beitrag von Nikolai Soukup und Alice Wagner vom 17. April 2018 beim A&W Blog
- Grenzenlose Arbeits-Flexibilität im EU-Kolonialsystem. EU-Kommission, Regierungen und Investoren wollen Europa noch „wettbewerbsfähiger“ machen. Widerstand ist bisher gering.
„Am 17. November 2017 proklamierten die EU-Staats- und Regierungschefs in Göteborg die „Europäische Säule sozialer Rechte“.(1) Mit den 20 neuen Rechten dieser Erklärung sollen die nationalen Arbeits- und Sozialrechte der EU-Mitgliedsstaaten überformt werden. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will damit auch eine zentrale EU-Arbeitsaufsichts-Behörde errichten. Die Erklärung jongliert mit freundlichen Begriffen wie „Inklusion“ und „Dialog“. Gendermäßig korrekt ist immer auch von Arbeitnehmerinnen die Rede. Aber es herrschen Unverbindlichkeit und extreme Schwammigkeit…“ Artikel von Werner Rügemer als Leseprobe aus lunapark21 – Politische Vierteljahreszeitschrift – Heft 40 vom 18. Dezember 2017 – wir danken! Siehe Editorial und weitere Leseproben aus der lp21 Nr. 40 mit den Spezials 1) zu Katalonien, Spanien und das Recht auf nationale Selbstbestimmung sowie Spezial 2) zu Migration & Kapital
- Die „Europäische Säule sozialer Rechte“ braucht ein solides Fundament! – Die Umsetzung der sozialen Menschenrechte bleibt aktuell
Gemeinsame Erklärung von Menschenrechtsorganisationen zur „Europäischen Säule Sozialer Rechte“ anlässlich des 51. Jubiläums des UN-Sozialpaktes. In dieser Erklärung rufen die unterzeichnenden Organisationen dazu auf, die überfällige Umsetzung des UN-Sozialpakts zu beschleunigen, d.h. das Zusatzprotokoll zu ratifizieren und soziale Menschenrechte endlich in der Verfassung zu verankern. Dies geschieht auch in Hinblick auf die (rechtlich unverbindliche) Erklärung der EU-Mitgliedstaaten auf dem Göteborger Sozialgipfel am 17.11.2017 zu gemeinsamen sozialen Mindeststandards (sogenannte „Europäische Säule Sozialer Rechte“). Siehe die Erklärung vom 15.12.2017 bei FIAN Deutschland , weitere Organisationen: Eberhard-Schultz-Stiftung für soziale Menschenrechte und Partizipation, Humanistische Union, IALANA – International Association of Lawyers against Nuclear Arms, Internationale Liga für Menschenrechte, Paritätischer Gesamtverband, VDJ – Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen
- EU: Grenzenlose Arbeits-Flexibilität, nochmal heftiger?
„Am 17. November 2017 proklamierte die EU die „Europäische Säule sozialer Rechte“. Doch gegen die demagogischen Pläne des Kommissionspräsidenten Juncker ist grundsätzlicher Widerstand angesagt. (…) Nach den Hartz-Gesetzen in Deutschland, dem Job Act in Italien und der Arbeits-„Reform“ Hollandes & Macrons in Frankreich will jetzt die Europäische Kommission zentral von ganz oben endlich auch die Arbeitsrechte EU-weit in den Griff bekommen. Sicher, der vermeintlich schlaue Juncker will nicht frontal und sofort die nationalen Gesetze und Behörden abschaffen. Aber eine von der Europäischen Kommission gelenkte zentrale Arbeits-Aufsichts-Behörde (European Labour Authority) soll eingerichtet werden. Juncker will dazu im Frühjahr 2018 ein Konzept vorstellen. Diese Behörde würde schrittweise Kompetenzen an sich ziehen. (…) Europa steht an einem Scheideweg. Aber ganz anders als Juncker & Freunde verkünden. Wie krisen- und gefahrenverschärfend die EU herangeht, zeigt sich auch an der im selben EU-Weißbuch 2017 beschworenen Gefahr der „Truppenaufmärsche an unseren östlichen Grenzen“. Wer marschiert da auf? Doch seit langem und primär die NATO und nun in deren Schlepptau auch noch die EU. Und deren späte, allzu spät hingebastelte „soziale Säule“ würde das Arbeitsunrecht, die grassierende Armut und die wirtschaftliche Stagnation nur weiter verschärfen. Europaweiter Widerstand ist hier angesagt. Die Alternativen liegen offen.“ Beitrag von Werner Rügemer vom 21. November 2017 bei den NachDenkSeiten
- Austerität in sozialem Gewand
„Seit dem EU-Sozialgipfel vergangene Woche gibt sich sogar das “Europäische Semester” zur Wirtschafts- und Finanzpolitik einen sozialen Anstrich. Doch dahinter steckt immer noch die alte Austerität. (…) Mehrere Euro-Länder sollen aber weiter den Gürtel enger schnallen. Besonders streng geht die Kommission mit Frankreich und Italien ins Gericht. Beide werden 2018 nochmal zum Rapport gebeten. Rügen spricht Brüssel auch für Spanien, Belgien, Portugal, Slowenien und Österreich aus. Auch diese Länder sollen mehr sparen, um den „Anpassungspfad“ für solide Finanzen zu erreichen. (…) Fest steht, dass diese Regeln, die im “Six Pack” und im “Two Pack” enthalten sind und auf deutschen Druck während der Eurokrise eingeführt wurden, die Austerität zum Pflichtprogramm machen. Demgegenüber bleibt das Soziale nur Kür…“ Kommentar vom 22. November 2017 von und bei Eric Bonse
- EU-Sozialgipfel: Eine „soziale Säule“ für Europa [???]
„Die EU will mehr für soziale Gerechtigkeit, gute Jobs und Bildungschancen tun – auch um EU-Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Feierlich bekannten sich die 28 Staaten in Göteborg zu gemeinsamen sozialen Standards. Freier Zugang zum Arbeitsmarkt, Chancengleichheit, soziale Sicherheit und faire Arbeitsbedingungen für alle: Das sind Kernbausteine der „sozialen Säule“. Ein 20-Punkte-Programm, das soziale Mindeststandards für alle etwa 500 Millionen Menschen in der EU setzt. 28 Staaten, darunter Deutschland, haben sich zu der Erklärung bekannt, die in Göteborg feierlich unterzeichnet worden ist. (…) Kritiker bemängeln zum einen die Unverbindlichkeit der „sozialen Säule“ und die Tatsache, dass die EU-Bürger darin beschriebene Rechte nirgends einklagen können. Zum anderen wittern Skeptiker der Union, wie der schwedische Oppositionspolitiker Eskil Erlandsson, einen weiteren Versuch der EU, mehr Einfluss zu gewinnen. „Brüssel treibt Dinge häufig voran, um mehr Macht an sich zu ziehen“, sagt Erlandsson. „Bei sozialen Fragen will ich das aber nicht. Das sollten die Staaten für sich entscheiden.“ Und dann gibt es noch Experten wie Magnus Henrekson, Geschäftsführer des Instituts für Wirtschaftsforschung in Stockholm. Er glaubt nicht an soziale Korrekturen nach oben, also daran, dass bisher niedrige Standards in den ärmeren EU-Staaten nach dem Vorbild wohlhabenderer Länder erhöht werden…“ Beitrag von Carsten Schmiester vom 17. November 2017 bei tagesschau.de – wer hier jubelt, sollte nicht vergessen, dass die Maastricht-Verträge nachwievor gelten…
- Auf dem Weg in die Sozialunion oder doch nur ein weiteres Beispiel für semantisch aufgeblasene Symbolpolitik? Die „Europäische Säule sozialer Rechte“ und der Sozialgipfel von Göteborg
„Wenigstens ist es nicht ein Freitag, der auf den 13. eines Monats fällt – wäre es so, dann würden sich die Skeptiker symbolisch bestätigt fühlen in ihrer Sichtweise, dass das nichts werden kann, was die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten auf dem „Sozialgipfel“ am 17. November 2017 in Göteborg mit vielen Fotos verabschieden wollen – die „Europäische Säule sozialer Rechte“ (ESSR). Um was geht es hier genau? In zwanzig Thesen hat die Europäische Union den „sozialen Pfeiler“ der Europäischen Union definiert. Vom Recht auf Ausbildung, über Gleichberechtigung und faire Löhne bis hin zum Recht auf Kinderbetreuung und dem Recht auf eine angemessene Wohnung reichen die Forderungen. Die ESSR besteht aus 20 sehr allgemein formulierten, im weitesten Sinn sozialpolitischen Grundsätzen, die in Form einer rechtlich-unverbindlichen gemeinsamen Proklamation auf dem Sozialgipfel in Göteborg verabschiedet werden soll. Diese Prinzipien sind in Form sozialer Rechte von Individuen gegenüber den Mitgliedstaaten formuliert – aber damit an dieser Stelle gleich keine falschen Erwartungen geweckt werden sogleich der Hinweis, dass es sich keineswegs um individuell auch einklagbare Rechte handelt. (…) Schlussendlich werden wir beim Thema ESSR – unabhängig von seiner materiellen Relevanzlosigkeit – wieder einmal konfrontiert mit dem Stukturproblem der EU (das im Euroraum nochmals ein anderes, nämlich größeres Gewicht hat): Die enormen Wohlstandsunterschiede und die weiter auseinanderlaufende ökonomische Leistungsfähigkeit ist ein eigenständiger Antreiber der Spannungen innerhalb der EU, die sich durchaus zu einer Existenzfrage für die EU ausdifferenzieren können und möglicherweise auch werden, weil die EU gleichzeitig kaum wirklich relevante Steuerungsinstrumente hat, um beispielsweise die Zunahme der Ungleichheit innerhalb der heterogenen EU aufzuhalten oder gar umzukehren.“ Beitrag von Stefan Sell vom 16. November 2017 bei Aktuelle Sozialpolitik
- [Online-Kampagne] Ein besseres Europa für die ArbeitnehmerInnen: eine stärkere Säule sozialer Rechte
Die europäischen Gewerkschaften (DGB gemeinsam mit dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB), dem Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) und weiteren Verbänden) haben im Vorfeld des Sozialgipfels am 17.11.2017 in Göteborg eine Online-Kampagne gestartet. Bei dem EU-Sozialgipfel soll die „Europäische Säule Sozialer Rechte“ (ESSR) proklamiert werden. Bis zum Gipfel sollen in den kommenden 10 Tagen die 10 Kernforderungen der Gewerkschaften in den Fokus gerückt werden. Eine Kernforderung ist, dass soziale Rechte im Konfliktfall Vorfahrt vor wirtschaftlichen Freiheiten haben müssen…
- [Studie] Soziales Europa: Schöne Worte, wenig Substanz
„Die von mir geleitete Europäische Kommission hat“, so Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Juni, „einen europaweiten Dialog zur Schaffung einer sozialen Säule eröffnet, womit wir vor allem auch die Arbeitnehmerrechte stärken wollen“. Ein erster Entwurf mit dem Titel „Die europäische Säule sozialer Rechte“ (The European Pillar of Social Rights) gelangte bereits im vergangenen Jahr an die Öffentlichkeit. Im März 2016 sind weitere EU-Papiere erschienen, aus denen im Laufe dieses Jahres ein Dokument „mit rechtsverbindlichem Charakter“ werden soll. Die Rechtsexperten Klaus Lörcher und Isabelle Schömann vom Europäischen Gewerkschaftsinstitut haben die kursierenden Schriftstücke analysiert. Ihr Urteil: Mangelhaft! (…) Der grundsätzliche Standpunkt der EU-Kommission sei klar, so Lörcher und Schömann. Die „soziale Säule“ werde keineswegs als Wert an sich betrachtet, sondern lediglich als Hilfsmittel für ungestörtes Wirtschaftswachstum. Dass es hier nicht um einen Paradigmenwechsel gehe, sei schon daran zu erkennen, dass auch der Ladenhüter „Flexicurity“ Eingang in das Konzept gefunden habe. Skeptisch stimmen außerdem die jüngsten Äußerungen der Kommission zu Mitbestimmung; ihre Juristen haben zuletzt Argumente derer übernommen, die Mitbestimmung im Aufsichtsrat mithilfe des Europäischen Gerichtshofs zu Fall bringen wollen. So bezweifeln die ETUI-Experten, dass die geplante „soziale Säule“ Beschäftigten oder Arbeitslosen irgendeine substanzielle Verbesserung bringen wird…“ Beitrag aus Böckler Impuls Ausgabe 13/2016 bei der Hans-Böckler-Stiftung – mit Download des englischen Originalbeitrags „The European pillar of social rights: critical legal analysis and proposals“ von Klaus Lörcher und Isabelle Schömann vom Juni 2016