Die Linke ohne die Leute? Ein Debattenbeitrag von Wolfgang Schaumberg

Artikel von Wolfgang Schaumberg*, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit: Ausgabe 9-10/2017

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und GewerkschaftsarbeitAnlass für das Papier von Wolfgang Schaumberg ist seine Beobachtung, dass gerade bei jungen Linken das Interesse an der Masse der den Reichtum und die Macht der Kapitalistenklasse in den Großbetrieben produzierenden Menschen und an ihrem Verhältnis zur Gewerkschaft relativ gering ist. Entsprechend wenig ernst genommen werde die ideologische Beeinflussung im Betriebsalltag durch Theorie und Praxis vieler »Interessenvertreter«. Das Papier will die Diskussion anregen und dazu auffordern, systematisch auf einzelne Belegschaften zuzugehen und Vernetzung zu suchen. Das erfordert zwar langen Atem. Ohne den aber bleibt die erträumte Revolution in allen Ewigkeiten ein Traum

Die Linke ohne die Leute?

Ohne dass immer mehr Menschen gegen Verschlechterungen ihrer Arbeits- und Lebenssituation und für sinnvolle Reformen auf die Straße gehen, haben revolutionäre Linke keine Chance, die notwendige Debatte über die Systembedingtheit beklagter Entwicklungen sowie über die Möglichkeit einer anderen Gesellschaft wirksam unter die Leute zu bringen. Das ist nicht diskutierbar mit denjenigen – zumeist bildungsprivilegierten – Linken, die sich beim Weltinterpretieren im linksintellektuellen Selbstbefriedigungsmilieu wohlfühlen und die dann eines Tages mit dem guten Gefühl, Recht gehabt zu haben, das Zeitliche segnen.

Zu unterstützen sind deshalb all die Linken, die sich zum Beispiel in ihren Stadtvierteln, in den noch verbliebenen Betriebsgruppen, in Mieter- oder vielerlei anderen Initiativen mit den Leuten zusammentun, Gegenwehr organisieren oder ein anderes Zusammenleben und -arbeiten einüben.

Als revolutionäre Linke müssen wir uns mit der Tatsache auseinandersetzen, nach wie vor nur eine kleine Minderheit zu sein, müssen unsere Schwächen einkreisen und über zukunftsträchtige Vorschläge solidarisch streiten. Die folgenden Überlegungen sollen dazu einen Beitrag leisten.

Dazu vorab: Bei allen Überlegungen und Ansätzen, breite kämpferische Solidarisierungen voranzubringen, ist David Harveys Hinweis hilfreich: »Der bürgerliche und liberale Humanismus bildet nur eine verschwommene ethische Basis für das weitgehend folgenlose Moralisieren über den traurigen Zustand der Welt und für das ebenso folgenlose Pläneschmieden zur Bekämpfung von Armut und Umweltverschmutzung. (…) Ich halte es für unbedingt notwendig, dass ein säkularer revolutionärer Humanismus formuliert wird (…), um die Welt aus den Fängen des Kapitalismus zu befreien.« (Harvey 2015, S. 333f.) Dass die Linke in der Bevölkerung keine hoffnungsträchtige Alternative darstellt und bietet, formuliert Harvey als zentrales Problem. Dessen Lösung ist jedoch nicht einfach aus sich verbreiternden Abwehr- und Reformkämpfen zu erhoffen, auch nicht per se Ergebnis von Selbstermächtigungserfahrungen. Innerhalb solcher Kämpfe kann und muss vielmehr auch eine historische Kenntnisse vermittelnde breite Debatte über das kapitalistische System, über seine Abschaffbarkeit und über eine nicht auf Privateigentum an Produktionsmitteln und Lohnabhängigkeit basierende gesellschaftliche Alternative provoziert werden.

Bisher weitgehend außen vor bleiben dabei die Leute in den Geschäften, Verwaltungen und Betrieben. Die Menschen in der realen Produktion für den revolutionären Kampf zu gewinnen, ist zwar schwer, aber unabdingbar. Ein Angriff auf die Macht der Kapitaleigner muss auch von innen heraus entwickelt werden, von den Beschäftigten. Wer »Eine andere Welt ist möglich« propagieren will, muss die Herrschaft des Kapitals angreifen wollen – und damit auch die ökonomische und politische Macht solcher Multis wie VW, Daimler, Siemens, Deutsche Bank, Toyota, General Motors, Foxconn oder Allianz usw.

Erste Schritte?

Da wäre es vielleicht schon ein erster Schritt, im eigenen Umfeld, im eigenen Stadtgebiet zu untersuchen, welche Unternehmen es gibt (der Beschränkung halber z.B. solche mit über 500 Beschäftigten), sei es in Verwaltungen, in Geschäften oder in Industriebetrieben. Diese Auflistung könnte zu einer näheren Auswahl führen: Welche Unternehmen gehören zu größeren Konzernen? Können wir ermitteln, welche Probleme in ausgewählten Belegschaften wohl am meisten diskutiert werden? Wie wird ihre gewerkschaftliche Situation eingeschätzt? Haben sie einen Betriebsrat und was halten sie von ihm? Gibt es LeiharbeiterInnen, Befristete in der Belegschaft? Vielleicht lassen sich ein, zwei Betriebe einkreisen, wo man versuchen könnte, Beschäftigte zu befragen? Sollte es gelingen, zu einzelnen KollegInnen Kontakt aufzunehmen, könnte man – mit sehr viel Zeit und noch mehr Geduld – den Versuch beginnen, Kontakte auszuweiten, Treffen zu organisieren, um zunächst einmal zu lernen, wie die Leute über ihre Arbeit denken, auch über ihre Familie, ihre Zukunft, und schließlich, welche Ideen sie vielleicht haben, wie ihre Situation am Arbeitsplatz verbessert werden könnte. Dabei könnte die – zunächst mal selber sorgfältig zu erarbeitende – Information über gesetzliche Möglichkeiten und deren Beschränkung, über mögliche gewerkschaftliche oder Betriebsrats-Initiativen und die Schwierigkeiten ihrer Nutzung sinnvoll sein. Und nicht zuletzt: ob es vielleicht auch naheliegende Beispiele gibt, wie sich Belegschaften erfolgreich gewehrt haben, was ja nicht einfach spontan passiert, sondern einen aktiven Kern voraussetzt…

Innerhalb eines solchen Prozesses der Solidarisierung mit ›normalen‹ Beschäftigten ergeben sich immer Gelegenheiten, die Debatte darauf auszuweiten, dass man die Gegenwehr vor Ort nicht als ewiges Schicksal sieht, sondern Ursachen der Probleme und ihre Beseitigung mitdiskutieren muss.

Beispiel Auto-Belegschaft

Revolutionäre Linke, in deren Umfeld es einen Betrieb der Autoindustrie gibt, haben eine besondere Chance sinnvollen Engagements: Der Versuch, sich deren Belegschaft anzunähern, ist unbestritten sinnvoll. Denn die größte deutsche Industriebranche ist eine Schlüssel­industrie, »mit Abstand der wichtigste Exporteur und Devisenbringer der Republik vor dem Maschinenbau und der Chemie« (Büschemann 2017). Jeder siebte Arbeitsplatz hängt laut Branchenverband VDA mit dem Auto zusammen, »über 900.000 Beschäf­tig­te[n]« sind laut IG Metall-Vorstand in der Branche tätig (IGM 2017).

Auf Basis meiner dreißigjährigen politischen Arbeit und Erfahrungen in einer Autobelegschaft liste ich im Folgenden einige Diskussionspunkte auf, die ich als unvermeidbar und notwendig ansehe:

1. Die große Mehrheit der Beschäftigten gehört zur privilegierten Schicht der Lohnabhängigen. Bei VW oder Daimler usw. haben sie am Fließband derzeit locker über 22 Euro die Stunde – ein Lohn, von dem die meisten anderen nur träumen können! Dazu Schichtzulagen, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Anspruch auf Betriebsrente, plus einmal im Jahr, meist im April/Mai, eine »Mitarbeiter-Beteiligung«: 2017 bei Daimler 5.400 Euro an alle 130.000 nach Tarifvertrag Beschäftigten (Vorjahr: 5.650 Euro), bei Porsche 9.111 Euro an 21.000 (Vorjahr: 8.911 Euro), bei VW 2.905 Euro für die 120.000 unter dem Haustarif Beschäftigten (Vorjahr: 3.950 Euro), bei Audi 3.510 Euro an 58.000 ( Vorjahr: 5.420 Euro) und bei BMW, berechnet nach Gehaltsgruppe (hier in ERA 5, Bayern), für einen Facharbeiter 8.995 Euro (Vorjahr: 8.375 Euro)!

2. An solch ein Einkommen hat man sich gewöhnt, das will man auch behalten. Doch die Angst nimmt zu, wie lange das noch gut geht. Alles redet von Jobabbau, Industrie 4.0, Standortsicherung, globalem Wettbewerb, und neben einem gibt es schon Leiharbeiter; befristete Jobs oder Hartz IV schon in der Verwandtschaft und Nachbarschaft…

3. Geschimpft wird im Betrieb von früh bis spät: über Stress, krankmachende Arbeitsbedingungen und Krankenverfolgung, Meisterschikane, Verleihungen und Versetzungen usw. All die möglichen Anlässe und deren Hintergründe wären genauer abzufragen. Zwar nickt man ab, dass ein Leben in Wechselschicht bei mehr oder weniger eintöniger Stressmaloche auch nicht das Gelbe vom Ei ist. Aber das ist man von den Eltern oder Großeltern so gewohnt, und: »Im Vergleich zu denen oder zu den meisten anderen, zum ›Griechen‹ oder ›Italiener‹ usw. geht es uns doch gut!«

4.  »Klar, die da oben zocken uns ab, horten Millionen auf unseren Knochen. Das war schon immer so. Die bestimmen über die Politik. Unsereiner kann da eh nichts dran ändern.« Nichts anderes haben die Leute in Schule, Berufsschule, Presse und Fernsehen gelernt: Jeder Unternehmer muss Profite erwirtschaften. Die Manager sind schließlich Angestellte der Aktionäre. Das Bruttoinlandsprodukt muss wachsen. Krisen gibt es zwar immer wieder, aber dass sie »uns« weniger hart treffen, dafür sorgt die Regierung…

5. In dieser Richtung werden die Kolleginnen und Kollegen – meiner Erfahrung nach in Großbetrieben der Metallindustrie – tagtäglich auch von vielen ihrer gewählten Vertreter »aufgeklärt«. Die meisten Betriebsräte, gleichzeitig Repräsentanten der IGM vor Ort, besonders die führenden im Betriebsausschuss, verstehen sich mittlerweile als Co-Manager. »Nur wenn es dem Unternehmen gut geht, geht es der Belegschaft gut«, verkündete VW-BR-Chef Bernd Osterloh in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung als Leitlosung (SZ vom 3. März 2014). Die im Betrieb verteilten BR-Infos vermitteln oft einen guten Eindruck und sind ein Beleg für diese Verklammerung: kämpferisch klingender Protest einerseits, verbunden mit der Legitimation von Verzichtsvereinbarungen zwecks Wettbewerbssicherung als praktischer Ausrichtung andererseits. Dass viele Betriebsräte mit der Zeit ein elitäres Expertenbewusstsein entwickeln, sich durch Sonderzahlungen und Freistellungen von der Arbeit weit von ihrer Belegschaft entfernen, wird in den Belegschaften oft beklagt. Auch das erfordert in jedem Einzelfall eine genaue Untersuchung, weil eben nicht alle Betriebsräte die gleiche Entwicklung zeigen. Wohl das extremste Beispiel: VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh, 1977 als Arbeiter in der Produktion angefangen, gibt als Grundgehalt »rund 200.000 Euro« pro Jahr an, mit Boni etwa eine halbe Million, »in der Spitze einmal mit Bonuszahlungen rund 750.000 Euro« (Braunschweiger Zeitung vom 13. Mai 2017).

6. Die Mehrzahl der KollegInnen ist in der IGM organisiert, in den einzelnen Betrieben oft über 80 Prozent. Was lernen sie von ihren Gewerkschaftsführern?

a) »Unser Ziel bleibt eine von materieller und geistiger Ausbeutung befreite internationale Gesellschaft des Friedens, der Völkerverständigung, der sozialen Gleichberechtigung und der vollen demokratischen Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben.« Das war die ganzseitige Proklamation der IGM im »Report Ruhrfestspiele«, Nr. 1/73. Da fehlt der Linken oft der klare Blick auf den gesellschaftlichen Hintergrund: Praktisch war damit schon 1973 ein Programm der Sozialpartnerschaft mit den Unternehmen ver-
Gegen Aktive, die ihre Kritik daran praktisch im Betrieb umzusetzen versuchten, hagelte es Gewerkschaftsausschlüsse.

b) »Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmen in Gemeineigentum« heißt es heute noch in § 2.4 der gültigen IGM-Satzung. Eine Diskussion darüber ist ausdrücklich nicht erwünscht. Hatten noch 1994 die Abteilungsleiter beim IGM-Vorstand Klaus Lang und Reinhard Kuhlmann gefordert »Gewerkschaftliches Handeln, das sich nur noch auf nationale Gesetze und Tarifverträge konzentriert, ist über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt. (…) Die Vision, die konkrete Utopie einer gerechten, menschenfreundlichen und durch und durch demokratischen Gesellschaft kann und muß beibehalten werden« (Lang/Kuhlmann 1994, S. 279f.), so heißt es 2001 schon eindeutig: »Im Mittelpunkt unserer Zukunftsdebatte stehen nicht gesellschaftliche Visionen und politische Alternativen jenseits des Kapitalismus, sondern realistische Optionen und konkrete Projekte im Kapitalismus, die diesen verändern« (Lang/Legrand 2001, S. 76). Ende der Debatte.

c) Dem Co-Management der Betriebsräte auf Betriebsebene entspricht die Partnerschaftsrolle der führenden IGM-Funktionäre auf nationaler Ebene. »In Deutschland weisen nicht nur Gewerkschaften, sondern auch die Bundesregierung, Unternehmen und Wirtschaftsverbände darauf hin, dass Dialog und Mitspracherechte der Arbeitnehmer zur Stärke der deutschen Wirtschaft beitragen«, so und ähnlich beschreibt der Vorstand seine Rolle und seine Bedeutung für »Deutschland« (IGM 2015, S. 33).

d) Feste Anbindung der sozialen Lage der KollegInnen an das nationale BIP: Da braucht sich niemand wundern, wenn in der gewerkschaftsoffiziellen Propaganda, in der metall-Zeitung, in Tarifinfos etc. immer wieder solche Nebelbomben auf die Mitglieder herunterhageln wie: »Die Arbeitgeber wollen Profite. Wir wollen Wachstum«, »fairer Handel für faire Produktion« (IGM 2015, S. 58), Lohnerhöhungen verbessern die Kaufkraft und sind damit gut für »unsere Wirtschaft«, gerechter Lohn, bessere Manager… Da setzt geduldige und oft nicht einfache Aufklärungsarbeit ein gut erarbeitetes Kapitalismusverständnis voraus.

7. Die unter den 2,2 Mio. Gewerkschaftsmitgliedern wegen ihrer Anzahl und Lohnhöhe besonders wichtigen Beschäftigten in den Autobetrieben sorgen mit ihren Gewerkschaftsbeiträgen wesentlich mit dafür, dass die führenden Leute im Apparat auch ihrer staatstragenden Rolle entsprechend bezahlt werden. So kann der IGM-Vorsitzende Jörg Hofmann mit seinem Monatseinkommen samt Aufsichtsratstantiemen von um die 30.000 Euro »auf Augenhöhe« mit vielen Vertretern von Unternehmen und Regierung reden. Auch die eingesetzten IGM-Bezirksleiter kassieren durchweg noch Anteile von ihren Vergütungen in Aufsichtsräten. Sie gehören zu einer anderen Schicht der Bevölkerung. Aber auch Ortsvorstände, Sekretäre, Teamer, Organizer – alle werden vergleichsweise gut bis sehr gut bezahlt – sind oft um ihre Karriere besorgt, und viele mögen sogar Angst vor einem Verlust ihres Jobs haben.

Darüber hilft auch nicht die Tatsache hinweg, dass sich darunter viele als Linke verstehen, mit denen man oft sehr gut gemeinsame Schritte gehen kann, sowohl bei Aufklärungs- wie Mobilisierungsversuchen. Jedoch meist nur hinter vorgehaltener Hand trauen sich einzelne Apparat-Beschäftigte zu klarer Opposition gegen die offizielle Linie des Vorstands. Kritik an dessen Reichtum bleibt tabu.

8.    Mit all diesen Diskussionspunkten ist zunächst nur mal angesprochen, was bei der Beurteilung der Bewusstseinslage von KollegInnen in der Auto-Industrie mitzubedenken ist und genauere Untersuchungen mit viel Zeit und was noch mehr Geduld erfordert. Kontakt mit einzelnen Beschäftigten kann dazu ein erster Schritt sein. Die mit 2,2 Mio. Auflage weit verbreitete Mitgliederzeitung »metall« kann regelmäßig daraufhin untersucht werden, wo es brauchbare Aufklärungsartikel gibt und wo und wie »links geblinkt und dann rechts abgebogen« wird. Ebenso sind die im Betrieb verteilten Infos oft diskussionswürdig und lehrreich. Gute Aufklärung in verständlicher Sprache, ohne sich gleich Handlungsvorschläge anzumaßen, kann man an den Toren verteilen, umso besser, wenn man Kritik oder Zustimmung aus der Belegschaft in Erfahrung bringen kann.

Wie sich alltägliche Arbeits- und Lebens­erfahrungen nutzen lassen, um Schritte anzudiskutieren, die eine Aneignung des gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsprozesses durch eine deutliche Mehrheit vorstellbar machen, habe ich am Beispiel der Schlanken Produktion, Gruppenarbeit, Gruppenversammlungen in der Arbeitszeit etc. zu entwickeln versucht. (Schaumberg 2006) Vor der Aufgabe, diese Aneignung als langwierigen Prozess, nach über 300 Jahren Kapitalismusentwicklung und noch viel längerer Klassengesellschaft, zu diskutieren, sollten wir nicht zurückschrecken. Sonst macht der alltägliche Kampf gegen die aktuellen Bedrohungen des Kapitalismus zwar alle Ehre, aber keinen Sinn.

*  Wolfgang Schaumberg war 30 Jahre Arbeiter bei GM/Opel in Bochum, ist immer noch aktiv in der Betriebsgruppe GoG ( »Gruppe oppositioneller Gewerkschafter«, später »Gegenwehr ohne Grenzen«) und arbeitet in Vernetzungsprojekten mit AktivistInnen in China….

Literatur:

  • Büschemann, Karl-Heinz (2017): »Autokonzerne gefährden die wichtigste Branche des Landes«, in: Süddeutsche Zeitung, 17. Juli 2017
  • Harvey, David (2015): »Siebzehn Widersprüche und das Ende des Kapitalismus«, Berlin
  • IGM (Hrsg.) (2015): »Solidarität ohne Grenzen«, Frankfurt a.M.
  • IGM (2017): »Gemeinsame Erklärung« der IG Metall und der GBR-Vorsitzenden der deutschen Automobilindustrie zum Diesel-Gipfel, 31. Juli 2017, Frankfurt a.M.
  • Lang, Klaus/Kuhlmann, Reinhard (1994): »Erneuerung und Kontinuität. Zur programmatischen Neuorientierung der Gewerkschaftsbewegung«, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Nr. 5/1994, S. 269-281
  • Lang, Klaus/Legrand, Jupp (2001): »Zukunft@igmetall.de. Hintergrund, Inhalte und Ziele der IG Metall-Zukunftsdebatte«, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Nr. 2/2001, S. 73-82
  • Schaumberg, Wolfgang (2006): »Eine andere Welt ist vorstellbar? Schritte zur konkreten Vision, oder: Zur Aufgabe von postkapitalistisch orientierten Linken am Beispiel des Kampfes in Auto-Multis«, Reihe Ränkeschmiede, Nr. 16, online unter: www.labournet.de/diskussion/arbeit/prekaer/anderewelt.pdf

Siehe die Debatte zum Beitrag:

  • Kleinkrieg in die Großbetriebe! Robert Schlosser zum Beitrag von Wolfgang Schaumberg
    Debattenbeitrag von Robert Schlosser, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Ausgabe 11/2017
  • [Leserbrief] Zur Kontroverse Schaumberg – Schlosser

    Was mir in beiden Texten – sowohl bei Schlosser wie bei Schaumberg – fehlt, ist ein empirischer Bezug auf die veränderten Bedingungen der Lohnarbeit in Deutschland gegenüber den 1970er Jahren.

    Veränderte Bedingungen der Lohnarbeit heißt unter anderem Deindustrialisierung, Aufspaltung der Großbetriebe, zunehmende Prekarisierung der Lohnarbeit bei gleichzeitigem Festklammern an gutbezahlten, wenn auch schrumpfenden Stammbelegschaften, die gegenüber den jüngeren, ärmeren und weiblichen Teilen der Lohnarbeiterklasse zunehmend „privilegiert“ und anachronistisch wirken. Die langjährigen VW-Arbeiter trennen Welten von halblegalen bulgarischen Saisonarbeitern in Deutschland und diese Kluft öffnet sich noch weiter mit der massenhaften Einbeziehung arabischer und afrikanischer Flüchtlinge in die Lohnarbeit.

    Für die Stammbelegschaften gibt es keine bessere Alternative, als weiter auf das sozialdemokratische Co-Management zu bauen. Ihm verdanken sie ihre halbwegs gesicherte Stellung. Das kann keine Kritik an den sozialdemokratischen Gewerkschaften wegdiskutieren. Andererseits kann die Situation des Prekariats durch noch so gute Gewerkschaftsarbeit nicht wirklich verbessert werden. Zu kurzlebig sind die Unternehmen, zu kurzzeitig sind die Arbeitsverträge, zu unsicher ist das wirtschaftliche Auf und Ab der Kleinbetriebe.

    Die „Zerklüftung“ der Arbeiterklasse, aber auch ihre Existenznot, wird weiter zunehmen.

    Aber unsere Kapitalisten sind selten so ungeschickt wie ein Anton Schlecker und lassen eine gesamte Belegschaft oder eine gesamte Branche verelenden. Ohne Belohnung und Privilegierung gewisser Teile der Lohnarbeiter verlöre der Kapitalismus rasch seine politische Stabilität. Zuckerbrot und Peitsche – vornehm formuliert: „Fördern und Fordern“ – bleiben wesentliche Machtinstrumente des Kapitalismus. Lebensverhältnisse der Lohnarbeit, die in den kapitalistischen Metropolen relativ homogen waren, driften auseinander und gewinnen immer mehr Ähnlichkeit mit dem Proletariat im Weltmaßstab. Diese Kombination von Aufsplitterung und Verelendung der Lohnarbeit in Deutschland ist auch der Boden, auf dem der moderne Rechtsextremismus wächst.

    Daher sind alle Alternativen – Großbetrieb oder Kleinbetrieb, Stammbelegschaft oder Prekariat, Industrie oder Dienstleistungsbranche usw. – jede für sich eine Sackgasse, die niemandem weiterhilft.

    Die Lohnarbeiterbewegung wird nur dort und nur soweit etwas erreichen, wo die verschiedenen Teile und Strömungen trotz unterschiedlicher Lebensverhältnisse auf einander zugehen und sich gegenseitig unterstützen.

    Und die Linken werden nur dort und nur soweit etwas erreichen, wo sie mindestens theoretisch, möglichst aber auch in ihrer Praxis die unterschiedlichen Lebensverhältnisse und Interessen der Lohnabhängigen vereinheitlichen und überwinden können.

    Gruß Wal Buchenberg (im Januar 2018)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=123105
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