[Buch und Debatte zur GEW] Die ideologische Ausrichtung der Lehrkräfte 1933–1945. Die Bildungsgewerkschaft GEW ringt mit ihrer Vergangenheit im Nationalsozialismus
Dossier
„Der Nationalsozialistische Lehrerbund hatte 97 % der Pädagoginnen und Pädagogen organisiert. Anhand seines Zentralorgans wird gezeigt, inwiefern der NSLB seit 1933 fester Bestandteil des Nazi-Systems war. Der Nationalsozialistische Lehrerbund hatte 97 % der Pädagoginnen und Pädagogen organisiert. Ein Drittel davon waren NSDAP-Mitglieder. Dennoch hält sich die Verharmlosung des NSLB auch in der Erziehungswissenschaft immer noch hartnäckig. Die vorliegende Studie weist anhand der Analyse des Zentralorgans des NSLB nach, dass und inwiefern der NSLB eben nicht eine harmlose Berufsorganisation war, sondern dass er seit 1933 fester Bestandteil des verbrecherischen NS-Systems war. Der Verband war Teil des Nazi-Regimes, das die Hetze, Rassismus und Judenfeindschaft des NSLB zur Vorbereitung und als Begleitung der realen Mordprogramme durchaus benötigte.“ Verlagsinfo zum Buch „Die ideologische Ausrichtung der Lehrkräfte 1933–1945. Herrenmenschentum, Rassismus und Judenfeindschaft des Nationalsozialistischen Lehrerbundes. Eine dokumentarische Analyse des Zentralorgans des NSLB“ von Saskia Müller / Benjamin Ortmeyer (206 Seiten, ISBN:978-3-7799-3414-1, 19,95 €, erschienen im Beltz-Verlag am 30.09.2016). Siehe dazu: Info und Bestellung beim Beltz-Verlag sowie Inhaltsverzeichnis und Vorwort als exklusive Leseprobe im LabourNet Germany – wir danken! In Reaktion auf die Buchveröffentlichung gibt es einen Offenen Brief des Bundesausschusses der Studentinnen und Studenten der GEW (BASS) an den Hauptvorstand und die Mitglieder der GEW sowie eine breite Debatte um die GEW:
- Gründungsvorsitzender entthront: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) benennt ihre „Max-Traeger-Stiftung“ um. Der Namensgeber war Mitglied im NS-Lehrerbund
„Die Basis der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat auf dem diesjährigen Gewerkschaftstag in Leipzig ihren umstrittenen Gründungsvorsitzenden Max Traeger vom Sockel gestoßen: Die gewerkschaftseigene Forschungsstiftung war bislang nach ihm benannt. Künftig soll sie aber den Namen einer – noch nicht bestimmten – Frau tragen, „die mit ihrem antifaschistischen Engagement vorbildhaft“ sei, heißt es in dem Beschluss vom Wochenende. Damit setzen sich KritikerInnen Traegers gegen prominente Wortmeldungen aus dem Vorstand durch. Max Traeger sei „wegen seiner Mitgliedschaft im Nationalsozialistischen Lehrerbund umstritten, insbesondere bei jüngeren Gewerkschaftsmitgliedern“, heißt es auf der GEW-Homepage zur Begründung. Bisher hatte der Vorstand der Gewerkschaft eher dazu geneigt, Max Traeger als „Mann der ersten Stunde“ zu glorifizieren. (…) Vor 24 Jahren hatte der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Benjamin Ortmeyer erstmals die braunen Wurzeln der Lehrergewerkschaft angeprangert, vor allem die prominente Rolle von ehemaligen Mitgliedern des NS-Lehrerbunds in Nazideutschland. Diese hätten in Nazideutschland systematisch bei der Auswahl „unwerten Lebens“ assistiert. Insbesondere mit der Durchsicht von Kirchenbüchern haben sie geholfen, Menschen zu identifizieren, die laut der NS-“Rassenlehre“ als Juden galten und deshalb verfolgt, deportiert und ermordet wurden, argumentiert Ortmeyer seither in seinen zahlreichen Publikationen zu dem Thema. (…) Empfindet Ortmeyer nach der Entscheidung für die Namensänderung, für die er und andere gekämpft haben, Genugtuung oder eher Empörung, weil es so lange gedauert hat? „Beides“, antwortet er der taz, so auch „Empörung über das ‚katholische Kirche-Syndrom‘ der Verdrängung.“ Im Hauptvorstand vertrete man bis heute die These, dass das damals eben so gewesen sei. Gleichwohl habe sich das Engagement gelohnt. Zu dem späten Erfolg gratuliere er gerne den vielen jungen GEW-Mitgliedern und dem hessischen Landesverband, die in der Sache nicht nachgelassen hätten.“ Artikel von Christoph Schmidt-Lunau vom 28. Juni 2022 in der taz online - Die Bildungsgewerkschaft in der NS-Zeit: Die Gefahr unterschätzt
Der Historiker Marcel Bois hat die Geschichte des GEW-Vorläufers „Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens (GdF)“ in Hamburg erforscht. Interview von Esther Geißlinger aus der E&W 3/2021 am 8.3.21 bei der GEW und darin u.a.: „… Viele Akteure der Zeit, von bürgerlichen Kräften bis hin zu den Kommunisten, unterschätzten die Gefahr. Da steht die GdF nicht allein da. In Hamburg kam die Stärke der GdF hinzu. Der Nationalsozialistische Lehrerbund spielte vor 1933 keine Rolle in der Stadt, auch andere Vereine waren schwach. Die GdF dagegen hatte Mitglieder in führenden Positionen der Schulverwaltung, man sah sich als den erfahrenen Verband, dessen Platz gesichert war. Diese Haltung ist aus damaligen Texten herauszulesen, in denen man sich über die Nazis lustig machte. Einige Funktionäre sahen eher eine Gefahr von links. (…) Bei den Lehrkräften spiegelt sich, was insgesamt passierte: Die Wirtschaftskrise führte zu Massenelend und Massenarbeitslosigkeit. Die Jungen wurden nicht eingestellt, verheiratete Frauen entlassen. Die NSDAP lag bei den Reichstagswahlen im März 1928 bei 2,6 Prozent und wurde während der Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er-Jahre stärkste Partei. In Hamburg war der Einfluss der NSDAP aber geringer als im Reichsschnitt. Das hat sicher auch mit der Rolle der GdF zu tun, weil sie junge Lehrkräfte unterstützt und sehr klare Position gegen die Nazis vertreten hat. (…) Aus heutiger Perspektive ist leicht zu sagen, sie hätten etwas anders machen sollen, aber es gab Gruppen, die andere Wege wählten. Die Freie Lehrergewerkschaft hat sich im April 1933 aufgelöst, ebenso Lehrervereine in Sachsen und Bremen und der Lehrerinnenverein, der sein Vermögen in eine Stiftung transferierte. Die GdF hat sich länger als andere Organisationen der Gleichschaltung widersetzt, hat auch versucht, über den Deutschen Lehrerverein Widerstand zu organisieren. Erst als die Verbündeten weg waren, die NSDAP in Hamburg die Macht übernommen hatte und es Gewalt auf der Straße gab – erst dann sind sie umgekippt…“- Siehe dazu: Marcel Bois: Volksschullehrer zwischen Anpassung und Opposition. Die „Gleichschaltung“ der Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens in Hamburg (1933–1937). Beltz Juventa, 2020.
- GEW: „Geschichte verstehen!“ Bildungsgewerkschaft stellt Studie „Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und das NS-Erbe“ vor
„Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) stellt sich ihrer Vergangenheit. Während einer Video-Pressekonferenz präsentierte sie am Freitag die Studie des Leipziger Historikers Jörn-Michael Goll „Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und das NS-Erbe“. „Mit dieser wissenschaftlichen Studie ist die Grundlage gelegt, die Geschichte der Vorläuferorganisationen der GEW in der Weimarer Republik und ihre Rolle während der NS-Zeit sowie die Reorganisation der Interessensvertretung der Lehrkräfte nach dem Zweiten Weltkrieg, die Gründung der GEW 1948 und deren Aufbau in den folgenden Jahren zu verstehen und den Diskurs in der Öffentlichkeit und der Bildungsgewerkschaft zu führen. Diesem Prozess stellen wir uns offen“, sagte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe in Frankfurt a.M. „Die Studie legt den Finger in die Wunden, ohne damals handelnde Personen von oben herab zu beurteilen. Sie erfasst die strukturellen Entwicklungen und bettet diese in den historischen Kontext ein. So wird die (Vor)Geschichte der GEW sichtbar als Teil der deutschen Geschichte, als Teil der Geschichte der Bundesrepublik und als Teil der Bildungspolitik.“ „Die Studie vermittelt die Erkenntnis, dass das NS-Erbe der GEW komplexer, vielschichtiger und widersprüchlicher ist als bisher in der Alltagswahrnehmung angenommen“, betonte Jörn-Michael Goll, Autor der Untersuchung und Historiker am Historischen Seminar der Universität Leipzig. „Zentrales Anliegen nach 1945 ist der Aufbau der GEW, die 1949 Gründungsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) war, wobei ein stark ausgeprägter ‚Pragmatismus‘ zur Richtschnur des Handelns wurde. So stellte sich die GEW fast vorbehaltlos hinter ihre Mitglieder. Ohne diesen Ansatz, waren die GEW-Gründer überzeugt, wäre eine Reorganisation der Lehrkräfte in einer großen, einflussreichen Gewerkschaft nicht möglich gewesen. Diese Linie führte jedoch auch dazu, dass sich die Organisation in mehreren Fällen dafür einsetzte, teils schwer belastete Lehrkräfte wieder in den Schuldienst zu bekommen oder deren Pensionsansprüche zu sichern. Damit korrespondierte, dass weitgehend die Bereitschaft fehlte, sich mit dem NS-Erbe kritisch auseinander zu setzen. Andererseits gibt es jedoch auch Bespiele dafür, dass stramme Nationalsozialisten in der GEW keine Chance hatten – und die GEW auch damit zeigte, dass sie sich von Beginn an ausdrücklich als eine demokratische Organisation verstand. Erst Ende der 1970er-Jahre, Anfang der 1980er-Jahre begann mit einer neuen Mitgliedergeneration die Auseinandersetzung der GEW mit ihrer Vergangenheit.“ Goll machte aber auch deutlich, dass die GEW mit dieser Entwicklung in der Nachkriegsgesellschaft Deutschlands keine Sonderrolle gespielt habe…“ GEW-Pressemitteilung vom 22. Januar 2021- Siehe dazu ebd. auch den Beitrag „Keine Geschichte von Helden und Schurken“ , in dem der Leipziger Historiker Jörn-Michael Goll die wichtigsten Ergebnisse seiner Studie in zusammengefasst hat (inklusiv Hinweise zur Buchveröffentlichung)
- Vom NS-Lehrerbund an die Spitze der GEW: Max Traeger – Kein Vorbild! Ausstellung im DGB-Haus FFM und digital
„Am 19. Oktober eröffnet eine Ausstellung im DGB-Haus FFM mit Dokumenten und Kommentaren zur Debatte, ob Max Traeger, ehemaliger Vorsitzender der GEW und seit 1. Mai 1933 NSLB-Mitglied, als geeigneter Namensgeber für eine gewerkschaftliche Stiftung angesehen werden kann. Die langjährige Kritik an der Vertuschung der Kontinuität zwischen NS-Lehrerbund und GEW hat bislang nicht zu einer ernsthaften öffentlichen Auseinandersetzung geführt. Ziel der Ausstellung ist es daher auch, gegen die Tendenz zur Geheimhaltung der Rolle Max Traegers in der NS-Zeit anzukämpfen und eine offen geführte Debatte anzustoßen. Am 09.10.2016, also vor nun schon vier Jahren, veröffentlichte der Bundesausschuss der Studentinnen und Studenten in der GEW (BASS) einen Offenen Brief mit der Forderung nach einer Umbenennung der Max-Traeger-Stiftung.[1] Im Hintergrund dieser Forderung steht Max Traegers Vorreiterrolle bei der Legendenbildung, die Lehrkraftsverbände seien 1933 zwangsenteignet und in den Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) zwangseingegliedert worden. Zudem weist der offene Brief auf Max Traegers tatkräftiges Mitwirken bei dem Versuch hin, das Vermögen des NSLB nach 1945 wieder an die GEW rückzuführen. So etwa bei der Forderung, eine 1935 vom NSLB arisierte und dann durch die Alliierten beschlagnahmte Immobilie in der Rothenbaumchaussee 19 in Hamburg wieder der GEW zu übertragen. In der Folge verbot der GEW-Hauptvorstand dem BASS die Veröffentlichung des Briefes auf der GEW-Homepage. Der Gewerkschaftstag der GEW 2017 reagierte mit einer „geschlossenen Veranstaltung“. So viel zu innergewerkschaftlichen Demokratie. Doch die Kritik nahm zu: Auf die Veröffentlichung einer Publikation, die Max Traeger einen Persilschein ausstellte, erschienen umfangreiche Entgegnungen und Widerlegungen. Aus Anlass dieser Debatte soll seit nun mehreren Jahren eine Kommission die Geschichte der GEW von der Nachkriegszeit bis in die 90er-Jahre kritisch aufarbeiten. Im Gegensatz zu Verteidigern von Max Traeger wurden Personen, die in der Debatte als ausdrückliche Kritiker Traegers in Erscheinung getreten sind, allerdings gar nicht erst in die Kommission berufen, die überdies äußerst intransparent agiert und sich zur Verschwiegenheit verpflichtet hat. Dazu meint Benjamin Ortmeyer, ehemaliger Leiter der Forschungsstelle NS-Pädagogik: „Dieses halb-klandestine Vorgehen ist symptomatisch für den Umgang mit Skandalen und Kontroversen. Sie steht einer offen geführten, demokratisch organisierten Debatte um Max Traegers Rolle im Nationalsozialismus entgegen und verhindert somit eine Aufarbeitung der Vergangenheit, die doch das oberste Ziel einer Bildungsgewerkschaft sein sollte.“ Die Ausstellung zeigt mit Dokumenten, welche verbrecherische Aktivität der NSLB in der NS-Zeit gemeinsam mit Julius Streicher gerade auch gegen jüdische Kinder durchgeführt hat. Sie zeichnet nach, wie seine Mitglieder zusammen mit der Masse der Lehrkräfte Woche für Woche und Tag für Tag mit Feiern, Liedern, Materialien Kinder und Jugendliche zu „kleinen Nazis“ erzogen und für die Nazi-Wehrmacht vorbereitet hat. Max Traeger hat bei alldem mitgemacht. Schon sehr früh, nämlich im Mai 1933, trat er dem NSLB bei – nicht aus Zwang, sondern aus freiem Willen. Die Lehrkräfte vor allem der Volksschulen bewegten sich dabei keineswegs zwischen „Anpassung und Opposition“, wie es ein Buchtitel aus der GEW-Reihe suggeriert und damit die Existenz überzeugter Nazis unter Lehrkräften faktisch verleugnet. (…) Die Ausstellung, die auch als digitaler Rundgang zur Verfügung gestellt wird und als Broschüre erhältlich ist, wird vom 19.10. bis Mitte November von 9 bis 17 Uhr im Frankfurter DGB-Haus in der Wilhelm-Leuschner-Str. 69-77 und anschließend ab dem 23. November 2020 bis Ende Januar im Studierendenhaus auf dem Campus Bockenheim zu sehen sein. Auf 24 Tafeln zeigt sie, was der NSLB getan hat, welche Rolle Max Traeger dabei eingenommen hat und wie sich der Konflikt in der GEW und darüber hinaus entwickelt hat…“ Aus der Pressemitteilung vom 16.10.2020 des AStA und der Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Goethe-Universität zur Max-Traeger-Ausstellung im DGB-Haus – siehe auch Infos zur Ausstellung auf der Aktionsseite - Der Namensgeber und die Nazis. Welche Rolle spielte Max Traeger in der NS-Zeit? Darüber ist ein Streit in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft entbrannt
„In der GEW wird über den Namensgeber der hauseigenen Stiftung gestritten. Denn Wissenschaftler bewerten Max Traegers Rolle während der NS-Zeit höchst unterschiedlich. (…) Der Streit über Traeger und die Frage nach der Bewertung seiner Rolle während der NS-Zeit weisen weit über die GEW hinaus. Denn es stellt sich allgemein die Frage, ab welchem Grad der Einbindung in NS-Organisationen, ab welchem organisatorischen Rang und mit welcher Art Tätigkeit eine Person dazu beigetragen hat, die NS-Herrschaft und ihren Apparat zu stabilisieren. Die GEW hat Historiker mit der weiteren Erforschung von Traegers Vita beauftragt. Das abschließende Urteil könnte auch für andere Namensgebungen in Deutschland richtungsweisend sein.benannt – jedoch nicht wegen seines Wirkens während der Nazidiktatur...“ Artikel von Guido Sprügel in der Jungle World vom 15.03.2018 - Buchvorstellung: Max Träger – kein Vorbild
Das Buch von Micha Brumlik und Benjamin Ortmeyer (Hrsg.) wird von den beiden Herausgebern vorgestellt am 26. Oktober 2017 im Rahmen der Veranstaltung „Zur Arbeit der Forschungsstelle NS-Pädagogik“ an der Goethe-Universität Frankfurt, siehe Infos zur Veranstaltung bei der Forschungsstelle NS-Pädagogik
- [Interview] Streit um Max Trager und Kontinuitäten zwischen Nationalsozialistischem Lehrerbund und GEW: Bildungsgewerkschaft GEW gab Alt-Nazis Rechtsschutz
„… Seit Herbst 2016 gibt es in der GEW Streit um ihren 1. Vorsitzenden nachdem 2. Weltkrieg, der auch Namenspate für eine GEW Stiftung ist, Max Traeger. Nachdem der Bundesausschusses der Studentinnen und Studenten der GEW (Bass) im Oktober 2016 Aufklärung zu Tragers Rolle im Nationalsozialismus gefordert hat, hat die Hamburger GEW einige zeit später Hans-Peter de Lorent mit einer ersten Aufklärung beauftragt. Traeger war wie fast alle anderen LehrerInnen auch, Mitglied im Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB). Trotzdem sieht die GEW Hamburg Traeger nun nach dem ersten Gutachten von Hans-Peter de Lorent vom Vorwurf, er sei im Nationalsozialismus Mitläufer gewesen, freigesprochen. Die Hamburger Hochschulgruppe der GEW hat sich im Streit mit den Hamburger GEW Funktionären rund um das Thema, sogar komplett zurückgezogen. Jemand der Traeger in einem anderen Licht sieht, als ganz offenbar die Hamburger GEW, ist der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Benjamin Ortmeyer, der die Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Goethe-Universität Frankfurt leitet. Wir haben mit ihm über Max Trager, den Nationalsozialistischen Lehrerbund und die Aufarbeitung der eigenen Geschichte in der GEW gesprochen.“ Interview mit Benjamin Ortmeyer bei Radio Dreyeckland vom 6. Oktober 2017 (Audiolänge: 12:37 Min.) und auch in schriftlicher Form
- Junge GEW und GEW Studis: „Wir hören auf. Lieber Nestbeschmutzung als Reinewaschen!“
„Wir haben uns entschieden, sämtliche Tätigkeiten in der GEW einzustellen. Zu unseren Beweggründen haben wir eine Erklärung geschrieben, die letzte Woche im Sammelband ‚Max Traeger – kein Vorbild. Person, Funktion und Handeln im NS-Lehrerbund und die Geschichte der GEW‘ (Hg Micha Brumlik / Benjamin Ortmeyer im Beltz Juventa Verlag) erschienen ist. (…) Heute kommen wir – das Leitungsgremium und die Aktivengruppe der Jungen GEW und der GEW Studis – zu der Entscheidung, dass für uns eine Identifikation mit und politische Organisation in einer Struktur, welche einen produktiven Umgang mit der eigenen Verbandsgeschichte und mit ihren Mitgliedern so verfehlt und auch 2017 über den vermeintlichen Unterschied von „verbrecherischer Arisierung“ und „Arisierung“ diskutiert – letztere sei scheinbar nicht so schlimm und im Fall von Ro19 zutreffend (vgl. Debatte hlz 5–6/2017) – nicht weiter möglich ist…“ Mitteilung vom 25. September 2017 von und bei GEW-Studis – Die Studierendengruppe in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hamburg – und die angesprochene Erklärung im Volltext . Siehe dazu auch:- Aufarbeitung der NS-Vergangenheit: Abbruch der Beziehungen. Mehr Diskussion über die Rolle ihres ersten Vorsitzenden Max Traeger in der NS-Zeit hatten die GEW-Studierenden gefordert. Daraus wurde ein heftiger Streit.
„Auf den ersten Blick ist es der Klassiker: Die Jungen fordern die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, die Alten blockieren. So sieht es zumindest die Hamburger GEW-Jugend. Die GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) sieht ebenfalls Blockade, allerdings eher in der mangelnden Bereitschaft des Nachwuchses, die Fakten anzuerkennen, und in der Verweigerung eines internen Gesprächs. Nun ist der Konflikt eskaliert mit allem, was ein Institutionenstreit so hergibt: Entzug des Hausschlüssels und Rücktritt der Jungen. (…) Die Hamburger GEW hatte Hans-Peter de Lorent mit einer ersten Aufklärung beauftragt. Hamburg ist Hauptschauplatz der Debatte geworden, weil Traeger Hamburger war. De Lorent, GAL-Politiker, in den 90er-Jahren GEW-Vorsitzender und heute in der Schulbehörde tätig, hat zum Thema Schule und Nationalsozialismus publiziert. Glaubhaft ist seine Aussage für die Hamburger GEW-Jugend nicht: Allzu kurz nach der Auftragsvergabe habe er in einem öffentlichen Vortrag Traeger von allen Vorwürfen freigesprochen. (…) Im Rückblick klingt auf beiden Seiten durchaus Bedauern mit. Der Rücktritt sei „bitter“, sagt Dehnerdt, praktisch gesprochen gehe die Arbeit aber als „business as usual“ weiter. Gesa Müller wiederum räumt ein, dass man früher hätte versuchen können, „in Dialog zu gehen“. Vielleicht sei der offene Brief nicht die richtige Form gewesen. Aber: „Wir identifizieren uns nicht mit einer Organisation, die sich so penetrant der Aufklärung verweigert.“ Im Gesamtgefüge der GEW hat sich zunächst die Pro-Traeger-Fraktion durchgesetzt. Der Antrag der GEW Hessen, die Traeger-Stiftung umzubenennen, wurde im März mit über 90 Prozent abgelehnt. In Hamburg sagt Fredrik Dehnerdt, dass der zentrale Vorwurf, Traeger sei Mitläufer gewesen, „widerlegt“ sei…“ Artikel von Friederike Gräff vom 28.9.2017 bei der taz online
- Aufarbeitung der NS-Vergangenheit: Abbruch der Beziehungen. Mehr Diskussion über die Rolle ihres ersten Vorsitzenden Max Traeger in der NS-Zeit hatten die GEW-Studierenden gefordert. Daraus wurde ein heftiger Streit.
- Lehrergewerkschaft und die NS-Zeit: Mitläufer oder Widerstandskämpfer? Die Bildungsgewerkschaft GEW ringt mit ihrer Vergangenheit im Nationalsozialismus. Nun soll sie aufgearbeitet werden.
„Wenn die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ab Freitag zu ihrem Gewerkschaftstag zusammenkommt wird, spielt er eine größere Nebenrolle: Max Traeger. Um den 1960 verstorbenen ersten Vorsitzenden der 1948 gegründeten GEW war in den vergangenen Monaten eine Debatte entbrannt. Traeger, der während der Weimarer Republik als Schulleiter arbeitete und in Hamburg Vorsitzender der Volksschullehrervereinigung „Gesellschaft der Freunde“ war, soll sich während der NS-Zeit den Nationalsozialisten angedient haben. (…) Die GEW beauftragte daraufhin den ehemaligen Hamburger Landesvorsitzenden Hans-Peter de Lorent, der auch zum Hamburger Bildungswesen in der Nazizeit forscht, die Vorwürfe gegen Traeger zu prüfen. De Lorent kommt nun zu einem völlig anderen Ergebnis: „Traeger war mit Sicherheit ein Nazigegner“, sagte er der taz. Er habe immer gegen die Nazis argumentiert und sei als Schulleiter abgesetzt worden, was einem Berufsverbot gleichkäme. Von einem „freiwilligen“ Beitritt zum NSLB könne nicht die Rede sein, vielmehr habe 1933 eine Terrorsituation geherrscht. Der GEW-Hauptvorstand hat den Umbenennungsantrag auf der Grundlage von de Lorents Recherchen im März abgelehnt. Stattdessen wird de Lorent am Sonntag seine im Mai erscheinende Traeger-Biografie vorstellen und diskutieren…“ Artikel von Anna Lehmann vom 4.5.2017 bei der taz online- Der Frankfurter Erziehungswissenschaftler (und unser Fördermitglied) Benjamin Ortmeyer sagte gegenüber LabourNet Germany dazu: „Mitglieder des NSLB sind keine Vorbilder, bestenfalls waren sie Mitläufer. Vorbilder sind nur die Menschen, die wirklich Verfolgten geholfen haben, aktiv gegen die Nazis gehandelt haben oder als Verfolgte ins Exil gegangen sind wie Heinrich Rodenstein. Ich könnte mir auch gut Sophie Scholl als Namensgeberin vorstellen.“
- Wir sind gespannt, wie dieses Thema beim 28. Gewerkschaftstag der GEW behandelt werden wird
- Scheu vor der historischen Wahrheit: Die Stiftung der GEW ist nach Max Traeger benannt. Er steht beispielhaft für die vielen Lehrer, die sich dem Nationalsozialismus andienten.
„… Im November vergangenen Jahres forderte die Nachwuchsorganisation der GEW, der Bundesausschuss der Studentinnen und Studenten der GEW (BASS), unterstützt von Wissenschaftlern wie dem Frankfurter Professor Ortmeyer, die gewerkschaftseigene Max-Traeger-Stiftung umzubenennen, da Traeger kein Vorbild sein könne. Tatsächlich war Max Traeger (1887–1960), was die Gründung der GEW in Hamburg betraf, ein „Mann der ersten Stunde“. (…) [Das] Mindeste aber, was von einer „Bildungsgewerkschaft“ wie der GEW zu erwarten wäre, ist, dass sie die historische Wahrheit weder verschweigt noch beschönigt. (…) Muss man also die GEW und ihren Bundesvorstand tatsächlich daran erinnern, dass es gegenwärtig, in einer Zeit, in der ein Björn Höcke und mit ihm die AfD eine Umdeutung der deutschen Geschichte fordern, nicht darauf ankommen kann, mehr noch: nicht darauf ankommen darf, irgendwelchen schon immer verlogenen Traditionen treu zu bleiben, sondern einzig darum, historische Einsicht und Urteilskraft, also „Aufklärung“ zu fördern. Auch und zumal dann, wenn das lieb gewordenen Traditionen zuwiderläuft.“ Kolumne von Micha Brumlik vom 2. Mai 2017 taz online
- Max Traeger – kein Vorbild! Offener Brief des Bundesausschusses der Studentinnen und Studenten der GEW (BASS) an den Hauptvorstand und die Mitglieder der GEW
„… schon seit einigen Jahren gab und gibt es Diskussionen über die Geschichte des NS-Lehrerbundes (NSLB) und den Umgang der GEW mit ihm. Das rührt auch daher, dass der spätere GEW-Vorsitzende, nach dem eine Stiftung benannt ist, ausgerechnet ein Mitglied des NSLB war: Max Traeger. Dieser Mann, nach 1945 dann aktives FDP-Mitglied, ist zu Recht umstritten. Seine Mitgliedschaft im NSLB ist sicherlich kein Argument, um ihn als Vorbild zu ehren. Auch die Mitgliedschaft in der FDP nach 1945 ist für Mitglieder einer Gewerkschaft nicht unbedingt ein Grund, in Jubel auszubrechen. Aber diese beiden Punkte allein sind es nicht: der entscheidende Punkt ist, dass Max Traeger mit großer Energie an der Legende mitgestrickt und an der Lebenslüge mitgearbeitet hat, dass die Verbände der Lehrkräfte im Jahr 1933 angeblich zwangsenteignet und zwangsweise in den NSLB eingegliedert wurden. Das ist für die große Mehrheit der alten Organisationen der Lehrkräfte, insbesondere in Hamburg, schlicht und einfach gelogen. (…) Als in der GEW aktive Studierende sehen wir den Bedarf nach weiterer Forschung zur Frage von personellen und materiellen Kontinuitäten des NS in der GEW und nach einer Debatte über den Umgang damit in den Nachkriegsjahrzehnten, insbesondere mit Blick auch darauf, was das für die heutige gewerkschaftspolitische Praxis bedeutet. Unser Vorschlag und unser Anliegen ist es, diese Debatte breit und öffentlich zu führen und dann die Umbenennung der Max-Traeger-Stiftung zu beschließen…“ Offener Brief vom 9.10.2016 mit Anhang (16 S.), einem Auszug aus: Müller/Ortmeyer: Die ideologische Ausrichtung der Lehrkräfte 1933–1945, Weinheim 2016, und zwar das Kapitel VIII: Was folgte auf den NSLB?
- Auf der Aktionsseite werden weitere Unterschriften gesammelt
- Lehrergewerkschaft mit NS-Vergangenheit: Mitläufer als Aushängeschild. Die GEW gilt als links und antifaschistisch. Nun ist ihre Stiftung nach einem Mann benannt, dem Historiker Geschichtsfälschung vorwerfen.
„… „Was der Jude glaubt ist einerlei – in der Rasse liegt die Schweinerei.“ Was die Zeitschrift des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) zwischen 1933 und 1945 veröffentlichte, kann man nur als bösartige Hetze bezeichnen. Fast die gesamte Lehrerschaft – 97 Prozent – war seinerzeit Mitglied und bezog die Zeitschrift viele Jahre kostenlos. Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs und der Gründung der Bundesrepublik fassten die Mitglieder nicht nur rasch wieder in den Schulen Fuß, sondern auch in den neu gegründeten Verbänden – unter anderem in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die 1949 gegründete Lehrergewerkschaft gilt unter den Verbänden, die sich unter dem Dach des DGB versammeln, als besonders links und antifaschistisch. Nun erheben Gewerkschaftsmitglieder schwere Vorwürfe. „Die GEW beteiligte sich massenhaft daran, berechtigte Sanktionen gegen NS-Lehrer_innen mit ihrem Rechtsschutz wieder rückgängig zu machen“, heißt es in einem offenen Brief des Bundesausschusses der Studentinnen und Studenten der GEW, der der taz vorliegt. Und nicht nur das: Der erste Vorsitzende der GEW, Max Traeger, nach dem die wissenschaftliche Stiftung der Gewerkschaft benannt ist, habe in den Nachkriegsjahren mit großer Energie Geschichtsfälschung betrieben. (…) Die GEW habe in den letzten Jahrzehnten zwar enorme Anstrengungen unternommen, über die NS-Zeit aufzuklären und Projekte an Schulen zu unterstützen, schreibt Ortmeyer, der selbst GEW-Mitglied ist. „Aber vor der eigenen Haustür? Vor dem eignen Haus wurde nichts wirklich gekehrt und geklärt.“ Man könne sagen, so Ortmeyer zur taz, „dass die GEW bis in die 70er Jahre hinein voll von alten Nazis war“. Er hat nun das Gespräch mit der GEW-Vorsitzenden Marlis Tepe gesucht. Die zeigte sich überrascht über die Enthüllungen. Sie habe sich bisher nicht mit Max Traeger beschäftigt. Tepe zeigte sich aber offen für eine Debatte in der GEW…“ Artikel von Anna Lehmann in der taz vom 9. Oktober 2016
- Ehrlichkeit vor der eigenen Tür
„Dass es der linken Lehrergewerkschaft GEW gelungen ist, ihre NS-Vergangenheit zu verdrängen, wirft kein gutes Licht auf die Organisation. (…) Dabei geht es wohlgemerkt nicht – wie bei staatlichen Stellen – um SS-Verbrecher, aber doch um das Schönfärben der Verbandsgeschichte in der Nachkriegszeit durch einen GEW-Funktionär und die Aneignung eines „zwangsarisierten“ Hauses, das bis 2013 im Besitz der GEW war. Dass nach diesem Herrn bis heute eine Stiftung benannt ist, dokumentiert eine Wurschtigkeit, wie wir sie bei der GEW nicht vermutet hätten…“ Kommentar von Klaus Hillenbrand in der taz vom 10.10.2016
- Siehe dazu auch die Rubrik im LabourNet-Archiv: Gewerkschaften und/im Faschismus und das Special: GEW debattiert um Rothenbaumchaussee in Hamburg: „Normaler Kauf?“