Seehofers Credo gilt auch im Arbeitsrecht: „Man muss Gesetze kompliziert machen, dann fällt es nicht so auf“
„Für Empörung im Internet sorgte ein Äußerungen von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU): „Man muss Gesetze kompliziert machen, dann fällt es nicht so auf. Wir machen nix Illegales, wir machen Notwendiges“ (Zitat des Tages in junge Welt 08.06.2019). Die vom ARD-Magazin „Bericht aus Berlin“ per Twitter bekanntgemachten Sätze waren sicher nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert „spricht von einem Skandal“, meldet DIE ZEIT darauf hin. Ein paar Beispiele aus dem Arbeitsrecht zeigen, dass Seehofer nur beschreibt, was seit Jahrzehnten politisches Ziel ist. Recht soll möglichst kompliziert sein, wenn Lohnabhängige ihre Rechte wahrnehmen wollen. Es fängt schon einmal mit der einfachen Frage aus Sicht des Nichtjuristen an: „Wo finde ich etwas zu meinen Rechten?“. Ein Arbeitsgesetzbuch gibt es hierzulande, im Gegensatz zur DDR, bis heute nicht, obwohl eine Regelung im Einigungsvertrag genau dies vorsah…“ Artikel von Marcus Schwarzbach vom 10.6.2019 – wir danken!
Seehofers Credo gilt auch im Arbeitsrecht
„Man muss Gesetze kompliziert machen, dann fällt es nicht so auf“
Für Empörung im Internet sorgte ein Äußerungen von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU): „Man muss Gesetze kompliziert machen, dann fällt es nicht so auf. Wir machen nix Illegales, wir machen Notwendiges“ (Zitat des Tages in junge Welt 08.06.2019). Die vom ARD-Magazin „Bericht aus Berlin“ per Twitter bekanntgemachten Sätze waren sicher nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert „spricht von einem Skandal“, meldet DIE ZEIT darauf hin.
Ein paar Beispiele aus dem Arbeitsrecht zeigen, dass Seehofer nur beschreibt, was seit Jahrzehnten politisches Ziel ist. Recht soll möglichst kompliziert sein, wenn Lohnabhängige ihre Rechte wahrnehmen wollen. Es fängt schon einmal mit der einfachen Frage aus Sicht des Nichtjuristen an: „Wo finde ich etwas zu meinen Rechten?“. Ein Arbeitsgesetzbuch gibt es hierzulande, im Gegensatz zur DDR, bis heute nicht, obwohl eine Regelung im Einigungsvertrag genau dies vorsah.
Das „Entgelttransparenzgesetz“ hat „keine spürbaren Effekte“
Ein Musterbeispiel lieferte die Bundesregierung in der letzten Amtsperiode: das „Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern“, kurz: „Entgelttransparenzgesetz“. Damit soll gegen die niedrige Bezahlung von Frauen vorgegangen werden.
Ein Zitat aus der Begründung des Gesetzes zeigt den hohen Anspruch: „Der Gesetzgeber ist daher gemäß Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes in der Pflicht, auf die Durchsetzung des Gebots der Entgeltgleichheit von Frauen und Männern hinzuwirken“. Bezeichnend dabei: Bereits das „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ (AGG) sollte Benachteiligungen aus Gründen des Geschlechts verhindern oder beseitigen.
„Seit Anfang Januar 2018 haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Recht zu erfahren, was Kolleginnen und Kollegen mit vergleichbaren Aufgaben verdienen“, verkündet selbst der DGB auf seiner Homepage (1).
Aber, es ist komplizierter – denn der Gesetzgeber hat große Hürden eingebaut. 25 Paragrafen umfasst das Gesetz, aber die wichtigste Bestimmung aus Unternehmenssicht sind die Ausnahmen. So gilt die neue Regelung nur
- für Frauen und Männer, die in einem Betrieb mit mindestens 200 Beschäftigten arbeiten und
- wenn es mindestens sechs Kolleginnen oder Kollegen des jeweils anderen Geschlechts gibt, die eine vergleichbare Tätigkeit ausüben wie die Antragstellerin.
Durch diese Einschränkungen bleiben Beschäftigte in kleinen und mittelständischen Unternehmen außen vor – doch genau in diesem Bereich „ist die Entgeltdiskriminierung am höchsten“, sagt Elke Hannack vom DGB-Bundesvorstand (2). „Eine Frau, die in einem Betrieb mit 199 Beschäftigten arbeitet, hat nach diesem Gesetz keinen Auskunftsanspruch. Und eine Frau, die in ganz kleinen Betrieben mit fünf, sechs oder sieben Beschäftigten arbeitet, erst recht nicht. Das heißt: Zwei Drittel aller erwerbstätigen Frauen in Deutschland – die arbeiten nämlich in den kleinen und Kleinstbetrieben – sind von diesem Gesetz ausgenommen„.
Kaum überraschend sind deshalb offizielle Auswertungen: das „Entgelttransparenzgesetz“ hat in der Praxis „keine spürbaren Effekte“, meldet die Hans-Böckler-Stiftung (3).
„Qualifizierungschancengesetz“ ohne Rechtsanspruch
Ähnlich ist das Verhältnis von Versprechungen im Vorfeld und die Realität bei einer weiteren Neuregelung der CDU-CSU-SPD-Bundesregierung: das „Qualifizierungschancengesetz“. „Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von heute auch die Arbeit von morgen machen können“, verkündete Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Mit diesem Gesetz wolle er beginnen, die „Arbeitslosenversicherung in Deutschland endlich zu einer Arbeitsversicherung weiterzuentwickeln, um Arbeitslosigkeit zu verhindern“.
Die gravierende Neuerung: Während bislang vor allem Arbeitssuchende für neue Tätigkeiten „umgeschult“ werden, sollen jetzt Weiterbildungen gefördert werden, die Arbeitsplätze sichern. Beispiele liefert Heil reichlich: So sollen sich Konstrukteure im Umgang mit 3D-Druckern qualifizieren lassen, auch müssen sich „Techniker genauso wie Ingenieure in der Automobilindustrie, die bisher sehr stark am Verbrennungsmotor orientiert sind, weiterbilden“, verdeutlicht der Minister (4). Ein großes Manko wird aber beim Blick auf die Homepage des Arbeitsministerium deutlich: „Die Leistungen zur Förderung der beruflichen Weiterbildung sind grundsätzlich Ermessensleistungen. Einen Rechtsanspruch darauf gibt es daher nicht“ (5).
Arbeitszeitgesetz – Ausnahmen im Unternehmensinteresse
„Kompliziert“ im Sinne Seehofers ist es auch beim Arbeitszeitgesetz (ArbZG). „Zweck des Gesetzes“ ist nach § 1 Punkt 2 ArbZG „den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe“ zu schützen. Und dann heißt es: „Der Arbeitgeber darf Arbeitnehmer an Sonntagen in der Zeit von 00:00 Uhr bis 24:00 Uhr grundsätzlich nicht beschäftigen“ (§ 9 ArbZG).
Es folgt ein großzügiger Katalog von Ausnahmetatbeständen in § 10 ArbZG: Für Gastronomie, Hotels, Krankenhäuser, Rettungsdienste etc. ist es generell möglich. Aber auch für die Industrie gibt es Aufweichungen. Nach § 10 Abs. 2 ArbZG „dürfen Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen mit den Produktionsarbeiten beschäftigt werden“, wenn die infolge der Unterbrechung der Produktion die „Arbeiten den Einsatz von mehr Arbeitnehmern als bei durchgehender Produktion erfordern“ (6).
Einleitend betont das Gesetz, den „Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeitszeitgestaltung“ sicher zu stellen. Aber bereits beim „Acht-Stunden-Tag“ zeigt sich: Grundsätzliches wird immer mit Ausnahmen versehen. So heißt es zwar „Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten“ (§ 3 ArbZG). Dazu sind aber „Ausnahmen“ möglich: die tägliche Arbeitszeit „kann auf bis zu zehn Stunden“ verlängert werden, wenn z.B. es im Durchschnitt vom 6 Monaten acht Stunden täglich sind. Dass diese Einhaltung von den zuständigen Ämtern für Arbeitsschutz nicht besonders akribisch überwacht wird, erwähnt der Gesetzgeber nicht.
Und selbst von der 10-Stunden-Höchstarbeitszeitgrenze kann nach § 14 ArbZG abgewichen werden:
- bei vorübergehenden Arbeiten in Notfällen und in außergewöhnlichen Fällen,
- B. bei „unaufschiebbaren Vor- und Abschlussarbeiten“, wenn „dem Arbeitgeber andere Vorkehrungen nicht zugemutet werden können“.
Oder wenn bei Nichterledigung der Arbeit „das Ergebnis der Arbeiten gefährden oder einen unverhältnismäßigen Schaden für das Unternehmen zur Folge haben würden“.
Das Arbeitszeitgesetz macht deutlich: Bereits zu Zeiten von Helmut Kohl und Norbert Blüm und Helmut Kohl haben die Unternehmen gute Lobby-Arbeit geleistet, die Chemieindustrie begleitete Kohls Aufstieg.
Crowdworking ohne Gesetze – Aussitzen als Regierungsstrategie
Auffallend ist dabei, welche Themen gar nicht gesetzlich geregelt werden – etwa Crowdworking. Dabei werden Aufträge digital für einen anonymen Arbeitskräftepool ausgeschrieben, die sogenannte Crowd. Die Vergabe erfolgt über digitale Plattformen, auch weltweit.
Klare Forderungen hat hier die gesetzliche Unfallversicherung.
Die Bundesregierung müsse endlich Gesetze zur Plattform-Ökonomie beschließen – das fordert Joachim Breuer, der Chef der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Die Forderung der DGUV zur Digitalisierung ist deutlich: Betreiber wie Myhammer oder Uber sollen direkt Beiträge an die Sozialversicherung abführen.
„Crowdworker sollten in die gesetzliche Unfallversicherung integriert werden„, so Breuer. Vorbild ist ein Gesetz in Frankreich, nachdem etwa ein Vermieter von Wohnungen über Airbnb zu Zahlungen an die Sozialversicherung verpflichtet ist. Das französische Arbeitsgesetzbuch kennt inzwischen einen weiteren Arbeitnehmerstatus: „Arbeitnehmer, die eine elektronische Vermittlungsplattform benutzen“ (7).
Die Forderung ist eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung, die in der letzten Amtsperiode zwar ein Weißbuch Arbeiten 4.0 erarbeiten ließ, aber Gesetzesvorschläge zu Crowdworking nicht für erforderlich hält. Auch bei diesem Thema ist ein Aussitzen à la Merkel gefährlich.
Denn Crowdworking-Plattformen wie „Clickworker“ sind die Vorboten einer neuen Arbeitsorganisation. Bei den Internetmarktplätzen für Arbeit ist die Macht klar auf Seiten der Auftraggeber. Bezahlt wird oft nur, wer zuerst eine Lösung einreicht, die den Anforderungen des Auftraggebers entspricht. Der Anteil der Crowdworker wird auf ein Prozent der Erwerbstätigen geschätzt, was ungefähr 440.000 Personen entspräche, ergibt eine Studie, die für das Bundesarbeitsministerium erstellt wurde (8).
Tendenz steigend. Es soll offensichtlich weiter gewartet werden, bis die Unternehmen weiter Fakten schaffen.
Seehofer macht deutlich: Rechtsfragen sind Machtfragen
Die wenigen Beispiele zeigen: Rechtsfragen sind Machtfragen. So würde Seehofer das aber nie formulieren.
Marcus Schwarzbach, Berater für Betriebsräte
Quellen:
(1) www.dgb.de/themen/++co++2d10a018-f076-11e7-a06e-52540088cada
(2) www.deutschlandfunk.de/entgelttransparenzgesetz-es-gibt-keine-wirksamen-sanktionen.769.de.html?dram:article_id=407075
(3) www.boeckler.de/14_117892.htm
(4) www.bmas.de/DE/Presse/Reden/Hubertus-Heil/2018/2018-11-30-bundestagsrede-qualifizierungschancengesetz.html;jsessionid=87E1832D8CEF9A791ACDB7DF244437D0
(5) www.bmas.de/DE/Schwerpunkte/Qualifizierungsoffensive/Fragen-und-Antworten/faq-qualifizierungsoffensive.html
(6) Eine ausführliche Darstellung zu den Ausnahmen aus Unternehmenssicht bietet auf einen Blick:
www.aok-business.de/nc/bayern/fachthemen/personalrecht-online/datenbank/anzeigen/poc/docid/180172/
(7) www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/uber-myhammer-und-co-unfallversicherer-fordern-sozialabgaben-zahlung-15370667.html
(8) www.heise.de/newsticker/meldung/Unfallversicherung-Online-Plattformen-sollen-Sozialabgaben-zahlen-3932017.html
Siehe zum Hintergrund:
- „Man muss Gesetze kompliziert machen.“ Bundesinnenminister @der_Seehofer erklärt, wie man bei Gesetzen Widerspruch umgeht. Im Bundestag wird morgen mit dem #Migrationspaket auch über sein Datenaustauschgesetz abgestimmt.“ Bericht aus Berlin vom 6. Juni 2019 bei Twitter
- Siehe auch unser Dossier zum Entgelttransparenzgesetz sowie das Dossier Arbeitszeitgesetz: Kampf um den Acht-Stunden-Tag [erneut]