Großrazzia der Berliner Polizei in Rigaer Straße: Hunderte, schwer bewaffnet – wegen „einfacher Körperverletzung“?

Dossier

Rigaer94: Schläge, Beleidigungen, Drohungen – wenn das SEK Berlin eine Hausbegehung machtErst am Vormittag ziehen die Mannschaftswagen der Polizei aus der Rigaer Straße in Friedrichshain wieder ab. Mehrere Stunden dauerte der Großeinsatz, bei dem insgesamt 560 Polizeibeamte mit schwerem Geschütz vier Wohnungen in Friedrichshain und Kreuzberg durchsuchten – auf der Suche nach Personen, die den Betreiber eines Spätkaufs angegriffen und verletzt haben sollen. »Ich bin davon aufgewacht, dass Leute über die Zäune geklettert sind«, berichtet ein Anwohner der Rigaer Straße. »Als wir aus dem Fenster sahen, hatten wir sofort Zielpunkte von Laserpointern im Gesicht«. Zur Razzia im Hausprojekt »Rigaer94« war neben Einsatzhundertschaften auch das SEK erschienen – mit Sturmgewehren bewaffnet. Das zeigen Videoaufnahmen von der Durchsuchung, die am Donnerstagmorgen gegen 6 Uhr begann. Den Einsatz von Sturmgewehren hält der innenpolitische Sprecher der Linkspartei, Hakan Taş, für »absolut unverständlich«. »Es geht natürlich nicht, dass irgendwelche Polizeikräfte, auch wenn sie vom SEK sind, mit Sturmgewehren im Einsatz sind. Wir sind schließlich nicht im Krieg«, so Taş gegenüber »nd«. »Nur um Beweismittel sicherzustellen, braucht man keine Sturmgewehre.«…“ – aus dem Beitrag „Mit dem Sturmgewehr geweckt“ von Maria Jordan und Marie Frank am 15. November 2019 in neues deutschland externer Link über die „unpolitische Aktion“ (Senat), bei der über 500 schwer bewaffnete Polizisten wegen einer Schlägerei in einer Bude mobilisiert wurden… Siehe dazu weitere aktuelle Beiträge und eine Stellungnahme aus der Rigaer Straße:

  • Der nächtliche Polizei-Großaufmarsch gegen die Rigaer94: Ein weiterer Baustein der Militarisierung der Polizei New
    Am frühen Morgen des 15.11.2018 um 6 Uhr durchsucht die Berliner Polizei mit einem Großaufgebot von 560 Beamten vier Wohnungen, eine davon in der Rigaerstr. 94, wo unter Anderem auch das SEK mit Sturmgewehren zum Einsatz kommt. Der Grund sei Beweissicherung im Fall einer „gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung“, in deren Folge sieben Verdächtigte festgestellt werden, welche aus dem so genannten „linksextremistischen Milieu“ kämen. Wer die Videoaufnahmen des Vorfalls im Mai diesen Jahres gesehen hat, kann allerdings bestätigen, dass die unmittelbare Gewalt nicht von den Beschuldigten ausgegangen ist. Abgesehen von der absoluten Unverhältnismäßigkeit der Einsätze zum vorgeworfenen Tatbestand, lohnt es sich einen Blick darauf zu werfen, welches Bild der linken Szene nicht erst seit diesem Vorfall konstruiert wird und wie gleichzeitig eine schleichende Militarisierung der Polizei vonstatten geht und legitimiert werden soll. Sehen wir uns also an, mit welchen Gründen Polizei und Politiker*innen die repressiven Maßnahmen rechtfertigen. Wo in der Presse eine Einordnung der Täter als „Linksautonome“ (RBB, BZ), „Linksextremisten“ (Berliner Zeitung) oder „Chaoten“ aus der „berüchtigten Extremisten- Hochburg in der Rigaerstraße 94“ (Berliner Kurier) geschieht, sprechen Polizei und Innensenator Geisel mittlerweile von „Kriminellen“. Der Senator für Inneres und Sport in Berlin, Andreas Geisel (SPD), der die Rigaerstraße schon früher als „Rückzugsraum für Gewalttäter“ bezeichnete, lässt verlauten: „Wir sind mit einem gewissen Polizeiaufgebot da, um von Anfang an klarzumachen, wer hier als Sieger vom Platz geht.“ Es gehe darum, „Regeln durchzusetzen, die für alle gelten“. Nach seinen Worten sei der Einsatz aber „nicht politisch motiviert“ gewesen…“ – aus „Militarisierung – Eine Frage der Gewohnheit“ von Gruppe A am 27. November 2018 in re:volt externer Link über die Bedeutung dieses „besonderen“ Einsatzes…
  • Die Berliner Großrazzia, ihre mediale Unterstützung und der Protest dagegen. Gegen Beides 
    Der Hintergrund des Vier-Uhr-Einsatzes bleibt im Laufe des Tages unklar. Der Twitteraccount der Berliner Bullen meldet einen angeblichen Unterstützungseinsatz für die Brandenburger Kollegen. Die Erklärung für die Feuertonne um sieben Uhr ist einfach: es ist kalt und die Rigaer94 und ihre Freund*innen schieben Wache, da der Anwalt Markus Bernau gedroht hat, in den nächsten Tagen mit Bauarbeitern die Eingangstüre vorne, die Haustüren zu den Treppenhäusern hinten und im Seitenflügel sowie technische Sperrvorrichtungen zu zerstören. Dass eine Feuertonne in der Rigaer Straße möglicherweise einen Großeinsatz nach sich ziehen würde, müsste allen Beteiligten klar gewesen sein. Die Berliner Bullen geben sich nach ihrem schwer bewaffneten Einsatz letzten Donnerstag gegen drei Wohnungen und die Rigaer94 ohnehin nervös und haben Warnungen an alle Einsatzkräfte ausgegeben, die besagen, dass mit Anschlägen zu rechnen sei. Die gute Laune und Gesundheit hat sich die vermummte Wachschicht vom Dienstag morgen dadurch nicht ruinieren lassen und getan, was frierende Menschen seit Jahrtausenden tun. Außer der Feuertonne gab es zudem Graffitis mit den Wortlauten „Krieg dem Krieg“, „Brandsätze und Steine gegen Sturmgewehre!?“ und „Solidarität mit den Betroffenen der Razzien“. Nach wie vor entscheidet nicht die Innenpolitik, wie die Straße genutzt und wie das öffentliche Leben gestaltet wird. Mit ihren ebenso gefährlichen wie dummen Einsätzen demaskiert der sozialdemokratische Innensenator nicht nur die freundliche Fassade der Demokratie sondern auch die Propaganda vom allmächtigen Staat. Die Presse springt in gewohnter Manier ein, um zu retten, was zu retten geht…“ – aus dem Beitrag „Berichterstattung und Presseschau zu einer unruhigen Nacht in der Rigaer“ am 20. November 2018 bei de.indymedia externer Link zur medialen Unterstützung der ziemlich beispiellosen Großrazzia. Siehe dazu auch einen Demonstrationsaufruf:

    • „Demonstration gegen Hausdurchsuchungen und Medienhetze“ am 20. November 2018 bei de.indymedia externer Link ist der Demonstrationsaufruf (für Freitag 23.11.2018 – Heinrichplatz, Berlin-Kreuzberg Kundgebung: 17 Uhr Demostart: 18 Uhr) gegen Razzia und ihre mediale Unterstützung worin es unter anderem heißt: „Vergangenen Donnerstag verschafften sich 560 Bullen, begleitet vom militärisch ausgerüsteten SEK und einem Helikopter Zugriff zu vier Wohnungen. Hinzu kam ein massiver medialer Angriff. Ohne jede Recherche wurden durch den Großteil der Medien die Vorurteile von autoritären Politiker*innen und Bullensprecher*innen breit getreten. Vor allem die Durchsuchung der Rigaer94 stand im Fokus der Berichterstattung. Reißerische Schlagzeilen dominierten an diesem Tag die Presse. Und was macht Innensenator Geisel? Er verkauft das ganze als ein Spiel, aus dem er als Sieger hervorgehen möchte, weil er mit seiner SPD eher ans verlieren gewöhnt ist. Aber unser Leben und unsere Freiheit sind ernste Dinge, die es zu verteidigen gilt. Wir wollen uns nicht an stumpfe Medien und Militärgerät in unserer Stadt gewöhnen. Die Inszenierung in den Medien zeigt, dass es viel weniger darum ging, Gegenstände bei vermeintlich Verdächtigen zu finden, sondern darum Menschen, denen der Staat eine linke Gesinnung zuordnet, zu kriminalisieren und einzuschüchtern. Wir sind wütend über das Mackergehabe der Herrschenden und solidarisch mit den Betroffenen der Razzien. Dies waren nicht die ersten und werden nicht die letzten Hausdurchsuchungen sein. Reagiert wurde in letzter Zeit leider kaum auf solche Attacken. Das Herbeiführen von Ohnmachtsgefühlen und die damit erzeugte ohrenbetäubende Stille sind Teil der Bullentaktik. Dem gilt es, sich zu widersetzen. Lasst uns zeigen, dass wir uns nicht fügen. Lasst uns unserer Solidarität öffentlich Ausdruck verleihen…“
  • [Rigaer94] Nach der Berliner Großrazzia: Sie bleiben in ihrem Zuhause 
    Dass es sowohl den Berliner Senat als auch den Bullen darum geht eine langfristige Strategie zu finden, um sich dem „Problem“ Rigaer94 zu entledigen wissen wir spätestens seit dem Sommer 2016 und dem damit einhergehenden Belagerungszustand. Dass die Berliner Bullen dafür eine Hausverwaltung und/oder eine Eigentümerfirma benötigen, die mit ihnen zusammen an einem Strang zieht, ist nur logisch und auch durch Dokumente belegt, die aus der Belagerungzeit 2016 und den damit zusammenhängenden Gerichtsverhandlungen stammen. An diesem Punkt kommt „Lafone Investement“ und ihr Anwalt Markus Bernau ins Spiel. Ein Szenario wie 2016 ist derzeit denkbar, wenn auch in abgeschwächter Version mit dauerhaft eingesetzten Securitys. Geisel als Berlins Innensenator wird nicht die selben Fehler machen wie sein Vorgänger Henkel. Der sowohl mediale als auch politische Druck, der nicht zuletzt auf der Straße erzeugt wurde, hat Henkel in die politische Bedeutungslosigkeit befördert. Zwar agiert der Rot-Rot-Grüne Senat weniger plump als sein Rot-Schwarzer Vorgänger, geht aber gleichbleibend massiv gegen Hausprojekte in der Stadt vor. Geisel betont immer wieder nur rechtlich abgesichert und taktisch zu agieren. Das macht die Situation umso gefährlicher. Gegen die Angriffe auf die bestehenden kämpfenden Projekte gilt es Widerstand zu organisieren. Denn es geht nicht nur um die Angriffe auf unsere Projekte, sondern um die direkten Angriffe auf unsere Leben, Ideale und geführten Kämpfe…“ – aus dem Beitrag „Razzia in der Rigaer94 – Ein Angriff und seine Folgen“ von Vorder und Hinterhaus der Rigaer94 am 18. November 2018 bei de.indymedia externer Link, worin die AutorInnen auch unterstreichen, dass sie kein anderes Zuhause haben…
  • „Machtdemonstration im Kiez“ von Michael Merz am 16. November 2018 in der jungen welt externer Link hebt zum polizeistaatlichen Kriegsszenario hervor: „Aktivisten und Anwohner in der Rigaer Straße vermuten jedoch einen anderen Hintergrund für den Großeinsatz der Polizei. Nachdem der frühere Innensenator Frank Henkel (CDU) Friedrichshain monatelang regelmäßig zum Aufmarschgebiet polizeilicher Einsatzkräfte gemacht hatte und repressive Maßnahmen wie Personenkontrollen an der Tagesordnung waren, blieb es unter dem neu gewählten Senat aus SPD, Die Linke und Grünen seit Ende 2016 relativ ruhig. Das wird sich voraussichtlich in Kürze ändern, da in dem Haus Liebigstraße 34, in dem sich ein laut Eigenbezeichnung »selbstverwaltetes, anarcha-queer-feministisches Hausprojekt« befindet, der Pachtvertrag im Dezember ausläuft. Der Eigentümer, die bei vielen Berliner Mietern berüchtigte Unternehmensgruppe Padovicz, ist offenbar nicht bereit, diesen zu verlängern. Die Bewohnerinnen des Hauses haben bereits Widerstand gegen eine etwaige Räumung angekündigt. Die Machtdemonstration der Polizei am Donnerstag lässt befürchten, dass die Beamten wieder häufiger im von weitgehender Gentrifizierung betroffenen Friedrichshain durchgreifen werden…
  • „Neue Qualität der Repression“ von Marie Frank am 15. November 2018 in neues deutschland externer Link ist ein Kommentar, in dem unterstrichen wird: „Die Bewohner*innen des Hausprojekts »Rigaer94« dürften es mittlerweile gewohnt sein, von der Polizei in aller Herrgottsfrühe durch eine Razzia geweckt zu werden. Schon allzu oft drangen Beamte mit fadenscheinigen Begründungen, die sich im Nachhinein doch als falsch herausstellten, in ihr Haus ein. Die illegale Teilräumung des Hauses, in dem sich auch die Kneipe »Kadterschmiede« befindet, im Jahr 2016 ist nur ein Beispiel. Die Stürmung der »R94« am Donnerstagmorgen durch Einsatzhundertschaften und ein Spezialeinsatzkommando hat dann aber doch eine neue Qualität. Zum einen ist es nicht gerade üblich, dass man für eine Hausdurchsuchung wegen des Verdachts der einfachen Körperverletzung derart viele Einsatzkräfte aufmarschieren lässt. Dass diese dann auch noch mit Sturmgewehren ausgerüstet werden, ist völlig überzogen und entbehrt jeglicher Verhältnismäßigkeit. Schließlich wurden diese Ende letzten Jahres zur Terrorabwehr angeschafft…
  • „Und täglich grüßt das Schweingetier….“ Von Rigaer94 am 15. November 2018 bei de.indymedia externer Link ist eine Stellungnahme von der „Hauptkampffront“ des Aufmarsches, in der es unter anderem heißt: „Ein besonderer Hohn ist die Aussage: „Es ist nichts beschädigt worden“, schriftlich auf dem Beschlagnameprotokoll festgehalten und dazu das lange, immer noch andauernde Warten darauf, dass unsere Türen repariert werden. Diese sind erstaunlich schnell und ohne massive Zerstörung geöffnet worden. Beschädigt sind sie natürlich trotzdem. Da sich der bestellte Schlüsseldienst aber zu weigern schien für die Bullen die Drecksarbeit zu machen, mussten diese nun selber ran. Dann versuchte der Bezirk zusammen mit Bauarbeitern und M. Bernau unseren Brandschutz zu überprüfen. Markus B. Hat sich in der Vergangenheit häufig als Anwalt des mutmaßlichen Eigentümers der Rigaer Str. 94 ausgegeben. Selbst das Gericht bezweifelt dies jedoch. Da die Bullen natürlich versuchen mit diesem Einsatz ein Propagandasieg einzufahren, ist es auch nicht verwunderlich, dass die Presse bereits vor Beginn des Einsatzes vor Ort war…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=140112
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