Eine neue Stufe der Gewalt im Wendland. Der Polizeigewalt – bejubelt von der Polizeipresse
Wenn die Polizei-Pressestelle „eine neue Stufe der Gewalt“ im Wendland sieht (bei wem wohl?), macht sich Empörung in den bürgerlichen Medien breit (wie schon in „Ellwangen“): Gegen Jäger auf kurdische Symbole protestieren – geht gar nicht. Im Wendland wird schon seit längerem Jagd gemacht: Natürlich auf potenzielle Terroristen. Dann müssen schon mal vermummte Hundertschaften auflaufen, um lebensgefährliche Fahnen aus einem sozialen Zentrum zu beschlagnahmen. (Siehe den Verweis auf unseren entsprechenden Bericht am Ende dieses Beitrags). Und das hat man als Untertan hinzunehmen, basta. Wer dagegen protestiert, wer gar vor dem Haus eines Verantwortlichen dagegen protestiert, der erklimmt laut Polizei eben eine „neue Stufe der Gewalt“. Und, wie nicht anders zu erwarten war, das, was sich in der BRD Journalist nennen lässt, gab die Polizeimeldung sofort als eigenes Produkt weiter. Und die politische Rechte geifert nach mehr Verboten – vor allem von Vermummung (nicht bei der Polizei). Über die neueste Variante des Diebes, der Altbekanntes ruft, zu berichten, erfordert keinen Spagat: Die Polizei und ihre vielen Pressestellen… Siehe zu den Aktionen im Wendland drei Beiträge (auch die ausgesprochen lesenswerte PM der Polizei) und drei vom und zum medialen Echo, sowie ein kurzes Video und den Hinweis auf unseren Beitrag über den „Gegenstand dieses Protestes“:
„POL-LG: ++ „neue Qualität der Gewalt“++ Einschüchterungsversuch zum Nachteil der Familie eines Polizeibeamten durch Gruppe von vermummten Personen ++ Polizei kann Personengruppe stellen“ am 19. Mai 2018 beim Presseportal ist die Mitteilung der Polizei Lüneburg, mit der verbreitet wird: „Eine neue Qualität der Gewalt gegenüber der Polizei und ihren Angehörigen erlebten Einsatzkräfte in den Abendstunden des 18.05.18 im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Nach einer friedlich verlaufenden Veranstaltung/Demonstration in den Nachmittagsstunden in Gorleben hatten rund 60 zum Teil vermummte Personen gegen 20:00 Uhr gezielt das Grundstück und private Wohnhaus eines örtlichen Polizeibeamten in der Samtgemeinde Elbtalaue heimgesucht. Durch lautstarke Stimmungsmache, Anbringen von Bannern und ihre Vermummung versuchten die Personen die allein anwesende Familie des Polizeibeamten einzuschüchtern. Nach Alarmierung von Polizeikräften konnten die Personen im weiteren Umfeld gestellt werden. Dabei kam es zu Handgreiflichkeiten und Widerstandshandlungen. Die Polizei hielt die Personen aus der regionalen sowie überörtlichen „linken Szene“ bis zur Feststellung der Personalien vor Ort fest und leitete in Absprache mit der Staatsanwaltschaft Lüneburg Strafverfahren u.a. wegen Landfriedensbruch, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, Hausfriedensbruch, Bedrohung, Beleidigung, Diebstahl und Widerstand gegen Polizeivollzugbeamte ein. Einzelne Personen wurden aufgrund einer individuellen Gefahrenprognose parallel Ingewahrsam genommen. Alle weiteren Personen erhielten einen regionalen Platzverweis“. Immerhin wurde nur festgenommen (in Gewahrsam würde das nach Duden richtig heißen) und nicht aufgrund individueller Gefahrenprognose Putativ-Notwehr angewandt…
„Statement zum brutalen Polizeiübergriff in Hitzacker“ am 20. Mai 2018 bei de.indymedia ist die Darstellung der in Gewahrsam genommenen zu den Vorfällen, worin es unter anderem heißt: „Am 18. Mai gegen 20 Uhr haben sich mehr als 80 Sänger*innen auf dem Autowendeplatz vor dem Haus des Staatsschutzbeamten Olaf Hupp eingefunden und gaben ein spontanes Straßenmusikkonzert mit Unterstützung der „Rotzfrechen Asphaltkultur“ (RAK). Zudem wurde auf der Wiese vor seinem Grundstück eine „YPG“-Fahne gehisst und an seinem Carport weitere Flaggen der kurdischen Freiheitsbewegung angebracht. Nach ungefähr 15 Minuten tauchte ein Streifenwagen mit zwei Polizeibeamten auf, die das Geschehen beobachteten. 10 Minuten später verließen die Teilnehmer*innen den Ort des Geschehens. Die Protestaktion richtet sich gegen die Vorgehensweise/repressiven Aktivitäten des übermotivierten Staatsschutzbeamten, der seit Monaten linke Projekte im Landkreis Lüchow-Dannenberg malträtiert. Diese solidarisieren sich seit Langem mit der kurdischen Freiheitsbewegung. Um ca. 20:45 Uhr überfiel eine Hundertschaft der Oldenburger Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) die abziehenden Menschen. Unter ihnen war auch Staatsschutzkommissar Olaf Hupp. Diese Beamt*innen schlugen ohne Vorwarnung auf die Menschen ein und zwangen sie zu Boden. Dadurch wurden etwa 10 Personen verletzt. Von den Beamten war nur Herr Hupp unvermummt und erkenntlich und trat in Rage auf am Boden liegende Personen ein. 60 der Sänger*innen wurden anschließend von der Polizei am Bahnübergang Hitzacker Richtung Sarenseck gekesselt und ab ca. 23:30 Uhr, nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung, einem Platzverweis und dem Vorwurf des Haus- und Landfriedensbruches auf freien Fuß gesetzt. Die Maßnahme dauerte bis ca. 03:00 Uhr des Folgetages an. Vier Personen, unter ihnen auch die am schwersten verletzte Person, wurden in Polizeigewahrsam nach Lüchow gebracht. Zwei Personen wurden am Mittag des 19. Mai dem Haftrichter vorgeführt und zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Pressemitteilung 1 war noch eine Person in Gewahrsam…“.
„Unfassbar!“ am 20. Mai 2018 bei der RAK ist die Erklärung der „Rotzfrechen Asphaltkultur“ zu den Vorgängen, in der unter anderem hervor gehoben wird: „Nach einer musikalischen Kundgebung in Hitzacker vor dem Haus des Staatsschutzbeamten Olaf Hupp, die sich gegen Spionage und Repression richtete, kam es zur Eskalation: Die ca. 60 Teilnehmer*innen der Kundgebung wurden auf dem Rückweg von der Aktion ohne Vorwarnung durch behelmte, vermummte Polizeieinheiten (BFE) überfallen, zu Boden geschlagen und über fünf Stunden in einem Kessel festgehalten. In der Folge nutzt die Polizei ihre scheinbare Deutungshoheit und verdreht eine musikalische Kundgebung in einen angeblichen Angriff teils vermummter Personen auf ein Familienhaus und phantasiert eine „neue Qualität der Gewalt“ herbei (Polizeipressestelle Lüneburg). Die Presse schreibt ab, ohne zu hinterfragen. In den letzten Stunden häufen sich populistische und nicht recherchierte Artikel über gewalttätige Angriffe linker Chaoten auf eine Familie, während sie eine neue Dimension einer linksradikalen Gewalt heraufbeschwören. Sogar Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius ließ es sich nicht nehmen, ohne Kenntnis über die Ereignisse öffentlich sein Entsetzen zu äußern. Im folgenden soll vorgestellt werden, was die Gründe für die musikalische Aktion im Wendland waren und was am Freitag tatsächlich geschah. (…) Olaf Hupp ist Polizeibeamter und Chef der Staatsschutzabteilung Lüchow-Dannenberg, der seit mehreren Jahren die widerständigen Strukturen des Landkreises im Wendland durchleuchtet. Sämtliche Anzeigen, Ermittlungsverfahren und Vorladungen gegen Personen, die dem linken Spektrum zugeordnet werden gehen von ihm aus. Er hat sich zum Ziel gesetzt, die radikale linke Bewegung im Landkreis zu verfolgen. Er agiert dabei übermotiviert und aggressiv – so droht er Betroffenen beispielsweise, dass er sie „fertig machen“ wird. Regelmäßige Durchfahrten durch als einschlägig wahrgenommene Treffpunkte sind an der Tagesordnung. Außerdem versucht er, Einzelne unter Druck zu setzen und damit den Widerstand zu spalten“. (Die Band hat auf der Seite auch noch eine Dokumentation über eine Vielzahl auffällig gleichartiger Medienbeiträge zu den Vorfällen: Wem nicht schon schlecht ist, kann einen Formulierungsvergleich anstellen).
„Vermummte suchen Privatgrundstück eines Polizisten auf“ am 19. Mai 2018 bei Spiegel Online bearbeitet die Pressemeldung der Polizei folgendermaßen: „60 teils vermummte Personen haben am Freitagabend bei Hitzacker das Grundstück eines Polizisten aufgesucht. Vor dem privaten Wohnhaus des Beamten haben die Maskierten nach Angaben der Polizei lautstark die Familie des Mannes eingeschüchtert sowie Transparente entrollt. Das hat einen Großeinsatz bei der Polizei ausgelöst. Zuvor hatte am Nachmittag eine friedliche Demonstration in Gorleben stattgefunden. Nachdem die Polizei gerufen wurde, flohen die Angreifer – konnten von den Beamten allerdings in der Nähe gestellt und festgesetzt werden. „Dabei kam es zu Handgreiflichkeiten und Widerstandshandlungen“, heißt es in einer Pressemitteilung der Polizei. Alle Personen wurden vorläufig festgenommen, um ihre Personalien aufzunehmen. Einige wurden in Gewahrsam genommen, die anderen erhielten einen Platzverweis. Laut Polizei handelt es sich um „Personen aus der regionalen sowie überörtlichen ‚linken Szene‘„.
„Unter jedem Mindeststandard“ von Anja Maier am 21. Mai 2018 in der taz ist ein Kommentar zu den Vorfällen – der Art, bei denen nicht vorhandene Sympathie für die Aktion umgewidmet wird: „Demos vor dem Privathaus eines rechten Publizisten, Schüsse auf Wohnhäuser linker PolitikerInnen, Abfackeln von Autos in angesagten Wohnvierteln, sogenannte Hausbesuche bei Staatsbediensteten, Internetpranger, Shitstorms – das Private ins Licht der Öffentlichkeit zu zerren ist eine miese Tour. Das Gegenteil des Beabsichtigten wird damit erreicht, selbst wenn es um den größten Widerling geht. Einem Menschen den privaten Raum zu entziehen betrifft ja stets auch jene, die mit dieser Person zusammenleben. Und das bewirkt Mitgefühl“. Hat man so in einem nicht ganz unbekannten asiatischen Land auch geschrieben, als vor dem Haus des Eigentümers einer Brandhölle demonstriert wurde, der ganz privat die Verantwortung für sein Tun tragen sollte. Oder, näher, als einem Air France Boss an der Krawatte gezogen wurde: Nur, weil der Menschen ihr Privatleben ruinieren wollte, indem er sie auf die Straße warf, oder…, oder…Die „miese Tour“ ist halt eher anders herum.
„Unfassbare Aktionslosigkeit“ vom Helgoländer Vorboten am 21. Mai 2018 bei Spiegelkritik bewertet das Medienecho mit Qualitätsmerkmalen: „Die professionellen Nachrichtenmedien Deutschlands haben über das Pfingstwochenende mal wieder einen Skandal inszeniert, der mehr als lehrbuchmäßig ein journalismusfreies Publikationsbusiness zeigt. Das Verhalten der Nachrichtendistributoren erinnert an die Bahnmitarbeiter, die einige Zeit an Fahrkartenautomaten postiert wurden, um dem willigen Transportgut dessen Bedienung zu erläutern und damit den eigenen Arbeitsplatz oder den der Kollegen am Schalter abzubauen. Das Presse-Äquivalent: Landauf landab übernehmen Redaktionen ohne jede eigene Recherche eine Pressemitteilung der Polizei, skandalisieren sie und kolportieren die von ihnen so geschaffene, bis aufs Komma völlig vorhersehbare Erregung. Das lässt sich bequem mit dem Smartphone vom Grill aus erledigen. Es lässt sich allerdings auch komplett ohne Journalisten erledigen. Erst kürzlich echauffierte sich eine Journalisten-Gewerkschaft (die sinnigerweise und zukunftsweisende auch PR-ler vertritt), die Polizei mache mit ihren Pressemitteilungen im Internet den Job der freien Presse. Rauszuhören war schon damals, dass es nicht darum geht, selbst zu recherchieren (denn dann störten behördlich verbreitete Statements ja nicht), sondern die “Bullenmeldungen”, wie das in der stahlarbeiterkampferprobten Ausbildungsredaktion am Niederrhein hieß, von einem nicht-öffentlichen Kanal auf einen öffentlichen zu heben. Früher wurden dazu Faxe abgetippt (und prosaisch aufgehübscht), heute geht’s mit Copy&Paste (weshalb die Damen von der Texterfassung längst zum privaten Sicherheitsdienst oder der mobilen Altenpflege gewechselt sind)“.
„Hitzacker 18.05.2018 – Was wirklich geschah“ vom Medienkollektiv Wendland am 21. Mai 2018 bei Vimeo ist ein Videofilm über die Vorfälle, die zu recherchieren weitgehend verweigert wurde. Zur Präsentation heißt es dabei: „Am Abend des 18. Mai 2018 versammelten sich etwa 60 Personen in Hitzacker, um gemeinsam zum Haus von Olaf Hupp zu spazieren. Auf dem öffentlichen Autowendeplatz vor dem Haus fand ein Konzert statt. An seiner Garage Fahnen brachte jemand eine Kurdenfahne an. Zwei nach kurzer Zeit eintreffende Polizisten nahmen keinen Kontakt mit der Versammlung auf. Nach Darbietung von vier Liedern machten sich und alle Teilnehmer auf den Rückweg. Als sie sich dem Bahnübergang näherten, fuhren mehrere Wannen vor, aus denen vermummte BFE sprang, die alle gewaltsam zu Boden rang. Die Polizei schlug auf die Personen ein und fesselte sie mit Kabelbindern. Unter den Einsatzkräften befand sich auch Olaf Hupp in Uniform und trat mit voller Kraft auf am Boden Liegende ein“.
- Siehe dazu den Beitrag „Im Wendland gibt es kein Pardon für Gegner des Krieges der türkischen Regierung“ am 22. Februar 2018 im LabourNet Germany