Die Toten vor Lampedusa sind notwendig. Fragt sich nur – wofür und für wen? / The dead refugees of Lampedusa are inevitable. The question remains: Inevitable for what and for whom?
Kommentar (deutsch und englisch) von Arian Schiffer-Nasserie vom 7.10.2013 (Prof. Dr. Arian Schiffer-Nasserie ist Hochschullehrer für Politik an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum. Schwerpunkte: Sozial- und Migrationspolitik, Rassismusforschung)
Die Toten vor Lampedusa sind notwendig. Fragt sich nur – wofür und für wen?
Hunderte sind auf ihrem Weg vom libyschen Misrata nach Lampedusa an einem Tag im Oktober 2013 gestorben,
- weil die EU (Deutschland vorneweg) mit ihren global überlegenen Unternehmen und subventionierten Waren die afrikanischen und arabischen Ökonomien erfolgreich kaputt konkurriert und den betroffenen Menschen damit ihre Lebensgrundlage nimmt,
- weil die Lebensmittel, die Fischfanggebiete, die Rohstoffvorkommen ihrer Heimat exklusiv der Verwertung westlicher Kapitale dienen und dafür kaum örtliche Arbeitskräfte gebraucht werden,
- weil mit den Menschen vor Ort im Normalfall einfach überhaupt kein Geschäft zu machen ist,
- weil sie also schlicht überflüssig, d.h. Überbevölkerung sind, die stört, wo immer sie rumvegetiert,
- weil die den ehemaligen Kolonisierten gewährte Freiheit, sich selbstverantwortlich um den eigenen Gelderwerb kümmern zu dürfen, weder die tatsächliche Möglichkeit dazu in ihrer Heimat noch das Recht einschließt, diese verlassen zu dürfen, nur weil man daheim nicht leben kann, um auswärts in den Metropolen des Kapitalismus die eigene Arbeitskraft anzubieten,
- weil sie seit der Euro-Krise als Wanderarbeiter und Erntehelfer erst recht nicht gebraucht werden,
- weil Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) darauf bestehen, daß die afrikanischen Staaten die Ernährung ihrer Völker nicht subventionieren dürfen, wenn sie weiterhin vom Westen Kredit wollen,
- weil nicht geduldet wird, wenn sich die Überflüssigen in ihrer Not gegen ihre politische Herrschaft auflehnen oder anderen politischen Mächten zuwenden, sofern dies den Ordnungsvorstellungen europäischer und amerikanischer Mächte widerspricht,
- weil EU und USA die Verzweifelten in Afrika, im Nahen und Mittleren Osten, in Zentralasien für ihre Einflußnahme auf die Regionen zu instrumentalisieren suchen,
- weil westliche Regierungen die Aufstände der Verzweifelten – je nach Bedarf – gegen unliebsame Regierungen unterstützen (Syrien, Libyen, Libanon, Iran usw.),
- weil sie, wo dies zur Durchsetzung der eigenen Interessen opportun erscheint, zur ethnischen und religiösen Spaltung ganzer Staaten beitragen und die dafür nötigen Kriege finanzieren (Eritrea, Sudan, Somalia),
- weil die Staaten des Westens unliebsame Bewegungen und Organisationen bespitzeln, verfolgen, ihre Mitglieder und deren Angehörige foltern, sie mit Drohnen beschießen, sie von Milizen vernichten lassen usw. (Jemen, Pakistan, Somalia, Kurdistan …),
- weil sie befreundete und verbündete Regime bei ihrer Kriegführung unterstützen (Saudi-Arabien, Katar, Arabische Emirate, Jordanien, Türkei usw.) Diktaturen, Monarchien und Gottesstaaten für ihre Beiträge zur imperialistischen Weltordnung aus- und aufrüsten und so von sich abhängig machen,
- weil sie Putschs gegen antiwestliche Regierungen, die auf demokratischem Wege an die Macht gekommen sind, und dazugehörige Militärdiktaturen offen unterstützen (Algerien) oder zumindest decken und militärisch ausrüsten (Ägypten),
- weil sie mit Wirtschaftsembargos und Blockaden die Lage der Völker in unliebsamen Staaten weiter zu verschlechtern suchen, um sie in Hungeraufständen gegen ihre Regierung aufzubringen,
- weil die USA und die EU-Staaten überall dort, wo diese friedliche Diplomatie nicht ausreicht, um ihre Interessen durchzusetzen, zur offenen Kriegführung übergehen, Söldnertruppen zusammenstellen oder gleich selber bombardieren, einmarschieren oder besetzen (Afghanistan, Irak, Libyen, Mali, usw.), natürlich nur, um die »Zivilbevölkerung zu schützen«,
- weil jede Hoffnung der »Beschützten«, der »unschuldigen Zivilbevölkerung« der »schutzlosen Männer, Frauen und Kinder«, auf legale und sichere Weise mit europäischen Fähren oder Fluglinien diesem Horror zu entgehen, um in den segensreichen Moloch deutscher, französischer oder britischer Slums zu gelangen, dort die Klos von McDonalds oder die Flure deutscher Ämter und Behörden zu putzen, im Puff für die verkorksten Seelen des freien Westens zur Verfügung zu stehen oder auf den Plantagen spanischer Agrarkonzerne Pestizide zu inhalieren, durch ein hermetisches Grenzregime zunichte gemacht wird.
Es ist auch konsequent, daß Fischer nicht helfen und vorbeifahrende Container- und Kreuzfahrtschiffe die Ertrinkenden nicht retten, ihre Hilferufe nicht erhören, da möglichen Rettern harte Strafe droht. Es ist auch nur folgerichtig, daß die Überlebenden in Rom angeklagt werden und mit hohen Geldstrafen rechnen müssen, noch bevor alle Leichen beseitigt sind, damit kein falsches Signal an jene ergeht, die auf der anderen Seite des Meeres noch leben.
Auch wenn es niemand so sagen will: Die toten Flüchtlinge sind für die ökonomischen Interessen der führenden kapitalistischen Staaten und ihrer Unternehmen unvermeidlich! Sie sind als Teil der zivilen Opfer des europäischen Imperialismus notwendig!
Die Toten sind nicht Opfer »gewissenloser Schleuserbanden«, die Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nun pressewirksam verantwortlich machen will, sondern sie sind die Folge einer effizienten Abriegelung der europäischen Außengrenzen, für die er entschlossen einsteht.
Die Toten sind nicht Opfer »unserer aller« Gleichgültigkeit und Ignoranz gegenüber dem Leid der Flüchtenden, wie dies Presse und Bundespräsident glauben machen wollen, sondern sie sind Produkte der ökonomischen, politischen und militärischen Erfolgsstrategie eines Staates, dem Herr Gauck nicht ohne Stolz vorsteht.
Die Toten bezeugen nicht das »Scheitern der europäischen Flüchtlingspolitik«, wie dies deutsche Flüchtlingsorganisationen in ihrer grenzenlosen Staatstreue postulieren, sondern sie sind Ausdruck erfolgreicher Grenzsicherung.
Auch wenn es niemand so sagen will: Die nun öffentlich zur Schau getragene Betroffenheit dient nicht den toten Flüchtlingen – wie sollte sie auch. Scham und Trauer gelten dem Ansehen des europäischen Staatenbündnisses, seiner Machthaber und seiner Werte. Angesichts von überdurchschnittlich vielen Grenztoten geht es Presse und Politik um die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit jener Werte, in deren Namen von Afghanistan bis Mali Krieg geführt wird.
The dead refugees of Lampedusa are inevitable. The question remains: Inevitable for what and for whom?
Arian Schiffer-Nasserie
Hundreds of refugees died on only one day in October 2013 on their way from the Libyan coastal town Misrata to the island of Lampedusa,
- because the European Union (spearheaded by Germany) is successfully ruining the African and Arabic economies with their globally superior companies and subsidised goods, and is as a consequence destroying the livelihood of the local people,
- because the food produce, the fishing grounds and the resources of raw materials of these countries are exclusively exploited by western capital, which for their purposes require only few local workmen,
- because generally speaking western companies find little business opportunities in these areas of the world and therefore only need few labourers. As a result the larger part of the local population is simply dispensable, a superfluous population of useless economic figures who are often enough only a matter of disturbance,
- because the freedom for the formerly colonized people to live a self-determined life under the conditions of a free-market economy doesn’t generate the necessary money-earning opportunities, and certainly doesn’t include the right to leave your home country in order to search for a job in the centres of global capitalism merely because you can’t survive at home,
- because since the outbreak of the financial system crisis in 2007 migratory workers and unskilled seasonal labourers for harvesting jobs are required even less,
- because the World Bank and the International Monetary Fund (IMF) insist that the African states shouldn’t waste money on subsidising staple foods should they wish to continue receiving bank loans from the West,
- because it isn’t tolerated that the desperate poor in their agony rise against their political leaders or turn to other political powers if these uprisings don’t coincide with the plans of the USA and Europe,
- because the European Union and the USA try to capitalise on the despairing masses in Africa, the Middle East and Central Asia in order to increase their influence in these regions,
- because western governments support insurgents – if necessary – against unwanted governments (Syria, Libya, Lebanon, Iran etc.),
- because western states also contribute to the ethnic and religious partition of whole nations and fund respective wars (Eritrea, Sudan, Somalia) if they consider it necessary,
- because they spy on movements and organizations which disturb or fight their world order, persecute them, torture their members or their members‘ family, shoot them from unmanned aerial vehicles or let them kill by local militia etc. (Yemen, Pakistan, Somalia, Kurdistan…),
- because they equip allied regimes with weaponry for armed battles (Saudi-Arabia, Qatar, United Arab Emirates, Jordan, Turkey etc.), back dictatorships, monarchies and theocracies in return for contributions to their imperialistic world order, in consequence making these states dependent on them,
- because they openly back coups against anti-western governments, whether or not these were elected democratically, and instead openly support military dictatorship (Algeria) or at least tolerate it and equip it with arms (Egypt),
- because with economic embargoes and blockades they seek to even worsen the living conditions of the people in enemy states in order to provoke hunger riots against the local governments,
- because the USA and the EU member states proceed to open warfare, arrange mercenary troops or even bomb, invade or conquer (Afghanistan, Iraq, Mali etc.) should peaceful diplomacy not be fruitful, naturally always solely to „protect civilians“,
- because every hope of these „protected“, these „innocent civilians“, these „unprotected men, women and children“ to reach the glorious safe haven of a German, French or British slum legally and safely on European ferries or by air – where they can clean the toilets of fast-food chains or wipe the corridors of German administrative buildings, prostitute themselves in brothels to the wretched souls of the Free West or inhale the poisonous pesticides on the plantations of Spanish agrarian giants – is destroyed by the drastic border protection policy of the European Union.
Given that they have to fear legal prosecution it is also consequent that Italian fishermen and passing container ships or holiday cruise liners don’t save the drowning refugees, don’t react to their cries of help. It is, in the same way, consequent, that – even before the last corpses have been brought up from the ship wreck and buried – the refugees who survived are being prosecuted in Rome and are facing high fines, so that anybody who lives on the other side of the Mediterranean Sea and is thinking about migrating to Europe will be discouraged to do so.
Even if no one admits it: The dead refugees are an inevitable result of the economic interests of the leading capitalist nations and their companies! They are among the usual civilian casualties of European imperialism!
The deceased are neither the victims of „ruthless traffickers“, as Hans-Peter Friedrich, the German interior minister from the Christian Social Union party (CSU), wants the public to believe. They are the result of a very efficient security policy at the external frontier of the European Union, a policy, that Mr Friedrich thoroughly supports.
Nor are the dead the victims of a public half-heartedness and ignorance towards the suffering of the refugees, as the media and the German president Mr Gauck suggest, but the result of a successful economic, politic and military strategy of a nation that Mr Gauck is proud to represent.
The dead are also no indication of the „failure of the European refugee policy“, as for example German refugee organizations in their extreme state loyalty claim. On the contrary, they actually show how efficient the external EU-borders are closed off.
Even if no one admits it: The shock and grief, that are currently being displayed in public, do not help the deceased. How could they anyway? Shame and sorrow are meant for the good reputation of the European Union, its political leaders and its values. In the face of a higher-than-average number of refugee victims the media and the political establishment are worried about the credibility of the EU and its values, in the name of which the EU member states fight wars from Afghanistan to Mali.