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Tunesien: Verhaftungen und Repressionen gegen den und Widerstände vom Gewerkschaftsdachverband UGTT, u.a. mit Streiks

Dossier

Tunisia’s public sector workers launch general strike (IndustriALL)Die UGTT (Allgemeine Tunesische Arbeiter-Union) setzt die ins Autoritäre abdriftende Regierung unter Druck – Verhaftung in ihren Reihen infolge „Missbrauchs des Streikrechts“ – Derzeit dreitägiger Streik bei den Autobahnbetreibergesellschaften in Reaktion darauf – UGTT bereitet weitere Aktionen vor, u.a. infolge eines mit dem IWF geschlossenen Abkommens…“ Artikel von Bernard Schmid vom 13.2.2023 – wir danken! Siehe nun die Aktualisierung und weitere Informationen:

  • Nach Verhaftungswelle von Gewerkschaftsfunktionären folgt in Tunesien eine Protestwelle für Gewerkschaftsrechte, aber auch gegen die Verschlechterung der Lebensbedingungen New
    • Sfax: Schluss mit Angriffen auf Gewerkschaften!
      Am Samstag den 16. März fanden in acht tunesischen Städten Proteste gegen Präsident Said und seine Politik statt, weil der massiv demokratische Rechte unterdrückt, unter anderem gegenüber den Gewerkschaften des Landes. Aufgerufen zum Protest hatte der Gewerkschaftsdachverband UGTT. Die Demonstrationen sind eine Reaktion auf die kürzlichen Festnahme von Gewerkschaftern, Richtern und Journalisten. Tausende waren in der südtunesischen Stadt Sfax auf der Straße und riefen „Said ist ein Feigling, die Gewerkschaft lässt sich nicht einschüchtern!“. Weitere Demos gab es in Jendouba, Tozeur, Monastir, Bizerte, Kasserine, Kairouan und Nabeul. Weitere Demonstrationen sollen folgen.“ Kurzmeldung vom 21.03.2024 in den Rote-Fahne-News externer Link
    • Tunesiens Gewerkschaft bereitet sich auf Eskalation mit dem Präsidenten vor
      Tausende Tunesier protestierten vor dem Büro des Premierministers gegen die Verschlechterung der Lebensbedingungen und folgten damit einem Aufruf der Gewerkschaft.
      Der Generalsekretär der Allgemeinen Gewerkschaft Tunesiens (UGTT), Noureddine Taboubi, erklärte am Samstag, die Regierung habe sich geweigert, die mit der UGTT unterzeichneten Vereinbarungen umzusetzen, und begrüßte die Entscheidung von Präsident Kais Saied, der prekären Beschäftigung und allen Formen der Untervergabe von Arbeit ein Ende zu setzen. Auf einer Versammlung vor dem Premierministerium auf dem Kasbah-Platz sagte Taboubi, dass „der soziale Dialog mit der Regierung blockiert worden ist“. Die Regierung hat die Vereinbarung vom 6. Februar 2021, die 46 sektorale Vereinbarungen umfasst, nicht in Kraft gesetzt und behauptet, dass sie mit Schwierigkeiten der öffentlichen Finanzen zu kämpfen hat“. „Die Regierung behauptet, ihre Schulden im letzten Jahr getilgt zu haben, aber dies geschah auf Kosten von Grundnahrungsmitteln, die auf dem nationalen Markt fehlten und nicht in ausreichender Menge importiert wurden“, erklärte er. Taboubi fügte hinzu, dass die mit der Regierung unterzeichnete Vereinbarung über die Erhöhung der Löhne und Gehälter trotz der Verschlechterung der Kaufkraft der Arbeitnehmer und der hohen Inflationsrate (7,3 Prozent im Januar 2024) nicht umgesetzt worden sei.
      Andererseits erinnerte er daran, dass „die UGTT seit der tunesischen Revolution gegen jede Form von prekärer Arbeit gekämpft hat, was dazu geführt hat, dass die Situation der Bauarbeiter, Lehrer und Vertretungslehrer geklärt wurde“. Taboubi forderte die Aufhebung des Dekrets 54, um die Meinungs- und Redefreiheit zu gewährleisten und die Verhandlungen wieder aufzunehmen, die einen wichtigen Schritt zum Aufbau Tunesiens darstellen.
      Tausende Tunesier protestierten vor dem Büro des Premierministers gegen die Verschlechterung der Lebensbedingungen und folgten damit einem Aufruf der Gewerkschaft. Die wirtschaftliche und soziale Lage verschlechtert sich weiter“, sagte Taboubi in einer Rede vor den Demonstranten. Taboubi sagte, die Fähigkeit des Staates, seine Auslandsschulden bis 2023 zu bedienen, sei „zum Nachteil des Volkes und hat zu Engpässen bei grundlegenden Produkten geführt“. Er kritisierte die Umsetzung von „Diktaten des Internationalen Währungsfonds“ (IWF) auf Kosten der einfachen Tunesier.
      Am 9. und 10. März wird die UGTT einen Verwaltungsausschuss bilden, der die allgemeine Lage im Land untersuchen und die Fälle von Gewerkschaftern, die vor tunesischen Gerichten verfolgt werden, überwachen soll.
      Der tunesische Politikwissenschaftler Mohamed Larbi Ayari erklärte, dass die Führung der UGTT „in die politische Situation investieren will“, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Gewerkschaft verstanden hat, dass „sich eine politische Front gegen die Tendenzen von Saied zu bilden beginnt“, so dass die Gewerkschaft versucht, sich ihr anzuschließen. Ayari erklärte gegenüber der Arabischen Wochenzeitung weiter: „Die Gewerkschaft setzt nicht so sehr auf ihr eigenes Gewicht, sondern auf die Entwicklungen auf der politischen Bühne und tritt nun auf dem Kasbah-Platz auf, um zu zeigen, dass sie in der Lage ist, den Trend umzukehren.“
      Die tunesische Wirtschaft ist mit einem Wachstum von 0,4 Prozent und einer Arbeitslosenquote von 16,4 Prozent im Jahr 2023 nach Angaben des Nationalen Instituts für Statistik zum Stillstand gekommen
      …“ engl. Beitrag vom 03.03.2024 in The Arab Weekly externer Link (maschinenübersetzt)
    • Tunesischer Richter lässt Gewerkschaftsführer nach eintägiger Festnahme frei
      Ein Richter hat am Freitag einen Spitzenfunktionär der größten tunesischen Gewerkschaft freigelassen, einen Tag nach seiner Inhaftierung, wie die Gewerkschaft mitteilte.Die Allgemeine Gewerkschaft Tunesiens (UGTT) verurteilte die Inhaftierung von Tahar Mezzi am Donnerstag als politisch motivierten Versuch, die Gewerkschaftsrechte zu untergraben. Mezzi ist stellvertretender Generalsekretär und Leiter des Privatsektors der Gewerkschaft. Er wurde zwei Tage vor einer großen Protestaktion festgenommen, zu der die UGTT aufgerufen hatte, um gegen die „Verletzung der Gewerkschaftsrechte und die Störung des sozialen Dialogs“ zu protestieren.
      Ein Justizbeamter sagte, der Richter habe auch ein Reiseverbot gegen Mezzi verhängt. Die UGTT gab nicht an, aus welchen Gründen Mezzi inhaftiert wurde. Die tunesischen Behörden waren für eine Stellungnahme nicht unmittelbar erreichbar.
      Seit letztem Jahr hat die Polizei mindestens vier hochrangige Gewerkschaftsfunktionäre verhaftet.
      Die UGTT, die rund 1 Million Mitglieder hat, war nach der Verhaftung von Aktivisten, Geschäftsleuten und Journalisten eine kritische Stimme, seit Präsident Kais Saied 2021 die meisten Befugnisse an sich riss, als er das Parlament auflöste – ein Schritt, den die Opposition als Staatsstreich bezeichnete.
      Doch die Stimme der Gewerkschaft, die weithin als größte Kraft im Land angesehen wurde, ist seit der Verhaftung einiger Funktionäre im letzten Jahr deutlich schwächer geworden. Einige politische Parteien und Aktivisten werfen der UGTT Untätigkeit, Rückzug aus ihrer Rolle und Schweigen vor, anstatt sich dem autoritären Vorgehen Saieds entgegenzustellen. Der Protest am Samstag wird der erste seit Monaten sein.“ engl. Reuters-Meldung vom 1.3.2024 externer Link (maschinenübersetzt), siehe auch:
    • Tunesien lässt inmitten politischer Spannungen Gewerkschaftsfunktionär Tahar Mezzi frei
      Tunesien hat einen hochrangigen Gewerkschaftsfunktionär freigelassen und damit inmitten wachsender Spannungen eine Diskussion über politische Freiheit und Gewerkschaftsrechte ausgelöst.
      In einer bedeutenden Entwicklung hat Tunesien einen Spitzenfunktionär der größten Gewerkschaft des Landes, der Tunesischen Allgemeinen Gewerkschaft (UGTT), freigelassen, einen Tag nachdem seine Inhaftierung eine Kontroverse und den Verdacht auf politische Motive ausgelöst hatte. Tahar Mezzi, der stellvertretende Generalsekretär der UGTT und Leiter des Privatsektors, wurde auf richterliche Anordnung hin freigelassen, gegen ihn wurde zudem ein Reiseverbot verhängt. Mezzis Verhaftung erfolgte nur wenige Tage vor einer von der UGTT organisierten Großdemonstration gegen die Verletzung von Gewerkschaftsrechten und die Unterdrückung des sozialen Dialogs.
      Die UGTT hatte die Verhaftung Mezzis sofort kritisiert und als einen politisch motivierten Versuch verurteilt, den Einfluss der Gewerkschaft zu schwächen. Die Gewerkschaft, die rund 1 Million Mitglieder hat, war eine zentrale Stimme gegen die Verhaftungen von Aktivisten, Geschäftsleuten und Journalisten nach der Machtübernahme von Präsident Kais Saied im Jahr 2021, die von der Opposition als Staatsstreich bezeichnet wurde. Die Freilassung von Mezzi bedeutet jedoch kein Ende der Herausforderungen, mit denen UGTT-Funktionäre konfrontiert sind, da die Polizei seit letztem Jahr mindestens vier hochrangige Mitglieder festgenommen hat…“ engl. Artikel von Olalekan Adigun vom 29.2.2024 in bnnbreaking.com externer Link (maschinenübersetzt)
    • Starke tunesische Gewerkschaft widersetzt sich dem Präsidenten mit Massenprotesten
      Tausende Mitglieder der mächtigen tunesischen Gewerkschaft UGTT sind am Samstag in acht Städten auf die Straße gegangen, um gegen die Politik von Präsident Kais Saied zu protestieren und ihn zu beschuldigen, grundlegende Freiheiten, einschließlich der Gewerkschaftsrechte, unterdrücken zu wollen.
      Die Proteste in acht Städten markierten eine Eskalation der Konfrontation der Gewerkschaft mit Saied und folgten ihrer Kritik an den jüngsten Verhaftungen mehrerer regierungsfeindlicher Persönlichkeiten, darunter Politiker, ein Journalist, zwei Richter und ein hoher UGTT-Beamter. Die koordinierten Verhaftungen haben Befürchtungen über ein breiteres Vorgehen gegen Andersdenkende geweckt und das UN-Menschenrechtsbüro veranlasst, die sofortige Freilassung der Verhafteten zu fordern.
      Bei den Demonstrationen am Samstag trugen Tausende von Demonstranten in der südlichen Stadt Sfax Nationalflaggen und Transparente mit Slogans wie „Stoppt den Angriff auf die Gewerkschaftsfreiheit“ und „Feiger Saied, die Gewerkschaft hat keine Angst“. Der leitende UGTT-Funktionär Othman Jalouli sagte der Menge, Saieds Regierung wolle „die Stimme der Gewerkschaft zum Schweigen bringen“. Proteste fanden auch in den Städten Jendouba, Tozeur, Monastir, Bizerte, Kasserine, Kairouan und Nabeul statt. In den kommenden Tagen sind weitere Demonstrationen in anderen Städten geplant, die Anfang nächsten Monats mit einer Kundgebung in der Hauptstadt Tunis abgeschlossen werden sollen.
      Esther Lynch, Bundessekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes, erklärte in ihrer Rede auf der Protestveranstaltung in Sfax, sie sei gekommen, um eine Botschaft der Unterstützung von 45 Millionen europäischen Gewerkschaftern zu übermitteln, und forderte die sofortige Freilassung der inhaftierten Gewerkschaftsfunktionäre.
      Vor der jüngsten Verhaftungswelle hatte die Polizei im vergangenen Monat einen weiteren UGTT-Beamten wegen eines Streiks von Mautstellenbeschäftigten festgenommen und Ermittlungen gegen 14 weitere Funktionäre der Verkehrsgewerkschaft wegen eines anderen Streiks eingeleitet.
      Die UGTT, die mehr als eine Million Mitglieder hat und das Land durch Streiks praktisch zum Stillstand gebracht hat, hat solche Maßnahmen verurteilt und erklärt, die Regierung versuche, die Meinungsfreiheit zu unterdrücken, um von den wirtschaftlichen Problemen des Landes abzulenken
      …“ engl. Artikel von Tarek Amara vom 18.2.2023 in yahoo externer Link (maschinenübersetzt)
  • Tunesien: Tausende folgen dem Aufruf der Gewerkschaft UGTT und demonstrieren am 4. März gegen Präsident Saied – internationele Gewerkschaftssoli und Petition
    • Tausende demonstrieren gegen Präsident Saied
      „Als Reaktion auf zahlreiche Inhaftierungen Oppositioneller haben in der tunesischen Hauptstadt Tausende Menschen protestiert. Gegnerinnen und Gegner des Präsidenten warnten, er wolle die Demokratie abschaffen. In Tunesien ist es nach einer Welle an Festnahmen von Oppositionellen zur bislang größten Protestkundgebung gegen Präsident Kais Saied gekommen. Tausende Demonstrantinnen und Demonstranten folgten dem Aufruf der Gewerkschaft UGTT, um gegen Saieds politischen Kurs und die sich verschlechternde Lage im Land zu demonstrieren. Die Menschen zogen durch das Zentrum der Hauptstadt Tunis und trugen Transparente mit der Aufschrift „Nein zur Ein-Mann-Herrschaft“ und skandierten „Freiheit! Beendet den Polizeistaat“. „Wir werden weiterhin für die Freiheiten und Rechte eintreten – koste es, was es wolle. Wir haben keine Angst vor Gefängnissen oder Verhaftungen“, rief Gewerkschaftschef Noureddine Taboubi der Menge zu. „Unterdrückung und Tyrannei“ werde es in Tunesien nicht geben. (…) Tunesien wies kürzlich auch die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes ETUC, Esther Lynch, aus. Vor wenigen Tagen wurde zudem einem Mitglied einer spanischen Gewerkschaft die Einreise verweigert. (…) Saieds Streit mit der Gewerkschaft UGTT gilt auch als Hauptgrund dafür, dass das nordafrikanische Land bislang noch immer keine Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) erreicht hat. Tunesiens Führung hofft auf einen Milliardenkredit, um einen Staatsbankrott abwenden zu können. Die vom IWF im Gegenzug geforderten Reformen lehnt der UGTT jedoch ab, da sie für viele ohnehin unter der Wirtschaftskrise leidenden Tunesierinnen und Tunesier wohl sehr schmerzhaft wären. Der angeschlagene Präsident hat derweil einen neuen Sündenbock ausgemacht: Vor anderthalb Wochen warf Saied in einer Rede Migranten aus südlich der Sahara gelegenen afrikanischen Ländern vor, Gewalt und Kriminalität ins Land zu bringen. Es gebe eine „kriminelle Vereinbarung“, Tunesiens demografische Zusammensetzung ändern zu wollen. Das Land drohe ein rein afrikanisches zu werden und seine muslimische und arabische Identität zu verlieren…“ Meldung vom 04.03.2023 bei tagesschau.de externer Link
    • Internationale Solidarität ist kein Verbrechen: Schutz für Gewerkschaften in Tunesien
      Der tunesische Präsident Kais Saied hat Gewerkschafter*innen verhaftet, verklagt und bespitzelt, um gegen die legitimen friedlichen Forderungen der UGTT, Friedensnobelpreisträger von 2015, vorzugehen. Am 18. Februar erklärte Präsident Kais Saied, EGB-Generalsekretärin Esther Lynch habe gegen das Gesetz verstoßen und durch ihrer Teilnahme an einer UGTT-Protestveranstaltung die Sicherheit des Landes gefährdet. Daraufhin wies er sie aus Tunesien aus. In den letzten Tagen wurden weitere Gewerkschafter*innen an der Einreise nach Tunesien gehindert, um an einer Demonstration im Zeichen internationaler Gewerkschaftssolidarität teilzunehmen. All dies geschieht, während die EU die tunesische Regierung weiterhin unterstützt. Arbeiter*innensolidarität ist nicht verhandelbar. Wird eine*r von uns verletzt, sind wir alle betroffen. (…) Unterstützen Sie die UGTT in ihrem Kampf gegen die Unterdrückung in Tunesien! Wenn wir tatenlos dabei zusehen was in Tunesien geschieht – wer kann dann sicher sein, dass es nicht auch hier geschieht?Petition von European Trade Union Confederation externer Link
    • IUL unterstützt die tunesischen Gewerkschaften bei der Verteidigung der Gewerkschaftsrechte
      Tausende von Gewerkschaftern, darunter auch Mitglieder der IUL-Mitgliedsorganisation FGA-UGTT, haben heute in Tunis gegen die zunehmenden Repressionen des tunesischen Präsidenten Kais Saied demonstriert. Internationalen Gewerkschaftsvertretern, die zur Teilnahme an der Demonstration nach Tunis gereist waren, wurde gestern mitgeteilt, dass sie nicht in das Land einreisen dürften.
      – Am 25. Juli 2021 hatte Saied die Regierung entlassen, das Parlament suspendiert und eine Reihe von Befugnissen an sich gerissen, bevor er per Dekret regierte. Im Februar 2022 übernahm Saied die Kontrolle über die unabhängige Justiz und richtete den Vorläufigen Obersten Justizrat ein.
      – Am 31. Januar 2023 wurde Anis Al-Kaabi, Generalsekretär der tunesischen Straßenarbeitergewerkschaft, wegen eines Streiks der Mautstellenarbeiter verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen, dem Staat finanzielle Verluste zugefügt zu haben.
      – Nach seiner Verhaftung gab der Gewerkschaftsrat eine Erklärung ab, in der er seine Inhaftierung auf das Schärfste verurteilte und hinzufügte, dass die Schikanen und die Vorladungen mehrerer UGTT-Führer und Gewerkschaftsmitglieder durch die Polizei die Gewerkschaftsarbeit ernsthaft untergraben, gegen grundlegende Gewerkschaftsrechte verstoßen und die von Tunesien ratifizierten internationalen Übereinkommen sowie die tunesische Verfassung verletzen.
      – Am 19. Februar wurde die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes, Esther Lynch, aus Tunesien abgeschoben, nachdem sie an einer von der UGTT organisierten Demonstration in Sfax teilgenommen hatte, um gegen das harte Vorgehen der Regierung gegen die Gewerkschaften und die Unterdrückung von Rechten zu protestieren
      – Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Volker Turk, hat die „Eskalation der Unterdrückung“ in Tunesien verurteilt
      – Die IUL hat der UGTT und der FGA-UGTT in einem Schreiben ihre volle Unterstützung für die Kampagne zur Freilassung von Anis Al-Kaabi und für ihren Kampf zur Verteidigung der Gewerkschaftsrechte zugesagt.“ engl. Meldung der IUF vom 04.03.2023 externer Link (Global Union für Gastro und Nahrungsmittel, maschinenübersetzt)
  • Tunesien: Verhaftungswelle und Ausweisung der Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB) – der Präsident erklärt das Ende von lustig
    „Wir berichteten erst kürzlich über die jüngste Verschärfung der Haltung des, seit dem 25. Juli 2021 autoritär regierenden,  tunesischen Staatspräsidenten Kaïs Saïed und seiner Exekutive gegenüber dem einflussreichen Gewerkschaftsdachverband Tunesiens, also gegenüber der UGTT. Daneben verhärtete sich auch allgemein das repressive Klima in dem nordafrikanischen Land. Rund um das vorvergangene Wochenende (das des 11./12. Februar d.J.) kam es zu einer Verhaftungswelle. Festgenommen wurden unter anderem Führungsfiguren der islamistisch inspirierten Oppositionspartei En-Nahdha (in Gestalt von Noureddine Bhiri), der sozialdemokratisch ausgerichteten Oppositionspartei Ettatakol – letztere regierte von 2011 bis 2014 mit, im Rahmen der damaligen, « Troika » genannten Dreierkoalition mit En-Nahdha und der Partei von Ex-Präsident Moncef Marzouki -, des privaten Rundfunksenders Radio Mosaïque sowie ein einflussreicher Geschäftsmann. Schon zuvor war am 1 Februar ein leitender Gewerkschaftsfunktionär, vor dem Hintergrund eines Streiks bei den tunesischen Autobahnbetreibern und Mautstationen vom 30. und 31. Januar sowie einer Brandrede von Staatspräsident Saïed am Abend des 31.01.d.J. zum «politischen Missbrauch des Streikrechts», festgenommen und ab dem folgenden Tag in U-Haft genommen worden ; darum ging es in unserem oben zitierten Bericht vom vorigen Montag.
    In den letzten Tagen spitzte sich die Situation diesbezüglich zu.
    Am vorigen Samstag, den 18. Februar 23 fanden auf regionaler Ebene in vielen tunesischen Regionalhauptstädten Mobilisierungen statt, zu denen die UGTT die Lohnabhängigen aufgerufen hatte, mehrheitlich im ärmeren Süden des Landes. Auch in der osttunesischen Küstenstadt Sfax fand am vorigen Samstag eine Demonstration dazu statt. An ihr nahm auch die erst im Dezember 2022 frisch ins Amt einer Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB) – übrigens als erste Frau auf diesem Posten – eingetretene irische Staatsbürgerin Esther Lynch teil, um den tunesischen Kolleginnen und Kollegen ihre Unterstützung zu überbringen. Und um der Besorgnis des EGB über wachsende repressive Tendenzen auch gegen tunesische Gewerkschaften Ausdruck zu verleihen.
    Wie berechtigt genau diese Sorge ist, zeigte sich noch am selben Tag. Am Samstag Abend wurde Frau Lynch über eine Ausweisungsverfügung informiert: Ihr wurde eine Frist von 24 Stunden gestellt, um das Land zu verlassen, ansonsten drohte ihr die zwangsweise Abschiebung. Diese ordnete Staatspräsident Kaïs Saïed persönlich an, aufgrund ihrer «Einmischung in innere Angelegenheiten Tunesiens».
    Immerhin wurde dadurch die halbe Welt über die Eskalation repressiver wie auch anti-gewerkschaftlicher Tendenzen in Tunesien informiert, und der UGTT-Sprecher Sami Tahri sprach auf dem (ebenfalls durch die Represson tangierten, vgl. oben) Sender Radio Mosaïque öffentlich von einer «Schande für Tunesien». Esther Lynch selbst forderte in einer Reaktion den Schutz von Grund- und Freiheitsrecht und den Respekt der dortigen Gewerkschaften; sie kündigte ferner an, bei den höchsten Stellen der Europäischen Union Beschwerde gegen ihre Ausweisung einzulegen (der EGB mit Sitz in Brüssel ist bei der EU als Verhandlungspartner von deren Institutionen sowie des europäischen Arbeitgeberverbands BusinessEurope [früher UNICE] angesiedelt).
    Nun halten wir unsererseits die Europäische Union nicht notwendig für den wichtigsten und engsten Verbündeten der Lohnabhängigenklasse weltweit, teilen jedoch ansonsten den Protest vollauf.
    Unterdessen wird in Tunesien am 23. Februar, also am Donnerstag dieser Woche, der Strafprozess gegen den oben erwähnten, festgenommenen Gewerkschafter, Anis Kaabi, beginnen. Und am 11. März 23 plant die UGTT als vorläufigen Höhepunkt der Mobilisierung gegen die Politik von Staatspräsident Saïd einen größeren Protestzug, dieses Mal in der Hauptstadt Tunis.“ Artikel von Bernard Schmid vom 20.2.2023 – wir danken!

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Tunesien: Verhaftungen und Repressionen gegen den
und Widerstände vom Gewerkschaftsdachverband UGTT, u.a. mit Streiks

Die UGTT (Gewerkschaftsdachverband) setzt die ins Autoritäre abdriftende Regierung unter Druck – Verhaftung in ihren Reihen infolge „Missbrauchs des Streikrechts“ – Derzeit dreitägiger Streik bei den Autobahnbetreibergesellschaften in Reaktion darauf – UGTT bereitet weitere Aktionen vor, u.a. infolge eines mit dem IWF geschlossenen Abkommens

Einen „Schatten der Diktatur“ machte die Menschenrechtsorganisation Amnesty international bereits im Juni 2022 (https://www.amnesty.fr/actualites/tunisie-derive-autoritaire-du-president-kais-saied-la-chronique externer Link) über Tunesien aus. Das war knapp ein Jahr, nachdem der im Oktober 2019 gewählte Staatspräsident Kaïs Saïed mittels einer Art institutionellen Putschs vom 25. Juli 2021 das Parlament suspendierte und viele Machtbefugnisse auf sich zog (https://jungle.world/artikel/2021/33/warten-auf-die-roadmap externer Link und https://www.telepolis.de/features/Neuer-Autoritarismus-Exempel-Tunesien-6330893.html externer Link); jedoch noch vor der Abstimmungsfarce vom 25. Juli 2022. Bei diesem Referendum pünktlich zum ersten Jahrestag des o.g. institutionellen Putschs (https://www.telepolis.de/features/Tunesien-Kleine-Diktatur-gefaellig-7190341.html externer Link) ließ Staatspräsident Saïed nun auch offiziell die neue Machtkonzentration in seinen Händen per Abstimmung absegnen.

Oppositionsbestrebungen dagegen hat es von Anfang an gegeben; zunächst jedoch noch schwach. Denn die innenpolitischen Widerstände blieben in den ersten Wochen nach dem 25. Juli 2021 zunächst noch zaghaft: Durch seinen von oben gesteuerten Wandel der staatlichen Institutionen setzte Staatschef Saïd zunächst das Parlament ab, das durch die seit dem Regimewechsel von 2011 (infolge des Sturzes des 23 Jahre lang autoritär regierenden Präsidenten Zine el-Abidine BEN ‘ALI durch Massenproteste) regierenden Parteien dominiert wurde. Letztere regierten in wechselnden Besetzungen, stets dabei war jedoch die islamistisch inspirierte Partei En-Nahdha („Renaissance“, „Wiedergeburt“), die von 2011 bis 2014 zunächst die stärkste Partei bildete und in einer Drei-Parteien-Koalition den Regierungschef stellte, von 2014 bis 2019 als zweistärkste Partei in einer anderen Koalition mitregierte und seit den Parlamentswahlen von 2019 erneut die stärkste Kraft im Parlament bildete – allerdings mit nur noch rund 19 Prozent der Stimmen, also gut halb so viel wie zu Beginn desselben Jahrzehnts. Aufgrund ihrer jämmerlichen Bilanz, insbesondere auf sozio-ökonomischem Gebiet, aber auch auf den Feldern von Korruption und Machtmissbrauch, weinte kaum jemand den vormals regierenden Parteien nach; zumal diese im 2019 gewählten, zersplitterten Parlament, in welchem es keine klaren Mehrheitsverhältnisse gab, das Spektakel eines unerfreulichen Gerangels und Durchwurschtelns lieferten.

Die mit Abstand stärkste organisierte gesellschaftliche Kraft in Tunesien bildet der Gewerkschaftsdachverband UGTT mit über eine halben Million Mitgliedern (offiziell 750.000) in einem Land mit knapp unter 12 Millionen Einwohner/inne/n.

Aus den soeben genannten Gründen nahm auch die UGTT anfänglich eine eher abwartende Haltung ein – mit den im Parlament relativ dominierenden islamistischen Parteien, also En-Nahdha (stärkste Einzelfraktion, eher konservativ) und der radikaler auftretenden „Al-Karama“ („Die Würde“, rund sieben Prozent der Stimmen, zwischen salafistisch und islamo-nationalistisch orientiert), konnte die UGTT sich jedenfalls nicht verbünden. Im Jahr 2012 etwa hatten Anhänger von En-Nahdha aus Anlass eines Streiks u.a. bei der Müllabfuhr und in öffentlichen Diensten vor UGTT-Büros gegen die Gewerkschaften mobilisiert. Es erschien insgesamt schwierig, direkt oder indirekt als Verteidiger des 2021 aufgelösten bzw. „beurlaubten“ Parlaments zu erscheinen, zumal die sich dort durchwurschtelnden Parteien für die Regierungsbilanz der Jahre seit 2011 geradestehen mussten. Die UGTT zog daraus zunächst den Schluss, dass sie Saïeds Machtübernahme zu Lasten des Parlaments in einer ersten Zeit nicht direkt und explizit kritisierte; stattdessen forderte sie jedoch insistierend die Ernennung eines neuen Regierungschefs oder einer neuen Regierungschefs und erklärte, (nur) mit diesem oder dieser über die künftige Marschrichtung diskutieren zu wollen, da es an einem Premierminister oder einer Premierministerin liege, die Amtsgeschäfte zu führen und die Richtlinien der Politik zu bestimmen, wenn auch unter Aufsicht eines über ihm/r stehenden Staatspräsidenten, der die grundlegenden Orientierungen festlegt.

Kaïes Saïed regierte zunächst mehrere Monate lang unmittelbar, ohne Premierminister/in, ernannte dann aber im Oktober 2021 doch noch eine Regierungschefin in Gestalt der seither als Premierministerin amtierenden, früheren Hochschullehrerin für Ingenieurswissenschaften, Najla Bouden.

Seit dem Jahresende 2022 sind die Beziehungen zwischen der UGTT und der Exekutive stark angespannt. Damals bahnte sich der Abschluss eines oder mehreren Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) an, um Tunesien den Weg zur Freigabe eines neuen Kredits über 1,9 Milliarden Dollar zu ebnen. Darin sollte die tunesische Staatsmacht u.a. die Aufhebung von Subventionen der öffentlichen Hand auf Nahrungsmittel/Grundbedarfsgüter sowie das „Abspecken“ des Personals in öffentlichen Unternehmen garantieren. Im Vorfeld der Parlamentswahlen vom 17. Dezember 2022 sowie (zweite Runde) 29. Januar 2023 schlug die UGTT deswegen lautere Töne an (https://www.labournet.de/internationales/tunesien/gewerkschaften-tunesien/kaum-beachtete-wahlen-in-tunesien-trotz-inflation-geheimvereinbarungen-mit-dem-iwf-und-protesten-des-gewerkschaftsverbands-ugtt/ sowie https://www.rfi.fr/fr/afrique/20221203-tunisie-le-principal-syndicat-l-ugtt-maintient-la-pression-contre-le-gouvernement externer Link) und kritisierte dabei zugleich die durch Staatspräsident Saïd anberaumten Pseudo-Wahlen, von denen sich im Vorfeld abzeichnete, dass sie so gut wie kein Schwein interessieren würden. Was sich im Übrigen vollauf bestätigte: Die Stimmbeteiligung insgesamt wurde im ersten Wahlgang lt. offiziellen Zahlen mit 11,22 % angegeben und im zweiten Durchgang dann mit 11,4 %. Doch so viel! (Vgl. https://fr.wikipedia.org/wiki/%C3%89lections_l%C3%A9gislatives_tunisiennes_de_2022-2023 externer Link)

Dabei blieb es nicht. Wäre ja auch langweilig.

Die Sache mit dem IWF-Abkommen scheint sich in den letzten Tagen und Wochen wieder beschleunigt zu haben. Zunächst hatte es ab Dezember v.J. so ausgesehen, als sei dieses Vorhaben etwas weiter in die Ferne gerückt, da die Wahlbeteiligung – nur gut ein Zehntel der Stimmberechtigten – auf eine geringe Legitimationsgrundlage der Regierenden und dadurch auf möglicherweise eher schwache Durchsetzungschancen schließen ließ. Die Verhandlungen wurden vorübergehend eingestellt. Die Note Tunesiens bei der Rating-Agentur Moody’s wurde daraufhin auf „Caa2 mit negativer Perspektive“ heruntergestuft; das ist kurz vor „Ramsch“status…

Doch am 09. Februar 23 beschloss das Kabinett, eine „Reform“ der öffentlichen Unternehmen durchzusetzen – das beinhaltet u.a. Personalabbau, auch wenn es vordergründig zunächst um bessere Leitungsmethoden unter Hinzuziehung von Experten (und Managern aus dem privaten Wirtschaftssektor) geht -; und trotz einiger Verwirrung scheint sich nun doch noch ein Abkommen anzubahnen. Sofern es darüber nicht noch zum Konflikt zwischen Premierministerin Bouden und Präsident Saïed kommen sollte.

Vgl.:

Tunesien steht derzeit weltweit an zwölfter Stelle unter den beim IWF am stärksten verschuldeten Staaten (https://www.ilboursa.com/marches/la-tunisie-12eme-pays-le-plus-endette-aupres-du-fmi-avec-un-encours-de-2-milliards-de-dollars_39027 externer Link)

Die UGTT reagierte negativ auf diese Vorgänge und warnte u.a. vor einer „Rückkehr des Kolonialismus“, unter Anspielung auf die Beteiligung einer französischen Expertendelegation zur Analyse der tunesischen Ökonomie – Frankreich erklärte (https://www.businessnews.com.tn/andre-parant–la-france-soutient-la-tunisie-dans-ses-negociations-avec-le-fmi,520,126766,3 externer Link), Tunesien in den Verhandlungen mit dem IWF zu „unterstützen“ -, was zwar in Bezug auf die Rolle des internationalen Kapitals verkürzend wirkt, jedoch einen politisch wunden Punkt berührt. Das nordafrikanische Land war in Vergangenheit zwar nie eine unmittelbare Kolonie, jedoch französisches Protektorat bis 1956. Die UGTT bildete dabei in den 1940er und 50er ein Rückgrat der antikolonialen Nationalbewegung und trieb dabei die politischen Parteien vor sich her – im Unterschied zu vielen anderen Staaten der Region, wo die wichtigsten Gewerkschaften eher als eine Art Ableger politischer Parteien (vor oder nach ihrer Übernahme staatlicher Machtfunktionen) gegründet wurden. Bspw. in Algerien, wo die Gewerkschafsorganisation UGTA zu Anfang 1956 als verlängerter Arm der „Nationalen Befreiungsfront“ (FLN) – damals eine Untergrundorganisation im antikolonialen Kampf, doch in den Jahren nach der Unabhängigkeit 1962 dann Staatspartei – an den Arbeitsstätten gegründet wurde. Was die UGTT betrifft, wurde ihr damaliger Anführer Farhat Hached vor diesem Hintergrund 1952 ermordet. (Vgl., auch zur französischen Rolle dabei: https://histoirecoloniale.net/assassinat-de-Farhat-Hached-vers.html externer Link) Dadurch wurde die historische zentrale Rolle der UGTT im Unabhängigkeitskampf auf Dauer, wenn auch mit Blut, festgeschrieben.

Vor diesem Hintergrund versteht die UGTT sich auch als ein Akteur, der einerseits prinzipiell staatstragend auftritt, andererseits aber die politischen Parteien mit seinen Ansprüchen konfrontieren kann und selbst Orientierungen vorgeben darf.

Im Jahr 2013 kam es zur ersten handfesten politischen Krise (https://www.sozonline.de/2013/04/tunesien-im-jahr-2-der-revolution/ externer Link), u.a. im Kontext politischer Morde, die durch Radikalislamisten verübt wurden – unter ihnen die an den Abgeordneten Chokri Belaïd (06. Februar 13) und Mohamed Brahmi (am 25. Juli 13) -, infolge derer die damals durch En-Nahdha angeführte Regierung nach Monaten intensiver Proteste gestürzt wurde. Die zwischen einem ideologisch-kompromisslosen und einem realpolitisch agierenden Flügel gespaltene, islamistisch inspirierte Partei musste sich daraufhin Kompromissen beugen und an vielen Knackpunkten klein beigeben, u.a. durch Akzeptieren der 2014 verabschiedeten Verfassung, die, anders als durch En-Nahdha gewünscht, keine Bezüge zur Scharia enthält. (https://www.sozonline.de/2014/03/verfassungsreferendum-in-tunesien/ externer Link)

In diesem Zuge gründete die UGTT damals ein „Quartett“, also eine Vierer-Allianz, die die innenpolitischen Kompromisse einfädelte, welche zum Abtritt der Partei En-Nahdha von der Macht – diese wurde zunächst an eine Technokratenregierung abgegeben; infolge der Wahlen von Ende 2014 wurde eine neue Regierungskoalition unter Anführung der bürgerlichen, inzwischen implodierten und verschwundenen Partei Nidaa Tounès („Appell Tunesiens“) mit En-Nahdha als Juniorpartner gebildet – und der Annahme einer neuen Verfassung führten.

Auch im aktuellen Kontext füllte die UGTT diese Strategie erneut mit Leben. Wiederum bildete sie ein „Quartett“. Im Unterschied zur Situation von 2013 nahm der Arbeitgeberverband UTICA, welcher 2013 zu den Mitgliedern des „Quartetts“ zählte (neben der UGTT, der Liga für Menschenrechte (LTDH) und der tunesischen Anwälte- und Anwältinnen-Kammer) dieses Mal nicht daran teil, sondern schlug ein Angebot dazu aus. Nach der Ablehnung des Arbeitgeberverbands wurde das neue „Quartett“ dieses Mal mit teilweise anderen Akteure gegründet – dieses Mal nehmen neben der UGTT wieder die Anwaltskammer und die Menschenrechtsliga LDTH teil, und daneben die (eher gewerkschaftsnahe) Nichtregierungsorganisation „Forum für soziale und demokratische Rechte“ FTDES.

Bislang kam das „Quartett“ von 2023 allerdings noch nicht so richtig vom Fleck mit seinen Initiativen. (Vgl.: https://www.jeuneafrique.com/1413828/politique/lugtt-lance-un-nouveau-quartet-kais-saied-riposte/ externer Link; https://www.jeuneafrique.com/1416958/politique/en-tunisie-un-quartet-qui-fait-pschitt/ externer Link und https://www.lefigaro.fr/flash-actu/tunisie-lancement-d-une-initiative-pour-sauver-le-pays-par-un-nouveau-quartette-20230127 externer Link)

Am 14. Januar dieses Jahres fanden Oppositionsdemonstrationen aus Anlass des zwölften Jahrestags der Flucht von Ex-Diktator Ben ‘Ali außer Landes (am Nachmittag des 14. Januar 2011) statt. Seit dem Umbruch von 2011 war dieser Tag innenpolitisch stets als wichtiges Gedenkdatum behandelt worden; Staatspräsident Kaïs Saïed will ihm jedoch erklärtermaßen keine Bedeutung beimessen, sondern allein des 17. Dezember als wichtiges Datum gedenken, also dem Jahrestag der Selbstverbrennung des jungen prekären Gemüseverkäufers Mohamed Bouazizi in der tunesischen Stadt Sizi Bouzid (https://lepetitjournal.com/tunis/actualites/17-decembre-2010-limmolation-qui-declencha-le-printemps-arabe-294687 externer Link), die die Welle von Massenprotesten und Revolten in den arabischsprachigen Ländern ungefähr ab dem Jahreswechsel 2010/11 auslöste.

Am diesjährigen 14. Januar fanden Straßenproteste auf Aufruf von Oppositionsparteien und NGOs hin statt. Auch fand eine Sitzkundgebung vor dem Sitz der Journalist/inn/engewerkschaft gegen die Angriffe auf die Meinungsfreiheit infolge des „Dekrets Nummer 54“ vom Herbst 2022 statt. (https://kapitalis.com/tunisie/2023/01/14/tunisie-un-14-janvier-marque-par-des-manifestations-contre-le-pouvoir-en-place/ externer Link) Doch der Gewerkschaftsdachverband UGTT als solcher blieb dieses Mal außen vor und verhält sich zunächst eher abwartend. Doch parallel dazu rief er im Januar zu Streikbewegungen in den öffentlichen Diensten auf. (Vgl. https://www.jeuneafrique.com/1410729/politique/face-a-kais-saied-a-quoi-joue-lugtt/ externer Link und https://www.aa.com.tr/fr/afrique/tunisie-lugtt-recommande-de-d%C3%A9cr%C3%A9ter-une-gr%C3%A8ve-g%C3%A9n%C3%A9rale-dans-la-fonction-publique/2781061 externer Link)

Ein im Transportsektor im Januar 23 vorgesehener Streik wurde jedoch auf März d.J. verschoben. (https://kapitalis.com/tunisie/2023/01/25/tunisie-la-greve-des-transports-reportee-a-mars-2023/ externer Link und https://www.tunisienumerique.com/daily-brief-national-du-25-janvier-2023-report-de-la-greve-du-transport-aux-15-et-16-mars-2023/ externer Link)

In diesem Kontext wurde am Mittwoch, den 1. Februar die Festnahme des Generalsekretärs der Branchengewerkschaft der UGTT bei den Autobahnbetreibern, Anis Kaabi, bekannt gegeben. Bei den Betreibergesellschaften und besonders an ihren Mautstatione hatte am 30. und am 31. Januar d.J. ein Streik der Beschäftigten, überwiegend zu Lohnfragen, stattgefunden. Am Abend des 31. Januar hatte Staatspräsident Kaïs SaÏed öffentlich eine „politische Instrumentalisierung des Streikrechts“ angeprangert. Zugleich hatte es in den letzten Wochen mehrere Vorladungen von Gewerkschaftsfunktionäre zu Justizvernehmungen aus diversen Anlässen gegeben.

Die UGTT forderte die „sofortige Freilassung“ ihres Mitglieds. Kaabi wurde jedoch vom Fleck weg in U-Haft genommen.

Vgl.

Die Angestellten der wichtigsten Autobahngesellschaft sind derzeit, vom gestrigen 12. bis zum morgigen 14. Februar d.J., daraufhim zum Streik aufgerufen. (https://kapitalis.com/tunisie/2023/02/11/affaire-kaabi-les-agents-de-la-ste-tunisie-autoroute-annoncent-une-greve-de-3-jours/ externer Link)

Die UGTT erhielt zwischenzeitlich die Unterstützung von 65 Nichtregierungsorganisationen, die in einer gemeinsamen Erklärung vor Angriffen auf die Grund- und Freiheitsrechte warnen und eine gemeinsame Kampagne zum Thema starteten. (https://www.voaafrique.com/a/la-centrale-syndicale-ugtt-obtient-le-soutien-total-de-65-ong-tunisiennes/6955352.html externer Link und https://www.tunisienumerique.com/violation-des-libertes-une-large-campagne-de-solidarite-avec-lugtt/ externer Link)

Zurück zur UGTT: Unterdessen ruft ihr Dachverband die Lohnabhängigen für den 18. Februar, also kommenden Samstag, zu Protesten in den einzelnen Bezirken des Landes auf. (https://www.tunisie-tribune.com/2023/02/08/lugtt-lance-un-appel-a-la-mobilisation-generale-dans-divers-gouvernorats/ externer Link)

Fortsetzung folgt garantiert…

Artikel von Bernard Schmid vom 13.2.2023 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=208836
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