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Generalstreik-Tag in Tunesien
Artikel von Bernard Schmid vom 8.2.2013
Heftige Reaktionen auf den politischen Mord an dem Anwalt und Linkspolitiker Chokri Belaïd – UGTT rief zum „friedlichen Generalstreik“ auf – Tausende von Menschen beim Staatsbegräbnis für Belaïd – Ein Polizist getötet und ein weiterer im Koma – Premierminister kündigt Auflösung der Regierung an, doch seine eigene islamistische Partei widersetzt sich dem Vorhaben
Die Lage in Tunesien beruhigt sich ebenso wenig wie in Ägypten, wo am heutigen Tag ebenfalls massive Demonstrationen stattfinden. In beiden Ländern bekommen die islamistischen Regierungsparteien die Lage nicht in den Griff, haben aus Sicht vieler Menschen in keiner Weise zur Verbesserung der Lebenssituation beigetragen, und rufen durch ihre repressiven Vorhaben und Praktiken breite Widerstände hervor.
Zum ersten Mal seit dem 26. Januar 1978 rufen die tunesischen Gewerkschaften am heutigen Tag zum Generalstreik auf. Dies beschloss das Comité Administratif, der Vorstand des Gewerkschaftsdachverbands UGTT (Union générale tunisienne du travail – Allgemeine tunesische Werktätigen-Union) gestern. Alle Flugverbindungen von und nach Tunis waren infolge der Streikbewegungen am Freitag Vormittag annulliert worden. Die öffentlichen Verkehrsmittel verkehrten in einem außergewöhnlichen, verlangsamten Takt und waren in den Stunden, in denen die Menschen gewöhnlich zur Arbeit fahren, ungewöhnlich leer. Ähnliches ereignete sich bereits am gestrigen Donnerstag, als am frühen Abend die zentrale Hauptverkehrsstraße in Tunis, die Avenue Bourguiba, außergewöhnlich menschenleer war. Gestern riefen vier politische Parteien zum Streik auf, am heutigen Freitag sind es nun die Gewerkschaften.
Es handelt sich um eine Reaktion auf die Ermordung von Chokri Belaïd, des Rechtsanwalts und führenden Politikers der „Volksfront“ oder „Front der Unterklassen“ (französisch Front populaire, arabisch dschaba scha’biya) – jenes Bündnisses der Linken und radikalen Linken, das derzeit die drittstärke politische Kraft in Tunesien bildet. Belaïd hatte sich als Anwalt in vielen politischen (und gewerkschaftlichen) Prozessen profilieren können, auch, als dies unter dem alten Regime noch erheblichen Mut erforderte und für ihn persönlich hätte gefährlich werden können. Im Jahr 2008 war Chokri Belaïd etwa einer der Strafverteidiger im Massenverfahren gegen die Gewerkschaftsaktivisten, die die soziale Massenrevolte im Phosphat-Bergbaubecken von Gafsa anleiteten (38 Angeklagte wurden verurteilt, s. Labournet-Archiv). Zuvor hatte er in einigen der Prozessen der alten Diktatur gegen die damals verfolgten Islamisten – ab 2003 begannen etwa die Salafistenprozesse – auch diese verteidigt. Doch in den letzten anderthalb Jahren wurde Chokri Belaïd aufgrund seiner öffentlichen Kritik an ihrer Politik zur Hassfigur vieler Islamisten. Er trat etwa als Verteidiger des Verantwortlichen des Fernsehsenders ,Nesma TV‘ auf (gegen den ein Strafverfahren stattfand, weil er in einer Ausstrahlung des – auf Grundlage des gleichnamigen Comics gedrehten – Zeichentrickfilms ,Persepolis‘ den lieben Gott bzw. Allah als gezeichnete Figur gezeigt hatte).
Chokri Belaïd war am Mittwoch früh um kurz vor 8 Uhr vor seiner Haustür, durch die Türen seines Autos hindurch, erschossen worden. Nach bisherigem Kenntnisstand wurden vier Kugeln auf ihn abgefeuert. Zwei davon trafen ihn tödlich, in den Kopf und ins Herz. Eine dritte Kugel traf ihn im Halsbereich (hätte aber allein nicht tödliche Wirkung entfaltet). Vorliegenden Berichten zufolge werden zwei Täter vermutet: ein Schütze sowie ein Motorradfahrer, der das Fluchtfahrzeug steuerte. Die Identität der Mörder ist bislang unbekannt, doch wird die Urheberschaft der Tat entweder bei den Salafisten – dem extremen Flügel des politischen Islam, welcher in Rechtsopposition zur amtierenden Regierung steht, aber Verbindungen in einen Flügel der Regierungspartei En-Nahdha hinein unterhält – oder aber bei den „Ligen zum Schutz der Revolution“ (LPR) vermutet.
Letztere bilden ein Kampagnenorgan, das aus Teilen der Basis der islamistischen Regierungspartei En-Nahdha besteht und in den letzten vier Monaten wiederholt durch Störungen von Versammlungen oppositioneller politischer Kräfte oder von Gewerkschaften auffiel. Beinahe wäre es deswegen, infolge der Zwischenfälle vor dem UGTT-Sitz in Tunis am 04. Dezember 12, aus Protest dagegen am 13.12.12 bereits zu einem Generalstreik gekommen. Er wurde jedoch infolge von Vereinbarungen zwischen der Regierung und der UGTT (die eine Untersuchung der Vorfälle beinhalten) verschoben.
Nunmehr wird es jedoch ernst. Zum bisher letzten Mal rief die UGTT im Januar 1978 zu einem Generalstreik auf, der damals die Lebensmittelpreise und Löhne zum Gegenstand hatte. Unter dem damaligen Präsidenten Habib Bourguiba wurde er repressiv niedergeschlagen, die blutigen Einsätze der Sicherheitskräfte kosteten damals über 100 Tote. – Im Gegensatz zu anderslautenden Gerüchten fand im Januar 2011, in der ersten Phase der anhaltenden (und bislang vorläufig unterbrochenen) Revolution, kein Generalstreik statt. Die Spitze des Dachverbands unter dem damaligen, im Dezember 2011 geschasste, Generalsekretär Abdesslam Jrad stand im Lager des seinerzeitigen Regimes. Hingegen waren eine Reihe von Branchen- sowie Regionalverbände der UGTT oppositionell und riefen ihrerseits, am Dachverband und seiner korrupten Leitung vorbei, zum Streik auf. Am Freitag, den 14. Januar 2011 fand so ein zweistündiger Streik auf Aufruf von UGTT-Gewerkschaften hin statt, welcher dann in massive Demonstrationen ausuferte – am selben Tag ergriff am Spätnachmittag Präsident Ben ‘Ali die Flucht und flog nach Saudi-Arabien aus. (Na also, es geht doch…)
Schon am Mittwoch dieser Woche, nach dem Bekanntwerden des politischen Mordes, hatten spontan bis zu 3.000 Leute vor dem Krankenhaus in Tunis demonstriert, wo Chokri Belaïd kurz nach seiner Erklärung für tot erklärt wurde. Am Spätnachvormittag demonstrierten rund 1.000 Leute vor dem (sonst gut geschützten und weiträumig abgeschirmten) Innenministerium. Im Lauf des Nachmittags wuchs die Menge dann auf bis zu 8.000 Personen an. Nach einigen Stunden wurden die Teilnehmer/innen dann durch die Polizei unter Einsatz von Knüppeln und Tränengas auseinandergetrieben.
Am gestrigen Donnerstag fanden erneute Zusammenstöße statt. In Tunis starb dabei ein Polizist; von einem weiteren Polizeibeamten wurde am Freitag früh vermeldet, er liege in der Bergbaustadt Gafsa im Koma, nachdem er in der Nacht zuvor von Protestteilnehmern verprügelt worden war.
Noch am Mittwoch hatte der amtierende Premierminister Hamadi Jebali (selbst Angehöriger der islamistischen stärksten Regierungspartei En-Nahdha) angekündigt, er werde den Rücktritt der Regierung einreichen und selbige durch ein „Technokratenkabinett“ ohne Parteizugehörigkeit ablösen – in Erwartung bald abzuhaltender Neuwahlen. Dazu kamen jedoch heftige Abwehrreaktionen aus seiner Partei, deren seit längerem zu beobachtende Spaltungen sich offenkundig vertiefen. Parteichef Rached Ghannouchi – er gehört nicht selbst der Regierung an, um notfalls als ihr Kritiker und als „Rettungsanker“ außerhalb von ihr auftreten zu können – erklärte seine heftige Ablehnung des Plans, die Regierung aufzulösen. Staatspräsident Moncef Marzouki (Mitglied der bürgerlich-nationalistischen Partei CPR, „Kongress für die Republik“) erklärte jedoch am Donnerstag Abend, er habe kein Rücktrittsgesuch der Regierung erhalten.
Am Spätvormittag des heutigen Freitag waren bereits Tausende Menschen für das Begräbnis des Mordopfers Chokri Belaïd versammelt. Mit dessen Organisierung und Sicherung hatte Präsident Marzouki die Armee beauftragt, was den Trauerfeierlichkeit den Status eines Staatsbegräbnisses verleiht.
Fortsetzung folgt