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"Weg mit der Regierung und der IWF"

Anfang Februar dieses Jahres verloren innerhalb weniger Tage Millionen von Menschen in der Türkei bis zu 40% ihres Einkommens, da die Türkische Lira gegenüber den harten Devisen wie dem US-Dollar bis zu 40% abgewertet wurde. Die Wirkung dieser Wirtschaftskrise wird von Woche zu Woche gravierender. Viele Betriebe, vor allem mittlere und kleine, entließen in den letzten Wochen Tausende von ArbeiterInnen. Kleine Geschäftsleute und Händler sowie Bauern können ihre Waren nicht mehr absetzen oder schon längst fällige Kredite tilgen. Bis auf eine Handvoll Großindustrieller und Händler, die mit dem Auslandskapital verflochten sind, werden alle Teile der Bevölkerung von der Wirtschaftskrise stark beeinflusst.

Als Antwort auf die Wirtschaftskrise holte die Regierung den Superminister Kemal Dervis und stellte ihn als Hoffnungsträger dar. Kemal Dervis war bis dahin bei der IWF tätig. Dervis soll die Wirtschaft sanieren, weitere Kredite aus dem Ausland beschaffen und mit der IWF und der Weltbank ein neues Wirtschaftsprogramm starten. Anstelle des gescheiterten IWF-Wirtschaftsprogramms soll ein "neues" Programm mit gleichen Maßnahmen folgen. Das "neue" Wirtschaftsprogramm beinhaltet wie auch das "alte" u.a. Privatisierung der öffentlichen Betriebe (Telekommunikation, Luftfahrt, Energie, etc.), Einfrierung der Löhne, Erhöhung der Steuern u. Senkung der öffentlichen Ausgaben.

Während der Superminister das "neue" Wirtschaftsprogramm der IWF am Samstag den 14.April bekannt gab, protestierten landesweit Hunderttausende von Menschen gegen die Regierung und gegen das Wirtschaftsprogramm. Der Plattform der Arbeit hatte vor Wochen Aktionen für den 14. April angekündigt. Seit dem versuchen Gewerkschaften, Massenorganisationen und fortschrittliche Parteien für den 14. April zu mobilisieren. In der Plattform der Arbeit sind alle Gewerkschaftskonföderationen (Türk-Is, DISK, KESK, Hak-Is), Kammer der Architekten und Ingineure- TMMOB und Ärztekammer vertreten. Der Plattform wird von Parteien wie, ÖDP, EMEP, HADEP und SIP unterstützt. Aufgrund der massiven Druck der Mitglieder und Einzelgewerkschaften haben die Gewerkschaftskonföderationen- vor allem Türk-Is und Hak-Is einen Aktionsplan gegen die vom IWF diktierten Wirtschaftsprogramm zugestimmt. Im März verabschiedete Plattform der Arbeit mit Wirtschaftswissenschaftlern eine sogenannte Alternativprogramm der Arbeit.

Parallel zu den Aktionen der Gewerkschaften organisieren seit einer Woche kleine Geschäftsleute und Händler Massenaktionen nahezu in allen Landesteilen. Auffällig bei diesen Aktionen ist, dass immer mehr Bevölkerungsschichten sowie auch Studenten und Schüler sich beteiligen. Die Geschäfte bleiben meistens zu, da der Handel nahezu zum Stillstand gekommen ist. Parolen wie "Arbeiter, Ihr seid nicht mehr allein!" oder "die Verantwortlichen, welche die Staatskasse plündern, sollen auch die Last tragen!" sind in letzter Zeit nicht zu übersehen. Am vergangenen Mittwoch gingen 100.000 Menschen (meist Kleinhändler, Arbeitslose, Auszubildende) allein in der Hauptstadt Ankara auf die Straßen. Es kam zu heftiger Auseinandersetzung mit der Polizei als die Massen zum Parlament marschieren wollte. Die Polizei ging mit Panzerfahrzeugen, Wasserwerfern und Gasbomben gegen die Demonstranten vor. Die Demonstranten antworteten mit Steinwürfen.

Daraufhin verhängte der Gouverneur von Ankara ein Demonstrationsverbot für einen Monat. Ein Tag später wurde dieses verbot auf 19 Provinzstädten ausgeweitet. Die Massenmedien lieferten geeignete Argumente für das Vorgehen der staatliche Institutionen. Sie bezeichneten die Demonstranten als Plünderer und Randalierer dar und forderten die Unterbindung der Aktionen auf der Straße. Vor eine Zusammentreffen der Kräfte Arbeiter, Angestellte, Arbeitslose, Kleinhändler, Schüler, Studenten und Kleinbauern haben die Herrschenden zu große Bange. Der 14. April sowie 1. Mai bieten günstige Gelegenheit dazu. Daher der Versuch jegliche Demonstrationen zu verbieten.

Trotzdem gingen am 14. April nicht unbeachtliche Zahl von Menschen in mehreren Städten und Kreisstädten auf die Straße und forderten den Rücktritt der Regierung und die Aufhebung des IWF-Programms.

ISTANBUL: Den Aufruf der Plattform der Arbeit folgend protestierten in Istanbul mehr als 50.000 Menschen. Die Demonstranten- mehrheitlich, Arbeiter lehnten den Vorschlag der Regierung "Nullrunde" für nächsten Tarifverhandlungen ab und forderten die Aussetzung des IWF Programms. Die Beschäftigten der staatseigener Betriebe wie, THY (Luftfahrt), Telekom (Telekommunikation) und der Banken, die privatisiert werden sollen, waren zahlreich vertreten und trugen Transparente "kein Ausverkauf der Staatsbetriebe".

Auch Studenten, Hochschulbedienstete, Schüler und arbeitslos gewordene Journalisten und Angestellte der Medienagenturen nahmen an der Demonstration teil und machten auf ihre besondere Situation aufmerksam. Darüber hinaus beteiligten sich auch Parteien ÖDP, EMEP, HADEP, SIP, IP und andere Organisationen an der Demonstration. Die schnelle Beendigung der Kundgebung wurde von zahlreichen TeilnehmerInnen heftig kritisiert.

ANKARA: In der Hauptstadt waren jegliche Demonstrationen verboten worden. Der Kizilayplatz (Zentrum) war von der Polizei abgeriegelt. Schon am frühen Morgenstunden waren zahlreiche Personen unter dem Vorwand " Verdächtigt" zu sein festgenommen worden. Alle wichtigsten Plätze und Strassen, Parlamentsgebäude und Ministerien waren strengstens von der Polizei eingekesselt. Trotzdem protestierten auch in Ankara Tausende von Menschen gegen das Wirtschaftsprogramm der Regierung. Zwar konnten Menschen sich nicht an einem Kundgebungsplatz vereinigen, aber in mehreren Orten der Stadt kamen sie dennoch zusammen. Die Aktionen in Ankara fanden vor allem vor den Gewerkschaftszentralen Türk-Is, Hak-Is, Harb-Is, Egitim-Sen, DISK, Genel-Is, und TMMOB statt. Die Mitglieder der Gewerkschaft Türk-Is protestierten vor dem Gewerkschaftshaus. Dabei kritisierten sie die Konföderationsführung, dass nicht ernsthaft mobilisiert wurde. Kritische Parolen wie, "wir sind hier, wo ist Türk-Is" wurden ebenfalls aufgerufen.

Während bei Aktionen an mehreren Stellen Presserklärungen vorgelesen wurden, trugen die Demonstranten Transparente: "Nein zur Privatisierungen, nieder mit dem IWF, " Weg mit den Verboten, wir wollen keine schweigsame Gesellschaft", IWF Hau ab, das ist unser Land, hoch lebe unabhängige Türkei"...... Aus Protest gegen das verhängte Demonstrationsverbot haben einige Gewerkschaftsmitglieder mit einem schwarzen Band sich den Mund zugebunden.

ADANA: In Adana kamen 20.000 Menschen zusammen und bekräftigten das Alternativprogramm der Plattform der Arbeit. Für die Wirtschaftskrise machten sie IWF und die Politiker verantwortlich. In Redebeiträgen und Transparenten wurde deutlich gemacht, dass sie nicht bereit sind die Lasten der Wirtschaftskrise zu tragen. In Adana beteiligten sich neben Arbeiter, Angestellte und fortschrittliche Parteien auch Studenten, Arbeitslose, Hausfrauen und Kleinhändler an der Demonstration. Obwohl der Verband der Kleinhändler (TESK) dazu aufgerufen hatte, nicht an der Aktion teilzunehmen, beteiligten sich mehr als 1000 Kleinhändler an der Demonstration. An der Demonstration wurden u.a. folgende transparente zu sehen; " Generalstreik jetzt", " IWF Hau ab, das ist unser Land", " kein Ausverkauf der Staatsbetriebe" oder " Ecevit ins Altersheim". Zum ersten Mal haben Arbeiter, Angestellte, Studenten, Arbeitslose, Kleinhändler und Hausfrauen gemeinsam diese Parolen aufgerufen und ihre Forderungen bekräftigt.

GAZIANTEP: In Gaziantep protestierten 60.000 Arbeiter, Angestellte, Arbeitslose, Schüler und Studenten sowie Kleinhändler aber auch Kleinbauer gemeinsam gegen das Wirtschaftsprogramm der Regierung und der IWF. Hier hat der Plattform der Arbeit geschafft, so wie auch zum Teil in Adana und Mersin, verschiedene Schichten der Werktätigen zu mobilisieren.

Weitere Demonstrationen fanden u.a. auch in folgenden Städten statt:

Izmir 40.000, Izmit 20.000, Hatay 15.000, Malatya 10.00, Eskisehir 10.000, Adiyaman 10.000, Trabzon 10.000, , Samsun 10.000, Giresun 10.000, Bursa 8.000, Sakarya 5.000, Manisa 5.000.............


Von Istanbul bis nach Gaziantep

Kommentar: von Ihsan Caralan

Der Kundgebungsplatz in Istanbul hat sicherlich gestern einen imposanten, wirkungsvollen Tag erlebt. Unter den Demonstranten waren die Arbeiter stark vertreten. Manche politische Kreise verhielten sich so als, ob sie den Sinn dieser Kundgebung nicht verstanden hätten oder der Zweck dieser Aktion war für sie nicht von Bedeutung. Auf der anderen Seite beteiligten sich Mitglieder manche Einzellgewerkschaften ( z.B. Tek-Gida-Is, Demiryol-Is, Haber-Is- Bezirkstelle anatolische Seite) zahlreich, die bisher bei solchen Aktivitäten kaum zu sehen waren. Die Gewerkschaft " Birlesik Metal" war auch ungewöhnlich stark vertreten. Doch, obwohl die Beteiligung der Arbeiter einiger Gewerkschaften zu begrüßen war, so ist die gesamte Zusammensetzung der Kundgebung dennoch nicht mit der Position der Plattform der Arbeit im Einklang zu bringen. Wenn man dem Ausmaß der Aktionen der Kleinhändler und andere Bevölkerungsgruppen in den letzten Wochen beachtet, so kann festgestellt werden, dass manche Kräfte des Widerstandes gestern in Istanbul kaum vertreten waren.

Der Plattform der Arbeit und dessen alternatives Wirtschaftsprogramm sprechen TZOB (Bauernkammer) unmittelbar und die Mitglieder der TSEK ( Kammer der Kleinhändler) mittelbar an. Das Interesse der Mitglieder beide verbände an Plattform der Arbeit ist sicherlich groß. Doch die Aktion in Istanbul zeigte kein Anzeichen für eine Zusammenkunft der verschiedenen Kräfte. Im Gegensatz dazu hatte die Demonstration in der Stadt Gaziantep ganz andere Zusammensetzung als in Istanbul. Dort haben sich auch Kleinhändler und Ladenbesitzer ihre Geschäfte geschlossen und sich an die Aktionen beteiligt. Auch viele unorganisierte Arbeiter, Angestellte und Auszubildende sowie auch Hausfrauen, Arbeitsloser und z.T. auch Bauern beteiligten sich ebenfalls. Ähnliche Tendenzen wie in Gaziantep waren auch bei Demonstrationen in Adana und Mersin zu beobachten.

In Istanbul haben natürlich manche Gewerkschaften sich kaum mühe gegeben ihre Mitglieder zu beteiligen. Viel wichtiger ist es festzustellen, dass die wesentlichen Elemente des Plattforms auf lokaler Ebene und politische Parteien nicht genug Kraft für die Mobilisierung der unorganisierten Arbeiter, Arbeitslosen, Rentner und Hausfrauen aufgewendet haben. Denn bei Demonstrationszügen, bei denen Zehntausende marschierten, waren nur kleine Gruppen von Kleinhändler, Arbeitslose und Rentner usw. vertreten. Auch die Partei der Arbeit- EMEP, die zwar am stärksten unter den politischen Parteien vertreten war und sich ernsthaft um Mobilisierung bemühte, konnte hauptsächlich nur ihre Mitglieder und Symphatisanten aktivieren.

In Istanbul war die Beteiligung der Arbeiter am stärksten, die Demonstration war auch eindrucksvoll und imponierend, die Forderungen auf den Transparenten waren treffend und richtig, aber es zeigte auch deutlich, dass die momentan günstige Situation nicht genug zur Mobilisierung genutzt wurde. Unter diesen Umständen muss Istanbul nach Gaziantep schauen und den Fehler korrigieren.

Evrensel 15.04.01


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