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Updated: 18.12.2012 15:51
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"Das fremdenfeindlichste Land Afrikas" - und die Gewerkschaften...

Zunächst war die Interpretation der massenhaften Menschenjagden quer durchs Land bei einer ganzen Reihe linker und gewerkschaftlicher Strömungen sehr einfach: Fehlgeleiteter Protest gegen die Verhältnisse, die durch die neoliberale ANC-Politik geschaffen wurden. Inzwischen wird immer mehr die Position stärker, dass diese Erklärung einen Mangel hat: Sie erklärt nichts, nirgends. Denn die Forderungen der Begrenzung der Migration und wie sie formuliert werden, wie die Kriminalisierung der MigrantInnen betrieben wird: das erinnert direkt an die in der Diskussion befindlichen EU-Bestimmungen. Wie Fremdenfeindlichkeit und Rassismus durch ökonomische Strukturen, Medienwirkung und ihre Rückkoppelung, Traditionen und Denkweisen zu ihrem giftigen Wesen kommen, das überall wirksam ist, wird in der aktuellen Materialsammlung "Hintergründe der Fremdenjagd" vom 5. Juni 2006 zur Debatte gestellt.

Hintergründe der Fremdenjagd

Das Statement der südafrikanischen Polizei war "sachlich": Zum Datum 31. Mai 2008 sind 62 Todesopfer, 670 Verletzte und rund 80.000 Vetriebene zu registrieren, es werden in 1100 Fällen Ermittlungen geführt - so wird es in der redaktionellen Meldung "Toll from xenophobic attacks rises" externer Link vom 31. Mai 2008 beim Mail and Guardian Online berichtet.

In den ersten Junitagen scheint die Welle der Fremdenjagd weitgehend aufgehört zu haben - aber in vielen Berichten aus den Tagen des Mobs wurden so oft vorher kaum erwähnte "kleinere" Vorgeschichten erwähnt, dass niemand genau sagen kann, ob dies auch wirklich stimmt.

Während die Staatsmacht also mit der Bereitstellung der Armee, der Aufnahme juristischer Verfahren gegen Täter und mit einer allseitigen Verteidigung der Regierungspolitik antwortet, während an ganz vielen Orten lokale Gruppierungen den zum zweiten Male vertriebenen Hilfe lange vor den öffentlichen Stellen bereitstellten und stellen, während Mobilisierungen demokratischer Kräfte nach dem ersten Schock beachtliche Ergebnisse erreichen bleibt die Debatte um die Ursachen und um langfristige Gegenmaßnahmen.

Das unabhängige aber offiziell anerkannte und geförderte IDASA (Institut für Demokratie in Südafrika) hat am 30. Mai 2008 einen Bericht veröffentlicht, der im wesentlichen versucht Konsequenzen zu ziehen aus einer kleinen Reihe von Interviews mit "community leaders" aus der am meisten betroffenen Provinz Gauteng: "Researching Perspectives on Xenophobia in Gauteng" externer Link wobei die Autoren selbst betonen, dass die Schnelligkeit der Publikation gewollt sei, aber selbstverständlich die Qualität der Analyse beeinträchtige und dass gerade einmal aus 26 Befragten keine wirklich systematischen Erkentnisse zu ziehen seien. Man habe sich wegen der angespannten Lage und der notwendigkeit zu reagieren, dazu entschlossen. Da wesentliche Aussagen dieses Berichts mit Statements anderer Organisationen der demokratischen Öffentlichkeit in wichtigen Teilen zumindest partiell übereinstimmen, seien hier die drei Grundaussagen dieses Berichts dokumentiert:

"1.The feelings that drove the violence were widespread, even among people that did not participate, and focused on bread and butter issues of poverty, rather than deeper political agendas.  While no-one approved of the violence per se, most people surveyed believed that the presence of large numbers of foreigners in their communities exacerbated competition for scarce resources and represented a failure by government to deliver basic services. 2. The organized appearance of the violence does not mean it was driven by any single group, and that the evidence suggests that it is a product of decentralized community organizing.  The violence in specific communities appears have been driven by two groups-those that instigated it, specifically targeting foreigners, and those that joined in more opportunistically to engage in looting.  3. The violence was focused in informal areas and that the presence of strong local government institutions, or community organisations, at least in some instances, served to mitigate violence."

Kurz zusammengefasst: Die Gefühle, die hinter dem Gewaltausbruch steckten wurden von vielen geteilt, auch von solchen Menschen, die sich nicht daran beteiligten: sie hatten vor allem mit "Brot und Butter" Problemen zu tun, mehr als mit grundlegenderen politischen Fragen bzw Ansichten. Es wurden keine ernsthaften Beweise dafür gefunden, dass die Ausschreitungen von organisierten Kräften inszeniert worden seien - nahezu überall war der Verlauf so, dass zuerst kleine Gruppen die "Fremden" ins Visier nahmen und dann dabei massiven Zulauf bekamen. Die Gewalt fand hauptsächlich in informellen Siedlungen (sprich: Slums) statt - die Präsenz starker instiitutioneller Einrichtungen oder sozialer Organisationen habe in verschiedenen Fällen dazu dienen können, die Gewalt zu mildern.

Nun sollte einmal dahin gestellt bleiben, wie es sich mit dem Punkt drei dieser Analyse verhält: Eine starke Präsenz gab und gibt es für viele MigrantInnen in vielen Gegenden durch die jeweilige Polizei seit langer Zeit - und dies war und ist keineswegs eine dem Leben dieser Menschen förderliche Erscheinung gewesen; die pure Verzweiflung, nicht etwa Vertrauen, trieb die Menschen zur Schutzsuche in Polizeistationen. Wesentlicher als diese Debatte erscheint zunächst der erste Punkte der Analysezusammenfassung: Soziale Probleme, keine weitergehenden politischen Ansichten seien Ursache gewesen. Dem stünde in etwa folgende eigene Aussage im Bericht entgegen.

"Specifically people were angry about unemployment and poor service-delivery, and the image of a foreign shopkeeper beating a poor South African was sufficient to unleash the violence".

Es handelt vom ersten Vorläufer der jüngsten Welle, im März in Atteridgsville: Ein ausländischer Ladenbesitzer schlägt einen südafrikanischen Jungen, den er bei einem Diebstahlversuch erwischt hat - danach startet eine erste Fremdenhatz. Nun muß niemand Sympathie für schlagende Geschäftemacher haben: aber, wäre das ein Südafrikaner gewesen, hätte es dann auch eine Jagd auf seine Landsleute gegeben?

Fehlgeleiteter Protest?

Die These vom "fehlgeleiteten Protest" ist von Beginn an ebenso verbreitet wie umstritten. Und es ist auch eine These, die recht massiv von der Gewerkschaftsbewegung vertreten wird. so hat der Gewerkschaftsbund COSATU zahlreiche Aktionen organisiert und Initiativen entfaltet, um gegen die Fremdenfeindlichkeit im Lande vorzugehen. In der politischen Analyse der Ereignisse wird auch die Verantwortung der Regierung betont, einmal durch ihre zimbabwe-Politik, die wesentlich dazu beigetragen habe, dass ein guter Teil der dortigen Bevölkerung nach südafrika geflohen seien, dann aber auch durch das politische Versagen im eigenen Land, das folgendermassen zusammengefasst wird:

"The main underlying problem however is the appalling levels of unemployment, poverty and slow service delivery, particularly in the informal settlements. This has created anger and resentment, which has tragically led to the blaming of innocent foreign victims of the very same problems. This is an indictment on the economic policies followed since 1996, which have not led to the creation of mass employment opportunities for the unemployed. Poverty reduction has happed at a snail's place if at all. Inequalities have grown in the past 14 years of democracy. This is scandalous! The dream of sharing in the wealth of the country has still to be realised. A significant chunk of our population is still trapped in squalor and in conditions that have robbed them of their dignity and dehumanised them. This is what lies at the centre of what has taken on xenophobic tendencies. The failure of our country to restructure the economy and have an industrial strategy, as well as genuine agrarian reform, has brought us to this point. That is the issue"

heisst es in der Erklärung des Vorstands der COSATU externer Link bei seiner Tagung am 28. Mai 2008. Allein, die Erklärung bleibt ungenügend: nicht falsch, sonder nicht ausreichend. Denn auch hier wird nichts dazu gesagt, warum dies "tragischerweise" dazu geführt haben kann, "unschuldige ausländische Opfer" zu jagen. Im übrigen ist die COSATU Stellungnahme aber im Vergleich zu anderen gewerkschaftlichen Stellungnahmen wesentlich tiefergehend: Nicht nur, weil sie auch die eigene Regierung kritisiert, sondern auch, weil in verschiedenen Passagen einiges selbstkritisches Reflektieren praktiziert wird, über eigene Fehler geredet.

Ganz anders da die Erklärung der Transportgewerkschaft Satawu, externer Link ebenfalls vom 28. Mai 2008.

"In view of the events that had taken place in Gauteng, Western Cape, Kwazulu Natal, Mpumalanga and Eastern Cape, Satawu makes the following calls and interventions: * Employers particularly in the road freight and security sectors must refrain with immediate effect from employing non documented African nationals as cheap labour * Employers' must desist from using non documented labour as scabs during strikes * Employer associations will be engaged with a view to adopt strategies to stamp out such practices which does create tensions between locals and African nationals * The Department of Labour must with immediate effect create the necessary capacity (which it always claims it does not have) to prosecute employers' who utilise non documented labour only for exploitative purposes * Government at all levels must take responsibility for speeding up socio economic delivery to the masses of our people who remain poor and feel marginalised at the lower rungs of the economic chain as xenophobia is always likely to find expression where abject poverty is abound even though criminal elements will use such opportunities * Practical solidarity must also be given to our fellow African brothers, sisters and children, who are part of the African working class, by Satawu members particularly through our local structures. These will take the form of collecting blankets and providing food and other necessities at the camps, churches and police stations"

Das ist eine Erklärung, die einzig und alleine - an die Unternehmen gerichtet - die Kritik äussert, dass klandestine und andere MigrantInnen als billige Arbeitskräfte und Streikbrecher benutzt würden: Wenn das das ganze (halbe) Problem wäre, wäre es in der Tat recht einfach, damit umzugehen - einmal abgesehen davon, dass - ausgenutzt oder nicht - Streikbrecher eben Streikbrecher bleiben: Da bleibt "was hängen".

(Beide Erklärungen liegen der Redaktion vor - zur Zeit der Erarbeitung dieser kleinen Materialsammlung waren sie noch nicht auf den jeweiligen homepages publiziert, wer sie haben möchte - gerne).

Diverse Faktoren, die hinzu kommen

Dass der Rassismus überall auf der Welt Kapriolen schlagen muß, um seine verquere Logik zu befolgen, ist weltweit ein Fakt. So ist es auch völlig unangebracht, sich darüber gar zu ereifern, dass in Südafrika Menschen verfolgt wurden, weil sie "zu schwarz" sind. (Die erste größere Äüßerung von systematischem Rassismus war in Britannien etwa im 13. Jahrhundert gegenüber den "stinkenden Iren", die ja nun auch keine andere Hautfarbe hatten, und gerade in Deutschland braucht man nicht lange darüber nachzudenken, welche Hautfarbe die Opfer der antisemitischen Vernichtungsmaschine hatten...)

Ein wesentlicher Faktor, der zur Erklärung für die pogromartigen Ausfälle mit dazu gehört, ist die politische Tradition des Landes:

"Extensive research (pdf) by the Southern African Migration Project (Samp) has shown that South Africa, Botswana and Namibia, are among the most xenophobic countries in the world and that South Africans hold by far the harshest anti-immigrant sentiments. Furthermore, these anti-immigrant and anti-refugee sentiments cut across all major socio-economic and demographic categories. Young and old, black and white, educated or not. They "display an extraordinary consistency in their antagonism towards foreigners, particularly those from other countries in Africa and especially those deemed to be 'illegal immigrants'." Even refugees are viewed negatively" -

so schreibt es der Aktivist Sean Jacobs in seinem Kommentar "South Africa's hard truths" externer Link den er am 19. Mai 2008 im britischen Guardian veröffentlichte. Und die geschichtliche Grundlagen liegen nicht nur - aber auch - in sozialpsychologischen Prägungen, sondern auch in der Tradition von Kolonialismus und Rassismus, die jahrhundertelang gelebt werden mussten - im Apartheid - Südafrika wurden ja auch ethnische Grenzen entweder zementiert oder geschaffen - und ausgenutzt. Er verweist in etwa auf die Rolle der IFP im Kampf gegen die Apartheid - aber auch auf die "frühen", also etwa vor 10 Jahren geschehenen Jagden auf somalische Straßenhändler in Kaptstadt und die massenhafte Jagd auf migrantische Pendler in Vorortszügen Johannesburgs etwa in derselben Zeit - jeweils lange bevor die "Enttäuschung über den ANC" begonnen habe.

Seriöse Untersuchungen über südafrikanische Medien hatten schon in den letzten Jahren gezeigt, dass sie ein Bild des "bedrohlichen Fremden" implizit oder explizit kultivieren, dass dem solcher Erzeugnisse in Europa durchaus ähnelt. Eine wesentliche Rolle spielt dabei das Boulevardblatt "Daily Sun" (ein für Südafrika vor einigen Jahren neuer Medientyp, bis dahin waren -zeitungen für die "Elite" da) dessen Chef des öfteren mit der Aussage zitiert wird "Warum sollen wir Rassisten sein, nur weil wir die verfickten Nigerianer hassen?". Das ist das Extrem, aber: die Stereotypen über MigrantInnen ( "Kriminelle", "Illegale", "Jobklauer") könnten in der Tat aus Europa stammen. eine gute Zusammenfassung von früheren der entsprechenden Pressestudien ist in "Writing Xenophobia: Immigration and the Press in Post-Apartheid South Africa" externer Link des Southern African Migration Project zu finden.

Und selbstverständlich gibt es, jenseits aller etwa anderslautenden Beteurungen, eine entsprechende Tradition sowohl in der Regierungspolitik - der Kern ihrer "Klandestinenpolitik" war und ist das enorme Abschiebelager Lindela, was hier nur kurz als eines von vielen möglichen Beispielen angeführt werden soll. Das Camp "bietet Platz" für 6.500 Menschen und ist seit langen Jahren Gegenstand von politischen Auseinandersetzungen. Und eine ältere aber interessante Meldung aus dem Jahre 2005 lautet "Lindela 'running at a loss'" externer Link vom 18. März 2005 bei news24, in der sich die private Betreiberfirma darüber beklagt, dass sie gegenwärtig Verluste mache, weil die Kapazität nicht ausgelastet sei, es befänden sich nur 700 Menschen im Lager (was zu anderen Zeiten offensichtlich nicht der Fall war).

Wer all diese Faktoren in seiner politischen Analyse außen vor läßt, wird schwer nur eine Politik entwickeln können, die wirklich in der Lage ist, dem Fremdenhaß entgegenzutreten und ihm zumindest einen großen Teil seines Bodens zu entziehen.

(Zusammengestellt und kommentiert von hrw)


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