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Schlägerei im Parlament und Verfassungsreform als Weckruf: Italiens Opposition erwacht und vereinigt sich gegen Giorgia Meloni

Italiens Opposition erwacht und vereinigt sich gegen Giorgia Meloni (Foto: USB)Die ewig zerstrittene Opposition begräbt das Kriegsbeil und demonstriert in Rom zum ersten Mal gemeinsam gegen die Rechtsregierung. (…) Unmittelbarer Anlass für die erste gemeinsame Kundgebung ist eine wüste Massenschlägerei im Parlament, die von einigen Abgeordneten der rechtsnationalen Regierungskoalition letzte Woche angezettelt worden war: Ein Parlamentarier der Fünf-Sterne-Bewegung, der vor den Regierungsbänken mit einer italienischen Trikolore gegen die geplante Autonomiereform protestierte, wurde von mehreren Vertretern der Rechtskoalition angerempelt und niedergeschlagen; als er bereits am Boden lag, wurde er von den Angreifern mit Fußtritten traktiert. Es brauchte den Einsatz mehrerer Saalordner, um zu verhindern, dass der Angegriffene nicht ernsthaft verletzt wurde. In den Augen der Opposition erinnerte der Vorfall auf fatale Weise an die faschistischen Schlägertrupps, die nach der Machtergreifung des Diktators Benito Mussolini in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts Jagd auf politische Gegner machten…“ Artikel von Dominik Straub vom 18. Juni 2024 in derStandard.at externer Link und mehr daraus/dazu:

  • Italiens Opposition erwacht und vereinigt sich gegen Giorgia Meloni
    Weiter aus dem Artikel von Dominik Straub vom 18. Juni 2024 in derStandard.at externer Link: „… Die Schlägerei war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: „Um die Demokratie, den Rechtsstaat und die Verfassung zu verteidigen“, kündigten die Vorsitzende des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), Elly Schlein, und der Chef der Fünf Sterne, Ex-Premier Giuseppe Conte, kurz danach eine große Kundgebung in Rom an, die Dienstagnachmittag im Stadtzentrum stattfinden wird. (…) Dem Aufruf haben sich inzwischen auch die linksgrüne Allianz, die Europa-Partei und die größte Gewerkschaft des Landes sowie zahlreiche Vereine der Zivilgesellschaft angeschlossen. Bei der Kundgebung soll außerdem gegen die Autonomiereform und ganz besonders gegen Melonis Verfassungsreform protestiert werden, mit der die Stellung des Regierungschefs gestärkt und gleichzeitig die Kompetenzen des Staatspräsidenten beschnitten werden sollen. (…) Es gäbe aus der Sicht der Opposition im Hinblick auf die nächsten Parlamentswahlen also sehr gute Gründe, die ewigen Streitereien und Eifersüchteleien beizulegen. Vielleicht ist die gemeinsame Kundgebung ja ein erster Schritt dazu.“
  • Verfassungsreform in Italien: Der autoritäre Traum der Rechten
    Italiens Senat beschließt eine Verfassungsreform, mit der die Position der postfaschistischen Regierungschefin Giorgia Meloni massiv gestärkt würde.
    Mit einer Verfassungsreform zur Direktwahl des/der Regierungschefin macht Italiens postfaschistische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sich an den von ihr immer schon erträumten Umbau des italienischen Staats. Am Dienstagabend verabschiedete der Senat – die zweite Kammer des italienischen Parlaments – mit der Mehrheit der Regierungsparteien in erster Lesung die Verfassungsänderung. Sie sieht vor, dass die Bürger*innen nicht nur ihre Abgeordneten, sondern auch den oder die Ministerpräsidenten/in direkt wählen. Zwar müssen beide Häuser des Parlaments ihm oder ihr auch in Zukunft das Vertrauen aussprechen, doch weder verbleibt dem Staatspräsidenten ein Vorschlagsrecht noch können die Volksvertreter*innen bei der Auswahl mitreden – das haben ja schon die Wähler*innen erledigt. Die plebiszitäre Legitimation durchs Volk würde dem oder der Regierungschefin eine äußerst starke Stellung verschaffen, bei einem Rücktritt zum Beispiel wegen eines Koalitionskrachs könnte er/sie unmittelbar das Parlament auflösen. Geschaffen wäre so die Figur eines Regierungschefs, der die eigene Parlamentsmehrheit kontrolliert – nicht umgekehrt. Damit das Ganze funktioniert, ist auch noch eine Wahlrechtsreform geplant. (…) Damit wären in Zukunft Koalitionswechsel ebenso ausgeschlossen wie der Sturz des/der Regierungschefin aus den eigenen Reihen – und der Mann oder die Frau an der Spitze könnte tatsächlich fünf Jahre durchregieren. Damit auch ginge der autoritäre Traum in Erfüllung, den Italiens Rechte nach 1945, erst in neofaschistischen und dann in postfaschistischen Zeiten, immer schon geträumt hat. Und damit könnte eine bei den turnusgemäß im Jahr 2027 anstehenden Wahlen im Amt bestätigte Giorgia Meloni endlich zur starken Frau werden, der weder das Parlament noch der Staatspräsident groß reinreden können. (…) Gegen beide Reformen macht jetzt schon ein breites Oppositionsbündnis mobil, das zu ungewohnter Einigkeit gefunden hat. Am Dienstagabend kamen einige tausend Menschen in Rom zu einer Kundgebung zusammen, zu der sowohl die gemäßigt linke Partito Democratico (PD) als auch die 5-Sterne-Bewegung und die radikal linke Liste Alleanza Verdi e Sinistra (AVS – Grün-linke Allianz) aufgerufen hatten. Mit lauten „Unità, Unità!“-Sprechchören machten die De­mons­tran­t*in­nen klar, was sie von den Spitzen der Oppositionsparteien erwarten: Einheit im Kampf gegen die beiden Reformen…“ Artikel von Michael Braun vom 19.6.2024 in der taz online externer Link
  • Mord am Arbeitsplatz, Sparmaßnahmen, Krieg und differenzierte Autonomie: von der 1. Juli-Demonstration ein Stück des sozialen Blocks, der sich diesem Zustand nicht unterwirft
    Es gibt eine Reihe von Ereignissen, die uns alle beunruhigen sollten, aber es scheint nichts zu passieren. Selbst wenn man sich auf die ungeheuerlichsten Ereignisse beschränken würde, könnte man nicht schlafen. Ich beginne mit der Ermordung von Satnam Singh, einem Ereignis, das in seiner Dynamik brutal war, dem aber ein entsetzliches, unmenschliches Verhalten folgte, das für niemanden vorstellbar sein sollte. Nicht nur die Arbeitsbedingungen, die Ausbeutung, der er, seine Frau und wer weiß wie viele andere wie er auf dem Lande in Latina ausgesetzt waren, die den Humus bilden, auf dem sich Ereignisse ereignen, die zum Tod, zu Verstümmelungen und schweren Verletzungen führen, sondern auch die klare und schreckliche Entschlossenheit des Arbeitgebers, des Sklavenhalters Antonello Lovato da Latina, sich dieses nun nutzlosen Körpers, eines Arbeiters ohne Arme, zu entledigen, muss ihm nur als ein Ärgernis erschienen sein, das er so schnell wie möglich loswerden wollte. Es ging ihn nichts mehr an. Leider scheint es uns auch nichts mehr anzugehen: Die Gewöhnung hat überhand genommen, die Empörung ist auf Sekunden heruntergezählt, wir verdauen alles, wie Strauße, die Europäer, den Fernsehklatsch, die Hitze, unsere eigenen kleinen und großen Alltagssorgen. (…) Das jüngste Ereignis, das uns alle vom Stuhl oder vom Sofa aufspringen lassen sollte, ist der Angriff auf die Verfassung durch die Regierung Meloni und ihre Mannschaft, die alles daran setzt, die Funktion des Parlaments und die territoriale und politische Einheit des Landes zu demontieren. Natürlich hat sie leichtes Spiel, wenn man bedenkt, dass die Opposition, das breite Lager, die Einheitsfront, die empörten Demonstrationen noch vor wenigen Monaten zu den Hauptbefürwortern einer differenzierten Autonomie gehörten, und heute rufen sie zu einer gemeinsamen Mobilisierung auf, um dies zu verhindern, weil es Giorgia und nicht Bonaccini ist, die dies durchführt. Die große Demonstration am 1. Juni gegen die Regierung Meloni hat einen Hoffnungsschimmer gegeben, sie hat ein Stück Gesellschaft, einen sozialen Block gezeigt, der sich nicht mit der gegenwärtigen Situation abfindet. Es muss darüber nachgedacht werden, wie man den riesigen leeren und zum Teil verwüsteten Raum wieder besetzen kann, den die Bewunderer des internationalen Wettbewerbs hinterlassen haben, um alle in die gleiche Richtung laufen zu lassen, außer um das Trikot zu wechseln.“ ital. Aufruf der Basisgewerkschaft USB vom 20.6.2024 externer Link (maschinenübersetzt)

Siehe auch: Bewertung der Wahlen 2022 in Italien: Wie „post-faschistisch“ ist das rechtsradikale Bündnis und wie gehen Gewerkschaftslinke damit um?

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=221150
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