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Sparen an Demokratie: Die Schließung des griechischen öffentlichen Rundfunks ERT ist der nächste Schritt des autoritären Staates zum Ende der Demokratie – mit Unterstützung der Troika
Artikel von Kelly Mulvaney und Hanno Bruchmann, Juni 2013
Die Troika unterstützt auch bei ihren jüngsten Besuch in Athen weiterhin autoritäre Politiken in Griechenland. Der griechische Premierminister Antonis Samaras hatte nicht mit so viel Gegenwehr gerechnet als er die rund 2.600 Angestellten des öffentlichen Rundfunks einfach entließ. Er wollte damit auch die EU und den Internationalen Währungsfond zufrieden stellen, die im Rahmen der Schuldenkredite gefordert hatten 2.000 öffentliche Angestellte bis Juni zu entlassen. Um die Maßnahme durchzusetzen mussten sich Aufstandsbekämpfungseinheiten der Polizei ihren Weg zu den Sendeanlagen bahnen, das das Signal kappen und die Anlagen absichern.
„Plötzlich war der Bildschirm schwarz“, erzählt Theodora, Doktorin der Philosophie, die in Thessaloniki im öffentlichen Dienst angestellt ist. Nachdem die Regierung die Schließung des öffentlichen Rundfunkfernsehsenders ERT bekanntgegeben hatte, fieberte sie am Bildschirm mit. Als das Signal von ERT am Abend des 11. Juni plötzlich weg war, rief sie sofort ihre Schwester Iliana an, die dort angestellt war und macht sich kurz darauf auf den Weg nach Athen. Viele taten es ihr gleich.
Eine große Welle öffentlicher Unterstützung folgte. Im Sitz von ERT versammelten sich die Angestellten, erklärten die Sendeanstalt für besetzt, entschieden sich gemeinsam ein Programm weiterzuführen und über Internet zu verbreiten. Vor dem Gebäude protestierten Tausende gegen die Schließung. Sie verwandelten die Rasenfläche in ein Protestcamp, wo sie seitdem kontinuierlich Kundgebungen veranstalten. Am 13. Juni solidarisierten sich Gewerkschaften mit dem dritten Generalstreik im Jahr 2013 mit den Angestellten von ERT.
Repräsentaten der sozialdemokratischen Partei PASOK und der Demokratischen Linken DIMAR, welche zusammen mit Samaras‘ konservativer Partei ND die Regierungskoalition bilden, erklärten in ihren Statements, dass sie vor der Entscheidung nicht konsultiert worden seien und dass Samaras das Recht umgehe. Auf einem Krisentreffen der Koalition am 17. Juni warfen sie Samaras autokratisches Verhalten vor. Der Vorsitzende von DIMAR, Fotis Kouvelis, verkündete seinen Austritt aus der Koalition am 21. Juni. Nach dem Austritt von DIMAR aus der Koaltion bleibt ihr nur eine hauchdünne Parlamentsmehrheit von 3 Sitzen und eine Umstrukturierung des Kabinetts wurde nötig. Der Sturz der Regierung konnte jedoch vorerst verhindert werden, weil unabhängige Parlamentsmitglieder und einige DIMAR-Abgeordnete erklärten weiterhin nicht gegen die Regierung zu stimmen. In einer Stellungnahme des radikal-linken Parteienbündnisses Syriza zur neuen umstrukturierten Regierungskoalition hieß es: „Die neue ND/PASOK-Regierung mit der à la carte-Unterstützung von DIMAR bestätigt das absolute Fehlschlagen der bailout ‚Erfolgsgeschichte‘.“
Als Versuch das gesamte öffentliche Rundfunksystem auszuschalten, ist die Schließung von ERT ein neuer Typ sozialer Angriffe in Griechenland. Dieser Umstand erinnert eine ältere Generation an den einzigen weiteren Fall in über 70 Jahren Geschichte, als die deutschen Besetzer im zweiten Weltkrieg das Signal von ERT kappten. In den Augen vieler Griech_innen, handelt es sich um eine beispiellose Überziehung seiner Exekutivmacht durch Samaras. Am selben Tag des Krisentreffens der Koalition, urteilte die höchste juridische Instanz Griechenlands, der Staatsgerichtshof, dass die Schließung von ERT gegen die Verfassung verstoße und sofort wieder senden dürfe. Bis heute wurde der Richterspruch von der Regierung ignoriert und aller drei landesweiten Fernseh- sowie siebenlandesweit ausgestrahlte und 19 regionale Radiosender von ERT. Während einige vormals ERT-Angestellte über Internet weiter Programme ausstrahlen, haben viele ihre Produktionsmittel verloren. „Ich mache Dokumentarfilme mit einem internationalen euro-mediterranen Team“, berichtet Maria. „Ich habe mit meinen Kolleg_innen immer über meine ERT-Emailadresse kommuniziert. Die habe ich jetzt nicht mehr, weil die Server abgeschaltet wurden“, so die Produzentin eines Dokumentarprogramms auf dem internationalen Kanal von ERT weiter.
Am 14. Juni traf eine Delegation der Europäischen Rundfunkunion (EBU) in Athen ein, um ihre Unterstützung der ehemaligen Angestellten ihrer griechischen Mitgliedsinstitution anzubieten. Seitdem sendet ERT’s internationaler Sender über eine von EBU bereitgestellte Frequenz. Die internationale Sparte hatte bis zur Schließung für die große Zahl griechischer Auswanderer über Satelit gesendet.
Die Entscheidung ERT zu schließen wurde nach dem Scheitern der Privatisierungspläne des staatlichen GAS-Konzerns Depa getroffen. Der russische Interessent zog sich nach zurück, nachdem EU-Autoritäten ihr Veto ankündigten, was auf Befürchtungen hinweist Russlands ökonomische Macht in der Eurozone würde zu stark. Während die ungeschriebenen Regeln der europäischen Machtpolitik der Grund für das Scheitern der konkreten Privatisierung gewesen sein mag, blieb dennoch der Druck der Troika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank bestehen mit Privatisierungen fortzufahren, die ein wesentliches Element der Memoranden bilden, welche die Austeritätspolitiken als Bedingungen definieren bevor die griechische Regierung Zahlungen erhält, um eine staatliche Insolvenz abwenden zu können.
In einem Versuch, die Stärke seiner Herrschaft und das Engagement seiner Regierung bei den Strukturanpassungsmaßnahmen zu demonstrieren, überschritt Samaras das Maß seiner verfassungsmäßigen Macht und traf auf politische wie soziale Empörung. Die Schließung des griechischen einzige öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt hat nicht nur eine Debatte über die Rolle der öffentlichen Medien in der Demokratie entfacht. Sie hat weiterhin die öffentliche Meinung verstärkt, dass die griechische Regierung undemokratisch ist. „Das ist faschistisch“, so die fast einhellige Meinung der Protestierenden.
Antidemokratische Spardiktate von Bundesregierung und Troika
Die ERT-Schließung scheint ein weiterer Beweis für eine längere Entwicklung ansteigender autoritärer Tendenzen in der EU zu sein. Regierungen fühlen sich der Troika und den Finanzmärkten mehr verpflichtet als ihrer Verfassungen und der Bevölkerung, sind geneigt, demokratische Mechanismen zu umgehen, um die von diesen undemokratischen transnationalen Apparaten geforderte Sparpolitik umzusetzen. Der neoliberale Diskurs der Effizienz, des Wettbewerbs und der Reformen wird für die Krisenpolitik Politik und die Sparmaßnahmen verwendet, während ein tieferer Blick in die Details der Schließung von ERT die Widersprüche dieses Kurses offenbart.
Den Griechen sind die Memoranden der Troika wohl bekannt. In diesen “Absprachen” werden der Regierung und letztlich der Bevölkerung zu treffende Maßnahmen vorgeschrieben, will der Staat die zugesagten Kredittranchen tatsächlich erhalten. Diese Maßnahmen waren bisher eine Heraufsetzung des Rentenalters, Kürzungen von Löhnen, Privatisierungen uvm. – das ganze neoliberale Programm radikal auf einmal. Die Folgen sind 27 Prozent Erwerbslosigkeit – zwei Drittel der Jugendlichen sind erwerbslos. Jeden Tag verlieren Tausend Menschen ihren Job. Obdachlosigkeit und Suizide nehmen sprunghaft zu. Das Gesundheitssystem liegt brach. Menschen bekommen ihre Medizin und Gesundheitsbehandlungen nicht, weshalb viele an heilbaren Krankheiten sterben.
Flankiert von Diskursen über Griechen, die über ihre Verhältnisse gelebt hätten und einen korrupte aufgeblähten öffentlichen Dienst, ist ein Kern der Memoranden die Forderung den Beamtenapparat zu schrumpfen. Zu Beginn der Krise gab es etwa eine Million Staatsbedienstete. 100.000 Stellen wurden bereits abgebaut, doch das geht der Troika aus Internationalem Währungsfond, EU-Kommission und Europäischer Zentralbank nicht schnell genug. Die griechische Regierung musste kürzlich zusagen weitere 2.000 Beamte bis Ende 2013 und 15.000 bis Ende 2014 zu entlassen.
Während das Abschalten vor ERT Samaras offiziell erlaubte den Kriterien des Abbaus öffentlicher Angestellter zu folgen, hat die Schließung keinen direkten Effekt für den Staatshaushalt. ERT war voll finanziert aus Werbeeinnahmen und Rundfunkgebühren, die pro Haushalt mit den Elektrizitätsrechnungen abgerechnet wurden. ND nannte Missmanagement, Intransparenz und Verschwendung als Gründe für die Schließung. Frühere Angestellte malen ein anderes Bild. Wie die meisten Angestellten verdiente beispielsweise Iliana unter Tausend Euro. Das Durchschnittliche Einkommen lag bei etwa 1.300 Euro. Vielmehr brachte die jeweilige Regierung – auch die aktuelle – unproduktive und mit Löhnen weit über den üblichen deutlich überbezahlte Familienmitglieder, Freunde und Verbündete in Positionen bei ERT. Der Regierung missfiel der Rundfunk schon länger. Ein öffentlicher Rundfunk der bestreikt wird, wenn Bundeskanzlerin Merkel Athen besucht oder wenn Ministerpräsident Samaras China besucht, ist nicht die Propagandamaschine, die eine autoritäre Regierung braucht, die gleichzeitig unliebsame Maßnahmen durchsetzt. Private Medienunternehmen stehen der Regierung weitaus näher.
Um die realen sozialen Verwerfungen der ohnehin mit am stärksten von der Krise betroffenen Bevölkerung in Griechenland kümmert sich die Bundesregierung und die Troika nicht. So fallen auch demokratische Kerninstitutionen den Spardiktaten zum Opfer. Wurde bisher schon das griechische Parlament in ihren Entscheidungen durch die Memoranden übergangen und die Regierungsbildung und -politik stark von den Wünschen der EU beeinflusst, so bleiben nun nicht mal öffentliche Medien verschont. Eine demokratische oder soziale Ausrichtung der Spardiktate ist nicht vorhanden, wodurch die Sparmaßnahmen der griechischen Regierung auch so antidemokratisch und unsozial ausfallen können, wie bei der Schließung von ERT.
Meinungsfreiheit?
Die Doppelmoral ist evident. In Griechenland wird über Nacht nicht eine Sendeanlage, nicht ein Fernsehsender, sondern der öffentliche Rundfunk abgeschaltet. Keine Debatte, kein Verfahren. Per Ministerialdekret Wurde das öffentliche Segment von Medien geschlossen, welches von staatlicher Seite einen Mindeststandart öffentlicher Meinungsbildung erhalten soll. Wir sprechen hier nicht von freien Radios, Bürgermedien oder sozialen Netzwerken, aber vom am weitesten verbreiteten staatlichen Rundfunk. Mit griechenlandweiter Sendereichweite bleiben momentan nur private kommerzielle Medien über, die wesentlich weniger vielfältig und meist rechter und regierungsnäher berichten. Die Reaktionen auf die Einschränkung öffentlicher Meinungsfreiheit sind demnach relativ schwach. Dabei könnten EU-Regierungen hier massiven Druck auf die hörigen und am Finanztropf hängende Regierung Samaras ausüben. Stattdessen wird von ihnen und auch in Kommentaren[1] großer Zeitungen auf die Notwendigkeit von Maßnahmen hingewiesen. Hier sei nicht unbedingt die Pressefreiheit bedroht.
Ganz anders bei Reformen und Maßnahmen politisch weniger liebsamer, weniger höriger und nicht dem Diktat der Troika unterstehenden Regierungen aus. Als etwa in Venezuela von der Regierung Chávez die terrestrische Sendelizenz des in den Putsch 2002 verwickelten Fernsehsenders RCTV in Venezuela nicht verlängerte[2], von den selben Akteuren geradezu unisono das „Ende der Pressefreiheit“ herbeigeredet. Das, obwohl es sich in diesem Fall um die Demokratisierung von Frequenzen und des Rundfunksystems handelte und nicht um die Übernacht-Abschaltung eines ganzen Sektors. Anscheinend wird das Einklagen von „Pressefreiheit“ als Kern moderner liberaler Demokratie politisch taktisch eingesetzt, wenn es den Interessen der herrschenden Klassen passt.
Es ist nicht so, dass „Pressefreiheit“ ein emanzipatorisches Projekt sei. Der Begriff bezieht sich üblicherweise darauf prinzipiell seine Meinung in Medien vertreten zu dürfen, was am Umfang von privaten und kommerziellen Medienunternehmen gemessen wird, anstatt realen Zugang und Teilhabe zu berücksichtigen. ERT stellt als öffentlicher Rundfunk nur bedingt eine Ausnahme dar. Aber das ist hier nicht der Punkt. Vielmehr beobachten wir, im Kontest von Austeritätspolitiken in Europa, die bewusste Auslöschung nicht nur der etwas progressiveren staatlichen Elemente, sondern der basalen öffentlichen, die ihrerseits nie zufriedenstellend waren. Mit ERT fällt ein ganzer Sektor staatlich-öffentlichen Rundfunks weg, der private und Basismedien ergänzen könnte. Auch wenn nun eine radikal verkleinerte neue Sendeanstalt aufgebaut werden sollte, muss hier von einer Einschränkung des medialen Meinungsspektrums gesprochen werden. Maskiert mit einer Es-gibt-keine-Alternative-Ideologie zeigt der Fall ERT, wie stark neoliberale Wirtschaftslogiken mögliche Politiken innerhalb der EU bestimmen und damit einschränken.
Dabei gab sogar der Präsident der Europäischen Rundfunkunion (EBU), Jean-Paul Philippot, im besetzten ERT-Gebäude eine live ausgestrahlte Pressekonferenz, in der er betonte, dass was dort passiere kein rein griechisches, sondern ein internationales Anliegen sei. Es ginge um grundlegende demokratische Meinungsfreiheit. Seit Gründung der EU sei kein Signal gekappt worden, so Philippot weiter. Seine EBU wolle ein griechisches Mitglied behalten. Keine EU-Regierung hat sich für ERT eingesetzt oder die Einschränkungen der Meinungsfreiheit auf diese Weise beklagt.
Wenn auch viele, insbesondere journalistische, Institutionen die Art der Schließung kritisieren, bleibt eine breite Skandalisierung und vor allem Maßnahmen von Seiten der einflussreichen EU-Regierungen aus. Bundeskanzlerin Merkel unterstützt den griechischen Ministerpräsidenten Samaras und seine ERT-Politik sogar offen. Im Rahmen des neoliberalen Krisenmanagements wird eine Autoritarisierung des Staates mindestens in Kauf genommen, wenn nicht direkt unterstützt und gefördert. Bei vielen Protestierenden ist die Tendenz klar: Nicht nur die faschistische Organisation Goldene Morgenröte wächst. Die Regierung und der Staat faschisiert sich. Iliana fragt: „Was sagen die europäischen Regierungen dazu, wenn Griechenland eine faschistische Regierung hat?“
In Bezug auf Merkels Regierung, wird die Tendenz deutlich, wenn wir andere Beispiele gegenüberstellen. Als Tayyip Erdogans Regierung die Polizei demokratische Demonstrant_innen angreifen lässt, äußerte Angela Merkel: „Das, was im Augenblick in der Türkei passiert, das entspricht aus meiner Sicht nicht unseren Vorstellungen von Freiheit der Demonstration, Freiheit der Meinungsäußerung.“ Einen Tag vor dieser Aussage, am 16. Juni und nach fünf Tagen Protest in Griechenland sowie einem Generalstreik gegen die Schließung von ERT, rief Merkel Samaras an, um ihre Unterstützung für seine Entscheidung zum Ausdruck bringen.
Widerstand und Selbstorganisierung
Die ERT-Schließung findet statt während im Nachbarland Türkei seit Wochen massive Proteste gegen die Regierung stattfinden. Der Taksim-Platz in Istanbul wurde Symbol des dortigen Protests und viele Engagierte bei ERT verglichen ihren Protest mit jenem in der Türkei bzw. hofften ERT würde Griechenlands Taksim werden. Jedoch ist nach Jahren der Verarmungs und sozialen Abstiegs aufgrund von Austeritätspolitiken, nach Jahren von zahllosen Generalstreiks und Mobilisierungen unterscheidet sich die Situation in Griechenland. Es mag als kleiner Schritt erscheinen – vom ERT-Protest zu einer größeren Mobilisierung gegen die griechische Regierung. In der Tat haben die oppositionellen Kräfte die ERT-Proteste stark unterstützt. Aber den meisten ERT-Angestellten ging es in erster Linie um dden Erhalt der Institution, ihre Arbeit und ihren Lebensunterhalt.
Die Organisation ehemaliger ERT-Angestellter in der von ihnen besetzen Sendeanlage ist ein lebendiges Zeichen der konkreten Solidarität, die sich in Griechenland seit Beginn der Krise verbreitet hat. Die ERT-Mitarbeiter_innen sehen ihren Kampf nicht primär als politischen. Es geht in erster Linie um die Institution des öffentlichen Rundfunks und ihre Arbeitsplätze. Dennoch geht ihr Widerstand weit über einfachen Protest gegen Stellenabbau hinaus. Unter dem Zwang der Schließung und im Zuge der Besetzung debattieren die Medienarbeiter_innen, organisieren und probieren ohne dass sie es darauf angelegt hätten, eine wirklich demokratische Organisationsform aus. Die ERT-Angestellten haben gemeinsam den Vorschlag zurückgewiesen, einen neuen Sender mit auf 1.200 Personen reduzierte Belegschaft zu eröffnen. Angesichts einer Erwerbslosenquote von 27 Prozent, ist dies ein Ausdruck gemeinsamer Stärke. „Wie kann ich für einen Sender arbeiten, wenn mein vormaliger Kollege auf der Straße sitzt und ums Überleben kämpft?“, fragt sich Iliana.
In ihren Versuchen der Selbstverwaltung könnten die ehemaligen Angestellten von den reichhaltigen Erfahrungen der Solidaritätsstrukturen wie solidarischen Kliniken, Medizin- und Nahrungsmittelverteilungsnetzwerken sowie nachbarschaftlichen Unterstützungsnetzwerken lernen, die in Griechenland seit dem Beginn der Krise verstärkt aufgekommen sind. Diese neuen Formen gesellschaftlicher Organisierung, von selbstverwalteter Produktion und Distribution bis hin zu konkreten solidarischen Handlungen, sind die Waffen der griechischen Gesellschaft im Kampf gegen die Troika. Was Selbstverwaltung für den öffentlichen Mediensektor bedeuten wird, bleibt abzuwarten. Die griechische Gesellschaft hat klar gemacht, dass sie keine komplett kommerzielle Medienlandschaft akzeptieren und für einen staatlich finanzierten unabhängigen Rundfunk kämpfen wird. Ob der Kampf zu der Frage kommt, die sich andere Solidaritätsbewegungen bereits stellen – wie ein Sektor, in diesem Falle die Medien, den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechend vergesellschaftet werden kann – wir entscheidend für die politischen Auswirkungen. Wenn sich angenährt wird, könnte der Kampf um ERT den dritten marginalisierten Sektor nicht-kommerzieller community- Bürger_innen Basismedien stärken, was widerum die Kämpfe gegen die Memoranda in Griechenland stärken könnte. Die Weiterentwicklung dieses dritten Sektors, der Erhalt öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die Demokratisierung von Medien insgesamt wären wilkommene, wenn auch ferne Effekte des Widerstands gegen das autoritäre Krisenregime.
[1]“Mit einem Anschlag auf die Pressefreiheit hat die Schließung des griechischen Staatsfernsehens wenig zu tun”, Florian Hassel, Mit der Brechstange, Süddeutsche Zeitung vom 13. Juni 2013.
[2]Vgl Malte Daniljuk, Mediensystem im Transformationsprozess. Medien und Medienpolitik im Venezuela des 21. Jahrhunderts, in: Bruchmann et al., Medien und Demokratie in Lateinamerika