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Frankreich: Die soziale (und digitale) Säuberung vor den Olympischen Spielen

Dossier

Frankreich: Soziale Säuberung vor den Olympischen Spielen (La Revers de la médaille)Fast 13.000 Menschen ohne feste Bleibe seien aus dem Großraum Paris weggebracht worden, damit sie während der Olympischen Spiele nicht im Stadtbild stören, beklagen Hilfsorganisationen. Die Stadt gibt der Regierung die Schuld. (…) Demnach seien allein in den vergangenen 13 Monaten 12.545 Menschen umgesiedelt worden, darunter Asylbewerber, Sexarbeiterinnen und Drogenabhängige, aber auch Familien mit Kindern. Allesamt Menschen, »die sich bereits in einer prekären und gefährdeten Situation befinden«. Sie würden mit Bussen in provisorische Zentren gebracht, die kurzfristig eingerichtet worden seien und müssten nun ohne ihre bewährten Hilfsnetzwerke auskommen.Paul Alauzy von der Hilfsorganisation »Médecins du Monde« (»Ärzte der Welt«), beschuldigte die Behörden der »sozialen Säuberung«…“ Beitrag vom 04.06.2024 vom Spiegel online externer Link („Vorbereitung auf Olympische Spiele: Tausende Obdachlose offenbar aus Paris in die Provinz verfrachtet“), siehe mehr zum Thema:

  • Die weniger glänzende Seite der Olympischen Spiele in Paris: Sie treiben die Gentrifizierung in der Stadt voran, wie schon einige zuvor… New
    Wenn im nächsten Monat die Olympischen Spiele in Paris eröffnet werden, handelt es sich um ein historisches Ereignis. Zum ersten Mal überhaupt wird die Eröffnungszeremonie der Sommerspiele nicht in einem Stadion stattfinden, sondern auf Booten die Seine hinunterfahren. Das Internationale Olympische Komitee – die in der Schweiz ansässige gemeinnützige Organisation und selbsternannte „oberste Instanz“ der Olympischen Spiele – verkündet diesen kühnen Plan als „bahnbrechend, weil es den Sport in die Stadt bringt“. Doch die Olympischen Spiele in Paris betreten auch noch ein anderes Terrain: Um Platz für das olympische Spektakel zu schaffen, vertreiben die französischen Behörden arme und marginalisierte Bevölkerungsgruppen. Die Spiele treiben die Gentrifizierung in der Stadt voran. In den Monaten vor den Olympischen Spielen haben Sicherheitsbeamte Migranten und Obdachlose in Busse verladen und in das französische Hinterland gebracht. Im April wurde das größte besetzte Haus in Paris – eine ehemalige Zementfabrik, in der rund 400 Migranten untergebracht waren – gestürmt und die Bewohner in die Kälte gezwungen. (…)
    Die Vertreibung und Gentrifizierung, die wir im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen in Paris erleben, sind nicht nur in der Stadt des Lichts zu beobachten. Die Austragungsstädte haben einen eingebauten Anreiz, die Armen zu vertreiben, bevor die hellen Lichter der globalen Medien auf der Bildfläche erscheinen, um über das Sportspektakel zu berichten. Paul Alauzy, Sprecher von Le Revers de la Médaille und Koordinator von Médecins du Monde, erklärte gegenüber CBC Radio, dass „le nettoyage social“ Teil der DNA des Mega-Events ist, dass die Olympia-Organisatoren motiviert sind, „alle „Unerwünschten“ zu entfernen … um die ärmsten Bewohner der Gastgeberstadt zu verstecken“.
    Wenn es um die Spiele geht, ist die Vertreibung eine Art schändliche Tradition, die im Schatten der olympischen Geschichte lauert. David Goldblatt, Autor von The Games: A Global History of the Olympics, weist darauf hin, dass Adolf Hitler und die Nazis im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin Roma verhafteten und in einem Gefangenenlager internierten, was eine Vorahnung auf die grausame Unterdrückung und den Tod war, die noch kommen sollten. Er verweist auch auf die Spiele 1964 in Tokio, wo die Behörden Hunderte von Kleinkriminellen verhafteten, Obdachlose aus den örtlichen Parks vertrieben und sogar „die Yakuza-Banden aufforderten, ihre auffälligsten Mitglieder in einen langen Urlaub außerhalb der Stadt zu schicken“, um das Image der Stadt vor der Ankunft der Massen von Olympia-Besuchern zu säubern. Als Seoul 1988 die Olympischen Sommerspiele ausrichtete, wurden 720.000 Menschen vertrieben, weil die Militärdiktatur Südkoreas die Stadt vor den Spielen brutal „verschönerte“. Im Zuge dieser intensiven Enteignungswelle wurden ganze Stadtteile zerstört. Als die Bewohner sich wehrten, wurden sie von den Behörden getötet. Im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 1996 in Atlanta wurden mehr als 9.000 Obdachlose im Rahmen eines „sozialen Säuberungsprogramms“ verhaftet – oft ohne hinreichenden Grund -, was die Aufmerksamkeit der Bundesbehörden erregte, die schließlich eine Unterlassungsverfügung erließen. (…) Im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro wurden rund 77 000 Menschen vertrieben, um Platz für die olympischen Wettkampfstätten und die Entwicklung zu schaffen. Theresa Williamson, Gründerin der in Rio ansässigen Nichtregierungsorganisation Catalytic Communities, sagte mir: „Die größten Probleme im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen sind die wachsende Ungleichheit, der Tod der Kultur und die Vermarktlichung der Stadt. Sie sind alle in einem großen Prozess miteinander verbunden.
    (…)
    Die Eröffnungszeremonie von Paris 2024 könnte immer noch nach drinnen verlegt werden, falls Sicherheitsbedenken dies erfordern, aber die Menschen, die im Freien leben, haben keine solchen Notfallpläne. Die Olympischen Spiele bieten ein praktisches Alibi, um die am meisten ausgegrenzten Mitglieder der Gesellschaft im Namen des Profits und des Spektakels zu misshandeln. Wir täten gut daran, uns diese olympische Schattenseite vor Augen zu halten, wenn wir beobachten, wie die weltbesten Athleten in Frankreich zusammenkommen, um an den Spielen 2024 in Paris teilzunehmen. Wir müssen uns nicht von einem vereinfachten Denken leiten lassen: Wir können die Athleten, die unsere Bildschirme zieren und der Welt so viel Freude bereiten, anfeuern und gleichzeitig solidarisch an der Seite derer stehen, die unter eben diesen Olympischen Spielen leiden.“ engl. Artikel von Jules Boykoff vom 20.6.2024 bei Transforming Society externer Link („The less shiny side of the Olympics“ , maschinenübersetzt)
  • Olympia in Paris 2024: Scheiß auf die Spiele! Im Vorfeld des Sportspektakels werden in der Metropole Tausende aus prekären Unterkünften geräumt und mit Bussen in die Provinz gebracht
    „Eigentlich soll ein französisches Sommermärchen wahr werden, wenn am 26. Juli die Olympischen Spiele von Paris starten. Aber die Geschehnisse im Vorfeld gleichen doch eher Schauergeschichten – wie sie sich in fast allen Städten ereigneten, die in der Vergangenheit das Spektakel zu Gast hatten. Das sollte auch eine Mahnung an die Bevölkerung Berlins und Hamburgs sein, wo schon wieder über eine Olympiakandidatur fabuliert wird: Haut euren Lokalpolitiker*innen auf die Finger, sollten sie nach den fünf Ringen grabschen – auch wenn sie tönen, es besser als die bisherigen Gastgeber*innen machen zu wollen. Denn eben das behauptete man in Paris auch, aber dann gab es im letzten Jahr Razzien beim Organisationskomitee wegen Verdachts auf Vetternwirtschaft. Es stellte sich heraus, dass auf den Baustellen viele Papierlose unter miesen Bedingungen arbeiteten. (…) Als wäre das nicht genug, trat ein Zusammenschluss aus über 80 Organisationen, die sich um Menschen in Notlagen kümmern, auf den Plan, das „La Revers de la médaille“ heißt. Wobei die deutsche Übersetzung des Namens noch viel treffender den Inhalt des Berichts beschreibt, den das Bündnis der Öffentlichkeit am Montag vorstellte: die sprichwörtliche Kehrseite der Medaille. La Revers de la médaille beklagt, dass die Behörden anlässlich der Sommerspiele in den vergangenen 13 Monaten rund 12.500 Menschen aus prekären Behausungen rausgefegt haben – darunter viele mit unsicherem Aufenthaltsstatus, nicht wenige minderjährig. Unter anderem die Räumung zehn besetzter Häuser zwischen April 2023 und Mai 2024 und die von acht Hütten- und Zeltsiedlungen seit Anfang Februar stünden in direktem Zusammenhang mit Olympia, so das Bündnis. (…) Die Zwangsgeräumten wurden mit Bussen in provisorische Aufnahmezentren gekarrt, die in der Provinz kurzfristig eingerichtet worden sind. La Revers de la médaille ist sich sicher, dass die Fahrt dorthin nicht immer freiwillig angetreten wurde, oder dass die Betroffenen mit falschen Versprechungen aus Paris weggelockt wurden. Bündnissprecher Paul Alauzy spricht von „sozialer Säuberung“, die auch verstärkte Repressionen gegen Sexarbeiter*innen und Drogenabhängige umfasse. Um der Welt ein makelloses Bild von Paris zu präsentieren, werde das Elend unter den Teppich gekehrt. Auch darin unterscheidet sich Paris nicht von früheren Austragungsorten. Schon 2011 stellte die UN-Organisation Habitat fest, dass Sommerspielen, aber auch einer Fußball-WM oder anderen Großereignissen immer wieder die Räumung informeller Siedlungen, die Vertreibung von Obdachlosen und Straßenhändlern vorangeht. Bisweilen werden Olympiastadien und Athletenunterkünfte so geplant, dass ganze Wohnviertel weichen müssen. (…) In Paris soll nun nichts Geringeres als eine Olympia­renaissance stattfinden. Damit genügend Platz für die zu erwartenden auswärtigen Übernachtungsgäste herrscht, „überredet“ die Zentralregierung, die für alle Notunterkünfte in Paris zuständig ist, in Hotelzimmern lebende Wohnungslose ebenfalls dazu, den Bus in die Provinz zu nehmen. (…) In den sozialen Medien herrscht aber Verärgerung darüber, dass erst die Spiele kommen mussten, damit die Seine gereinigt wird. Deshalb kursiert im Netz unter dem Hashtag #JeChieDansLaSeine die Aufforderung, am 23. Juni in den Fluss zu kacken.“ Artikel von Oliver Pohlisch vom 8. Juni 2024 in der taz online externer Link, siehe dazu:

    • 1 Jahr soziale Säuberung vor den Olympischen Spielen
      Finden Sie heraus, wie mehr als 12500 Menschen, die als unerwünscht gelten, von den Behörden aus der Stadt gefegt wurden…“ Der Bericht der Initiative „La Revers de la médaille“ auf Französisch externer Link und auf Englisch externer Link
  • Olympische Spiele 2024: Die Karte des Gebiets, in das man eine Woche vor der Eröffnungszeremonie nur mit einem QR-Code eintreten kann
    Das Innenministerium wird ab dem 10. Mai eine Plattform bereitstellen, auf der man sich registrieren lassen kann, um eine Woche vor der Eröffnungsfeier am 26. Juli Zugang zu diesem Teil der Hauptstadt zu erhalten. Es handelt sich um ein mehrere Quadratkilometer großes Gebiet, das dem Lauf der Seine folgt und sich manchmal in die Straßen der Hauptstadt hineinwagt. Ein Gebiet, in das man ab einer Woche vor der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris nicht einmal mehr zu Fuß hineingehen kann, es sei denn, man verfügt über einen vom Staat bestätigten Passierschein. Am Rande eines Interviews mit der Zeitung Le Parisien-Aujourd’hui en France am Montag enthüllte Innenminister Gérald Darmanin die Silt-Zone (aus dem Gesetz über innere Sicherheit und Terrorismusbekämpfung), die Anwohner, Arbeitnehmer und einfache Besucher nur betreten können, wenn sie sich auf einer Online-Plattform registriert haben, die ab dem 10. Mai geöffnet ist. (…)
    Etwa fünfzehn Metrostationen werden geschlossen.
    Der QR-Code wird obligatorisch sein, aber es wird möglich sein, die betroffenen Museen wie den Louvre oder das Institut du monde arabe auch über Zugänge außerhalb des Silt-Perimeters zu betreten, sofern man ein Ticket hat. Dasselbe gilt für den Gare d’Austerlitz, wo ein Zugticket erforderlich ist, um das Gelände zu betreten…“ franz. Artikel von Romain Baheux, Olivier Beaumont, Jean-Michel Décugis und Vincent Mongaillard vom 8. April 2024 in leparisien.fr externer Link (maschinenübersetzt)

Grundinformationen:

  • La Revers de la médaille
    Wir, die Verbände, Akteure und Akteurinnen der Solidarität, warnen vor den sozialen Auswirkungen der Organisation der Olympischen und Paralympischen Spiele und plädieren für ein positives Erbe im Kampf gegen die Ausgrenzung…“ franz. Homepage der Initiative externer Link – diese auch auf Twitter externer Link
  • CAD (Collectif Accès au Droit) – eine Beobachtungsstelle für Rechtsverletzungen, Nichtbeachtung und Polizeigewalt gegen exilierte Menschen, die in Paris auf der Straße leben, siehe Homepage externer Link mit umfangreicher Dokumentation und auf Twitter externer Link
  • #JOP #JOP2024 #Paris2024
  • #RienAVoirAvecLesJO
  • #JeChieDansLaSeine oder #MacronSwim

Siehe auch im LabourNet:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=221207
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