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Frankreichs umkämpfte Arbeitsrechts-„Reform“, Teil 43
Artikel von Bernard Schmid vom 8. Juli 2016
Der Gesetzentwurf wurde am Mittwoch, den 06. Juli in dritter Lesung (ohne Aussprache) angenommen. Die sozialdemokratische Partei„linke“ hatte es nicht geschafft, genügend Unterschriften für ein Misstrauensvotum gegen die Regierung Valls zusammen zu bekommen. * Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren ist beinahe abgeschlossen. Nicht vorbei ist die Repression * Erneut wurde das Pariser Gewerkschaftshaus am 05. Juli polizeilich umstellt * Prozess gegen einen mutmaßlich sozialchauvinistischen LKW-Fahrer, der zwei Streikposten der CGT anfuhr und verletzte, wird neu aufgerollt
Der Entwurf für das geplante „Arbeitsgesetz“ wurde am Mittwoch, den 06. Juli in dritter Lesung (ohne Aussprache, wg. Anwendung des Verfassungsartikels 49-3, vgl. unseren Teil 42) angenommen.
Die sozialdemokratische Partei„linke“ hatte es nicht geschafft, genügend Unterschriften für ein Misstrauensvotum gegen die Regierung Valls zusammen zu bekommen. Dem Vernehmen nach erhielt die parlamentarische Linke (KP-Abgeordnete, einzelne Grüne und sozialdemokratische „Dissidenten“ oder Halboppositionelle zusammengenommen) 56 Unterschriften für ihren Entwurf eines Misstrauensantrags – erneut dieselbe Anzahl wie am 10./12. Mai dieses Jahres. (Vgl. http://www.francetvinfo.fr/economie/emploi/carriere/vie-professionnelle/droit-du-travail/direct-loi-travail-suivez-les-reactions-apres-le-nouveau-recours-a-l-article-49-3_1533651.html und http://www.lemonde.fr/politique/article/2016/07/06/les-deputes-de-gauche-opposes-au-gouvernement-ne-parviennent-pas-a-deposer-une-motion-de-censure_4964822_823448.html ) Es ist jedoch zugleich davon auszugehen, dass unter den Unterzeichner/inne/n zwar einige sich befinden, die es wirklich ernst meinten; aber auch andere sozialdemokratische „Linke“, die überhaupt nur einen Misstrauensantrag unterstützen mochten, so lange es gefahrlos blieb. Das heißt also, so lange er erkennbar unterhalb der Schwelle der erforderlichen 58 Abgeordneten hängen blieb.
Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren wird nunmehr in Bälde vorüber sein. Noch muss ein parlamentarischer Vermittlungsausschuss zwischen Nationalversammlung (mit sozialdemokratischer Mehrheit) und Senat (konservativ dominiert) eingesetzt werden, da beide Kammern unterschiedliche Fassungen des Gesetzestextes angenommen hatten. Doch aller Voraussicht nach wird es zu keiner Einigung kommen – das ist Teil eines abgekarteten Spiels, um den Regierungsentwurf als „kleineres Übel“ für die Lohnabhängigen erscheinen zu lassen -, und der französischen Verfassung gemäß wird dann die Nationalversammlung das letzte Wort behalten.
Nicht vorbei ist unterdessen die Repression. Am 14. Juli, dem diesjährigen Nationalfeiertag, wird sie am Nachmittag auch auf der Pariser place de la République – dem Zentrum der Platzbesetzerbewegung – eine Aufsehen erregende Debatte geben. Dazu werden auch Mitglieder des gegen Polizeigewalt in den USA (ein soeben wieder hochaktuelles Thema!) kämpfenden Kollektiv Black lives matter anreisen. (Vgl. http://paris.demosphere.eu/rv/49036 )
Kessel, Wanderkessel, Blitzprozess
Erneut wurde das Pariser Gewerkschaftshaus am Dienstag, den 05. Juli, polizeilich umstellt, um darin befindliche Menschen daran zu hindern, am schwarz-bunten „Spitzenblock“ der Pariser Demonstration teilzunehmen. Alle darin befindlichen Personen wurden durchsucht und Leibesvisitationen unterzogen. Dasselbe hatte bereits am Dienstag zuvor, dem 28. Juni stattgefunden (vgl. https://www.labournet.de/internationales/frankreich/politik-frankreich/politik-arbeitsgesetz_widerstand/frankreichs-umkaempfte-arbeitsrechts-reform-teil-39/. Siehe dazu eine Protesterklärung des Pariser Kreisverbands der CGT: http://canempechepasnicolas.over-blog.com/2016/07/communique-ud-cgt-paris-nouvelle-intimidation-et-entrave-a-l-activite-syndicale-lors-de-la-manifestation-du-5-juillet-dans-la-capita? )
Am Abend des 05. Juli hatten zudem Menschen in Paris versucht, sich zu einer Spontankundgebung rund um die Nationalversammlung zu sammeln. An jenem Tag hatte Regierungschef Manuel Valls angekündigt, den Artikel 49-3 erneut anzuwenden, also zum zweiten Mal (seit dem 10. Mai dieses Jahres) die Beratungsrechte des Parlaments auszuhebeln und den Text ohne Sachdebatte durchzudrücken. Die Menschenmenge wurde eingekesselt und im Anschluss in Zehnergruppen nach und nach aus dem Kessel herausgelassen. Teilnehmer/innen an Versuchen, etwa auf der in der Nähe gelegenen place de la Concorde zu Spontandemonstrationen aufzubrechen, wurden festgenommen. (Vgl. dazu ein Video: http://canempechepasnicolas.over-blog.com/2016/07/la-video-souvenir-de-la-manif-du-5-juillet-a-paris-retrait-retrait-de-la-loi-khomri.html )
Ferner befindet sich seit demselben Demonstrationstermin – Dienstag, dem 05. Juli – ein Mitglied des Ordnerdiensts der Pariser CGT, Laurent, in Polizeigewahrsam. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe sind in der Öffentlichkeit bislang unbekannt. Nunmehr soll ihm im Blitzverfahren der comparution immédiate der (Eil-)Prozess gemacht werden. (Vgl. dazu http://canempechepasnicolas.over-blog.com/2016/07/toute-la-cgt-attaquee.html )
CGT-Streikposten verletzt: Freispruch!
In Aix-en-Provence hat die Staatsanwaltschaft am Montag, den 04. Juli d.J. Berufung gegen ein Urteil vom Dienstag voriger Woche eingelegt, das viel Empörung hervorgerufen hatte. Bei ihm erhielt ein höchstwahrscheinlich sozialdarwinistisch und mutmaßlich faschistisch orientierter Fernfahrer einen Freispruch (!), welcher am 26. Mai dieses Jahres zwei Streikposten der CGT im südfranzösischen Vitrolles mit seinem Fahrzeug anfuhr und verletzte. Die 24jährige Postbedienstete Nadia wurde dabei von den Rädern des LKW überrollt und mit Gehirnerschütterung sowie einer tiefen Fleischwunde am Arm ins Krankenhaus eingeliefert. Ein bei ebenfalls bei der CGT organisierter Drucker wurde an beiden Beinen verletzt.
Vitrolles ist eine langjährige Hochburg der extremen Rechten, die dort bei Wahlen noch immer rund 40 Prozent erhält, nachdem sie von 1997 bis 2002 (unter der damaligen Bürgermeisterin Catherine Mégtret) das Rathaus der Stadt regierte. Bereits im November 1997 hatte es in derselben Stadt einen ähnlichen Vorfall gegeben: Anlässlich eines Streiks – damals der LKW-Branche selbst – waren Streikposten in der Stadt attackiert und verletzt worden. Wie sich herausstellte, war einer der Täter ein Stadtrat des rechtsextremen Front National (FN), und auch zwei Kommunalbedienstete waren unter den Mittätern… (Vgl. http://www.liberation.fr/societe/1997/12/13/un-elu-fn-de-vitrolles-briseur-de-greve-il-a-ete-mis-en-examen-ainsi-que-deux-employes-municipaux_224655 )
Bei dem diesjährigen Vorfall hatte die Staatsanwaltschaft gegen den Fahrer – anscheinend handelte es sich um einen Wiederholungstäter, laut Presseartikel (http://m.lamarseillaise.fr/marseille/flash/50233-le-camionneur-qui-a-fonce-sur-les-deux-militants-cgt-sera-rejuge ) – 300 Euro Geldstrafe sowie einen sechsmonatigen Entzug des Führerscheins gefordert. Doch das Gericht folgte ihrer Strafforderung nicht. Bei den Verhandlungen beklagte die Vorsitzende Richterin wiederholt den armen Mann, „einen Fahrer, der früh morgens aufsteht, um zu arbeiten“ (was implizit natürlich die Aussage enthielt: „…während Andere faulenzen und/oder streiken im Gegensatz zu solch anständigen Leuten!“). (Vgl. http://m.lamarseillaise.fr/marseille/flash/50233-le-camionneur-qui-a-fonce-sur-les-deux-militants-cgt-sera-rejuge )