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Frankreich: Vorbereitung des Streiktags vom 05. Dezember 19 und „Nachwehen“ des Jahrestags der „Gelbwesten“

FRankreich: Generalstreik gegen die "Rentenreform" am 5. Dezember 2019Gewerkschaftliche Aufrufe nehmen zu; erstmals auch Überlegungen zu einer Streikbeteiligung seitens eines Branchenverbands der CFDT – Neue Aktionen der Krankenhausbeschäftigten schon zuvor – Belgische Teilnehmer am „Gelbwesten“-Protestsamstag wurden in französische Abschiebehaft genommen. Die Aufrufe zum Streik-, Aktions- und Protesttag vom 05. Dezember 19 gegen die Renten„reform“ mehren sich. Selbst der Gewerkschaftsverband der höheren und leitenden Angestellten – französisch als cadres bezeichnet -, die CFE-CGC, ruft nunmehr zur Teilnahme auf. (…) Auch der Generalsekretär des Dachverbands CFDT, Laurent Berger, erklärte seine Unterstützung für die Positionierung seines Branchenverbands bei der Bahngesellschaft SNCF. Allerdings erklärte er gleichzeitig, der Dachverband CFDT als solcher werde sich nicht dem Streiktag am 05. Dezember 19 anschließen…“ Artikel von Bernard Schmid vom 22.11.2019 – wir danken!

Frankreich: Vorbereitung des Streiktags vom 05. Dezember 19
und „Nachwehen“ des Jahrestags der „Gelbwesten“

Gewerkschaftliche Aufrufe nehmen zu; erstmals auch Überlegungen zu einer Streikbeteiligung seitens eines Branchenverbands der CFDT – Neue Aktionen der Krankenhausbeschäftigten schon zuvor – Belgische Teilnehmer am „Gelbwesten“-Protestsamstag wurden in französische Abschiebehaft genommen

Die Aufrufe zum Streik-, Aktions- und Protesttag vom 05. Dezember 19 gegen die Renten„reform“ mehren sich. Selbst der Gewerkschaftsverband der höheren und leitenden Angestellten – französisch als cadres bezeichnet -, die CFE-CGC, ruft nunmehr zur Teilnahme auf. (Vgl. AFP-Meldung dazu: https://www.lefigaro.fr/flash-eco/la-cfe-ccg-appelle-a-manifester-le-5-decembre-20191121 externer Link)

Die Basis der CFE-CGC wählte zwar in den letzten zwanzig Jahren zu durchschnittlich rund 60 % Parteien der bürgerlichen Rechten, doch ist ihre Klientel, sind also die höheren Angestellten, besonders von Themen wie Stress, Arbeitszeit„flexibilität“ und Überstunden betroffen, und eben auch vom Rententhema (die cadres besitzen eigene Zusatzversicherungen zur Rentenkasse, die wie alle Zusatzkassen nun zur Disposition stehen). In der jüngeren Vergangenheit kam es wiederholt zu Konstellationen, bei denen etwa in der Arbeitszeitpolitik die CFE-CGC neben dem (historisch ältesten und relativ linken) Dachverband CGT auftrat und relativ kämpferisch agierte, aufgrund der besonderen Betroffenheit ihrer Klientel.

Die CFE-CGC setzt sich dadurch nun auch vom christlichen Gewerkschaftsdachverband (d.i. die CFTC) ab, welcher einen Aufruf zum Streik & Protest am 05. Dezember verweigert, wie wir am Mittwoch bei Labournet berichteten, um „den Dialog vorzuziehen“. Bei vielen allgemeinen arbeitspolitischen Themen ziehen oft CFE-CGC und CFTC als „die moderatesten Dachverbände“ mehr oder minder an einem Strang. Nicht so in diesem Falle.

Sicherlich wird das Gros der Demonstrierenden am 05. Dezember nicht von den Fußtruppen der CFE-CGC kommen, die nur begrenzt protestgewohnt sind, sondern eher von der CGT zuzüglich Solidaires (plus Bildungsgewerkschaftsverband FSU).

Seitens der CGT im Bezirk Bouches-du-Rhône verlautbarte, es seien mehr Streikaufrufe in unterschiedlichen Sektoren verzeichnet worden als im März/April/Mai/Juni 2003, also bei der vor-vorletzten Streikbewegung gegen eine Renten„reform“ (vor jener von 2010 unter Nicolas Sarkozy), die ebenfalls breit befolgt wurde, jedoch im Frühjahr 2003 eher die öffentlichen Dienste berührte.

Erstmals zieht auch eine Branchengewerkschaft des (an der Spitze rechtssozialdemokratisch, „sozialpartnerschaftlich“ und pro-neoliberal geführten) Dachverbands CFDT eine Beteiligung auch in Form eines unbefristeten Streiks öffentlich in Erwägung.

Tatsächlich spricht die CFDT-Cheminots (Eisenbahnerbranche) seit dem gestrigen Donnerstag, 21.11.19 nunmehr von einem Aufruf zum unbefristeten Streik in Gestalt einer grève reconductible (d.h. eines Arbeitskampfs, über dessen Fortführung das beteiligte Personal alle 24 Stunden in Streikversammlungen entscheidet). Im Anschluss an die Vorstandssitzung wurde dies angekündigt, gleichzeitig jedoch erklärt, das Stattfinden des Streiks – mit Teilnahme der CFDT – sei noch nicht gesichert, sondern hänge davon ab, ob oder wie die Regierungsich nun auf ihre Forderungen zubewegt. (Vgl. zu ersten Niederschlägen in den bürgerlichen Medien: https://www.francetvinfo.fr/economie/greve/greve-du-5-decembre/sncf-la-cfdt-cheminots-va-deposer-un-preavis-de-greve-reconductible-a-partir-du-5-decembre-rejoignant-trois-autres-syndicats_3712729.html externer Link und: https://www.lemonde.fr/economie/article/2019/11/21/la-cfdt-cheminots-deposera-un-preavis-de-greve-reconductible-a-partir-du-5-decembre_6020021_3234.html externer Link)

Auch der Generalsekretär des Dachverbands CFDT, Laurent Berger, erklärte seine Unterstützung für die Positionierung seines Branchenverbands bei der Bahngesellschaft SNCF. (Vgl. https://www.ouest-france.fr/economie/retraites/greve-du-5-decembre-berger-approuve-le-preavis-de-la-cfdt-cheminots-pour-peser-6619223 externer Link)

Allerdings erklärte er gleichzeitig, der Dachverband CFDT als solcher werde sich nicht dem Streiktag am 05. Dezember 19 anschließen. (Vgl. bspw.: http://www.leparisien.fr/economie/greve-du-5-decembre-la-double-partition-de-la-cfdt-21-11-2019-8198877.php externer Link)

Bei der Eisenbahngesellschaft SNCF stehen besondere Einsätze auf dem Spiel, da dort noch spezifische Rentenregelungen fortbestehen, die historische Errungenschaften darstellen. Laurent Berger ließ durchblicken, die rund 100.000 Eisenbahner/innen könnte man ja mit Sonderregelungen im Rahmen einer allgemeinen „Reform“ des Rentensystems ablehnen, welche man nicht rundheraus ablehne, wenngleich man Forderungen an die Regierung bezüglich ihrer Inhalte richte.

(Anm.: Ansonsten ist die auch in redaktionellen Überschriften an dieser Stelle auftauchende Bezeichnung als „Generalstreik“ übrigens mit erheblicher Vorsicht zu benutzen. Es wird sich sicherlich um einen gut befolgten Streik in unterschiedlichen Sektoren und einen Protest auf relativ breiter Front handeln; um von „Generalstreik“ zu sprechen, müsste es sich allerdings um eine Arbeitsniederlegung in allen wichtigen Branchen auch der Privatwirtschaft handeln. Der letzte tatsächliche Generalstreik in Frankreich fand in den Monaten Mai & Juni 1968 statt. Seitdem wurden mehrere, z.T. auch breit befolgte, Streiks in bestimmten Sektoren durchgeführt, wie etwa 1995 und 2003 in mehreren öffentlichen Diensten; oder Streik- und Aktionstage mit allgemeinen Aufrufen, an denen jedoch unterschiedliche Branchen und Sektoren in unterschiedlichem Ausmaß teilnahmen. Man sollte besser nicht allzu leichtfertig von einem „Generalstreik“ sprechen, wo real keiner ist – um ihn dann zu erkennen, wenn er wirklich stattfindet. Was wir sehr hoffen und worauf wir hinarbeiten!)

Ceterum censeo: Zwei Teilnehmer am vergangenen Protestwochenende der „Gelbwesten“ am 16./17. November 19 in Paris mit belgischer Nationalität, die zu Wochenanfang der Strafgerichtsbarkeit vorgeführt wurden, sind zwar von den erhobenen Tatvorwürfen freigesprochen worden – wurden jedoch nun in französische Abschiebehaft genommen. (Vgl. https://www.lemonde.fr/societe/article/2019/11/21/deux-gilets-jaunes-belges-places-en-centre-de-retention-administrative-malgre-leur-relaxe_6020058_3224.html externer Link)

Das Aktionswochenende zum ersten Jahrestag der „Gelbwesten“proteste am 16. & 17. November d.J. war insgesamt, jedenfalls auf die Hauptstadt bezogen, strategisch kein Erfolg. Auf rund 90 % des Pariser Stadtgebiets war von einem Protest nichts zu spüren, sondern herrschte bürgerliche „Normalität“ (völlig anders als zu Hochzeiten etwa im Dezember 2018). Der Staatsmacht war es gelungen, das „Problem“ aus ihrer Sicht „sicherheits“politisch zu behandeln, räumlich zu konzentrieren – auf der place d’Italie, wo sie dann die irrsten Elemente unter den Vermummungen sich zwei Stunden lang austoben ließ, ohne das dort reichlich vorhandene Baumaterial zuvor beiseite geräumt zu haben -, um dann dort einen Polizeikessel einzurichten und schlussendlich die angemeldete Demonstration (unter dem Vorwand der „Ausschreitungen“) zu verbieten. Insofern ging ihre taktische Rechnung damals ziemlich glatt auf. Jedenfalls in Paris, in anderen französischen Städten herrschen örtlich andere Realitäten.

Bleibt zu hoffen, dass die politischen Kalküle der Regierungen am und ab dem 05. Dezember dieses Mal nicht aufgehen!

Artikel von Bernard Schmid vom 22.11.2019 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=157704
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