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Veranstaltungsreihe zu Brasilien: Über den Kampf gegen BASF, Shell und ihre Giftschleudern – und die ungewählte Regierung, die solche Unternehmen installieren halfen

Das Plakat zum Dokumetarfilm gegen BASF/Shell in Paulinia- September 2016Vom 8. bis 20. November machen eine brasilianische Gewerkschafterin und ein ehemaliger Arbeiter und Opfer von Pestizid-Vergiftung durch transnationale Konzerne eine Rundreise durch acht deutsche Städte. Aus erster Hand werden Gloria Nozella und Francisco Tavares über einen Kampf von David gegen Goliath und die ak­tuelle Situation in Brasilien unterrichten. Sie werden auch zur Absetzung der Präsidentin Roussef und zur aktuellen politischen Lage sprechen“ – so die Rundmail zur Ankündigung der Veranstaltungsreihe, an deren Durchführung auch LabourNet Germany mitwirkt. Die beiden Aktiven aus Paulinia, in der Nähe von Sao Paulo, haben mit vielen anderen zusammen über Jahre hinweg die Schädigung von Mensch und Umwelt durch BASF/Shell vor Ort bekämpft – und mit viel Ausdauer sogar erfolgreich. Und wenn sie bei dieser Reise sozusagen gezwungen sind, auch über die aktuelle politische Entwicklung in Brasilien zu sprechen – die Absetzung einer gewählten Regierung und ihre Ersetzung durch eine ungewählte – so haben solche Unternehmen, über ihre Mitgliedschaft im Unternehmverband FIESP (der die Hass- und Hetzkampagne organisierte und finanzierte)  zu dieser Entwicklung massiv beigetragen. Siehe dazu 1. das gemeinsame Einladungsflugblatt zu den Veranstaltungen, 2. Einen Artikel des ehemaligen BASF-Betriebsrats Fritz Hofmann über den Kampf gegen BASF/Shell in Paulinia und 3. Die Daten und Orte aller Veranstaltungen in Frankfurt, Ludwigshafen, Berlin, Halle, Münster, Dortmund (mit LabourNet Germany), Wuppertal und Bonn:

1. Das Einladungsflugblatt

Brasilien in zwei Themen: Gewerkschaft gegen Chemiekonzerne: Leben vor Profit und Warum wurde die Präsidentin Roussef abgesetzt? ist das gemeinsame Einladungsflugblatt zu der Veranstaltungsreihe, in dem es zum Kampf vor Ort unter anderem heißt: „Eine kleine brasilianische Chemiegewerkschaft hat es geschafft, zwei transnationale Konzerne (Shell und BASF) zu einer beispiellosen Vereinbarung zu verpflichten. In einer 12 Jahre andauernden Auseinandersetzung, sowohl vor Gericht als auch mit einer beeindruckenden Kampagne, ist es einer offensiven Gewerkschaft, Anwohnern, Angehörigen und Opfern von Umwelt- und Gesundheitszerstörung gelungen, Shell/BASF zur Verantwortung zu ziehen. Die erreichte Entschädigung erweckt nicht die durch giftige Chemikalien gestorbenen Arbeitnehmer wieder zum Leben und macht die schwer Erkrankten nicht wieder gesund. Aber sie verschafft den Opfern Genugtuung und Anerkennung, und hilft auch ganz praktisch, die ärztlichen Behandlungen zu finanzieren und in Würde weiterzuleben

2. Artikel zum Kampf gegen die Chemiekonzerne in Paulinia

Brasilien: Shell und BASF müssen zahlen

Von Fritz Hofmann

Im Jahr 1990 reisten erstmals Aktive aus deutschen Chemiemultis nach Brasilien und nahmen Kontakt mit dortigen Gewerkschaftskollegen auf. Denn alle Chemiemultis haben dort Zweigwerke. 25 Jahre später waren einige „Aktive der ersten Stunde“ wiederum von brasilianischen Gewerkschaften eingeladen, um die heutige Lage zu studieren und den Info-Austausch und die Zusammenarbeit fortzusetzen. Unter anderem besuchten wir Paulínia, eine Kleinstadt nahe Campinas im Bundesstaat São Paulo. Paulínia ist ein Chemiestandort. Ein Werk von Shell, später BASF, stand dort und war Emittent von Substanzen, die Beschäftigte, Boden und Grundwasser schädigten und vergifteten. Aber bis heute gibt es dort auch eine wehrhafte Gewerkschaft und einen tapferen Verband betroffener ehemaliger Beschäftigter.

Die Chemiefabrik in Paulínia gehörte ursprünglich dem Shell-Konzern, der dort Pestizide herstellen ließ: Krebserregende Stoffe wie Aldrin, Endrin und Dieldrin verursachten schwere Gesundheitsschäden. Dieldrin ist in Deutschland bereits seit 1971 verboten. Auch Aldrin und Endrin wurden trotz Einsatzverbots in USA und Brasilien weiter produziert. Diese Chemikalien können eine Vielzahl unterschiedlichster Krankheiten auslösen, Prostata- und Schilddrüsenkrebs, Impotenz und Gedächtnisstörungen sind dabei noch längst nicht alles. Die Arbeiter in Paulínia sind nicht nur mit diesen Chemikalien, sondern auch mit Schwermetallen in Kontakt gekommen.

Lange wurde vertuscht. Doch vor dem Verkauf der Fabrik an American Cyanamid 1995 war erstmals eine Umweltprüfung fällig: Shell musste die Vergiftung des Grundwassers eingestehen, verpflichtete sich zum Aufkauf von sämtlichem Obst und Gemüse im Umfeld und musste die Gemeinden mit Trinkwasser versorgen. Im Jahr 2000 erwarb BASF die Fabrik im Zuge des Aufkaufs von American Cyanamid. Der Betrieb wurde weiter geführt, auch mit der Herstellung des Pestizids Azodrin. Nach Hunderten von Beschwerden leitete das Arbeitsministerium ein Klageverfahren ein. Ende 2002 erklärte die BASF das Werk für geschlossen. Die Behörde verbot eine weitere Nutzung und stellte unter anderem fest, „dass der Boden der Fabrik komplett verseucht ist“. Seit 2002 sammelt die Behörde (der regionale Ableger des Arbeitsministeriums) die Fälle von Erkrankungen, erstellt Listen von Geschädigten, auch von Leiharbeitern.

Kampf von Belegschaft und Gewerkschaft

Was dieses Desaster von vielen anderen Fabrik- und Umweltdesastern in Brasilien und anderen Teilen der Welt unterscheidet: Teile der Belegschaft organisierten sich zu einem Interessenverband der Betroffenen (Atesq – Verband von Arbeitern, die chemischen Substanzen ausgesetzt waren). Kräftig unterstützt besonders von der zuständigen, sehr rührigen Chemiegewerkschaft von Campinas Quimicos Unificados (Vereinigte Chemiebeschäftigte) im Dachverband Intersindical.

Doch es war ein langer, harter Weg: 2002 wurden die Anlagen stillgelegt, erst 2013 wurde vor dem höchsten Arbeitsgericht in Brasilia endlich eine abschließende Vereinbarung zwischen den beiden Konzernen, dem Arbeitsministerium und den Betroffenen unterzeichnet. Die Vereinbarung enthält individuelle Entschädigungen, eine sogenannte kollektive Entschädigung sowie das Recht der Beschäftigen und ihrer Familien auf lebenslange kostenlose ärztliche Behandlung.

Welch ein Weg, welche Anstrengung, über mehr als zehn Jahre eine solche Auseinandersetzung über alle Instanzen hinweg zu führen! Gegen zwei Multis, die bis zuletzt alles taten, um Ansprüche und Forderungen abzuwehren, und die Kausalität zwischen Chemikalien und Krankheit und Tod abstritten – obwohl nach Aussagen der Atesq bis jetzt bereits 70 Beschäftigte an den Folgen der Vergiftungen verstarben.

Jede Instanz, jede Verhandlung wurde von den Betroffenen begleitet. Immer mobilisierten sie sich, standen vor den Toren und Türen und auf den Plätzen, demonstrierten und protestierten. Antonio Rasteiro, einer der Anführer von Atesq, sagte uns bei unserem Besuch: „Ich habe meinen Krebs bis heute nur deshalb überlebt, weil ich diesen Kampf gewinnen wollte“.

Und ganz sicher wäre das Ergebnis ohne diesen öffentlichen Druck nicht erreichbar gewesen. Glücklicherweise hat auch das Arbeitsministerium das juristische Verfahren immer weiter vorangetrieben.

Die Entschädigung

Keine Entschädigung kann Krankheit und Tod lindern oder verhindern. Und doch ist der erkämpfte Vertrag ein bemerkenswerter Erfolg dieser Belegschaft. Jeder der 1068 registrierten ehemaligen Beschäftigten erhält eine individuelle Entschädigung von im Durchschnitt 360.000 Real (nach heutigem Kurs etwa 82.000 Euro). Der Betrag wird gestaffelt nach der Anzahl der auf dem Gelände gearbeiteten Jahre. Jeder der 1068 ehemaligen Beschäftigten sowie ihre Ehepartner und die in der Beschäftigungszeit geborenen Kinder haben das Recht auf lebenslange kostenlose medizinische Versorgung (Untersuchungen, stationäre Aufenthalte, Medikamente und Operationen). Die Tatsache, dass Ehepartner und Kinder in die medizinische Versorgung einbezogen werden, ist vermutlich bislang einmalig. Ebenso, dass die medizinische Versorgung für jedwede Art von Erkrankung gewährleistet wird. Aber auch dass jeder ehemalige Beschäftigte eine Entschädigung erhält. Denn in Brasilien gilt normalerweise das, was auch in Deutschland gilt: Der Geschädigte muss nachweisen, dass sein Schaden auf eine chemische Substanz zurückzuführen ist, der er ausgesetzt war. Das schickt jeden Einzelnen individuell auf einen langen Instanzenweg, bei dem er alleine einem juristischen Regelwerk und dahinter stehenden Unternehmensinteressen ausgeliefert ist. Dass diese Prozedur hier nicht zur Anwendung kommt, ist das Wichtigste an dieser Vereinbarung – trotz allen Leids ein großer Erfolg für die Betroffenen.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil des unter dem Druck des höchsten Gerichts vereinbarten Pakets ist die „Entschädigung wegen kollektiver Schäden“ in Höhe von 200 Mio. Real (aktuell ca. 50 Mio. Euro). Eine Forderung, die die Gewerkschaft eingebracht hatte. Das Geld wird nicht an Einzelpersonen oder Familien verteilt, sondern ist bestimmt für Projekte zur Erforschung, Behandlung und Prävention von Berufserkrankungen oder Umweltschäden in der Region. Sechs Projekte sind bereits ausgewählt, darunter eine Krebsklinik. Jüngst wurde zum Beispiel entschieden, dass die Fakultät Öffentliche Gesundheit der Universität São Paulo zwei Mio. Real aus diesem Topf erhält. Sie wird damit eine Studie über Gesundheitsbelastungen bei der Arbeit in Erdölraffinerien (zum Beispiel durch Benzol) durchführen.

Ein gutes Ergebnis

Diesem Verhandlungsergebnis muss man Respekt zollen. Weil es umfassend alle Beschäftigten und ihre Familien einbezieht und Forschung und Prävention auf dem Gebiet Berufserkrankungen stärkt. Und zum Schluss: Gewerkschaft und Atesq haben dann noch einen Spielfilm gedreht, der die Auseinandersetzung bekannt machen soll. Sein Titel „O lucro acima da vida“, etwa: Profit vor Leben. Er hat lange Sequenzen darüber, wie schwer es ist, Menschen zu motivieren, für ihr Leben, ihre Gesundheit und ihre Rechte einzutreten. Aber manchmal gelingt es doch.

(Fritz Hofmann ist heute Rentner, hat als Arbeiter und Betriebsrat der BASF lange Jahre auch mit brasilianischen Kollegen/-innen zusammengearbeitet)

3. Die Veranstaltungsdaten in den 8 Orten

Frankfurt
Am Dienstag, den 8. November 2016, um 19.30h in der Schleifergasse 2 in Frankfurt-Höchst
Veranstalter: Betriebsseelsorge Frankfurt-Höchst, Politischer Stammtisch Höchst, Redaktion express, tie-Germany

Ludwigshafen
Am Donnerstag, 10. November 2016, 19 Uhr. Ort: ver.di-Haus, Kaiser-Wilhelmstr. 7, 67059 Ludwigshafen (7 Min. von S-Bahn LU-Mitte, an Ludwigstraße/Ecke Augen-Curschmann rheinwärts)
Veranstalter: Arbeitskreis „Solidarität mit brasilianischen Gewerkschaften“ im DGB Region Nordbaden, Mannheim, in Kooperation mit: attac Ludwigshafen, sowie Zukunftsforum Gewerkschaften Rhein-Neckar…

Berlin
Am Freitag, 11. November 2016 um 18.30 Uhr in der  ver.di-Medien-Galerie, Dudenstraße 10 in 10965 Berlin-Kreuzberg
Veranstalter: AKI d. IG Metall Berlin, ECCHR, FDCL, labournet.tv

Halle
Am: 14. November 2016 um: 18.00 Uhr i:   Abgeordnetenbüro Hendrik Lange MdL, Am Gastronom 14,  06124 Halle

Münster
Am 15. November 2016  um 19.30 Uhr in der Aula der KSHG (Kath. Studierenden- und Hochschulgemeinde) Frauenstr. 3-6, 48145 Münster

Dortmund
Am Mittwoch, 16. November 2016 um 19 Uhr im  Literaturkaffeehaus Taranta Babu, Humboldtstrasse 44 in  44137 Dortmund
Veranstalter: LabourNet Germany und Verein zur Förderung der interkulturellen Lesekulktur und Medienkompetenz

Wuppertal
Am Donnerstag, 17. November 2016 um 19 Uhr in der Börse, Wolkenburg 100, 42119 Wuppertal
Veranstalter: Attac Wuppertal, Basisinitiative Solidarität (BaSo), Informationsbüro Nicaragua, Menschen aus Umwelt- und Solidaritätsbewegungen

Bonn
Teilnahme am „Runden Tisch Brasilien“
Die Tagung in Bonn:  Vom 18 bis 20. November 2016 im Haus Venusberg, Haager Weg 28 – 30 in 53127 Bonn – Venusberg.
Siehe dazu: https://www.kooperation-brasilien.org/de/veranstaltungen/runder-tisch-brasilien externer Link

  • Siehe dazu auch: Der Fall Shell: Erst der Profit, dann das Leben
    In einer Chemiefabrik in Paulínia (im Bundesstaat São Paulo) stellte zunächst Shell, ab 2010 BASF krebserregende Stoffe wie die Pestizide Aldrin, Endrin und Dieldrin her. Die Produktion verursachte bei den Arbeiter_innen und den Anwohner_innen schwere Gesundheits- und Umweltschäden, auch Todesfälle. Lange wurde alles vertuscht. In einer 12 Jahre andauernden Auseinandersetzung ist es den Arbeiter_innen, einer offensiven Gewerkschaft, Anwohnern, Angehörigen und Opfern von Umwelt- und Gesundheitszerstörung jedoch schließlich gelungen, Shell und BASF zur Verantwortung zu ziehen. „Von den 50 Verstorbenen waren etwa 40 meine direkten Kollegen. Bei Shell gab es 840 Männer, 60 davon hatten Schilddrüsenkrebs. Mehr als in der Großstadt Campinas.“ (ein Arbeiter im Video)...“ Video bei labournet.tv externer Link (brasilianisch mit dt. ut |23 min | 2009)
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=105836
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