- Afghanistan
- Afrika
- Ägypten
- Albanien
- Angola
- Antigua
- Äquatorialguinea
- Arabien - Arabische Welt
- Argentinien
- Armenien
- Aruba
- Aserbaidschan
- Asien
- Äthiopien
- Australien
- Bahamas
- Bahrain
- Bangladesch
- Barbados
- Belarus (Weißrussland)
- Belgien
- Belize
- Benin
- Bhutan
- Bolivien
- Bosnien-Herzegowina
- Botswana
- Brasilien
- Bulgarien
- Burkina Faso
- Burundi
- Chile
- China
- Costa Rica
- Dänemark
- Dominica
- Dominikanische Republik
- Dschibuti
- Ecuador
- El Salvador
- Elfenbeinküste
- Eritrea
- Estland
- Europa
- Fidschi
- Finnland
- Frankreich
- Gabun
- Gambia
- Georgien
- Germany
- Ghana
- Grenada
- Griechenland
- Großbritannien
- Guatemala
- Guinea
- Guinea-Bissau
- Guyana
- Haiti
- Honduras
- Indien
- Indonesien
- Irak
- Iran
- Irland
- Island
- Israel
- Italien
- Japan
- Jemen
- Jordanien
- Kambodscha
- Kamerun
- Kanada
- Kap Verde
- Kasachstan
- Katar
- Kenia
- Kirgisistan
- Kolumbien
- Kongo (Demokratische Republik)
- Kongo (Republik)
- Korea - Volksdemokratische Republik
- Kosovo
- Kroatien
- Kuba
- Kuwait
- Laos
- Latein- und Zentralamerika
- Lesotho
- Lettland
- Libanon
- Liberia
- Libyen
- Liechtenstein
- Litauen
- Luxemburg
- Madagaskar
- Malaysia
- Malediven
- Mali
- Malta
- Marokko
- Mauretanien
- Mauritius
- Mexiko
- Moldawien / Republik Moldau
- Mongolei
- Montenegro
- Mosambik
- Myanmar
- Namibia
- Nauru
- Nepal
- Neuseeland
- Nicaragua
- Niederlande
- Niger
- Nigeria
- Nordmazedonien
- Norwegen
- Oman
- Österreich
- Pakistan
- Palästinensische Gebiete - Westbank und Gaza
- Palau
- Panama
- Papua-Neuguinea
- Paraguay
- Peru
- Philippinen
- Polen
- Portugal
- Ruanda
- Rumänien
- Russland
- Salomonen
- Sambia
- Sankt Lucia
- São Tomé und Principe
- Saudi-Arabien
- Schweden
- Schweiz
- Senegal
- Serbien
- Sierra Leone
- Simbabwe
- Singapur
- Slowakei
- Slowenien
- Somalia
- Spanien
- Sri Lanka
- Südafrika
- Sudan
- Südkorea
- Südsudan
- Suriname
- Swasiland/Eswatini
- Syrien
- Tadschikistan
- Taiwan
- Tansania
- Thailand
- Timor-Leste
- Togo
- Trinidad und Tobago
- Tschad
- Tschechien
- Tunesien
- Türkei
- Turkmenistan
- Uganda
- Ukraine
- Ungarn
- Uruguay
- USA
- Usbekistan
- Vanuatu
- Venezuela
- Vereinigte Arabische Emirate
- Vietnam
- Westsahara - Demokratische Arabische Republik Sahara
- Zentralafrikanische Republik
- Zypern
Interview zu den massiven Arbeitslosenprotesten in Algerien
Interview von Bernard Schmid mit Yacine Zaid, März 2013
Geboren 1971, Gewerkschafter und Blogger (vgl. http://www.yacinezaid.com/ ); er lebt in Laghouat in Algerien. Als Beschäftigter bei einer Cateringfirma, die im Servicebetrieb für Beschäftigte im Erdölsektor tätig ist, versuchte er im letzten Jahrzehnt eine Gewerkschaft mit Unterstützung des offiziellen Dachverbands UGTA zu gründen. Daraufhin wurde er zum Opfer von Repressalien, und der staatsnahe Dachverband UGTA schützte ihn in keiner Weise: Der private Wirtschaftssektor soll gewerkschaftsfrei bleiben, geht es nach den Machthabern. Er verlor seinen Job. Unterstützung fand er bei der unabhängigen Gewerkschaft SNAPAP, die bislang nur im öffentlichen Dienst existiert, aber sich um unabhängige Gewerkschaften auch im Privatsektor sowie um die Organisierung von Arbeitslosen bemüht. Laghout war neben Ouargla seit Mitte Februar d.J. eine Hochburg von starken Arbeitslosenprotesten
Frage: Am Sonntag (17. März) wurden junge Leute aus einer sozialen Bewegung, die auf einem zentralen Platz in Algier – an der „Grande Poste“ – protestierten, durch Polizisten in der Öffentlichkeit mit Schlägen und Fußtritten misshandelt. Die Presse berichtet breit darüber. Was ist genau vorgefallen?
Antw.: Es handelt sich um junge, zum Teil hochqualifizierte Leute, die etwa als Lehrer oder Ingenieur ausgebildet worden sind, aber keinen Job haben. Das algerische Regime steckt sie in eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die als pré-emploi („Vor-Beschäftigungsverhältnis“) bezeichnet werden. Theoretisch sollen diese prekären Verträge nicht länger als sechs Monate, höchstens ein Jahr dauern, bis die Betreffenden dann einen Arbeitsplatz haben. In Wirklichkeit stecken Leute zum Teil seit acht Jahren in solchen Verträgen, die mit einem Hungerlohn von 6.000 Dinar oder umgerechnet rund 60 Euro im Monat bezahlt werden…
Frage: Um sich die Relation zu vor Augen zu halten, wie viel bräuchte man, um halbwegs über die Runden zu kommen?
Antw.: Wenn Sie eine Wohnungsmiete von ihrem Lohn bezahlen müssen, rund 40.000 Dinar im Monat, um in Würde zu leben. Die Regierung spricht von ihren tollen Erfolgen bei der Schaffung von Arbeitsplätzen und verweist darauf, dass man 500.000, eine Million und mehr solcher Verträgen. Das bedeutet aber nur, Sand in die Augen der Leute zu streuen. Seit einiger Zeit nehmen die Proteste der Betreffenden zu, aber auch die polizeilichen Schikanen.
Aufgrund des Ölpreises und durch die Bildung von Rücklagen hat die Regierung heute sehr viel Geld. Sie versuchte eine Zeit lang, den sozialen Frieden zu kaufen, also die Leute ruhigzustellen. Das funktionierte aber nicht. Gleichzeitig versucht er auch die Unterstützung für ihre Politik m Westen zu kaufen: Man gibt Amerikaner, Briten und anderen hier einen Vertrag und da einen Vertrag. Damit glaubt man, den Rücken frei zu haben, um zu Hause repressiv vorzugehen.
Frage: Algerische Arbeitslose protestierten in den letzten Wochen auch sehr massiv im großen Süden des Landes, also im Sahara-Gebiet…
Antw.: Das große Problem für die Regierung ist die CNDDC (Nationales Komitee für die Verteidigung der Rechte der Arbeitslosen). Seit einiger Zeit sind ihre Wortführer es, die uns Beispiele an Mut, an Zivilcourage und Kampfgeist gegeben haben. Ihre Aktivisten sind vor allem im Süden stark verankert.
Seit einiger Zeit finden regelmäßig Protestversammlungen vor Ministerien in Algier statt. Aber in den letzten Wochen kam es zu massiven Protesten im Süden. In Laghouat begann es mit einer Versammlung am 20. Februar vor der Arbeitsagentur, dem Sitz der Agence nationale de l’emploi ( ANEM). Etwa 50 Teilnehmer wurden festgenommen, gegen 23 wurden Verfahren eingeleitet. Darum gab es drei Tage später wiederum heftige Proteste gegen die Strafverfolgungen und die Festnahmen, sieben „Rädelsführer“ saßen im Gefängnis. Vergangene Woche dann kam es zu einer großen Demonstration von über 10.000 Arbeitslosen in Ouargla, auch im Süden.
Die Regierung versuchte, dem gegenzusteuern, indem sie die Protestbewegung zu spalten versucht. Von allen Arbeitslosenkollektiven schuf sie „Klone“ unter gleichklingendem Namen, die sie dann zu „Dialogpartnern“ erhob. Diese sollten dann erklären, die Proteste seien abgeblasen. Aber die Mobilisierung, zu der Leute aus vielen Landesteilen kamen, konnte es doch nicht verhindern. Davor hat die Regierung Angst: Vor der zunehmenden Strukturierung der Bewegung, rund um präzise Forderungen nach einer Aufhebung der Prekarität, nach transparenten Einstellungspraktiken etwa im Erdölsektor und andere. Es bildet sich ein immer stärkeres Bewusstsein, ein Bürgerrechts- und Solidaritätsbewusstsein. Die Arbeitslosen kommen auch zu Protestversammlungen anderer Gruppen, wenn etwa die Beschäftigten im Gesundheitswesen für ihre Interessen protestieren, und unterstützen diese. So etwas beunruhigt die Regierung sehr.
Frage: Manche Sprecher der Regierungsparteien, aber auch vermeintliche Oppositionspolitiker sehen eine „Hand des Auslands“ hinter den Protesten stecken…
Antw.: Wen hat man nicht Alles angeblich hinter den Protesten stecken sehen: Mal war es die CIA. Mal war es Bernard-Henri Lévy, der eine Destabilisierung Algeriens beabsichtige, um ein Szenario ähnlich wie in Libyen (2011) einzuleiten. Mal war es Katar. Und es gab eine regelrechte Regierungskampagne etwa gegen Tahar Belabès, einen der wichtigsten Wortführer der Arbeitslosenbewegung. Ihm wurde etwa öffentlich vorgeworfen, zwei Wochen vor den Protesten eine Demonstration gegen die algerischen Behörden in Genf organisiert zu haben, um ihn also als eine Art Verräter darzustellen. Das war ihm nur einfach unmöglich: Er hat gar keinen Pass und kann deswegen nicht reisen. Sogar zur Beerdigung seines Vaters, der in Ägypten starb, konnte er nicht gehen. Er veröffentlichte dann eine Kopie jenes Urteils, mit dem ein Gericht ihm die Ausstellung eines Passes verweigerte, weil Verfahren gegen ihn am Laufen seien…
Frage: Angeblich fließt da Geld aus dem Ausland zur Unterstützung von Wühltätigkeit?
Antw.: Ein Journalist der algerischen Tageszeitung El-Watan fuhr vor Ort und konnte mit eigenen Augen konstatieren, wie die Leute ihr weniges Geld zusammenlegen und Kleingeld sammeln, um Sandwichs als Verpflegung für die Protestmarschierer zu kaufen, um sich Transparente leisten zu können. Sie haben ihm eine Lehre in Sachen Liebe zu ihrem Land gegeben! Meines Erachtens ist es die algerische Regierung, die eher für ausländische Interessen arbeitet, als diese jungen Leute.
Frage: Und die Polizei? Hat die eingegriffen?
Antw.: Nein, in dem Falle zog sie es vor, diskret zu bleiben und die Sache zu beobachten. Es waren dermaßen viele Journalisten vor Ort, algerische und ausländische! Da konnten sie sich ein hartes Durchgreifen nicht erlauben…
Frage: Was werden die nächsten Schritte der Arbeitslosenbewegung sein?
Antw.: Ich möchte mich nicht hier zu ihrem Sprecher aufschwingen. Wir sind wie ihre Schüler! Im Augenblick wird sie sich sicherlich gegen die Repression richten müssen, es sitzen noch einige Vertreter in Haft.
Hier in Laghouat wurden sieben der so genannten „Rädelsführer“ der Arbeitslosenproteste ins Gefängnis geworfen. Ihnen wurden attroupement (Landfriedensbruch), Störung der öffentlichen Ordnung und angebliche Sachbeschädigung vorgeworfen. Der Staatsanwalt forderte fünf Jahre Haft gegen sie! Letztlich wurden sie in einem Eilprozess zu einem Monat Haft ohne Bewährung verurteilt. Ein härteres Urlaub konnte sich die staatliche Justiz dann doch nicht erlauben: Es gab ein erhebliches Aufsehen in den Medien, und Anwälte aus ganz Algerien eilten herbei. Das „Netzwerk der Anwälte für die Verteidigung Menschenrechte“ (RADDH) mobilisierte dazu. In einigen Tagen werden die Leute frei kommen. Aber gegen einen von ihnen, Mohamed Rag, wurden bereits weitere Prozesse eingeleitet, wegen „Aufforderung zu Straftaten“ etwa. Nun traf auch noch eine neue Strafanzeige gegen ihn ein: Angeblich soll er drei Monate zuvor einen Polizisten mit einer Stichwaffe tätlich angegriffen habe. Eine seltsame Situation wird da konstruiert: Er soll einen mit einer Kalaschnikow ausgestatteten Polizisten mit einem Messer attackiert haben… Und seltsamerweise brachte dieser es erst jetzt, drei Monate später, zur Anzeige…
Frage: Am 20. Februar, gleichzeitig zum Beginn der Proteste, wurde auch ein Delegiertenkongress von Arbeitslosenvertretern aus Tunesien, Algerien, Marokko und Mauretanien zur Vorbereitung des Weltsozialforums durch die Polizei aufgelöst…
Antw.: Ja, im Gewerkschaftshaus in Algier! Dort hatte die unabhängige Gewerkschaft SNAPAP die Delegierten aufgenommen. Es handelte sich um diplômés chômeurs, Arbeitslose mit Hochschulabschluss, aus den verschiedenen Ländern des Maghreb. Die Teilnehmer wurden festgenommen, jene aus den Nachbarländern abgeschoben. Das Regime glaubt, freie Hand für repressives Durchgreifen zu haben. Aber es geht dadurch politische Risiken ein.