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Europäische Industrielle für Riesters Systemänderung bei den Renten

Die Debatte über die Änderungen des deutschen Rentensystems wird im Inland massiv fortgesetzt. Aber nur wenige wissen, daß die Riester'sche Reform im Wesentlichen von den europäischen Industriellen vorgedacht und gefordert wird, also weit über den nationalen Rahmen hinaus Bedeutung erlangen soll. Entscheidend ist dabei der Systemwechsel zur kapitalgedeckten und privat sowohl finanzierten als auch betreuten Rentenversicherung.

Die wichtigsten europäischen Industriellen haben sich im sogenannten "European Round Table of Industrialists (ERT)" (Europäischer Runder Tisch von Industriellen) zusammen gefunden. Seit 1983 beeinflussen die inzwischen 48 Mitglieder mit Berichten und Beratungen die europäische Politik. Zu den Teilnehmern gehören aus Deutschland Gerhard Cromme (ThyssenKrupp), Ulrich Hartmann (VEBA), Heinrich von Pierer (Siemens), Manfred Schneider (Bayer), Ron Sommer (Telekom), Jürgen Weber (Lufthansa) und Mark Wössner (Bertelsmann) – sowie aus den anderen europäischen Ländern Vorsitzende großer Konzerne wie Shell, Renault, Nokia, Unilever, Hoffmann-La Roche und andere – und alles Männer.

Diese "Tafelrunde" legt der Öffentlichkeit ständig programmatische Schriften zu allen Themen in Europa vor, Wettbewerb und Industriepolitik an der Spitze. Im Januar dieses Jahres erschien nun eine Schrift über Rentensysteme, in der die Absichten der europäischen Industrie-Konzerne auf Kürzung der Lohnnebenkosten oder sozialen Kosten mit allen möglichen schönen Worten über die Chancen einer anderen Art von Sozialversicherung ummäntelt werden. Der Bericht heißt:

"European Pensions – An Appeal for Reform – Pension Schemes that Europe Can Really Afford" (Europäische Altersversorgung – ein Appell zur Reformierung – Alterssicherungssysteme, die sich Europa wirklich leisten kann). Der englische Text ist im Internet erreichbar unter: www.ert.be

Die SoZ gibt hier (in Auszügen) die Übersetzung vor allem der Zusammenfassung ihrer Thesen und Forderungen.

Im Vorwort heißt es:

"Der ERT ist ein Forum industrieller Führer, deren Ziel es ist, Wettbewerb und Wachstum in Europa zu fördern. ... Der ERT glaubt ganz sicher, daß die langfristigen wirtschaftlichen Aussichten Europas und sein Arbeitsplatzpotenzial durch übermäßige Steuern auf Arbeit behindert werden. Er glaubt auch, daß der Privatsektor eine Rolle bei der Versorgung der europäischen Staatsbürger mit sozialen Dienstleistungen spielen sollte: seine Ansicht über die Wohlfahrtssysteme der Zukunft ist eher eine von Wohlfahrtsgesellschaft als von Wohlfahrtsstaaten. ...

Wir hoffen, daß dieser Report dazu beitragen wird, den Europäischen Regierungen die Dringlichkeit der benötigten Reformen klar zu machen, die den Zusammenbruch der jetzigen Rentensysteme verhindern sollen."

Die Zusammenfassung der Forderungen des ERT beginnt mit der Darlegung von Problemen, wie sie seiner Meinung nach die Rentensysteme bedrohen:

Steigerung des Anteils der über 65-Jährigen an der Bevölkerung in der Zukunft, zu niedrige Geburtenrate, früherer Renteneintritt, höhere Lebenserwartung. Daraus die Folgerungen:

"Wenn die öffentlichen Rentensysteme in vielen EU-Mitgliedsländern nicht bald geändert werden, werden sie zu einer Bedrohung für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie, für die öffentlichen Finanzen und schließlich für das Vertrauen in öffentliche soziale Sicherungssysteme und diejenigen, die diese finanzieren. ...

Wir europäischen Industriellen möchten einen fortschrittlichen Ansatz der Reform, der diese Systeme vor der Selbstzerstörung bewahrt. ...

Zu viele Staatshaushalte in der EU spüren den Druck durch die Rentenkassen aus zwei Seiten:

Mit der drohenden Aufzählung von steigenden Finanzierungslücken, wenn keine Reformen erfolgen, werden die folgenden Empfehlungen für die EU und die Mitgliedsstaaten vorbereitet.

"Der ERT empfiehlt der EU:

Das neoliberale Bekenntnis zu mehr Markt und mehr privatem Risiko wird aber auch den einzelnen EU-Ländern ans Regierungsherz gelegt:

"Den Mitgliedsländern empfiehlt der ERT:

Diese zusammen gefassten Empfehlungen werden auf weiteren 45 Seiten genauer begründet und ausgeführt, eine Anlagenberatung in Aktien für betroffene Arbeitnehmer, deren Renten gekürzt werden, gibt es (noch) nicht – es sei denn, man nimmt die illustre Runde der am "Runden Tisch" beteiligten Unternehmen als Hinweis.

Die Beamten des Arbeits- und Sozialministeriums haben sicher das meiste davon auch schon vor der Veröffentlichung des ERT in der Schublade gehabt – schließlich gibt es seit über fünfzehn Jahren neoliberale Politik in Deutschland und Europa. Der sozialdemokratisch-grüne Regierungswechsel sorgt nun dafür, daß diese Pläne mit Nachdruck verfolgt werden, und daß die Vorstellungen der europäischen Industriellen-Riege möglichst verwirklicht werden.

Daß in dem Report nicht ein Wort über den Abbau von Arbeitslosigkeit als eine mögliche Vorbedingung für die Sanierung der Rentenkassen vorkommt, sei noch erwähnt. Hatte das jemand erwartet?

(R.E.)
vollständige Fassung des Artikels in der SoZ Sozialistische Zeitung Nr. 16-17/2000 vom 17. August 2000

Link zur englischen Vollfassung: http://www.ert.be


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