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Wilhelm Wohlgemuth

60329 Frankfurt, 25. September 2000

Hafenstr. 15

An den
Kollegen Walter Riester
Bundesminister für Arbeit
und Sozialordnung
Jägerstr. 9
10117 Berlin

Offener Brief wegen Rentenreform

Lieber Walter,

zur Zeit hast Du bestimmt einiges auszuhalten wegen der geplanten Rentenreform. Bei allem Dreck, der auch aus unserer IG Metall auf Dich geworfen wird, wird es Dir gut tun, auch mal eine andere Stimme zu hören. Und ich denke, es ist gut, wenn sich mal ein Metaller meldet, der bald in Rente geht. Für mich wird es nächstes Jahr so weit sein.

Ich schreibe diesen Brief als Offenen Brief, weil ich meine, daß in der Öffentlichkeit einiges richtig gestellt werden muß, bevor Du politisch und persönlich dauerhaft beschädigt wirst.

Zunächst mal muß ich Dir aber gratulieren, denn ich glaube, Dein Vorgehen in Sachen Rentenreform war bisher ein kluger und kühl berechneter Coup, den Du geschickt eingefädelt hast. Wie Du dabei auch Deine alten Verbindungen in die IG Metall genutzt hast, alle Achtung! Und wie Du es auf der Beiratssitzung der IG Metall am 12. September geschafft hast, die Kritiker, allen voran den "diensthabenden Linken" Horst Schmitthenner, auf ihre natürliche Größe zurück-zustutzen - Hut ab, Walter! Und jetzt die Ankündigung, daß das Rentenalter auf 67 steigen soll, das ist genau die richtige Tonart!

Angesichts des wirklich großen Wurfs, den die geplante Reform der Altersversorgung ohne Zweifel darstellt - nicht nur, weil sie ein Versorgungsniveau von etwa 60 Prozent vom Nettolohn dauerhaft sichert, sondern auch, weil sie durch die Dämpfung der Beitragsentwicklung die Lohnnebenkosten niedrig hält und so Arbeitsplätze sichert am Standort Deutschland - scheint mit die Kritik kleinkariert, zum Teil sogar demagogisch zu sein.

Was soll denn das Gejammer über die geplante Privatvorsorge mit einem Beitrag, den die Arbeitnehmer allein zahlen sollen? Immerhin kassieren die Rentner, und nicht die Arbeitgeber, dann ja auch eine entsprechende Zusatzzahlung. Die ist zwar deutlich niedriger, als bei gleich hoher Einzahlung in die gesetzliche Rentenversicherung, erhöht aber die Lohnnebenkosten nicht.

Und was soll das Gemähre wegen der Senkung des Rentenniveaus von 70 Prozent heute auf 60 Prozent im Jahr 2030, wo doch jeder weiß, daß die Renten auch heute schon weit unter 70 Prozent vom Nettolohn liegen?

Ganz und gar nicht verstehen kann ich schließlich die Klagen unserer Kolleginnen, die bemängeln, daß sie in Folge der Rentenreform ausgehend von der aktuellen durchschnittlichen Rente eine Senkung von 879 DM auf 753 DM hinnehmen müßten. Denn die Frauen hätten doch mehr arbeiten können, dann wäre ihre Rente auch höher!

Lieber Walter, laß Dich bitte auch weiterhin durch solches kleinmütiges Geschrei nicht beirren - nur Beharrlichkeit und Unbeirrbarkeit in Verbindung mit Deinem Gespür für die wirklich maßgebenden Leute in diesem Land und in Europa führen zum Ziel. Auch wenn zur Zeit keine Mehrheit hinter Dir steht - ich fürchte, auch in der IG Metall ist das leider so - bleibe standhaft, Walter!

Immerhin stehen doch an Deiner Seite die Manager der wichtigsten deutschen Großkonzerne und Großbanken, und das sind ja auch in Europa die wichtigsten. Wenn schon nicht Millionen hinter Dir stehen, die Millionäre tun es ganz bestimmt! Deren Unterstützung kannst Du sicher sein, weil sie, leider im Gegensatz zu vielen in der IG Metall, den im Zeichen der Globalisierung notwendigen Weitblick haben. Denn es geht ja um nicht weniger, als den Ausbau unserer wirtschaftlichen und politischen Stellung in Europa und damit auch weltweit!

Zum Schluß lieber Walter, muß ich aber doch sagen, daß ich ein flaues Gefühl im Bauch habe, wenn ich an die Bundestagswahl 2002 und die Wahlchancen unserer Partei denke. Ob bis dahin wieder Gras über die Sache gewachsen ist? Hier muß die Regierung vielleicht noch das eine oder andere in Sachen Öffentlichkeitsarbeit tun. Dazu wünsche ich Dir und unserer Regierung eine glückliche Hand!

Herzliche und solidarische Grüße,
Dein


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