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Rentendebatte in der IGM: Eine Konferenz kippt

Funktionärskonferenzen der IG Metall, die zu einem aktuellen Thema anberaumt werden, dienen des öfteren zum Dampfablassen. Wenn die Kritik an der Führung zu scharf wird, kann das sogar zu einer Resolution führen. Dann ist das Thema abgehakt. Manchmal gerät aber die Konferenzstrategie aus den Fugen und die Entwicklung außer Kontrolle.

Maichingen bei Stuttgart, 21. Oktober, die IGM Verwaltungsstellen in der Region laden ein. Neben der Rentenreform soll es auch um die Reform der Betriebsverfassung und die befristeten Arbeitsverhältnisse gehen. Als Redner angekündigt: Klaus Zwickel und Hengsbach, katholischer Sozialtheologe. Gerne laden die Bürokraten Pfarrer oder Professoren zu solchen Veranstaltungen ein: Sie können es sich leisten, bestimmte Missstände in den Gewerkschaften aufzugreifen und deutlich zu werden, wo die Spitzengewerkschafter politisch-rhetorische Eiertänze aufführen. Ihre Worte, falls sie Beifall finden, bleiben natürlich ohne Konsequenz. So wird auch Hengsbach durchaus präzise die Gerechtigkeitsideologie der neuen Sozialdemokratie am Beispiel Clement auseinandernehmen. Nur interessiert sich in Baden-Württemberg kein Mensch für Clement und eigentlich ist dessen Ideologie nicht so weit vom gut-katholischen "Jedem das, was Gott für ihn bestimmt hat..." entfernt.

Eine weitere Vorsichtsmaßnahme hat sich die Konferenzregie erdacht, es wird keine Diskussion geben. Stattdessen sollen mit einem Handmikro "Stimmungsbilder" im Saal eingefangen werden. Die Stuttgarter Jugendsekretärin übernimmt diese Aufgabe.

Aber auch die Kolleginnen und Kollegen aus den Betrieben sind vorbereitet. Es hat seit Wochen Diskussionen gegeben, ob nicht eine öffentliche Protestkundgebung besser wäre. Die letzte Delegiertenkonferenz in Stuttgart hatte noch keinen Beschluss gefasst, die Maichinger Konferenz sollte abgewartet werden, lautete die Sprachregelung. Die Esslinger Delegierten hatten allerdings schon vor einem Monat erklärt: "...Wir bekräftigen die Notwendigkeit und die Bereitschaft zur gewerkschaftlichen Mobilisierung. Wir sind jedoch für sichtbare öffentliche Aktionen statt Saalveranstaltungen für wenige Funktionäre....". Initiiert von den Leuten, die auch im Zukunftsforum Stuttgarter Gewerkschafter und in der bundesweiten Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken tätig sind, war noch in drei Tagen vor der Konferenz ein Aufruf entstanden mit dem Titel: "Auf die Strasse gegen Renten-Demontage!", getragen von 52 Betriebsräten und Vertrauenskörperleitern.

Nicht überall klappt die Mobilisierung wie gewünscht, aber es werden wohl an die 1000 Leute sein, die die Halle füllen, Hunderte stehen zwischen den Tischreihen, an den Eingängen, im Foyer und noch vor der Halle, wohin mit Video und Lautsprecher übertragen wird. Es herrscht keine richtige Konferenzatmosphäre, sondern von Anfang an mehr Kundgebungsstimmung mit Pfeifen, Tröten und vielen Transparenten.

Überraschen kämpferisch eröffnet Dieter Knauß, der Vorsitzende von Waiblingen die Versammlung, ein erster Halbsatz gegen die Tariffonds lässt Zwickels das Gesicht verziehen. Die lange Rede des Sozialtheologen bestätigt alle in ihrer Ablehnung der Rentenreform, aber lässt die Stimmung nur langsam steigen. Die Spannung ist sofort da, als Zwickel zu reden beginnt. Rhetorische Angriffe auf die Regierung und die Arbeitgeber, verbunden mit sozialdemokratischem Eiapopeia: "Die Lasten müssen gerecht verteilt werden!"

Dann werden die Tariffonds zum Knackpunkt: "..wenn diese Regierung unbedingt meint, dass wir den Einstieg in die privatfinanzierte Rente brauchen, ... dazu hat sie als demokratisch gewählte Regierung das Recht.... dann erwarte ich von einer sozialdemokratischen Regierung, dass sie weiter für eine paritätische Finanzierung dieser Rente ausgeht.... und wieso soll diese Rente allein von den Versicherungskonzernen....Da wäre es doch eine Lösung, wenn....." Früher wäre Zwickel mit seiner Rhetorik für einen Arbeitgeberanteil und gegen die Versicherungen durchgekommen. Jetzt haben doch etliche nach Alterteilzeit und "Beschäftigungsbrücke" begriffen, wie die Praxis aussähe. Die Regierung würde keineswegs die Unternehmer erneut belasten. "Es geht ihnen doch gerade darum, aus der Parität bei der Finanzierung auszusteigen!" ruft später ein Kollege Zwickel entgegen. Die Regierung würde vielleicht ein Gesetz machen, das erlaubt über tarifliche Regelungen einen paritätischen Fonds für die privaten Rentenanteile zu schaffen. Und Metaller und Metallerinnen wissen inzwischen, dass bei einer solchen tariflichen Regelung jedes Prozent, das die Unternehmer zahlen müssten, bei der Lohnerhöhung fehlen würde.

Zwickel schafft es nicht, seine radikale Rhetorik, die natürlich noch bei vielen gezogen hätte, durchzukommen. "Falsche Lösung" schallt ihm entgegen, "Keine Tariffonds", nicht nur Einzelstimmen, sondern schon im Chor, Pfiffe. Zwickel fängt an zu eiern, nimmt die letztmögliche Kurve und schließt mit letzten markigen Sprüchen seine Rede ab. Aber der Beifall wird rhythmisch und im Rhythmus des Klatschens: "Auf die Strasse! Auf die Strasse!". Susanne, die Jugendsekretärin, bemüht sich tapfer die Stimmung im Saal einzufangen, und lässt scharfe Kritik an Zwickel zu Wort kommen. Rauschender Beifall für die Kollegen von Porsche, Bosch, ALCATEL, DaimlerChrysler Mettingen, die gegen Tariffonds, für Mobilisierung, für Belastungen der Unternehmer durch Wertschöpfungsabgabe und gegen jegliche Privatisierung der Rentenversicherung eintreten. Erneute Rufe "Auf die Strasse!", da ist es die Stimmung, die die Jugendsekretärin einfängt. Sie schlägt vor, als nächste Aktion den Pragsattel, eine zentrale Kreuzung zu besetzen, und fragt, wer denn bereit sei, mehr zu tun für die Mobilisierung. Fast alle heben spontan die Hand. Was unbedingt vermieden werden sollte ist eingetreten: Die Kolleginnen und Kollegen fordern die öffentliche Mobilisierung, sie sind sich einig und sie wollen handeln. Es liegt an den Vorständen, ob sie sich an die Spitze stellen oder ob sie Hindernis sind. Die Funktionärsberieselung ist zur Kampfversammlung geworden.

Abschlussrunde. Hengsbach verteidigt die Tariffonds, Zwickel erklärt, dass er schon immer für Mobilisierung gewesen sei, aber die BR-Vorsitzenden der Großbetriebe hätten im Juli mehr Bedenkzeit erbeten. Alle Bezirke außer Hessen und Hannover hätten von öffentlichen Aktionen abgeraten. Der Stuttgarter Vorsitzende Stamm schiebt den Kolleginnen und Kollegen den schwarzen Peter zu. Es seien betriebliche Aktionen gefordert.

Natürlich ist die betriebliche Mobilisierung nötig. Alle wissen das und sie wissen auch, dass das nicht so einfach ist in einer Frage, in der DGB und IG Metall seit Monaten Eiertänze vollführen, dass das nach zwei, drei enttäuschenden Tarifrunden nicht einfach ist. Aber jeder spürt, dass heute die Chance da ist, dass die IG Metall in einer ihrer wichtigsten Regionen aus eigener Kraft einen Schritt vorwärts macht. Statt die eigene Krise zur Begründung für weitere Rückschläge zu machen, wie es Zwickel tut, können heute die lokalen Vorstände, der Vorsitzende und Vertreter aus den Betrieben einen Aufbruch aus der Krise vollziehen. Aber Stamm verweigert diese Chance, die von Zwickel nicht zu erwarten war.

Doch die Zeichen sind gesetzt, die Fronten klar. Die Gewerkschaftsspitze ordnet sich dem Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit unter. Leute wie der GBR-Vorsitzende Klemm von DaimlerChrysler, der die Versammlung empört verlassen hatte, wie später bekannt wird, sind für den Riesterplan. Er entlastet "ihren" Unternehmer von Lohnkosten, einen kleinen Teil dieser Entlastung wird Klemm dann für "seine" Leute als Betriebsrente etwa wieder rausholen, der Rest der MetallerInnen und der Beschäftigten in Deutschland ist egal. Die Spitze der Stuttgarter IG Metall hat mit ihrer Tradition gebrochen, auch im Zweifel und in schwierigen Situationen auf Mobilisierung zu setzen.

Der Schlüssel liegt heute bei den Leuten, die den Aufruf "Auf die Strasse gegen Rentendemontage" initiiert und unterzeichnet haben. Weitere Hundert haben ihn auf der Konferenz unterzeichnet. Werden sie den Mut haben auch ohne Stamm zu einer Kundgebung auf zu rufen? Wird die Konferenz der Gewerkschaftslinken Ende Oktober das Signal aufnehmen und in der Republik verbreiten?

Es gibt nur einen Weg: selbst und systematisch die Mobilisierung vorbereiten und vorantreiben. Es wird nichts nützen auf die "Einsicht" der reformistischen Bürokraten zu warten. Wenn überhaupt, kommt sie nur unter dem verschärften Druck von unten zustande.

Frederik Haber

Vorabdruck aus "Arbeitermacht" Nr. 60, zu bestellen per e-mail: gam@arcormail.de

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