Home > Branchen > Dokument
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Verwerten und Vernichten

Dieter Maier über Arbeitsverwaltung und Judenverfolgung während der NS-Zeit

Mit Hartz III wurde die Bundesanstalt für Arbeit privatisiert und die Selbstverwaltung teilweise ausgehebelt. Allem Gerede von »Service-Agenturen«, »Kundenorientierung« und »Bürgernähe«, mit dem der Umbau der Arbeitsämter garniert wurde, zum Trotz: Im Verbund mit den anderen Hartz-Gesetzen besteht das »Kerngeschäft« der Arbeitsvermittlung nun in der strikten Unterscheidung von noch vernutzbarer und nicht mehr verwertbarer Arbeitskraft. Und zwar keineswegs im Interesse der Einzelnen, sondern im Dienste eines vermeintlich höheren Interesses. Alles, was sich noch irgendwie rühren kann, muss arbeiten gehen, notfalls für 1,5 Euro pro Stunde, wie z.B. das Frankfurter Arbeitsamt freimütig bekannt gibt. Der Rest wird mit Leistungen unterhalb der bisherigen Sozialhilfe gerade noch am Existieren gehalten. Es stellt sich die Frage, wie weit der solche Maßnahmen kennzeichnende Prozess der materiellen und rechtlichen Enteignung noch getrieben werden kann und wo er seine Grenzen findet.
Mit dem folgenden Beitrag, einem Vorabdruck aus der von ver.di Mannheim herausgegebenen Broschüre »Gegenwart und Vergangenheit – Antisemitismus, Verfolgung, Zwangsarbeit« [1], möchten wir an die Geschichte und Aufgaben der zivilen Arbeitsverwaltung zur Nazizeit erinnern. Dieter Maier lehrt an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Bereich Arbeitsverwaltung, in Mannheim und ist Experte zu diesem Thema. Sein Beitrag, der für den express leicht gekürzt wurde, befasst sich mit der Politik des »Einsatzes« von Juden in Betrieben und Behörden – eine Politik, die mit dem Prinzip der konsequenten Vernutzung schließlich auch konsequent umgegangen ist.

(...) Die Arbeitsverwaltung war im Jahr 1927 mit dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeits-losenversicherung als vierter Zweig der Sozialversicherung gegründet worden. Einen maßgeblichen Anteil daran hatten auch die Gewerkschaften. In der dreistufig aufgebauten Reichsanstalt wirkten sie in den Selbstverwaltungsorganen der Arbeitsämter, der Landesarbeitsämter und in der Haupt-stelle (Zentrale) mit. Die Behörde verstand sich daher als soziale und bürgerfreundliche Einrich-tung.

Dies alles änderte sich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Die Arbeitsvermittlung wurde schrittweise umgewandelt in ein Instrument der Arbeitseinsatzpolitik, mit dem die Arbeits-kräfte planmäßig, nach »staatspolitischen Notwendigkeiten« und unter Berücksichtigung der »ü-bergeordneten Interessen des Gemeinwohls«, d.h. der Rüstungspolitik, gelenkt wurden. Das System der Selbstverwaltung wurde sofort abgeschafft. Noch im ersten Jahr der NS-Herrschaft entließ man – nach dem »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« – über 6000 MitarbeiterInnen, ca. 20 Prozent des Personals, wegen ihrer Gegnerschaft zum neuen Regime. Darunter befanden sich vor allem Mitglieder der Gewerkschaften und der Arbeiterparteien. Ebenfalls entlassen wurden etwa 100 jüdische Arbeitnehmer und Beamte.

Für sie wurden über 11000 neue Kräfte eingestellt: vorrangig SA-Männer aus der Zeit vor Januar 1933 und Parteigenossen der Mitgliedsnummern bis 300000 (»Alte Kämpfer«). Bewährte National-sozialisten rückten vorrangig in die Schlüsselpositionen vor. Mit dieser auch für andere Behörden unvergleichlich brutalen Nazifizierung gelang es den neuen Machthabern, die für ihre Politik erfor-derlichen personellen Voraussetzungen zu schaffen.

In vielen Arbeitsämtern versuchten judenfeindlich eingestellte Mitarbeiter früh, die jüdischen Ar-beitslosen von der Arbeitsvermittlung und von der Arbeitslosenunterstützung auszuschließen.
Ziemlich bald wurden die jüdischen Arbeitskräfte und Arbeitslosen aber auch aufgrund der von den höheren Dienststellen gegebenen Weisungen diskriminiert. So verbot der Präsident der Reichsan-stalt, Friedrich Syrup, bereits im Mai 1934 – ganz im Sinn der späteren Rassengesetze –, Nichtarier zur Landhilfe zuzulassen, da sie dann auch in die jeweilige Hausgemeinschaft hätten aufgenommen werden müssen. Außerdem wollte man Juden nicht durch Mittel der Reichsanstalt auf Berufe vor-bereiten, die sie in Deutschland nicht ausüben durften. (...)

Weil infolge der Politik der »Ausschaltung aus dem Wirtschaftsleben« viele Juden ihren Arbeits-platz verloren und allenfalls noch bei den immer weniger werdenden jüdischen Betrieben eine Stel-le finden konnten, stieg die Zahl der jüdischen Erwerbslosen kontinuierlich an. Diese Entwicklung stand im Gegensatz zur allgemeinen Arbeitslage, denn bereits Anfang 1938 waren mit nur ca. 100000 uneingeschränkt einsatzfähigen Arbeitslosen und über 500000 offenen Stellen die inländi-schen Arbeitskräftereserven ausgeschöpft. Syrup, der zugleich im Vierjahresplan Leiter der Ge-schäftsgruppe Arbeitseinsatz war, schlug daher u.a. vor, die Meldepflicht bisher nicht erwerbstäti-ger Personen, z.B. der Schulentlassenen, einzuführen und vorübergehend die Ausländerbeschäfti-gung auszuweiten. Darüber hinaus forcierten die Behörden in gegenseitiger Absprache die gesetzliche Pflichtarbeit von Fürsorge- und Arbeitslosenunterstützungsempfängern sowie den abgesonderten Arbeitseinsatz der Justizgefangenen. Hand in Hand arbeiteten die Polizeibehörden und die Arbeitsämter auch, als sie im Frühjahr und Sommer 1938 gegen die so genannten Asozialen und Arbeitsscheuen vorgingen. Im Juni 1938 erließ Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan die Dienstpflichtverordnung, mit der die Arbeitsämter deutsche Arbeitnehmer zeitlich befristet für einen Arbeitseinsatz außerhalb ihres bisherigen Beschäftigungsverhältnisses verpflichten konnten. Diese und andere Zwangsmaßnahmen bildeten dann das Vorbild für die einige Monate später reichsweit eingeführte Zwangsbeschäftigung der Juden.

Für die meisten Juden hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt ihre soziale Lage erheblich verschlechtert. Als im Verlauf des Jahres 1938 immer mehr jüdische Betriebe geschlossen bzw. »arisiert« wurden und damit auch deren jüdische Arbeitnehmer ihre Existenz verloren, die Auswanderung aber immer schwieriger wurde, stieg die Zahl der von öffentlichen Sozialleistungen abhängigen Juden deutlich an. Von verschiedenen Seiten, auch von Arbeitsämtern, wurde daher vorgeschlagen, die bereits an manchen Orten praktizierte »Pflichtarbeit« von Juden generell einzuführen. Man wollte auf diese Weise die nichtjüdischen Arbeitskräfte für wichtigere Aufgaben freistellen und die an Juden ge-währten staatlichen Sozialausgaben einsparen. Darüber hinaus hoffte man, durch möglichst rück-sichtslose und unmenschliche Arbeitsbedingungen die Juden zu einer schnelleren Auswanderung anzutreiben.

Als am 14. Oktober 1938 in einer Besprechung bei Göring der Vorschlag geäußert wurde, »jüdi-sche Arbeitskolonnen« aufzustellen, ließ der Präsident der Reichsanstalt zum Stichtag 25. Oktober 1938 zum ersten Mal offiziell die jüdischen Arbeitslosen gesondert statistisch erfassen. Gleichzeitig sollten die Arbeitsämter prüfen, wie diese Juden beschäftigt werden könnten. Eine unverzichtbare Voraussetzung war eine von den Nichtjuden abgesonderte gruppenweise Beschäftigung.

Nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 wurden die Maßnahmen gegen die Juden auch von Seiten der Arbeitsverwaltung verschärft. Den arbeitslosen Juden wurden vermehrt die Geldleistungen versagt. Arbeitsämter weigerten sich, Juden in Arbeit zu vermitteln, oder versuch-ten sie durch ungünstige Zuweisungen von einer weiteren Inanspruchnahme des Amtes abzuhalten. Manche Ämter legten für Juden ungünstige und restriktive Kontroll- und Meldezeiten fest. In Ber-lin richtete das Arbeitsamt sogar eine eigene Dienststelle für Juden ein, die ein gefürchteter Juden-hasser leitete.

Schließlich gab Syrup am 20. Dezember 1938 den Erlass heraus, der bis zur Verabschiedung der Beschäftigungsverordnungen vom Oktober 1941 den Arbeitseinsatz, d.h. die Zwangsbeschäftigung der Juden regelte.

Der Erlass war mit allen mit dieser Frage befassten Obersten Reichsbehörden und Parteistellen ab-gesprochen, so z.B. mit dem Stellvertreter des Führers, mit dem Reichswirtschaftsminister, dem Reichsinnenminister und dem Reichsernährungsminister. Alle diese Behörden erhielten Mehrab-drucke des Erlasses mit der Bitte, sie an die eigenen nachgeordneten Ämter weiterzuleiten und diese anzuhalten, mit den Arbeitsämtern in dieser Sache eng zusammenzuarbeiten. Die Arbeitsämter selbst nahmen Kontakt mit den für sie zuständigen Gemeindeverwaltungen auf, um zu prüfen, inwieweit von den Kommunen entsprechende Beschäftigungen angeboten werden können. Die Betriebe erfuhren die neue Arbeitseinsatzpolitik auch über ihre Kammern und Fachgruppen. Die Arbeitsämter mussten ihnen die neuen Weisungen erläutern und sie um Beschäftigung der arbeitslosen Juden ersuchen.

Die Durchführung des Erlasses verlief aber nicht reibungslos. Manche Betriebe und Behörden sa-hen keine Möglichkeit, unter den vorgegebenen Bedingungen entsprechende Arbeit anzubieten, andere wiederum weigerten sich einfach, entgegen der bisherigen Politik wieder Juden zu beschäf-tigen. Insbesondere untere Parteistellen, z.B. die Deutsche Arbeitsfront, polemisierten anfangs wiederholt dagegen. Nach und nach setzte sich aber der Arbeitseinsatz der Juden durch, zumal er von der Mehrheit der Bevölkerung begrüßt wurde.

Die Hoffnungen, die der Erlass bei den Vertretern der Juden geweckt hatte, z.B. auf eine Verbesse-rung der finanziellen Situation sowie eine aussichtsreichere Vorbereitung der Auswanderung, er-füllten sich jedoch kaum, im Gegenteil. Die soziale Situation der beschäftigten Juden verschlechter-te sich weiter:

  • Sie wurden, wie es im Erlass hieß und später immer wieder ausdrücklich gefordert wurde, in Gruppen bzw. Kolonnen abgesondert von den anderen Beschäftigten eingesetzt. Großbetriebe richteten sogar eigene Abteilungen für ihre jüdischen Arbeitskräfte ein. Die Einzelbeschäftigung von Juden wurde in der Regel von den Arbeitsämtern untersagt und gegebenenfalls durch die Zuweisung in eine andere Stelle beendet.
  • Juden wurden grundsätzlich nicht in ihrem früheren Beruf beschäftigt. Überwiegend zog man sie zu schweren körperlichen und schmutzigen Arbeiten heran, z.B. Müllbeseitigung, Bauarbeiten, aber auch Toilettensäuberung oder Schneeräumarbeiten.
  • Die Wiedereingliederung in das Wirtschaftsleben sollte nach dem Willen der Rassenideologen weder bei den Juden noch bei der übrigen Bevölkerung den Eindruck einer gesellschaftlichen Rein-tegration erwecken.
  • Die Bezahlung war willkürlich und zumeist völlig unzureichend. Viele Arbeitgeber zahlten unter dem Tarif, manche gar nicht. Auch die Sozialversicherung war oft nicht geregelt, so dass z.B. nach dem Arbeitsunfall eines jüdischen Arbeiters in Würzburg die jüdische Kultusvereinigung die Arztkosten übernehmen musste.
  • Der Kleiderverschleiß war wegen der schweren und schmutzigen Arbeiten sehr groß. Da die Ju-den keine Kleiderkarte erhielten, musste die Kleiderkammer der jüdischen Gemeinde helfen.
  • Gerade die auswärts eingesetzten Juden, denen oft nicht einmal die Fahrkosten ersetzt wurden, konnten ihre Familien kaum unterstützen. Meistens mussten die jüdischen Organisationen dann helfen.
  • Auf Weisung der Reichsanstalt bzw. des Reichsarbeitsministeriums fassten die Arbeitsämter die Juden auch regional zusammen oder vermittelten sie in andere Bezirke, wo sie dann in Lagern un-tergebracht wurden. So arbeiteten mehrere hundert Wiener Juden in Norddeutschland beim Straßen- und Talsperrenbau.

Die Anweisungen der oberen Dienststellen wurden streng beachtet. Die Arbeitsämter hatten monatlich über die Beschäftigung der Juden in ihren Bezirken zu berichten. Die für den Einsatz vorgesehenen Menschen wurden im Zweifelsfall ärztlich untersucht, wobei eine Untauglichkeit aber nur im Ausnahmefall attestiert werden durfte.

Im Sommer 1939 wurden die bis dahin noch existierenden jüdischen Gemeinden vom Reichssi-cherheitshauptamt (RSHA) zur »Reichsvereinigung der Juden in Deutschland« zusammengefasst, der jede jüdische Person zwangsweise angehörte. Mit dieser Organisation verschafften sich das RSHA und die nachgeordneten Gestapostellen einen direkten Zugriff auf die jüdischen Institutio-nen und deren Mitglieder. Alle wesentlichen Verfolgungsmaßnahmen, von den statistischen Erhe-bungen bis zu den Deportationen, ließen sie über diese Einrichtungen vorbereiten und durchführen.

Als wegen des ständig steigenden Arbeitskräftebedarfs die jüdische Zwangsbeschäftigung auch auf die nicht arbeitslos gemeldeten Juden ausgeweitet wurde, kam es – von Ort zu Ort unterschiedlich – zur Kooperation zwischen Arbeitsamt, Gestapo, Gemeindeverwaltung und Jüdischer Kultusvereinigung. In vielen Städten forderten die jüdischen Organisationen wiederholt ihre Mitglieder auf, sich beim Arbeitsamt zum Arbeitseinsatz zu melden, und hielten die beruflichen Veränderungen ihrer Mitglieder in ihren Karteiunterlagen fest, so dass sie jederzeit den von der Gestapo geforderten Überblick hatten. Gestapo und Gemeindeverwaltung meldeten darüber hinaus dem Arbeitsamt die Personen, die ihnen zum Arbeitseinsatz fähig erschienen. (...)

Die Kriegsvorbereitungen gegen die Sowjetunion bewirkten eine erneute Verschärfung des Ar-beitskräftemangels. In der Folge intensivierten Gestapo und Arbeitsämter ihre Anstrengungen, das jüdische Arbeitskräftepotential total auszuschöpfen. Unter anderem wurden die bis dahin noch existierenden Umschulungslager (zur Vorbereitung auf die Auswanderung) geschlossen und die Insassen einfach den Arbeitsämtern zugeführt. Außerdem zwang man die jüdischen Organisationen, ihr Personal abzubauen und dem Arbeitsamt zur Verfügung zu stellen. Betroffen waren von dieser Aktion sogar jüdische Pensionäre. Schließlich wurden auch die wenigen Hausgehilfinnen, die noch in jüdischen Haushaltungen tätig waren, über das Arbeitsamt in »arische« Stellen vermittelt. (...)

Wieviele Juden in die Zwangsbeschäftigung einbezogen worden sind, ist nicht exakt überliefert. Zumindest von Seiten der Arbeitsverwaltung sind darüber keine Daten veröffentlicht worden. Im Sommer 1941 dürfte der Höchststand in der Beschäftigung erreicht worden sein. Laut einem Be-richt der jüdischen Gemeinde Berlin waren dort ca. 26000 Juden im Arbeitseinsatz, im übrigen Alt-reich sollen es weitere 25000 gewesen sein. Diese vergleichsweise hohen Zahlen enthalten vermut-lich auch die Mitarbeiter der zahlreichen jüdischen Organisationen, denn nach einer anderen Quelle befanden sich zur selben Zeit in Berlin 19000 Juden im »Produktionsprozess«, insbesondere in der Rüstungsindustrie. Jedenfalls war es den Behörden gelungen, die absolute Zahl und den prozentua-len Anteil der beschäftigten Juden zu erhöhen, und dies trotz der sich fortsetzenden ›Überalterung‹ der jüdischen Bevölkerung.

Über zwei Jahre dauerten die Verhandlungen, die die Ministerien über die Schaffung eines eigen-ständigen Arbeitsrechts für die Juden führten. Schließlich wurde mit den überwiegend vom Reichs-arbeitsministerium vorbereiteten Verordnungen vom 3. und 31. Oktober 1941 für die Juden eine besondere Arbeitspflicht bestimmt. Die Juden waren unter Strafandrohung verpflichtet, jede vom Arbeitsamt »angebotene« Beschäftigung anzunehmen. Darüber hinaus wurden sie von mehreren Sozialleistungen der Arbeitgeber ausgeschlossen, was aber bereits vorher praktiziert worden war, z.B. Lohnfortzahlung an Feiertagen, Weihnachtsgratifikation und außertarifliche Familien- und Kinderzulagen. Arbeitslosenhilfe erhielten die Juden nach der Verordnung nur in eingeschränktem Umfang; künftige Verbesserungen sollten für sie nicht gelten. In der Folge schloss die Arbeitsver-waltung die Juden auch von Leistungen aus, die sie den übrigen Arbeitskräften gewährte, z.B. Lohnausfall bei Fliegeralarm und Fliegerschäden, Dienstpflichtunterstützung und Weihnachtsbei-hilfe.

Als die beiden Verordnungen erlassen wurden, war die »Endlösung« in der Form des Völkermor-des jedoch bereits beschlossen. Schon Ende Oktober 1941 begannen die systematischen Deportationen, in die die Gestapo auch Arbeitskräfte einbezog. Als einige Betriebe und Ämter dagegen protestierten, wurde zwischen dem RSHA und dem Oberkommando der Wehrmacht vereinbart, dass für die Juden, die sich im geschlossenen und für die Wehrwirtschaft wichtigen Arbeitseinsatz befanden (»Rüstungsjuden«), die Rüstungsinspektion oder das Arbeitsamt eine »Freigabe« verweigern konnten. Daraufhin fragte die Gestapo bei der Vorbereitung der Deportationszüge beim zuständigen Arbeitsamt an, ob die jüdischen Arbeitskräfte im Bezirk bzw. eines Betriebes »abtransportiert werden können«. Offensichtlich haben die Ämter meistens zugestimmt. Aus den wenigen überlieferten Akten ist nur ein Fall bekannt, bei dem wegen der hartnäckigen Weigerung des Arbeitsamtes bereits für die Deportation vorgesehene jüdische Arbeitskräfte von der Liste gestrichen wurden und daher der Transport nicht auf die ›erforderliche‹ Zahl von ca. 1000 Menschen kam. Faktisch brachte diese Entscheidung für die zurückgestellten Personen aber nur einen kurzfristigen Aufschub der Deportation.

Die im Herbst 1941 getroffene Vereinbarung, die übrigens bei der Wannsee-Konferenz bestätigt wurde, behinderte das RSHA, insbesondere also Eichmann, in der systematischen und kontinuierli-chen Durchführung des Endlösungsprogrammes. Immer wieder versuchten daher die Gestapostel-len, die Vereinbarung zu unterlaufen und auf die Arbeitsämter Druck auszuüben. Meistens akzep-tierten sie einfach nicht das Ersuchen, bestimmte Arbeitskräfte vorläufig noch dem Betrieb zu be-lassen. Später gingen allerdings auch Mitarbeiter der Arbeitsämter in die Betriebe, um abkömmli-che jüdische Arbeiter ausfindig zu machen, oder sie veranlassten die Betriebe, ihre jüdischen Ar-beitskräfte auf weniger kriegswichtige Arbeitsplätze umzusetzen, damit sie so leichter für die De-portation »freigegeben« werden könnten.

Schließlich versprach im Herbst 1942 der einige Monate zuvor zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz und somit zum Chef der gesamten Arbeitseinsatzverwaltung eingesetzte Gaulei-ter von Thüringen, Fritz Sauckel, die restlichen Juden umgehend durch ausländische Arbeitskräfte zu ersetzen. Am 26. November 1942 teilte er diesen Plan den Landesarbeitsämtern mit. Den Ab-schluss dieser Maßnahmen bildete im Februar 1943 die so genannte »Fabrikaktion« in Berlin, bei der an einem Tag mehrere tausend jüdische Arbeitskräfte direkt von ihren Arbeitsplätzen oder vom Arbeitsamt, wohin sie bestellt worden waren, in die Deportationszüge oder in die Sammellager verschleppt wurden.

Im Zusammenhang mit den Deportationen ist auch bezeichnend, wie die Arbeitsämter die Arbeits-bücher der Deportierten behandelt haben. Normalerweise wurden die Arbeitsbücher von ausge-wanderten Arbeitskräften von den Arbeitsämtern bis zum 80. Geburtstag des Inhabers aufbewahrt. Mit einem Erlass vom Februar 1940 hatte das Reichsarbeitsministerium dagegen angewiesen, die Arbeitsbücher »ausgewanderter« Juden sofort zu vernichten. (...)

Die Arbeitsverwaltung war auch am letzten Kapitel der nationalsozialistischen Rassenpolitik betei-ligt. Nachdem nahezu alle Juden deportiert bzw. ermordet worden waren, für die nicht irgendeine Schutzbestimmung nach den Nürnberger Gesetzen galt, gingen Himmler und seine Helfer daran, nun auch die so genannten Mischlinge und Mischehepartner (auch die nichtjüdischen) in ihre Ver-nichtungspolitik einzubeziehen: Nach der Niederlage in Stalingrad Anfang 1943 wurden auch die bisher verschonten Juden gezwungen, sich beim Arbeitsamt zum Arbeitseinsatz zu melden. Als Tätigkeiten kamen besonders schwere körperliche und gefährliche Arbeiten in Frage, z.B. Trüm-merarbeiten, und zwar außerhalb des Wohnortes. Eine weitere Radikalisierung der Rassenpolitik brachte der von Hitler persönlich angeordnete Ausschluss der Mischlinge und »Versippten« aus der Wehrmacht und deren Arbeitseinsatz als »Wehrunwürdige« bei Schanzarbeiten der Organisation Todt oder beim Raketenbau in den Bergstollen des Harzes. Mehrere tausend Menschen wurden noch in den letzten Kriegsmonaten über die Arbeitsämter deportiert. Die letzten Aktionen dieser Art liefen noch im Februar 1945 an. Erst Ende März 1945, nur wenige Wochen vor der Kapitulati-on, erhielten die Arbeitsämter die Nachricht, dass die Deportationen eingestellt werden.

Diese knappe Darstellung dürfte gezeigt haben, wie eng die Arbeitsämter an der Politik der Dis-kriminierung, Entrechtung, Verfolgung und Ermordung der Juden (auch der Sinti und Roma; zu rassistisch motivierter Verfolgung siehe genauer die Literaturhinweise am Ende dieses Beitrags) beteiligt waren. Selbst initiierte Maßnahmen von Seiten einzelner Mitarbeiter der Arbeitsämter er-gänzten sich mit Anweisungen der Zentrale, die oft mit den für die Judenpolitik zuständigen Be-hörden abgesprochen waren. Dementsprechend wurden auch im Laufe der Zeit bestimmte organisa-torische Vorkehrungen getroffen, z.B. die Benennung der für Juden zuständigen Mitarbeiter und Stellen sowie die Festlegung eines speziellen Aktenzeichens (»5431«) für den umfangreichen Schriftverkehr nach innen und nach außen. Erstaunlich ist zweifellos auch die enge Kooperation der Arbeitsverwaltung mit anderen staatlichen Behörden und Wirtschaftsorganisationen wie Regierungspräsidien, Städte- und Gemeindeverwaltungen, Landratsämtern, Kammern, Ministerien, Parteiorganisationen, Gestapo- und anderen Polizeistellen sowie Betrieben. Sie tauschten Informationen aus, exekutierten die von oben vorgegebenen Anweisungen oder handelten von sich aus der Rassenideologie folgend. Aufgrund der Tatsache, dass sich infolge der Personalpolitik in den Arbeitsämtern Nationalsozialisten und Judenhasser in vergleichsweise großer Zahl befanden, gelang es den interessierten Stellen, auch hier ihre judenfeindlichen Ziele und Anordnungen durchzusetzen. Die sicherlich große Zahl eher gleichgültiger MitarbeiterInnen hat wohl mehr aus Angst, sich selbst zu gefährden, bei den diskriminierenden und verbrecherischen Handlungen mitgemacht. Festzuhalten ist aber, dass es – nach Zeugnissen von Verfolgten – auch in den Arbeitsämtern MitarbeiterInnen gab, die sich freundlich und zuvorkommend verhielten oder gar gezielt Hilfe boten, z.B. beim Schutz vor einer Deportation.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 3/04

1) Die Broschüre – eine Sammlung von Texten, Materialien und Bildern zur regionalen Geschichte der Nazizeit im Raum Schwetzingen – erscheint in der Reihe »Ideen und Aktionen an der Basis« und ist ab Mitte April erhältlich über ver.di Mannheim, Fachbereich Handel, z.H. Heike Romaniak, Tel. (0621) 150315-430, email: heike-maria.romaniak@verdi.de, www.verdi.de/baden-wuerttemberg/mannheim

Literatur

  • Maier, Dieter: »Arbeitsverwaltung und nationalsozialistische Judenverfolgung in den Jahren 1933-1939«, in: Arbeitsmarkt und Sondererlass. Menschenverwertung, Rassenpolitik und Arbeitsamt, Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik, Bd. 8, Berlin 1990, S. 62-136
  • Maier, Dieter: »Arbeitseinsatz und Deportation. Die Mitwirkung der Arbeitsverwaltung bei der nationalsozialistischen Judenverfolgung in den Jahren 1938-1945«, Publikationen der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, hg. von Wolfgang Scheffler/Gerhard Schoenberner, Berlin 1994

Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang