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Updated: 18.12.2012 15:51
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Licht und Schatten

Die Anti-Hartz-Demonstration in Nürnberg war ein Erfolg, aber kein Durchbruch

Fast 10.000 Menschen demonstrierten am 6. November in Nürnberg unter dem Motto "Gemeinsam gegen Sozialraub, Agenda 2010 und Hartz IV". Damit sind die bundesweiten Großaktionen im Rahmen des "heißen Herbstes" gegen Hartz IV zu einem vorläufigen Ende gekommen. Die Bewertung fällt differenziert aus.

Die Zahl von 10.000 TeilnehmerInnen an der Demonstration in Nürnberg ist durchaus als Erfolg zu werten, waren doch die Rahmenbedingungen alles andere als Erfolg versprechend. Das Nürnberger Sozialforum als Träger der Demonstration ist von den politischen Ereignissen im Spätsommer und Herbst überrollt worden. Ursprünglich sollte die Demonstration gegen die Bundesagentur für Arbeit den Auftakt für bundesweite dezentralen Herbstaktionen rund um den 17. November bilden. Doch die spontanen Proteste im Rahmen der Montagsdemonstrationen, die deshalb kurzfristig organisierte Großdemonstration am 2. Oktober in Berlin und zuletzt der Streik bei Opel in Bochum haben diese Planungen schnell Makulatur werden lassen. Die Nürnberger Demonstration stand plötzlich am Ende eines kurzfristigen Mobilisierungszyklus.
Erschwerend kam hinzu, dass keine Großorganisation die Demonstration aktiv unterstützt hatte. Der PDS-Bundesvorstand unterschrieb zwar den Aufruf, steckte aber keine Ressourcen in die Vorbereitung. Ähnliches galt für attac: Obwohl der attac-Koordinierungskreis den Aufruf offiziell unterzeichnet hatte, blieb eine aktive Mobilisierung aus. Dort hatte sich die Mehrheit schon frühzeitig für dezentrale Aktionen ausgesprochen. Die kurzfristig angesetzte Demonstration am 2. Oktober band darüber hinaus gerade in diesem Spektrum viele Energien. Eine weitere Mobilisierung erschien deshalb wenig Erfolg versprechend. Hinzu kam, dass die Demonstration nach Ansicht von attac auf den wichtigen formellen und informellen Treffen zu wenig kommuniziert worden war.

Auch kirchliche Organisationen und die Sozialverbände standen der Demonstration von vornherein skeptisch bis ablehnend gegenüber. Mit Ausnahme unbedeutender Kreisverbände lehnten die Gewerkschaften, allen voran ver.di, sie explizit ab. Die Dienstleistungsgewerkschaft forderte die Mitglieder auf, sich nicht an der Aktion zu beteiligen, da sie sich angeblich gegen die Beschäftigten in der Bundesagentur wenden würde. Bis zum Schluss wurde diese Argumentation aufrechterhalten. Dabei hatten die OrganisatorInnen immer wieder versichert, ihnen ginge es um die Funktion der BA bei der Umsetzung von Hartz IV und um ihre Rolle als Moderator der Regierungspolitik. Zu guter Letzt kam für die Mobilisierung nach Nürnberg erschwerend hinzu, dass die Basisaktivitäten, wie sie sich auf den Montagsdemonstrationen gezeigt hatten, nicht (mehr) den erhofften Ausstrahlungseffekt hatten. Vor allem nach Westen ist der Funke nicht übergesprungen, aber auch im Osten hatte die Fähigkeit, Menschen auf die Straße zu bringen, stark nachgelassen.

Vor diesem Hintergrund ist die Mobilisierung für den 6. November umso bemerkenswerter. Dies ist vor allem den bundesweiten Bemühungen um einen starken antikapitalistischen Block zu verdanken. In Nürnberg gibt es mit der Organisierten Autonomie (OA) eine funktionierende Organisation, die von Anfang an im Nürnberger Sozialforum mitarbeitet und deren zentrales Anliegen es war, die Nürnberger Demonstration vorzubereiten. Ohne den großen Aufwand seitens der OA wäre die Demo nicht möglich geworden. Die OA hatte sich zum Ziel gesetzt, die soziale Frage im linksradikalen Spektrum stärker zu verankern und dies am 6.11. durch einen starken antikapitalistischen Block zum Ausdruck zu bringen. Dies ist ihr gelungen. Mit über 2.000 Menschen war dieser Block der stärkste Teil der Demo.

Die Stärke der OA war zugleich auch Ausdruck für die Schwäche der anderen Organisationen und Einzelpersonen, die sich an der Vorbereitung beteiligt haben. Dieses ungleiche Kräfteverhältnis war durchaus nicht unproblematisch, denn die Demonstration stieß selbst innerhalb des Nürnberger Sozialforums auf Skepsis. In der politischen Schwerpunktsetzung im Vorfeld kam dies zum Ausdruck: Während die meisten AktivistInnen die Montagsdemonstrationen vorbereiteten, beteiligten sich mit Ausnahme der OA nur sehr wenige Menschen an der Vorbereitung der Demonstration vom 6.11. Das Ungleichgewicht zu Gunsten der Arbeitsgruppe "Montagsdemo" war teilweise frappierend, vor allem als die Auseinandersetzungen mit der MLPD ihren Höhepunkt erreicht hatten. Wie in anderen Städten auch, hatte diese auch in Nürnberg versucht, die Montagsdemonstrationen organisationspolitisch zu instrumentalisieren.

Mobilisierungsprobleme im Vorfeld

Aber auch in der AG "6. November" selbst gab es unterschiedliche Konzepte, die in der Diskussion um die Aufstellung des Demo-Zuges zum Ausdruck kamen. Die OA wollte den antikapitalistischen Block an die Spitze stellen. Dem wurde entgegengehalten, dass es sich doch um eine Aktion des gesamten Sozialforums handeln würde - auch wenn die OA den Großteil der Mobilisierung leistet. Ferner widerspreche eine Demonstration mit konkurrierenden Blöcken dem Versuch, mit den Sozialforen einen politischen Neuanfang zu versuchen. Ziel müsse es vielmehr sein, aus dem "Getto der Szene" auszubrechen und auf eine Verankerung der Demonstration zumindest innerhalb des Sozialforums zu setzen. Die Breite und Vielfalt des Sozialforums müsse deshalb durch eine starke Präsenz des Sozialforums und seiner Vielfalt an der Spitze der Demo deutlich werden. Demgegenüber führe das Konzept der OA zu einer Verengung der Sozialforumsidee und gefährde deshalb die zukünftige Arbeit dieser Struktur. Am Ende einigte man sich darauf, dass vor dem antikapitalistischen Block eine kleine Abordnung des Sozialforums laufen dürfe. Die Debatte jedoch, wie groß diese Abordnung sein dürfe (35 oder doch mehr?), trug die grotesken Züge von Monty Pythons "Das Leben des Brian". Dennoch: Letztendlich verlief die Diskussion trotz aller Differenzen über die unterschiedlichen Konzepte solidarisch. Sie machte deutlich, dass das Sozialforum durchaus in der Lage ist, mit den Widersprüchen produktiv umzugehen.

Wer läuft vorneweg?

Die Demonstration wurde von allen VertreterInnen des Sozialforums als Erfolg gewertet. Dennoch besteht kein Anlass zur Euphorie. Der 6. November hat gezeigt, dass nach wie vor ein nennenswerter Protest gegen Hartz IV vorhanden ist. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass jetzt ein "Einschnitt im Abwärtstrend" markiert sei, wie ein Vertreter der OA meinte. Eher muss man der Analyse von Prof. Grottian vom Berliner Sozialforum zustimmen, der auf einer Veranstaltung am Vorabend der Demonstration von einer beunruhigenden "Stille" im Bezug auf die Proteste gegen Hartz IV sprach. Dies gelte vor allem für die alten Bundesländer. Es sei bisher nicht gelungen, programmatische Debatten mit Massenmobilisierungen und Aktionen des zivilen Ungehorsams zu verbinden. In weiten Teilen habe eine solche programmatische Debatte, die diesen Namen verdient, noch nicht einmal begonnen. Grottian plädierte deshalb dafür, die Kräfte erst einmal nicht in weiteren Mobilisierungen zu verbrauchen. Vielmehr solle man sich inhaltlich auf die ideologische Offensive einstellen, die demnächst von der Regierungsseite mit der Präsentation der "glücklichen 1-Euro-Jobber" losgetreten werde.

Noch pessimistischer sah Bernd Beier, Redakteur der jungle world, den Zustand der Bewegung. Die Beteiligung von Nazis sei kein Zufall, weil die Bewegung viel zu schwammig sei. Die Bewegung werde von "institutionellem Schrott" wie den Gewerkschaften und attac beherrscht. Deshalb sah er keinen Sinn für radikale Linke, in die Bewegung hinein zu intervenieren. In der aktuellen Entwicklung erkannte Beier Parallelen zum "freiwilligen Arbeitsdienst" der Regierung Schleicher zu Beginn der 30er Jahre, die wie Hartz IV auch mit der Unterstützung der Gewerkschaften eingeführt worden seien. Deshalb sei jetzt eine radikale Analyse und Kritik des Bestehenden angesagt. Dem wurde energisch widersprochen. Eine solche Analyse sei nicht radikal, sondern radikal falsch, weil Beier gar nicht mehr willens und in der Lage sei, die Widersprüche in Organisationen und Bewegungen wahrzunehmen. Die bisherige Entwicklung habe gezeigt, dass sich Interventionsversuche durchaus lohnen und dass es in Ansätzen durchaus gelungen sei, linke Positionen in der Bewegung zu verankern. Dass eben dies tatsächlich möglich ist, das zumindest hat die Nürnberger Demonstration verdeutlicht.

Moe, St.St.

ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis 489 vom 19.11.2004

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