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Frankreichs Umkämpfte Arbeitsrechts-„Reform“, Teil 8: Der Stand nach der Zwischenmobilisierung
Artikel von Bernard Schmid vom 18.3.2016
Der Stand nach der Zwischenmobilisierung am gestrigen Donnerstag, den 17. März 16, die vor allem durch die Jugend initiiert wurde. Erstmals seit 2006 (Anti-CPE-Bewegung) und zum zweiten Mal seit dem Mai 1968 wurde die Sorbonne lt. Order von oben geschlossen – hat die Ordnungsmacht „Schiss“?
Es war der erste frühlingshafte, und seit Wochen der erste relativ warme Tag in Paris. Ein Glück für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Demonstrationen, die am gestrigen Donnerstag (17. März 16) in der französischen Hauptstadt und im übrigen Land gegen die umkämpfte „Reform“ des französischen Arbeitsrechts stattfanden.
Dadurch wurde die am 09. März mit Unterstützung von Gewerkschaften (besonders den Dachverbänden CGT, Force Ouvrière, Solidaires sowie FSU/Bildungsgewerkschaften) und Jugendverbänden begonnen Mobilisierung fortgesetzt. Es ging darum, die Mobilisierung jetzt nicht abreißen oder einschlafen zu lassen, bevor am Donnerstag, den 24. März der Gesetzentwurf ins französische Kabinett eingebracht wird. Der nächste größere, längerfristig vorbereitete Aktionstag – mit massiver gewerkschaftlicher Teilnahme – wird dann am Donnerstag, den 31. März stattfinden.
Es war von vornherein klar, dass die Mobilisierung am Donnerstag dieser Woche (trotz erheblich günstigerer Witterung) quantitativ nicht an die vom 09. März heranreichen würde. Denn im Unterschied zur Vorwoche beruhte der Protest an diesem 17. März mehrheitlich auf der Jugend, also auf Oberschülerinnen und Oberschülern, sowie auf der Studierendenschaft. Dies bedeutet, dass mit einer geringeren Anzahl von Lohnabhängigen auf der Straße zu rechnen war, zumal die Mobilisierung der Vorwoche mit einem Transportstreik zusammenfiel – bei der Eisenbahngesellschaft SNCF handelte es sich um den am besten befolgten einzelnen Streiktag seit zehn Jahren, nur der mehrwöchige Streik im Juni 2014 ist davon noch positiv abzusetzen.
Daran gemessen, war die Beteiligung nicht schlecht. Seit dem Vormittag waren frankreichweit 115 Oberschulen (lycées, d.h. Oberklassen-Schulen) blockiert, unter Einsatz von Barrikaden, Mülleimer und sonstigen beweglichen Dingen. In weiteren Fällen wurde es versucht. Die Anzahl blockierter Schulgebäude fällt damit frankreichweit höher aus als am Mittwoch der Vorwoche (09. März), damals waren es insgesamt 95.
Beteiligung
An der Pariser Demonstration nahmen nach unseren Beobachtungen rund 10.000 Menschen teil (gegenüber wohl zwischen 30. und 40.000 am 09. März d.J., aber damals mit massiver Beteiligung von Lohnabhängigen). Voraus gingen die Oberschüler/innen und Studierenden, mit zum Großteil selbst erfundenen und gemalten Slogans. Dazu zählt das inzwischen vielfach durch die französische Presse gegangene „Die Nacht ist zum Vögeln da, nicht zum Schuften“, oder auch – auf dem Pappschild einer Studentin -: „El Khomri-Gesetz? Dann lieber gar nicht erst aufstehen!“
Unter dem offiziellen Titel Loi El Khomri firmiert der Gesetzesentwurf zur „Reform“ des Arbeitsrecht, für den offiziell die junge und unerfahrene, erst im September 2015 eingesetzte Arbeitsministerin Myriam El Khomri zuständig ist. Real geht die Verantwortung dafür jedoch auf das Konto von Premierminister Manuel Valls. Bei den Demonstrationen am 09. März häuften sich Slogans mit Wortspielen rund um die annähernd gleichlautenden Ausdrücke El Khomri (Eigenname) und el-connerie (von la connerie = die Dummheit, Idiotie, Eselei). Was uns betrifft, so bleibt der Verfasser dieser Zeilen reserviert gegenüber Namenswitzen, zumal die Regierungsspitze nur auf potenzielle rassistische Entgleisungen gegenüber der Ministerin wartet, um ihr inhaltliches Vorhaben gegen Kritik zu immunisieren. Am gestrigen Donnerstag ging die Zahl von Parolen zu diesem Thema augenscheinlich zurück, offenkundig hat dieser Wortwitz sich inzwischen abgenutzt – umso besser so. (Auch ein konservativer Abgeordneter, Bernard Debré, hatte Anfang März 16 im Fernsehen genau dasselbe Wortspiel benutzt. Die Konservativen ihrerseits sind zu dem Gesetzentwurf gespalten, zwischen inhaltlicher Unterstützung und dem Wunsch, die regierende Sozialdemokratie vorzuführen und – so lange man in der Oppositionsrolle steckt – ein bisschen Opposition zu spielen.)
Hinter den Oberschüler/inne/n und Studierenden gingen die Gewerkschaften, von denen die CGT mit Abstand am stärksten mobilisiert hatte. Aber auch FO (Force Ouvrière), Solidaires, die Bildungsgewerkschaft FSU sowie die anarcho-syndikalistische CNT waren mal ein bisschen mehr, mal schwächer vertreten. Nicht vertreten war natürlich die CFDT, der zweistärkste gewerkschaftliche Dachverband in Frankreich (rechtssozialdemokratisch geführt). In dessen Reihen gibt es zwar mancherorts Unmut über den Gesetzentwurf, dem die Führung des Dachverbands jedoch zustimmt, ohne dass es innerverbandlich die geringste Debatte dazu gegeben hätte. In Montpellier wurden Hauptamtlichen des Stadtverbands der CFDT, die gegen den Gesetzentwurf opponierten, deswegen ihre Mandate entzogen.
Frankreichweit waren es am gestrigen Donnerstag laut polizeilichen Angaben/Zahlen des Innenministeriums „69.000“ Teilnehmer/innen, die Studierendengewerkschaft UNEF sprach von „über 150.000“. Dies bedeutet, dass es real gut 100.000 Menschen gewesen sein dürften. Rund um die Mobilisierung kam es zu einigen Aktionen. So besetzten Studierende im westfranzösischen Rennes zwischen 13 Uhr und 13.30 Uhr den dortigen Bahnhof, der Verkehr fiel zeiweitlig vollständig aus.
Hochschulen dicht als präventive Sicherheitsmaßnahme
In der Hauptstadt Paris ließ die Verwaltung am Donnerstag Vormittag das Hauptgebäude der Sorbonne, also der im Zentrum der Hauptstadt gelegenen Universität Paris-1 (es gibt im Großraum Paris insgesamt dreizehn Hochschulen, deren historisch älteste die Sorbonne ist) dichtmachen. Bereits am Vorabend waren die beiden ausgelagerten Einrichtungen von Paris-1, Tolbiac (französisch für „Zülpich“, Zentrum der Sozialwissenschaften) und René Cassin in der rue Hippolyte (Jura) geschlossen worden. Besonders das Zentrum in der rue Tolbiac ist für seine Vollversammlungen und die studentische Mobilisierungsfähigkeit bekannt.
Es handelt sich um das zweite Mal seit dem Mai 1968, dass die Sorbonne aufgrund studentischer und/oder sozialer Proteste geschlossen wird. Das letzte Mal – das damals eine Premiere seit 1968 darstellte – war dies im März 2006 der Fall, als eine breite soziale Protestbewegung gegen die Aushebelung des Kündigungsschutzes kämpfte, und zwar letzlich erfolgreich. (Vgl. unseren damaligen Artikel vom 13. März 06 dazu: http://archiv.labournet.de/internationales/fr/junge5.html)
Auch weitere Hochschulen wurtden am gestrigen Donnerstag administrativ geschlossen, Lyon-II und eine der Hochschulen von Bordeaux (vgl. http://etudiant.lefigaro.fr/les-news/actu/detail/article/manifestation-contre-la-loi-travail-plusieurs-universites-fermees-19633/ ).
In Paris versuchten Studierende dennoch, in Tolbiac eine Vollversammlung abzuhalten, und erhielten nach Abschluss der nachmittäglichen Demonstration (die gegen 17 Uhr an der place d’Italie im Süden der Hauptstadt beendet wurde) Verstärkung aus deren Teilnehmerschaft. Eine sichtlich tatendurstige Polizei hielt einen Großteil der überwiegend jungen Demonstrierenden, die sich nach der Auflösung des Protestzugs noch auf dem Platz befanden, vom Weiterziehen in Richtung Tolbiac ab. Bereitschaftspolizisten (CRS) räumten den Platz noch vor 18 Uhr vollständig, nachdem dort zuvor gute Stimmung herrschte und Rotwein oder Bier im Sonnenschein flossen. Es wimmelte, wie mit auch nur ein bisschen geübtem Auge unschwer zu erkennen war, rundherum von Zivilpolizisten. Die Einsatzleitung war sichtlich nervös, was das eventuelle Aufflammen eines entschlosseneren Jugendprotests betraf. Gegen 18.30 Uhr kam es zur polizeilichen Räumung von Anwesenden im Hochschulzentrum Tolbiac sowie zu einzelnen Festnahmen.
Insgesamt kam es frankreichweit am gestrigen Donnerstag zu 23 polizeilichen Festnahmen. In mehreren Städten kam es auch zu etwas militeranteren Zusammenstößen zwischen Protestierenden und polizeilichen Ordnungskräften (am 09. März waren solche „Zwischenfälle“ auf Nantes und Lyon beschränkt).
So kam es neben Paris (vgl. http://www.dailymail.co.uk/news/article-3497403/French-riot-police-clash-student-protesters-new-labour-laws-angry-scenes-streets-Paris.html oder https://news.vice.com/article/in-photos-students-in-france-close-down-schools-and-clash-with-police-during-labor-protests ) auch im westfranzösischen Nantes (vgl. http://www.ouest-france.fr/pays-de-la-loire/nantes-44000/nantes-des-incidents-devant-le-lycee-gaspard-monge-bloque-4102146 ), im bretonischen Rennes (vgl. http://www.jeanmarcmorandini.com/article-350977-en-direct-loi-travail-incidents-a-paris-marseille-nantes-et-rennes-des-crs-blesses-et-23-interpellations.html ), in Marseille (vgl. http://www.laprovence.com/article/actualites/3849334/des-incidents-a-marseille-au-cours-de-la-manifestation-contre-la-loi-travail.html ), in Lyon (vgl. http://www.lyoncapitale.fr/Journal/Lyon/Actualite/Actualites/Affrontements-avec-les-forces-de-l-ordre-place-Guichard ) und im ostfranzösischen Strasbourg (vgl. http://france3-regions.francetvinfo.fr/alsace/bas-rhin/strasbourg/manif-contre-la-loi-travail-une-lyceenne-legerement-blessee-strasbourg-954421.html ) zu „Zwischenfällen“ und einigen Festnahmen. In Strasbourgen wurden fünf Protestierende, unter ihnen eine Oberschülerin, verletzt.
Ausblick
Die nächsten Mobilisierungsdaten fallen auf die beiden kommenden Donnerstage, den 24. März (Tag der Vorlage des Gesetzentwurfs im Regierungskabinett, vor einem Beginn der Parlamentsdebatte im April d.J., eine Verabschiedung ist „bis im Sommer“ geplant) sowie den 31. März.
Dabei dürfte sich der 24. März als Zwischendatum eher schwierig für größere Mobilisierungen gestalten. Mit einer breiteren Teilnahme ist vor allem am 31. März dieses Jahres zu rechnen. Ab diesem Datum wird es dann aber tatsächlich um die Wurst gehen: Bricht die Mobilisierung bis dahin oder ab diesem Tag ein, dann sieht es relativ düster aus.
Nach wie vor hat die französische Öffentlichkeit noch gar nicht alle einzelnen Bestimmungen des Entwurfs zur „Reform“ des französischen Arbeitsrechts entdeckt. So plant die Regierung in ihrem Gesetzesvorhaben u.a., die bisher obligatorischen periodischen Untersuchungen bei der für das jeweilige Unternehmen zuständigen „Arbeitsmedizin“ (médecine du travail) durch reine „Informationsbesuche“ zu ersetzen. Deswegen fürchtet die Angestelltengewerkschaft CFE-CGC, den Ärztinnen und Ärzten werde insbesondere das Recht genommen, über von ihnen beobachtete Phänomen von burn-out (Erschöpfung, Ermattung im Arbeitsverhältnis) zu berichten. (Vgl. dazu ausführlich http://www.cfecgc.org/actualite/sante/bernard-salengro-et-le-projet-de-loi-el-khomri-les-medecins-du-travail-ne-pourront-plus-temoigner-du-burn-out/ )
Bislang war für den Jahres- (oder Teil-)Urlaub des Lohnabhängigen eine Sperrfrist von einem Monat vorgesehen: Innerhalb eines Monats vor Urlaubsantritt konnte der Arbeitgeber nicht mehr einseitig das Datum ändern. Diese Sperrfrist entfällt nunmehr und soll freien Vereinbarungen weichen. Pech für die Lohnabhängigen, falls sie einen Flug gebucht haben sollten…?
Gravierend ist auch die Bestimmung, wonach zwar die derzeitige Mindestgarantie von 11 Stunden Ruhezeit pro Tag (was im Umkehrbeschluss eine Maximalarbeitszeit von dreizehn Stunden täglich bedeutet) beibehalten wird – doch die Regel entfallen soll, wonach eine elfstündige Ruheperiode am Stück und ohne Unterbrechung gewährt bleiben muss. Künftig soll die Ruhezeit von elf Stunden täglich auch, infolge einer freien Vereinbarung, gestückelt werden können. (Vgl. http://www.liberation.fr/france/2016/02/22/les-petites-manips-du-vrai-faux-gouvernemental-sur-le-projet-el-khomri_1434922 ) Dies betrifft insbesondere Lohnabhängige mit inem ,forfait-jour’, d.h. einer Arbeitszeitpauschale, aufgrund derer keine Überstunden mehr gemessen werden. Vor allem in kleineren und mittleren Unternehmen bis zu 50 Beschäftigten wird die Möglichkeit, solche Arbeitszeitpauschalen mit Mitarbeiter/inne/n zu „vereinbaren“, durch den Gesetzentwurf erheblich ausgedehnt. Im ersten Vorentwurf war geplant, dass der Arbeitgeber in diesem Falle sogar – ohne jegliche kollektive Interessenvertretung einzuschalten – in Unternehmen dieser Größe allein entscheiden können soll, welchen abhängig Beschäftigten er eine solche Pauschalregelung „vorschlägt“. Nunmehr soll der Arbeitgeber in Unternehmen mit bis zu fünfzig Beschäftigten, in denen kein gesetzlich vorgeschriebener délégué syndical, d.h. keine gewerkschaftliche Vertretung mit Verhandlungsvollmacht existiert, mit einem oder einer einzelnen Beschäftigten seines Unternehmens darüber verhandeln. (Was natürlich ein absolut tolles Kräftegleichgewicht garantiert!) Der oder die Lohnabhängige soll dafür von einer, extern bleibenden, Gewerkschaft mit einer zeitlich befristeten und auf dieses Verhandlungsthema beschränkten Sonder-Verhandlungsvollmacht ausgestattet werden.
In Teil 7 unserer kleinen Serie (https://www.labournet.de/?p=95140) hat sich leider am Schluss ein Tippfehler eingeschlichen: Im ersten Vorentwurf war geplant, dass für minderjährige (!) Auszubildende die tägliche Arbeitszeit ohne ärztliche Genehmigung bis auf zehn, und die wöchentliche Arbeitszeit bis auf 40 Stunden (statt, wie fälschlich im Text stand, „48“) ausgedehnt werden darf. Nach den Zugeständnissen der Regierungsspitze vom Montag, den 14. März bleibt es bei der bisherigen Regelung: Eine solche Ausdehnung – auf zehn Stunden statt acht täglich, und auf 40 (statt 35) Stunden wöchentlich – ist möglich, wenn die zuständige „Arbeitsmedizin“ dies für den Minderjährigen oder die Minderjährige gestattet hat.
Die mögliche 48-Stunden-Woche gilt also nicht für die minderjährigen Auszubildenden. Aber für alle anderen Lohnabhängigen, ja. Bislang ist es gesetzlich möglich, im Falle variabler Arbeitswochen – wie das Arbeitsgesetz vom 19. Januar 2000, das der (heutzutage sehr „links“ und „sozial“ und als Regierungskritikerin auftretenden Ex-Arbeitsministerin Martine Aubry zu verdanken ist) sie ausdrücklich zulässt – die wöchentliche Arbeitszeit bis zu 48 Stunden beträgt. Im viermonatigen Mittel darf sie dann allerdings 44 Stunden nicht überschreiten, um im Jahresmittel auf einen Durchschnitt von 35 Stunden (plus Überstunden) hinauszulaufen. Laut dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die Arbeitszeit in Einzelfällen sogar bis auf 60 Stunden in einer Einzelwoche, oder bis auf 46 (statt 44) Stunden im viermonatigen Mittel ausgedehnt werden können. Und wenn ein Flächenkollektivvertrag in der Branche es zulässt, soll die durchschnittliche Wochenarbeitszeit sogar im bis zu dreijährigen Mittel (statt wie bislang maximal in einer Jahresperiode) berechnet werden können. Diese Möglichkeit wird in der Praxis besonders die Automobilindustrie betreffen.
- Siehe auch am 18.3. im LabourNet: Gewerkschaftliche Stellungnahmen zur Fortsetzung (oder nicht) des Kampfes gegen das neue französische Arbeitsgesetz