Eine „neue“ Verteilungs-Diskussion angesichts für die Gesellschaft katastrophaler Entwicklungen – Ein Ende der fortwährenden Verteilung von unten nach oben?
Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 26.1.2016
Lasst mich vor den ganzen „neuerlichen“ analytischen Darstellungen, die wohl aus dem Arbeitsministerium angestoßen wurden – als Vorbereitung für den 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung einmal den DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann ins Spiel bringen, schon weil der DGB mit etwas klareren Positionen den „groß-koalitionäeren“ Regierungsparteien gegenübersteht: Der DGB-Chef Reiner Hoffmann forderte am Montag eine Wiederbelebung der Vermögenssteuer sowie höhere Steuern auf große Erbschaften und das Aus für die Kapitalertragssteuer. (http://www.br.de/nachrichten/dgb-besteuerung-reiche-100.html )
Und an Stelle des geltenden Satzes der Kapitalertragssteuer von 25 Prozentsollten Kapitalerträge mit den bis zu 45 Prozent des individuellen Einkommenssteuersatzes belegt werden: Es ist ein Unfug, dass Menschen mit ihrer Arbeit bis zu 42 Prozent des Einkommens besteuert würden, während auf Kapitaleinkommen lediglich 25 Prozent entfielen – so Hoffmann.
Allerdings könne die wachsende Spaltung in Arme und Reiche nicht allein in Deutschland bekämpft werden. Durch unterschiedlich hohe Steuersätze in den Mitgliedsländern (das sog. „Stuerdumping“) gehe in der Europäischen Union pro Jahr eine Billion Euro durch Steuerflucht verloren. Ein Großteil davon entfalle auf Deutschland. In der Printausgabe titelt die „Süddeutsche“ klarer „Tiefe Kluft zwischen Arm und Reich“ – und zwar vor allem, weil die unteren 50 Prozent der Bevölkerung immer ärmer werden (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/soziale-ungleichheit-deutschlands-arme-werden-immer-aermer-1.2833313 )
Betrachtet man die seit 1998 erhobenen Daten (= dieser Zeitpunkt ist besonders interessant, weil da begann die rot-grüne Koalition, die sich nicht nur durch eine Reduzierung der Vermögenssteuer hervortat, sondern auch noch durch einen stark vergrößerten Niedriglohnsektor – und gerade diese ideologische Neu-Ausrichtung der Sozialdemokratie macht es bis heute so schwer, diese Verteilungs-Probleme des stark vermehrten Reichtums politisch angemessen zu thematisieren), ist die Kluft zwischen Arm und Reich langfristig deutlich tiefer geworden. Damals gehörten den reichsten 10 Prozent der deutschen Bevölkerung nur etwa 45 Prozent (heute 52 Prozent), die untere Hälfte der deutschen Haushalte verfügte damals über knapp drei Prozent (heute 1 Prozent). In der Realität könnte diese gesellschaftliche Spaltung jedoch noch größer sein, als es diese Zahlen der Stichprobe nahelegen. Das Bundesarbeitsministerium wies am Montag in Berlin auf die begrenzte Aussagekraft der Daten hin, unter anderem, weil „die reichsten Haushalte nicht erfasst werden“. Milliardäre und Millionäre nehmen kaum an den Umfragen teil. – Darauf hat jüngst – siehe unten – auch die Hans-Böckler-Stiftung in ihrem Verteilungsbericht hingewiesen. (Siehe weiter zur Entwicklung der Top-Einkommen seit 2001: http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.523587.de/16-1-1.pdf )
Heribert Prantl kommentiert in der Süddeutschen diese Entwicklung des Reichtums so: „Die Ungleichheit, so hat es der Rechtsgelehrte Ernst-Wolfgang Böckenförde einmal formuliert, darf ein gewisses Maß nicht überschreiten, sonst geht sie über in Unfreiheit! Und dieses Maß ist erreicht.“ Und er fährt fort: Deutschland hat im internationalen Vergleich sehr niedrige Besteuerungsquoten in Bezug auf Vermögensbestände. Seit 1997 wird keine Vermögenssteuer mehr erhoben; die Forderung nach Wiedereinführung wird mit dem Hinweis gekontert, dass das Verfassungsgericht sie 1995 verboten habe.
Das ist definitiv falsch. Karlsruhe hat erklärt, dass die Steuer nicht als Substanz-, sondern als Sollertragssteuer ausgestaltet werden dürfe. Und auch dieses Urteil muss nicht ewig halten. Die Vermögen werden schließlich – auch – durch Staat und Rechtsordnung gesichert.; das kann die besondere steuerliche Leistungsfähigkeit für große Vermögen begründen.
„Eigentum verpflichtet“: Es ist Aufgabe des Gemeinwesens, diesem Verfassungssatz zu guter Geltung zu verhelfen.
Der Spiegel präzisiert diese Angaben noch weiter „Ein Zehntel besitzt 52 Prozent des Vermögens – obwohl das nie präzise sein kann, denn über die „höchsten“ Einkommen gibt es gar keine validen Erkenntnisse (http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/deutschland-ein-zehntel-besitzt-52-prozent-des-vermoegens-a-1073677.html ) – und bietet noch einen „Spiegel“-Überblick zur Vermögensverteilungs-Diskussion (http://www.spiegel.de/thema/vermoegensverteilung_deutschland/ )
Die Tagesschau nennt noch die von der Linken geforderte „Millionärssteuer“ zur Überwindung dieser enormen Kluft
(https://www.tagesschau.de/wirtschaft/vermoegen-deutschland-verteilung-101.html )
Und der Verteilungsbericht der Hans-Böckler-Stiftung macht noch auf das Skandalöse dieser Entwicklung aufmerksam
„Trotz des Aufschwungs – Einkommensungleichheit geht nicht zurück“ (http://www.boeckler.de/6299.htm?produkt=HBS-006204 ) und bietet auch einen Überblick über den Stand der wissenschaftlichen Verteilungs-Diskussion (http://www.boeckler.de/verteilung.htm )
Zur umfassenden Debatte der Ungleichheit angefangen bei Thomas Piketty, der dieser Diskussion wieder einen „Drive“ gab, siehe den informativen Überblick – insbesondere auch mit den jüngsten Ergebnissen von Oxfam mit der wichtigen Ursache der Steuerflucht in die Steueroasen bei: https://www.labournet.de/politik/wipo/finanzmaerkte/steuerpolitik/debatte-um-ungleichheit-und-umverteilung/
Den Ökonomen Rudolf Hickel hat dies zur Lektüre des Wirtschaftsnobelpreisträgers Joseph Stiglitz „Arm und Reich“ veranlasst (http://rhickel.iaw.uni-bremen.de/ccm/homepages/hickel/aktuelles/joseph-stiglitz-arm-und-reich-/ ) – und er kommt zu dem Resümee: wichtig für jeden, den das Thema interessiert, aber ein „Muss“ für jeden Ökonomen.