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Grenzüberschreitendes Treffen der Amazon-Beschäftigten in Poznan vom 11. bis 13. September 2015
„Wir – Arbeiterinnen und Arbeiter von Amazon in Polen und Deutschland sowie Unterstützerinnen und Unterstützer – haben uns drei Tage lang in Poznan getroffen. Es war das zweite Treffen nach einem in Bad Hersfeld im Frühjahr dieses Jahres. Die Treffen werden von den teilnehmenden Arbeiterinnen und Arbeitern von Amazon selbst und unabhängig von der jeweiligen Gewerkschaft organisiert. Wir sind ein Solidaritätsnetzwerk, dass Antworten auf die Strategien von Amazon sucht und den Kampf für die gemeinsamen Interessen koordiniert…“ Abschlusserklärung des Treffens und ein Kommentar zum Treffen (von einem Beteiligten, also kein offizielles Statement des Treffens) im Beitrag
Schlusserklärung des grenzüberschreitenden Treffens der Amazon-Beschäftigten in Poznan vom 11. bis 13. September 2015
Wir – Arbeiterinnen und Arbeiter von Amazon in Polen und Deutschland sowie Unterstützerinnen und Unterstützer – haben uns drei Tage lang in Poznan getroffen. Es war das zweite Treffen nach einem in Bad Hersfeld im Frühjahr dieses Jahres. Die Treffen werden von den teilnehmenden Arbeiterinnen und Arbeitern von Amazon selbst und unabhängig von der jeweiligen Gewerkschaft organisiert. Wir sind ein Solidaritätsnetzwerk, dass Antworten auf die Strategien von Amazon sucht und den Kampf für die gemeinsamen Interessen koordiniert. Dieses Mal haben wir vor Amazons Logistikzentrum in Poznan-Sady Flugblätter verteilt, eine öffentliche Veranstaltung mit Vorträgen zur Situation bei Amazon in Poznan, Bad Hersfeld und Brieselang abgehalten und eine Kundgebung und Interviews mit Medien organisiert. Danach haben wir auf dem Treffen der Arbeiterinnen und Arbeiter die Situation in den verschiedenen Amazon-Lagern diskutiert und gemeinsame Aktionen besprochen, mit denen wir die Arbeitsbedingungen in Zukunft verbessern können.
Unser Austausch ergab, dass Amazon-Arbeiterinnen und -Arbeiter in verschiedenen Ländern denselben Problemen gegenüberstehen – niedrige Löhne, steigende Leistungsvorgaben, hoher Arbeitsdruck, der die Gesundheit gefährdet, Amazons Beschäftigungspraxis des Heuerns und Feuerns usw. Gegenüber Forderungen der Arbeiterinnen und Arbeiter setzt Amazon in allen Ländern auf ähnliche Strategien, zum Beispiel Drohung mit Entlassung, Druck auf Gewerkschaftsaktivisten und -aktivistinnen und Amazons Weigerung, in Verhandlungen Zugeständnisse zu machen.
Für alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Treffens ist klar, dass wir kollektiv reagieren müssen – gemeinsam in verschiedenen Lagern und Ländern –, wenn wir Verbesserungen durchsetzen wollen. Amazon wird uns in Zukunft nicht mehr gegeneinander ausspielen können, wenn wir uns zusammenschließen und an der Basis, von Arbeiterin zu Arbeiter, vernetzen.
Der grenzübergreifende Austausch über das Treffen der Amazon-Arbeiter/innen kann Arbeiter und Arbeiterinnen motivieren, mobilisieren und ermächtigen, auch wenn diese (noch) nicht direkt beteiligt sind. Ein Beispiel ist der selbstorganisierte Bummelstreik im Amazon-Lager in Poznan gegen Überstunden, der die Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen ausdrückte und ein klares Signal der Solidarität mit dem Streik der Amazon-Arbeiterinnen und -Arbeiter in Deutschland war, der am selben Tag Ende Juni stattfand.
Wir sind entschlossen, uns auch der Repression von Amazon entgegenzustellen. Arbeiter von Amazon in Italien wollten an unserem Treffen teilnehmen, aber einer von ihnen wurde kurz vorher entlassen, sodass sie auf diesen Angriff reagieren mussten und nicht teilnehmen konnten. Wir erklären uns mit diesen Arbeitern solidarisch und sind froh, dass sie entschlossen sind, in Zukunft an unserem Austausch und unseren gemeinsamen Aktionen teilzunehmen! Zum nächsten Treffen, das rechtzeitig auf https://amworkers.wordpress.com angekündigt werden wird, laden wir nicht nur Arbeiterinnen und Arbeiter aus Italien, sondern auch die aus dem neuen Amazon-Lager in der nähe von Prag, Tschechien, und die anderer Lager in Europa ein. In Poznan haben alle Anwesenden ihre Absicht bekräftigt, in Zukunft gemeinsame, grenzübergreifende Aktionen zu organisieren. Nur wenn unser Kampf von Arbeitern und Arbeiterinnen selbst geführt wird, in unserem Lager verwurzelt ist und mit anderen koordiniert wird, wenn er eine klare Strategie hat und für Amazon nicht vorhersehbar ist, werden wir eine Chance haben zu gewinnen!
Kommentar zum grenzübergreifenden Amazon-Arbeiter_innentreffen
Die grenzübergreifenden Treffen von Amazon-Arbeiter_innen werden organisiert, weil die im September 2014 eröffneten Amazon-Lager in Poznan und Wroclaw den deutschen Markt bedienen und von Amazon – wie andere Lager auch – eingesetzt werden, um die Streiks der Amazon-Arbeiter_innen in Deutschland zu schwächen, die seit 2013 stattfinden.
Im Amazon-Lager in Poznan sind einige Hundert Arbeiter_innen der Basisgewerkschaft Inicjatywa Pracownicza (IP, Arbeiter_inneninitiative) beigetreten, bisher die einzige offen operierende Gewerkschaft dort. Gegründet wurde die IP-Sektion im Dezember 2014 auf Initiative von Arbeiter_innen selbst. Sie hat Flugblätter verteilt und mehrere Petitionen unterstützt, die sich gegen steigende Vorgaben, niedrige Löhne, Druck durchs Management und flexible Arbeitszeiten wenden. Sie sieht sich einer Reihe von Herausforderungen gegenüber, nicht nur Amazons Strategie der Ignoranz und Repression, sondern auch Angriffen der Gewerkschaft Solidarnosc, welche die Beschäftigten in den Amazon-Lagern in Wroclaw vertritt.
Um direkte Verbindungen mit streikenden Arbeiter_innen in Deutschland herzustellen, kontaktierte die IP-Sektion aus Poznan Anfang diesen Jahres Arbeiteraktivist_innen bei Amazon in Deutschland. Diese sind Mitglieder der konventionellen Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die im Gegensatz zur IP hierarchisch organisiert ist und bezahlte Gewerkschaftsfunktionäre hat. Es stellte sich jedoch heraus, dass ein Kern von Arbeiteraktivist_innen in Verdi sich mit den Arbeiter_innen aus Polen treffen wollte, um eine mögliche Koordination des Kampfes zu diskutieren. Nach den ersten Treffen wurde beschlossen, ein grenzübergreifendes Treffen von Amazon-Arbeiter_innen zu organisieren, nicht als Initiative von Gewerkschaften, sondern als Form direkter Kontakte und Koordination von Arbeiter_innen.
Eine schnelle Wirkung dieser Treffen war, dass Arbeiter_innen sowohl in den deutschen als auch in den polnischen Amazon-Lagern nun wussten, dass es direkte Verbindungen gibt, um Informationen zu bekommen und was über die Bedingungen und Amazon-Strategien im jeweils anderen Land zu lernen. So könnte Amazon die Lager jenseits der Grenze nicht mehr so einfach als Drohung einsetzen. Die erstaunlichste Wirkung war der Bummelstreik im Lager in Poznan im Juni diesen Jahres – während einer Überstunde, die Amazon angeordnet hatte, als in den Amazon-Lager in Deutschland im Streik waren. Die Arbeiter_innen in Poznan wussten von dem Streik in Deutschland, und Dutzende organisierten selbst einen Bummelstreik, auch um die Streikenden in Deutschland zu unterstützen und weil sie sich nicht als Streikbrecher missbrauchen lassen wollten.
Arbeiter_innen in den deutschen Amazon-Lager waren glücklich, als sie von dem Solidaritätsbummelstreik hörten, Verdi-Funktionäre kaum. Diese haben die Arbeiteraktivist_innen in Verdi mehrfach für ihre Kollaboration mit der IP-Sektion kritisiert und betonen, dass Verdi mit der Gewerkschaft Solidarnosc alliiert ist. Solidarnosc hat derweil den wilden Bummelstreik in Poznan öffentlich kritisiert und sich von der IP-Sektion distanziert, welche die nach der Aktion von Amazon bestraften Arbeiter_innen unterstützt. Die IP-Sektion hat übrigens trotzdem die Amazon-Arbeiter_innen, die in Wroclaw bei Solidarnosc organisiert sind, mehrfach aufgefordert, in einen Austausch zu treten und gemeinsam Forderungen durchzusetzen, aber diese Aufforderungen wurden bislang ignoriert. Eigenartig mutet an, dass Solidarnosc-Vertreter weiterhin bei Verdi-Kundgebungen zu Amazon in Deutschland auftreten und sich für ihre „Solidarität“ beklatschen lassen dürfen.
Das kürzlich abgehaltene grenzübergreifende Amazon-Arbeiter_innen Treffen in Poznan hat gezeigt, dass der Austausch und die Koordinierung an der Basis die Versuche von Verdi-Funktionären (und Solidarnosc), alle Arbeiteraktionen im Griff zu behalten, umgehen kann und diese Treffen die Grundlage für grenzübergreifend organisierte Aktionen schaffen können, Aktionen, die Amazon nicht bereits vorher bekannt sind – Vorbedingung für einen effektiven Kampf.
Siehe dazu auch:
- Die internationale Vernetzungsseite „amazing workers – united across borders“
- Video von labournet.tv „Amazon Arbeiter_innen treffen sich in Poznań“ (BRD 2015, 15min, labournet.tv, mit deutschen und polnischen Untertiteln)
- Amazon-Beschäftigte solidarisieren sich. Gewerkschafter aus Deutschland und Polen trafen sich zum Erfahrungsaustausch in Poznan.
Bericht von Jörn Boewe in junge Welt vom 15.09.2015 . Darin: „… Die rund dreißig Teilnehmerinnen und Teilnehmer, überwiegend Beschäftigte aus dem Poznaner Versandzentrum des Internethändlers, diskutierten mit Kollegen aus den deutschen Konzernstandorten Bad Hersfeld und Brieselang über Löhne, Arbeitszeiten und permanente Überwachung der Beschäftigten. Es ging um die Strategien, mit denen das Management versucht, gewerkschaftliche Organisierung zu verhindern, aber auch um die Perspektive künftiger gemeinsamer Aktionen. Ihnen war aufgefallen, dass der multinational agierende US-Konzernriese bei Streiks in Deutschland Bestellungen sehr schnell an seine polnischen Versandzentren weiterleitete. Deshalb hatten ver.di-Vertrauensleute aus Hessen und Brandenburg sowie Aktivisten der anarchosyndikalistischen »Inicjatywa Pracownicza (IP)« (»Arbeiterinitiative«) aus Poznan im Frühjahr dieses Jahres begonnen, gemeinsame Treffen zu organisieren und Informationen auszutauschen…“
- Siehe zum Hintergrund das Dossier: Polnische Gewerkschaft fordert höhere Löhne für Amazon-Mitarbeiter – Streik ab 4. Juli 2015?