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Frankreich: Außerparlamentarische faschistische Gruppierungen und die Verlockung des Rechtsterrorismus

SUD Solidaires: Nous ferons reculer efficacement les idées d’extrême-droiteSoll man Muslime und Araber mehr hassen, oder Juden stärker bekämpfen? Diese Frage – auf erheblich indirektere Weise formuliert – bildet seit den 1950er und 1960er Jahren einen Gegenstand für ernsthafte Richtungsstreitigkeiten in der französischen extremen Rechten. Auf ihre Weise einvernehmlich gelöst hatte das Orientierungsproblem eine stiefelfaschistische Gruppierung, deren Aushebung durch die Ermittlungsbehörden am vorigen Dienstag, den 11. Juni 19 durch einen Bericht des Senders BFM TV bekannt wurde. Die informelle Gruppe hatte sich selbst die Bezeichnung Oiseau noir (Schwarzer Vogel) zugelegt und geplant, jüdische und muslimische Einrichtungen oder Personen zu attackieren…“ Artikel von Bernard Schmid vom 24.6.2019 – wir danken!

Frankreich: Außerparlamentarische faschistische Gruppierungen und
die Verlockung des Rechtsterrorismus

Soll man Muslime und Araber mehr hassen, oder Juden stärker bekämpfen? Diese Frage – auf erheblich indirektere Weise formuliert – bildet seit den 1950er und 1960er Jahren einen Gegenstand für ernsthafte Richtungsstreitigkeiten in der französischen extremen Rechten. Auf ihre Weise einvernehmlich gelöst hatte das Orientierungsproblem eine stiefelfaschistische Gruppierung, deren Aushebung durch die Ermittlungsbehörden am vorigen Dienstag, den 11. Juni 19 durch einen Bericht des Senders BFM TV (vgl. https://www.bfmtv.com/police-justice/ils-voulaient-s-en-prendre-a-des-musulmans-et-des-juifs-un-groupe-d-ultra-droite-demantele-1709990.html externer Link) bekannt wurde.

Die informelle Gruppe hatte sich selbst die Bezeichnung Oiseau noir (Schwarzer Vogel) zugelegt und geplant, jüdische und muslimische Einrichtungen oder Personen zu attackieren. Im Gespräch waren dabei im Onlineforum der Gruppe Angriffe auf eine Moschee sowie auf das jährliche Treffen des „Repräsentativen Rats der jüdischen Institutionen in Frankreich“ (CRIF). Von September 2018 Ende Mai dieses Jahres waren insgesamt fünf Personen in diesem Zusammenhang festgenommen worden. Zuerst traf es einen damals der Gendarmerie zugeteilten Zeitsoldaten – sein Vertrag dort lief aus – im Raum Grenoble, gegen den anfänglich wegen unerlaubten Waffenbesitzes ermittelt wurde. In seiner Wohnung wurden Kalaschnikow-Munition, Sprengstoff und eine Glock-Pistole aufgefunden. Unter den Ende vorigen Monats festgenommenen zwei Personen befindet sich auch ein 15jähriger. Der Bericht bei BFM TV enthüllte erstmals gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit, dass in Zusammenhang wegen eines Organisationszusammenhangs und des Verdachts auf Vorbereitungen zum Rechtsterrorismus ermittelt werden.

Nach den Razzien gegen die Action des forces opérationnelles im Juni 2018 (vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd0818/t280818.html externer Link) und der Affäre um den, im Oktober 2017 aufgeflogenen Zusammenhang um den damals 21jährigen Logan Alexandre Nisin – eines vormaligen Wahlkämpfers des Front National – (vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd1117/t171117.html externer Link) handelt es sich bereits um die dritte bedeutendere Rechtsterrorismus-Affäre in den letzten beiden Jahren. Nach der unerwartet deutlichen Wahlniederlage für Marine Le Pen im Mai 2017 hatten einige tatendurstige Anhänger der extremen Rechten die Auffassung gewonnen, andere Aktionen als Wahlkampf und Parteipropaganda seien nunmehr vorrangig.

Am vorigen Donnerstag, den 13. Juni 19 wurde nun auch der, in der Langfassung 526 Seiten umfassende Abschlussbericht einer parlamentarischen Untersuchungskommission zum Thema „Ultrarechte“ (vgl. bspw. https://www.marianne.net/societe/ce-que-contient-le-rapport-parlementaire-sur-l-ultradroite externer Link oder http://www.lcp.fr/actualites/un-rapport-parlementaire-met-en-garde-contre-une-nouvelle-tentation-terroriste-dultra externer Link; vgl. auf der Webseite des Parlaments: http://www.assemblee-nationale.fr/15/rap-enq/r2006.asp externer Link) veröffentlicht. Der vollständige Bericht liegt dem Verf. dieser Zeilen, in einer Lang- und einer gestrafften Kurzfassung, vor.

Als solche – ultradroite – oder, alternativ, als extrême droite radicale bezeichnet man die zumindest potenziell gewalttätigen, außerparlamentarischen rechtsextremen Gruppen und Verbände inklusive der „identitären“ Vereinigungen. Die in einem Teil der Medien gängige Bezeichnung als „radikale extreme Rechte“ ist dabei insofern dienlich, als sie zur Abgrenzung von einer vor allem parlamentarisch aktiven und als Wahlpartei auftretenden, etablierten extremen Rechten wie dem Rassemblement national (RN) herangezogen wird. Allerdings droht es insofern in die Irre zu führen, als der Begriff zu unterstellen scheint, es könne auch eine moderate extreme Rechte geben.

Den Untersuchungsausschuss hatte eine Mehrheit im Parlament im November 2018 Jahres eingesetzt, nachdem im selben Jahr rechte Morddrohungen gegen den Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon (vgl. bspw. https://www.europe1.fr/politique/menaces-dattentats-de-lultra-droite-melenchon-suspend-sa-participation-a-lenquete-judiciaire-3690167 externer Link) sowie gegen den amtierenden Innenminister Christophe Castaner registriert worden waren. Den Vorsitz in der Untersuchungskommission erhielt die Abgeordnete Muriel Ressiguier von Mélenchons Wahlbewegung La France insoumise (LFI, ungefähr „Das aufsässige Frankreich“). Im Laufe ihrer fünfmonatigen Arbeit hatte die Kommission, neben Antirassismusvereinigungen, Regierungsvertretern und Juristinnen, auch Angehörige der „Ultrarechten“ angehört. Unter ihnen befand sich Yvan Benedetti, der am 25. April empfangen wurde. Er firmiert formal als Vorsitzender einer Briefkastenpartei unter dem Name Parti nationaliste français (PNF), real führt er jedoch den Vorsitz der Ende 1968 gegründeten und 2013 verbotenen Gruppierung L’Oeuvre française (Das Französische Werk) fort. Ihn übernahm er 2012, nachdem er zehn Jahre lang dem Front National angehörte.

Just am vorigen Mittwoch, den 12. Juni 19 wurde er für die Fortführung einer verbotenen Vereinigung in Lyon in zweiter Instanz zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt (vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/peine-alourdie-en-appel-pour-yvan-benedetti-pour-non-dissolution-de-l-oeuvre-francaise-20190612 externer Link); er hatte vor Gericht betont: „Das Französische Werk ist nicht tot!“ Im Parlament wiederum bekannte Benedetti sich offen (vgl. u.a. http://www.leparisien.fr/politique/ultra-droite-des-deputes-saisissent-la-justice-apres-des-propos-negationnistes-11-05-2019-8069958.php externer Link oder https://www.lexpress.fr/actualite/societe/justice/yann-benedetti-tient-des-propos-negationnistes-devant-les-deputes_2077395.html externer Link) zur Auschwitzlüge; die Zahl von sechs Millionen Getöteten sei „vollständig gelogen“. Nach 48 Stunden wurde der Text seine Anhörung, anders als die anderen Dokumente des Unteraussuchungsausschusses, von der Webseite der Nationalversammlung entfernt. Mittlerweile hat das Parlament auch die Staatsanwaltschaft für ein Strafverfahren eingeschaltet, Holocaustleugnung ist in Frankreich seit 1990 strafbar.

Yvan Benedetti hatte die Parlamentarier/innen auch provoziert, indem er beim Ableisten seines Eids den rechten Arm in ähnlicher Form wie beim faschistischen Gruß erhob. (Vgl. u.a. http://www.leparisien.fr/faits-divers/propos-negationnistes-yvan-benedetti-ex-elu-fn-et-membre-assume-de-l-ultra-droite-07-06-2019-8088846.php externer Link) Auch andere geladene Mitglieder der „Ultrarechten“ entschieden sich für ein offensives Vorgehen. Eine Vertreterin der rechtsextremen Frauenband (und / allerdings durch manche Strömungen innerhalb der extremen Rechten als „Sekte“ gehandelten Gruppe) Les Brigandes bezeichnete die Kommission während der nichtöffentlichen Ausschusssitzung als „bolschewistisches Tribunal“. (Vgl. https://www.marianne.net/politique/la-deputee-lfi-muriel-ressiguier-ciblee-par-les-brigandes-groupuscule-d-extreme-droite externer Link)
In ihrem Abschlussbericht spricht die Untersuchungskommission von der Gefahr eines Abgleitens in den Rechtsterrorismus bei Teilen der ultradroite, die ansonsten jedoch durch Grabenkriege um die Chefposition gespalten und geschwächt werde. Das Aktivistenpotenzial der außerparlamentarischen und gewaltaffinen extremen Rechten beziffert er auf 3.000, eine Zahl, die seit langen Jahren ungefähr konstant blieb. Als ihre Hochburg wird Lyon bezeichnet. (Vgl. https://www.lyoncapitale.fr/actualite/lyon-berceau-des-groupes-d-ultra-droite-selon-la-commission-d-enquete/ externer Link) Neue Phänomene seien die verstärkte Teilnahme von Angehörigen der Sicherheitskräfte im aktiven oder Reservedienst oder in Rente an solchen Gruppen sowie ihr zunehmend geschicktes Auftreten im Internet, das auch für das Eintreiben von Geldspenden genutzt werde. Als Abhilfe wird unter anderem eine Erleichterung von Organisationsverboten durch einfachere Zurechnung von gewalttätigen Aktionen ihrer Mitglieder sowie eine Vereinfachung von Verurteilungen wegen „Aufstachelung zum Rassenhass“ – das französische Äquivalent zum deutschen Volksverhetzungsparagraphen – vorgeschlagen, aber auch eine Aufstockung nachrichtendienstlicher Mittel. Urheber von bezahlten Anzeigen auf rechtsextremen Webseiten sollen künftig öffentlich benannt werden.

Ein weiterer französischer Auschwitzleugner, Alain Soral – er hat antisemitische Publikationen und ihren Vertrieb im Internet sowie Zahlvideos mit verschwörungstheoretischem Inhalt zur Geschäftsgrundlage erhoben – könnte seinerseits in absehbarer Zeit in Haft landen. Infolge eines jüngsten Ausspruchs, bei dem er das Pariser Panthéon als „koschere Müllkippe“ bezeichnete, nachdem der Sarg dieser verstorbene jüdischen Ministerin und Auschwitz-Überlebenden Simone Veil feierlich in dieses Ehrenmal der Republik überstellt worden war, forderte die Staatsanwaltschaft am 05. Juni d.J. erneut ein Jahr Haft ohne Bewährung für ihn. (Vgl. http://www.leparisien.fr/faits-divers/un-an-de-prison-requis-contre-alain-soral-pour-des-propos-antisemites-05-06-2019-8087139.php externer Link) Das Urteil dazu wird am 02. Oktober 19 erwartet.

Am 21. Juni d.J. forderte die Staatsanwaltschaft zusätzlich weitere zwei Jahre Haft ohne Bewährung gegen Alain Soral aufgrund eines antisemitischen Videoclips, den er zur vorgeblichen Unterstützung der „Gelbwesten“bewegung produziert hatte. In dieser Angelegenheit fällt das Urteil voraussichtlich am 19. September dieses Jahres. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/alain-soral-2-ans-ferme-requis-pour-un-clip-de-rap-gilet-jaune-denonce-comme-antisemite-20190621 externer Link)

Bereits am 15. April 19 war er in anderen Angelegenheit ebenfalls zu einem Jahr ohne Bewährung verurteilt worden (vgl. dazu an dieser Stelle bereits: http://www.trend.infopartisan.net/trd5619/t665619.html externer Link) – daraufhin kam es zu einer öffentlichen Polemik, da das Gericht einen sofortigen Haftantritt anordnete, sich die Staatsanwaltschaft dem jedoch widersetzte. Antirassistische Organisationen kritisierten daraufhin in einem Gastbeitrag für das Wochenmagazin L’Obs ein „juristisches München“ – in Anspielung auf das Münchener Abkommen von 1938 (vgl. u.a. https://www.lemonde.fr/societe/article/2019/05/07/polemique-autour-du-mandat-d-arret-contre-alain-soral_5459257_3224.html externer Link), was die Staatsanwaltschaft empörte. Letztere konterte mit dem Verweis, sie habe in dieser Strafsache selbst das Verfahren eingeleitet – die Nebenkläger traten erst später hinzu – und, erstmals, eine Haftstrafe ohne Bewährung gegen Soral gefordert. Auch widersetze sie sich nicht dem Strafmaß, sondern der Anordnung zum sofortigen Haftantritt.

Juristisch hat sie darin durchaus Recht, denn Artikel 465 des französischen Strafprozessgesetzbuchs (vgl.: https://www.legifrance.gouv.fr/affichCodeArticle.do?idArticle=LEGIARTI000024497121&cidTexte=LEGITEXT000006071154&dateTexte=20110812 externer Link) erlaubt es, eine sofortige Inhaftierung bei einer Verurteilung „nach dem Allgemeinen Strafrecht sowie dem Militärstrafrecht“ anzuordnen, nicht jedoch nach dem Presserecht, das in einem eigenen Gesetz geregelt ist. Insofern beging das Gericht einen Fehler und hätte den Zeitpunkt des Haftantritts einer späteren Vorladung zum Haftprüfungsrichter (juge d’application des peines) überlassen müssen. Allerdings hat die Staatsanwaltschaft wiederum nicht die Befugnis, den Inhaftierungsbefehl im Urteil auszusetzen, auch wenn er fehlerhaft ist, da das Einlegen von Berufung durch eine der Prozessparteien keine aufschiebende Wirkung hat, sondern das erstinstanzliche Urteil vollstreckbar ist. In diese Form stellt sich die aufgetauchte Rechtsfrage erstmals. Die juristische Unsicherheit kommt Alain Soral vorläufig zugute, noch immer befindet er sich in Freiheit. Die jüngste Häufung von Verurteilungen gegen ihn dürfte jedoch dafür sorgen, dass er nicht davor verschont bleibt, früher oder später im Gefängnis zu landen. Zwischenzeitlich erhielt er nun auch am 22. Mai d.J., in zwei anderen Verfahren, zwei zusätzliche Bewährungsstrafen von je vier Monaten. (Vgl. http://www.leparisien.fr/faits-divers/provocation-a-la-haine-raciale-condamnations-confirmees-en-appel-pour-alain-soral-22-05-2019-8077572.php externer Link)

Um Kopf und Kragen redete sich unterdessen eine offenkundig von Soral kontaminierte Persönlichkeit, die selbst nicht über ein geschlossen antisemitisches Weltbild – und wahrscheinlich über kein fest definiertes Weltbild – verfügt, jedoch auf der Suche nach Verbündeten im „Widerstand“ gegen die Etablierten jemanden wie Alain Soral gerne einmal als zu Unrecht Verfolgten und Verfemten wahrnimmt. Es handelt sich um den in Marseille lebenden Oberstufenlehrer Etienne Chouard. (Vgl. dazu unseren zuvor erschienenen Artikel: https://www.labournet.de/internationales/frankreich/soziale_konflikte-frankreich/rechte-gelbwesten-vom-voelligen-durchknallen-eines-vermeintlichen-vordenkers-gesellschaftlicher-opposition-in-frankreich/)

Artikel von Bernard Schmid vom 24.6.2019 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=150719
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