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Tarifflucht im Handel bremst die Gewerkschaft ver.di in der Tarifrunde 2019 im Einzelhandel
Dossier
„Mit Real und Kaufhof haben sich jüngst zwei prominente Handelsriesen aus dem Flächentarifvertrag des Einzelhandels verabschiedet. Die abnehmende Tarifbindung wird Verdi bei den anstehenden Tarifverhandlungen schwer zu schaffen machen. (…) Kurz vor Ostern setzt sich ein tarifpolitisches Schwergewicht in Bewegung: Am 17. April beginnt im Südwesten die Tarifrunde im Einzelhandel , die hierzulande 490 000 und bundesweit 3,1 Millionen Beschäftigte tangiert. Verdi fordert ein Lohnplus von 6,5 Prozent – mindestens aber 163 Euro, mithin ein Euro mehr für jede der 163 tariflichen Stunden im Monat. Zudem soll das Mindesteinkommen künftig 2100 Euro betragen. Dies sieht Verdi eher als eine politische Forderung, um die Dimension der Gehälter im Handel deutlich zu machen. Denn es gibt einige Tarifgruppen, die unter diesem Wert liegen. „Davon kann man nicht leben“, sagt Verhandlungsführer Bernhard Franke. Es sei ein „gesellschaftlicher Skandal, dass ein großer Teil der Beschäftigten trotz Arbeit arm ist“. In einem ordentlichen Tarifvertrag müsste daher das Niveau von 2100 Euro erreicht werden. (…) Franke sieht eine schwierige Tarifrunde aufziehen, bei der es wieder problematisch werden könnte, einen Abschluss zu erzielen. Hauptgrund ist die Tarifflucht, die nochmals an Fahrt gewonnen hat: Nachdem Kaufhof und Real aus dem Flächentarifvertrag ausgestiegen sind, „haben wir es nur noch mit einem kleinen Kreis von Händlern zu tun, die mit uns tatsächlich verhandeln“. (…) Bereits zur Jahrtausendwende hatten sich die Handelsarbeitgeber von der Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge verabschiedet und damit die Tarifflucht großen Stils erst ausgelöst. Je mehr diese voranschreitet, desto erbitterter kämpft Verdi darum, zum alten Zustand zurückzukommen…“ Beitrag von Matthias Schiermeyer vom 4. April 2019 bei der Stuttgarter-Zeitung online – siehe auch:
- Tarifrunde Einzelhandel NRW – Gut gekämpft – mageres Ergebnis
„Seit Jahren gibt es Bestrebungen, sowohl von ver.di wie auch dem Einzelhandels-verband, den Tarifvertrag zu „modernisieren“, d.h. von einer festen Eingruppierung in Tarifgruppen weg, hin zu einer Bewertung von Tätigkeiten zu kommen. Die Unternehmer wollten damit über den Tarifvertrag die Lohnkosten senken, während ver.di eine Verbesserung oder zumindest keine Verschlechterungen der Bezahlung erreichen wollte. Die Verhandlungen zu solch einem Tarifvertrag treten seid Jahren auf der Stelle und machen die unterschiedlichen Vorstellungen deutlich. In der Zwischenzeit gehen viele Unternehmen in „ohne Tarifbindung“ (o.T.) Mitgliedschaft im Einzelhandelsverband und geben damit die Tarifbindung auf. (…) Momentan sind im Westen nur noch gut 40 % der Unternehmen in der Tarifbindung während es im Osten noch über 10 % weniger sind. Dies drückt besonders das brutale Vorgehen großer Teile des Einzelhandelskapitals aus, die Lohnkosten klein zu halten und den Beschäftigten die Möglichkeit zu nehmen, ein Leben ohne soziale Not zu führen. Das trifft nicht nur für kleine, um das Überleben kämpfende kleine Betriebe zu, sondern gerade für große Ketten wie Kik, OBI, große Teile von Edeka und Rewe aber auch für die Unternehmen der Bio Branche wie Allnatura, Denns und Bio Supermarkt. (…) Dieses Ergebnis ist weit unterhalb der Forderung, mit der ver.di in die Tarifrunde gestartet ist, zumal wieder ein Abschluss für 2 Jahre getätigt wurde. Für das erste Jahr ist der Abschluss, wenn Nullmonate und die unterproportionale Erhöhung für die oberen Gehaltsgruppen berücksichtigt werden, weit unterhalb von 3 %. Ob für das 2. Jahr wenigstens ein Teuerungsausgleich erreicht wurde, bleibt abzuwarten. Den politischen Menschen dürfte von Anfang an klar gewesen sein, dass die Allgemeinverbindlichkeit nicht alleine vom Fachbereich Handel wird durchgesetzt werden können, zumal das von den Arbeitgeberverbänden als nicht verhandelbar angesehen wird. Trotzdem ist es natürlich enttäuschend, wenn diese Forderung aufgestellt wird und nun schon zum 2. Mal nichts dabei rum kommt, sondern ganz im Gegenteil, die Erosion der Tarifbindung immer weiter voran schreitet. (…) Voraussetzung dafür wäre, eine breite Debatte unter den Mitgliedern über eine Strategie, die die Unternehmer zu mehr Zugeständnissen zwingt und eine breite demokratische Beteiligung bei den Abschlüssen. Eine Zentralisierung der Verhandlungen, wie von manchen gefordert, würde eher das Gegenteil bewirken.“ Artikel von Helmut Born vom 13.7.2019 – wir danken!
- [Offener Brief] Arbeitskampf Einzelhandel Berlin-Brandenburg: BR und ver.di-Betriebsgruppe bei IKEA lehnen Ergebnis ab
„Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor der Tarifkampf in Berlin und Brandenburg überhaupt begonnen hat, soll er nach nur einem Gespräch zwischen dem Handelsverband Berlin-Brandenburg HBB und der ver.di-Verhandlungskommission unter der Führung von Erika Ritter schon beendet sein. Am 5. Juli 2019 einigte man sich darauf, das Ergebnis aus NRW zu übernehmen und das, obwohl die Große Tarifkommission erst am 11. Juli 2019 zugestimmt hat. Für unsere Region hatten wir nicht nur ähnliche Forderungen wie in NRW aufgestellt, sondern dazu noch eine kürzere Laufzeit von nur 10 Monaten und eine Arbeitszeitangleichung auf 37 Stunden für alle Beschäftigten im Einzelhandel. Das Verhandlungsergebnis von 3 Prozent im ersten Jahr, aber höchstens 76 Euro und 1,8 Prozent im zweiten Jahr und eine Laufzeit von zwei Jahren (!) ist für uns sogar noch weiter von den Forderungen entfernt, als in anderen Bundesländern.
Von der Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags ist gar keine Rede mehr. Dabei wäre sie bitter nötig, um die tausenden von Kolleg*innen aus der Armut zu befreien, die ihnen bei der Beschäftigung in Ketten wie real, Karstadt und Co. droht, wo sie bis zu einem Viertel weniger verdienen, als in Filialen mit ver.di-Tarifbindung. Das können wir nicht akzeptieren! Wir bei IKEA Tempelhof waren und sind bereit, für unsere gemeinsam aufgestellten Forderungen zu streiken und wollen, dass unsere Gewerkschaft alle Beschäftigten dazu aufruft, mit uns gemeinsam die Arbeit niederzulegen.
Wir fordern die Mitglieder der Tarifkommission auf, in ihrer Sitzung am Montag, dem 15. Juli 2019 gegen die Vereinbarung zu stimmen und gemeinsam mit ver.di und den Kolleg*innen in den Filialen in die unmittelbare Vorbereitung eines Arbeitskampfes zu gehen.
Wir billigen eine Vorgehensweise nicht, in dem über unsere Köpfe hinweg ein Ergebnis verkündet wurde, über das niemand außerhalb der Verhandlungskommission diskutieren und schon gar nicht entscheiden konnte. (…) Es wird immer gesagt, dass ver.di eine „Mitmachgewerkschaft“ ist, in der die Mitglieder entscheiden. Hier wurde alles dafür getan, damit sie nicht entscheiden können. (…) Wir wissen auch, dass wir nur gemeinsam etwas erreichen können. Dafür brauchen wir eine Gewerkschaft, die wirklich bereit ist, für unsere Forderungen zu kämpfen. Deshalb schweigen wir nicht und richten uns an alle Kolleg*innen der Branche. „Wir sind mehr wert“, heißt es bei ver.di immer. Deshalb sagen wir ganz deutlich: „Da ist mehr drin!“...“ Offener Brief an die ver.di-Tarifkommission und die Kolleg*innen im Einzelhandel der ver.di-Betriebsgruppe bei IKEA Tempelhof , beschlossen am 12.7.2019 mit Unterstützung von ca 40 Gruppierungen und Einzelpersonen
- Der Kampf geht weiter… Pilotabschluss im Einzelhandel NRW
„Der im Einzelhandel seit zwei Monaten geführte Arbeitskampf in Nordrhein-Westfalen ist beendet. Überraschend schnell einigte man sich in der vierten Tarifrunde. Erneut vereinbarte die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mit dem Handelsverband NRW eine zweijährige Laufzeit. Die Allgemeinverbindlichkeit der Entgelttarifverträge (AVE) wurde von der Kapitalseite vom Tisch gefegt. Löhne und Gehälter steigen für die Beschäftigten, die bis zur Gehaltsgruppe der Verkäuferin im letzten Berufsjahr (2579,- Euro in Vollzeit) eingruppiert sind, um 3 Prozent. Für alle Beschäftigten in höheren Entgeltgruppen gibt es einen Festbetrag von 77,50 Euro brutto. Ab 1. Mai 2020 kommen weitere 1,8 Prozent dazu. Ausbildungsvergütungen werden zwischen 45 Euro und 60 Euro und in 2020 von 50 Euro und 80 Euro jeweils zu Beginn der Ausbildungsjahre erhöht. Der jetzige Abschluss muss noch von der großen Tarifkommission bestätigt werden. Gefordert hatte ver.di 6,5 Prozent mehr für alle, mindestens 163,- Euro und 100,- Euro mehr für Azubis! Eine Laufzeit von zwölf Monaten. Im jetzigen Ausstand zeigte sich, wie geschlossen der Handelsverband gegen ver.di und die dort organisierten Belegschaften vorging. (…) Die Warenhauskonzerne führen von oben einen unerbittlichen Klassenkampf. Die vor zwanzig Jahren begonnene Tarifflucht ist mit die Ursache für die existierenden Armutslöhne und eine massive Arbeitsplatzvernichtung. Ver.di führt dagegen einen nicht widerspruchsfreien Kampf. Einerseits ist das Ziel, neben mehr Lohn und Gehalt, zum Flächentarifvertrag zurück zu kommen, richtig und notwendig. Denn würde eine Allgemeinverbindlichkeit wieder erreicht, müssten auch Online Versandhändler höhere Löhne zahlen. (…) Anderseits zeigt sich eine zunehmende Kritik in einigen Tarifkommissionen. Dort und in anderen Gremien wird unter ehrenamtlichen Funktionären diskutiert, ob und wie weit überhaupt eine Steigerung der Reallöhne und eine Laufzeit von 12 Monaten, nur mit Warnstreiks, durchsetzbar ist. Auch die fehlende Einsicht der Gewerkschaft, die Tarifkämpfe fachbereichsübergreifend zu organisieren, spielt dabei eine Rolle. Mehrere Anträge werden sich deshalb auf dem ver.di Bundeskongress im Herbst in Leipzig damit beschäftigen. Inhalt ist dabei die gemeinsame Solidarität und Mobilisierung über die Fachbereiche hinaus bei Streiks. Das wird auch dringend notwendig. Denn mit dem einheitlichen Auftreten der Unternehmer haben diese beim jetzigen Abschluss in NRW durchgesetzt, dass in Sachen Flächentarif für die nächsten 24 Monate Ruhe herrscht. Der ver.di Illusion, die Tarifflucht über die Politik per Gesetz zu verbieten, können die Einzelhändler in Ruhe entgegensehen…“ Artikel von Herbert Schedlbauer vom 10.7.2019 – wir danken!
- Einzelhandelstarif Berlin-Brandenburg 2019: Kein Kampf => schlechter Abschluss => Reallohnverlust. Beschäftigte müssen jetzt aktiv werden, um kampfloses Verhandlungsergebnis nicht kritiklos hinzunehmen!
„Insgesamt klaffen die Forderungen und das Ergebnis in Berlin-Brandenburg sogar noch weiter auseinander, als in anderen Bundesländern. Dabei wäre in NRW und anderen Regionen der Wille zum Kampf da gewesen. Doch statt die gut befolgten Warnstreikaufrufe als Anlauf zu nutzen, um den Arbeitskampf zu eskalieren und Vollstreiks in einzelnen Ketten und für ganze Tage auszurufen, wurde ohne Not während des ersten Gesprächs eine Vereinbarung zwischen der Verhandlungskommission und dem Unternehmerverband HBB getroffen. Ein Streik ist kein Zuckerschlecken und der Druck auf die Kolleg*innen ist groß, wenn sie vor der Tür stehen. Aber nur, wenn man ernsthaft kämpft, kann man ein gutes Ergebnis erlangen. Hier wurde übereifrig ein Kompromiss eingegangen, bei dem zwei Monate ohne Erhöhung eingeplant sind, bevor es die 3 Prozent gibt. Statt dem Mindestbetrag von 165 Euro Lohnerhöhung wurde ein Höchstbetrag von 76 Euro vereinbart – das ist das genau Gegenteil! Im nächsten Jahr gibt es dann für alle mit +1,8 Prozent einen Reallohnverlust. (…) Hinter verschlossenen Türen wird ein Ergebnis verhandelt, das unterm Strich für viele eine Verschlechterung darstellt. Darüber sollten die Mitglieder im Handel in einer bindenden Abstimmung entscheiden und nicht nur die Verhandlungs- und Tarifkommission! Wir rufen alle Kolleg*innen, die dieses Verhandlungsergebnis kritisch sehen dazu auf, ihre berechtigte Wut und Kritik hörbar zu machen. Diskutiert das Ergebnis und auf welche Art und Weise hier kampflos abgeschlossen werden soll mit Euren Kolleg*innen, in den Betriebsgruppen, Betriebsräten und ver.di-Gremien. Fällt Beschlüsse, die Eure Kritik zum Ausdruck bringen und lasst den Unmut nicht verpuffen. Wenn Ihr Euch mit anderen kritischen Kolleg*innen vernetzen wollt, oder wir Euch bei der Verbreitung von offenen Briefen, Beschlüssen, Statements helfen können, oder Ihr Euch diesem Statement anschließt schreibt uns an…“ Stellungnahme des „Netzwerks für eine kämpferische und demokratische verdi“ zum Tarifabschluss Einzelhandel in Berlin-Brandenburg 2019 dokumentiert bei Arbeitsunrecht am 9. Juli 2019
- Einzelhandel NRW: Verhandlungsergebnis mit Fallstricken. Abstand zu den ursprünglichen Forderungen ergibt unannehmbares Verhandlungsergebnis
„Die Gewerkschaft ver.di verhandelt mit zwölf regionalen Unternehmerverbänden des Handels um die Lohnerhöhung im Einzel, Groß- und Außenhandel. Nachdem in der letzten Woche bereits der Groß- und Außenhandel in Baden-Württemberg und NRW mit +3 Prozent für 2019 (2 Nullmonate) und +1,9 Prozent für 2020 (1 Nullmonat) über 24 Monate abgeschlossen hat, kam jetzt das erwartete, sehr ähnliche Ergebnis im Einzelhandel in NRW mit +3 Prozent 2019 und +1,8 Prozent 2020 und einer Laufzeit von ebenfalls zwei Jahren. Der Abschluss im einwohnerreichsten Bundesland und damit auch größten Tarifbezirks hat eine Signalwirkung auf die elf verbleibenden Regionen, in denen ebenfalls über einen neuen Entgelt-Tarifvertrag verhandelt wird. In Berlin-Brandenburg startete die Tarifrunde offiziell erst am 1. Juli 2019. Trotzdem es in allen Landesbezirken ähnliche Forderungen gibt, bestehen regionale Unterschiede. So wird in Berlin-Brandenburg sogar nur eine Laufzeit von zehn Monaten und eine Angleichung der Arbeitszeiten auf das einheitliche Niveau von 37 Wochenstunden gefordert. Letzteres sollte nach der Tarifrunde 2015 verhandelt werden, was aber ergebnislos blieb. Die Forderung muss nun erkämpft werden. Die kürzere Laufzeit und etwas höhere Lohnforderungen gehen nicht zuletzt auf die hohen Erwartungen und die Kampfbereitschaft der Kolleg*innen zurück. (…) Die Verhandlungsführung muss sich die Frage gefallen lassen, wie ernst sie den Tarifkampf und entsprechende Streikaktionen nimmt, wenn sie sich schon mit weniger als der Hälfte an erfüllten Forderungen zufrieden gibt. Die aufgestellten Forderungen in NRW waren ein Ausdruck der Kampfbereitschaft und keine überzogenen Vorstellungen, von denen man die Hälfte abzieht und noch ganz gut dasteht. Es war das Mindeste, das die Kolleg*innen brauchen, um im Alter (und jetzt) nicht mit leeren Taschen nach Hause zu gehen. (…) Die (Wieder-)herstellung eines verbindlichen Flächentarifs kann nur gegen den entschiedenen Widerstand der Bosse durchgesetzt werden. Die ersten Angebote des Unternehmerverbandes waren ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten und eine Provokation. Darauf hätte eine ernste Kampfansage folgen müssen und die zentralen Warnstreikversammlungen in Düsseldorf und Dortmund im Juni 2019 haben mit tausenden Teilnehmenden gezeigt, dass der Kampfeswille da ist. Doch wo war der Aufruf der ver.di-Bundesebene für den flächendeckenden Streik, der gerade die Kolleg*innen bei real ohne Ausnahme einschließt? Statt eine Eskalationsstrategie bis hin zum unbefristeten Streik aller Betriebe vorzuschlagen, blieb es bei Aufrufen einzelner Filialen und damit Nadelstichen, die niemanden weh tun. Im Verhandlungsergebnis wird die Allgemeinverbindlichkeit nicht einmal mehr erwähnt und kein Vorschlag gemacht, wie sie in Zukunft durchgesetzt werden kann. (…) Es ist zu vermuten, dass es die neue Strategie der Unternehmen ist – geringe Erhörung für die unteren Gehaltsgruppen, Einsparungen durch einen Festbetrag bei den mittleren und oberen und dann durch die lange Laufzeit im zweiten Jahr der Reallohnverlust. Es bleibt die Frage, warum die Verhandlungsführung sich auf dieses Spiel einlässt. (…) Einige Punkte des Verhandlungsergebnisses und wie es dargestellt wird, werfen fragen auf, die auch auf andere Tarifrunden zutrafen und es wahrscheinlich in Zukunft weiterhin werden. Nicht nur, dass ein Ergebnis als etwas verkauft wird, was es nicht ist. In der öffentlichen Darstellung sind die vorliegenden Punkte bereits der neue Tarifvertrag. Das ist selbst für die üblichen ver.di-Verhältnisse sehr weitgehend. Im Kleingedruckten steht, dass die große Tarifkommission am 11. Juli dem Ergebnis erst zustimmen muss, damit es steht. Dennoch wird, statt die Diskussion und Entscheidung in diesem gewählten Gremium abzuwarten, über die bürgerliche Presse jetzt die Vereinbarung festgeklopft. Das erhöht den Druck auf die Tarifkommission, diesem auch zuzustimmen und keinen Konflikt mit der Verhandlungskommission, die sich aus haupt- und ehrenamtlichen ver.di-Vertreter*innen zusammensetzt, einzugehen. Gerade bei diesem schlechten Ergebnis ist es jedoch dringend notwendig, dass die Tarifkommission es ablehnt. Von der Sitzung am 11. Juli sollte ein Signal an alle Betriebsgruppen und lokalen Gremien ausgehen, über den Verhandlungsstand zu diskutieren und zu besprechen, wie der Kampf verstärkt wieder aufgenommen werden kann, um alle Forderungen umzusetzen. (…) Die zweite große Frage ist, wie die Verhandlungskommission neue Forderungen in die Gespräche mit dem Unternehmerverband bringt und festlegt, welches Ergebnis annehmbar ist. In dieser Tarifrunde waren in den letzten Verhandlungsrunden nur vom Lohn die Rede. Über Nacht wurde dann eine Vereinbarung verkündet, die nicht nur zentrale Forderungen wie die Allgemeinverbindlichkeit nicht mehr enthält, sondern sogar das Gegenteil der ursprünglichen Forderungen nach einem Sockelbetrag von 163 Euro. Auch für eine gewählte Verhandlungskommission muss gelten, dass kein Ergebnis steht und keine Punkte vereinbart werden, die nicht vorher diskutiert und beschlossen wurden. Um das zu verhindern, muss es die jederzeitige Transparenz und Rechenschaftspflicht inklusive der jederzeitigen Abwählbarkeit der Verhandlungskommission geben. Der dritte Punkt betrifft die Führung der Auseinandersetzung insgesamt. Die Forderung nach einer allgemeinverbindlichen Entgeltordnung weist in die richtige Richtung: Die Wiederherstellung der Flächentarife muss das weitergehende Ziel von ver.di sein, für das konsequent gekämpft wird. Dazu ist es aber notwendig, der Regionalisierung abzuschwören und in allen Bundesländern gleichzeitig zu kämpfen…“ Artikel von René Arnsburg, Berlin, am 4.7.2019 beim Netzwerk für eine kämpferische und demokratische verdi
- [Tarifflucht] Handel im stetigen Wandel. Onlinegeschäfte legen gewaltig zu. Lidl setzt auf gewerkschaftsfreundliches Image. Beschäftigte bleiben auf der Strecke
„… Während die zurückliegenden Jahre von einer enormen Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel auf Edeka/Netto, Rewe/Penny, Aldi Nord und Süd sowie Schwarz mit Kaufland und Lidl charakterisiert waren, gewann in jüngster Zeit vor allem der Onlinehandel an Umsatz. (…) Derzeit expandiert Amazon stetig – inzwischen auch beim Handel mit Lebensmitteln. Nach einem aktuellen Ranking hatte der US-amerikanische Onlineriese 2018 die Nase weit vorn bei der Steigerung seiner Umsätze in Europa: Gegenüber 2017 legte er von 27,6 auf 33,2 Milliarden Euro zu, was einem Plus von 20,3 Prozent entspricht. (…) Auch wenn die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland beim Umsatz 2018 die Spitzenposition in der Rankingliste einnimmt (112,7 Milliarden Euro), so wird die Nervosität der vorwiegend in festen Geschäften operierenden Händler verstärkt spürbar. Dass Lidl freiwillig höhere Stundenlöhne zahlt, dürfte weniger von ethischen Motiven nach mehr Lohngerechtigkeit getrieben sein als vielmehr vom Wunsch, sich positiv vom gewerkschaftsfeindlichen Onlinekonzern Amazon abzugrenzen. Gleichzeitig sucht der Metro-Konzern sein Heil in der Tarifflucht bzw. im Verkauf wichtiger Einzelhandelstöchter: Seit Jahren zieht sich dieses Unternehmen aus dem Einzelhandel zurück, setzt den Schwerpunkt auf den Groß- und Außenhandel sowie zunehmend auf das lukrative Onlinegeschäft. Ob Metro dort den Anschluss an Amazon und Zalando finden wird, darf bezweifelt werden.(…) Für die im Einzelhandel Beschäftigten verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen gleichzeitig seit Jahren auf allen Gebieten: Seit die Unternehmer die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge im Jahr 2000 einseitig aufgekündigt haben, verließen immer mehr der großen Handelsunternehmen die Tarifbindung, etwa Karstadt, Real, zuletzt Kaufhof. Außerdem sind die meisten Arbeitsverhältnisse im Einzelhandel Minijobs oder Teilzeitstellen, die nicht einmal mit Tarifbezahlung ein ausreichendes Monatseinkommen garantieren. »Im deutschen Einzelhandel gibt es einen massiven Verdrängungs- und Vernichtungswettbewerb, ausufernde Öffnungszeiten, Preiskriege und die Tendenz der Unternehmen, immer mehr Personalkosten zu sparen«, sagte Verdi-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger der Westfälischen Rundschau am 12. Juni 2018. Der einzige Ausweg gegen Lohndumping sei die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge…“ Artikel von Gudrun Giese bei der jungen Welt vom 2. Mai 2019
- Siehe für Verhandlungen und erste Ergebnisse bei ver.di die Sonderseite zur Tarifrunde im Einzelhandel
- Siehe auch unser Dossier Tarifflucht von Real – es ist ver.di allerdings nicht verboten, auch um einen Flächentarif in der Fläche zu kämpfen, z.B. durch Streiks in allen Einzelhandelsgeschäften in Baden-Württemberg. Eine Reduzierung nur auf bestimmte Tarifmitglieder ist zumindest nach Art. 9 GG nicht zwingend. Würde auch den Druck auf die Politik erhöhen…
- Siehe zum gewerkschaftspolitischen Hintergrund auch den Artikel von Anton Kobel, erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 02-03/2019: Weiter so, immer weiter? ver.di Handel und die Krisen