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Die großen Fragen stellen. Ein Gespräch über BR-Wahlen, rechte Erfolge und Realpolitik bei Daimler Rastatt
„… In den vergangenen Jahren hatte auch das Rastatter BR-Gremium auf die eine oder andere Standorterpressung keine andere Antwort als »zukunftssichernde Vereinbarungen«. Sozialpartnerschaft und »Kompromiss-Denken« statt »Streiten für‘s bestmögliche Ergebnis« bestimmen BR- und Gewerkschaftshandeln. Das reicht nicht, um Gegenwehr zu organisieren – soll es ja auch nicht! Angesichts arbeitspolitischer Projekte der Geschäftsleitung gegen die ohnehin auf ein Minimum geschrumpften demokratischen Inhalte der Gruppenarbeit, nicht enden sollender Auslagerungs- und weiterer Rationalisierungsangriffe, der Ausweitung von Leiharbeit und Leistungsverdichtung in allen Bereichen wächst die Unzufriedenheit in der Belegschaft. (…) Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit der 447 KollegInnen, die »Zentrum« ihre Stimme gegeben haben, diese Liste bewusst wegen ihrer Ausrichtung gewählt hat. Rassismus und nationalistisch begründete Überheblichkeit finden sich in nahezu jedem Bereich im Werk Rastatt. (…) In den Autobuden sind die BR meiner Einschätzung nach echte Sozialpartner und werden wie zusätzliche Führungskräfte behandelt. So benehmen sie sich auch. Auch die IG Metall hält konsequent Kurs: Standort Deutschland, Leiharbeit, bis der Arzt kommt – Hauptsache Mitgliederzuwachs. Wohlgemerkt: Die IG Metall als Apparat ist gemeint, nicht meine kämpferischen KollegInnen, die trotzdem alles tun, dass Belegschaften organisiert gegen die Angriffe des Kapitals bestehen können. Vor diesem Hintergrund sind BR-Wahlen ein Ausdruck unserer allgemeinen Schwäche. Wir als Belegschaft erwarten vom BR, dass er Dinge erledigt, durchsetzt. Diese reine Erwartungshaltung geht so nicht! Deswegen und auch gegen das Erstarken von Nazi-Strukturen müssen wir das gemeinsame organisierte Handeln in den Mittelpunkt stellen. Damit das keine Eintagsfliegen bleiben, kommt niemand drum herum, die grundsätzlichen Fragen zu stellen – den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit und alles, was daraus folgt, diskutieren, sich gegenseitig bewusst machen! Priorität hat meiner Meinung nach, mit und in der Belegschaft Solidarität und Klassenbewusstsein zu fördern und gemeinsame Gegenwehr zu organisieren.“ Interview mit Constantin Opel, Vertrauensmann im Mercedes Benz-Werk Rastatt, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit: Ausgabe 7/2018:
Die großen Fragen stellen
Ein Gespräch über BR-Wahlen, rechte Erfolge und Realpolitik bei Daimler Rastatt
express-Redaktion: Erst mal die offensichtliche Frage: Wie sind die BR-Wahlen bei euch ausgegangen? Hat sich etwas geändert im Vergleich zu den letzten Wahlen? Wie steht es um die Wahlbeteiligung im Vergleich zu den letzten Wahlen?
Constantin Opel: Bei den vergangenen Wahlen blieb die Zusammensetzung des BRs relativ stabil. Bei dieser Wahl sind 18 von insgesamt 35 BR-Mitgliedern frisch ins Amt gewählt worden. Der bisherige stellvertretende BR-Vorsitzende hat sein BR-Mandat nicht angenommen und arbeitet wieder in der Produktion. Da auch der bis dato amtierende BR-Vorsitzende zwar als BR, aber nicht mehr als Vorsitzender zur Verfügung stand, mussten diese beiden Ämter neu besetzt werden. Das ist ja auch nicht ungewöhnlich, dass nach einer Wahl alles neu gemacht werden kann bzw. muss, hat aber einige »Alteingesessene« ganz schön ins Rudern gebracht.
Das sind außer der drei Mandate für die gewerkschaftsfeindliche Liste »Zentrum« die größten Veränderungen. Die Wahlbeteiligung war etwas niedriger als z.B. 2014. Da lag sie bei 70,59 Prozent, 2018 bei 68,24 Prozent.
Im Rastatter Werk waren bislang Personenwahlen Usus. 2018 kam es erstmals zu einer Listenwahl mit neun Listen. Woher diese plötzliche Vielfalt oder auch diese plötzliche vielfache Spaltung?
In den vergangenen Jahren hatte auch das Rastatter BR-Gremium auf die eine oder andere Standorterpressung keine andere Antwort als »zukunftssichernde Vereinbarungen«. Sozialpartnerschaft und »Kompromiss-Denken« statt »Streiten für‘s bestmögliche Ergebnis« bestimmen BR- und Gewerkschaftshandeln. Das reicht nicht, um Gegenwehr zu organisieren – soll es ja auch nicht! Angesichts arbeitspolitischer Projekte der Geschäftsleitung gegen die ohnehin auf ein Minimum geschrumpften demokratischen Inhalte der Gruppenarbeit, nicht enden sollender Auslagerungs- und weiterer Rationalisierungsangriffe, der Ausweitung von Leiharbeit und Leistungsverdichtung in allen Bereichen wächst die Unzufriedenheit in der Belegschaft.
BR werden und alles anders machen – so kann ich die Motivation der meisten BR-KandidatInnen zusammenfassen. Das wäre, rein theoretisch, allerdings auch mit Persönlichkeitswahl möglich gewesen. Theoretisch, denn es ist selbstverständlich so, dass die amtierenden BR in einem »Persönlichkeits-Wahlkampf« Vorteile haben, weil sie wegen der Freistellung auf Stimmenfang gehen können. Die meisten derjenigen, die am 12. Dezember 2017 eine eigene Liste eingereicht haben, waren vorher auf der »Rastatter Liste« auf einem Platz, mit dem sie bei Listenwahl keinesfalls im BR gelandet wären. Dass die Listenwahl kaum zu verhindern war, stand im Dezember leider fest. Schon im Herbst hatten auf den Betriebsversammlungen einzelne KollegInnen angekündigt, eigene Listen einzureichen.
Mit der faschistischen Liste »Zentrum« haben nur wenige gerechnet, obwohl einzelne ihrer Flugblätter schon Ende des Sommers im Werk aufgetaucht waren.
Bis auf eine Liste unterscheiden sich die KandidatInnen der acht Listen kaum von denen vorangegangener Wahlen. Auch die CGM-Leute waren schon früher – damals noch als IG Metaller – zur BR-Wahl angetreten. Sieben von neun Listen bestehen mehrheitlich aus IGM-Mitgliedern.
Es gab hier seit über 25 Jahren zur BR-Wahl immer eine offene Liste, auf der jede und jeder kandidieren konnte, ob IGM-Mitglied oder nicht. Die Reihenfolge auf dieser sogenannten »Rastatter Liste« wurde, soweit ich mich erinnere, immer in einer Vertrauensleute-Vollversammlung bestimmt. Bei der Persönlichkeitswahl konnte durchaus der eine oder die andere von einem hinteren Platz im BR landen.
Am 1. Dezember 2017 waren alle Vertrauensleute sowie alle KandidatInnen für die BR-Wahl eingeladen, diese Liste gemeinsam zu wählen. Einige auch aktuell amtierende BR fanden sich weit abgeschlagen auf aussichtslosen Plätzen…
Die neurechte Liste »Zentrum Rastatt« hat erstmals drei Sitze gewonnen. Ist das ein Erfolg oder ein Scheitern der Rechten? Und worauf würdest Du dies zurückführen?
Für mich ist »Zentrum« eine faschistische Organisation. Und ja, »Zentrum« verbucht das als Erfolg – auf Anhieb drei Plätze mit ca. acht Prozent der Stimmen. Das sind fünf Prozent der Belegschaft, und das entspricht auch ungefähr der Zahl von Beschäftigten, die hier im Werk arbeiten und entweder organisierte Nazis sind oder sehr nah dran – so die begründete Annahme. In der Gegend um Rastatt herum ist die organisierte »Rechte« nicht schwach, »Freie Kameradschaften«, »NS Rastatt«, Nazi-Konzerte, hohe Wahlergebnisse für die AfD… Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit der 447 KollegInnen, die »Zentrum« ihre Stimme gegeben haben, diese Liste bewusst wegen ihrer Ausrichtung gewählt hat. Rassismus und nationalistisch begründete Überheblichkeit finden sich in nahezu jedem Bereich im Werk Rastatt.
Im Gegensatz zum Daimler-Werk Untertürkheim ist die Kandidatur des »Zentrums« in Rastatt ein neues Phänomen. Sind die Akteure aus dem »Nichts« aufgetaucht oder waren die Kandidaten vorher schon im Betrieb aktiv? Ist die Kandidatur auf die neurechte Kampagne »Werde Betriebsrat« zurückzuführen?
Bis letztes Jahr im Sommer gab es, wie gesagt, nur einzelne BR, Vertrauensleute und KollegInnen, die mit der Kandidatur von Nazis für den BR rechneten.
Dass sie nicht nur in Untertürkheim bleiben, war klar. Das ist schließlich schon lange das Konzept von NPD und Co: »Nach den Sportvereinen – Auf, in die Betriebe!« Inwieweit die Kampagne »Werde BR« konkret in Rastatt eine Rolle spielte, kann ich nicht sagen. Eher nicht! Der Listenführer war im Betrieb angeblich vorher nicht aktiv als Nazi, sicher aber außerhalb. Er hat einschlägige Verbindungen im badischen Raum und trat auch schon als Mit-Organisator von Nazi-Tarnveranstaltungen in Aktion. Die anderen Kandidaten arbeiten mit ihm in der gleichen Abteilung. Sie sind, wie sie selbst sagen, keine Nazis. Aber für ihr eigenes Interesse waren und sind sie bereit, auf dieser Liste zu kandidieren, und sind auch trotz Aufklärung nicht zurückgetreten – aus Trotz und wegen des BR-Mandats, das dann weg wäre.
Wie sieht das Verhältnis – einerseits der IG Metall, andererseits aber auch der Rechten – zu anderen BR-Listen aus? Wie sind z.B. die Christlichen in Abgrenzung oder Kollaboration mit dem »Zentrum« aufgestellt?
Letzte Frage zuerst. Zwischen CGM und »Zentrum« gibt es keine Zusammenarbeit. Die CGM hat zu wenige Stimmen bekommen, als dass einer ihrer Kandidaten ein Mandat erreicht hätte.
Inzwischen sind alle BR außer denen von »Zentrum« IGM-Mitglieder. Es gibt eine Zusammenarbeit dieser Listen. Mit folgenden Unterschieden: Wir haben uns in Center-Betriebsräten organisiert. Im »Logistik-BR« sind ausschließlich BR der »Rastatter Liste«, im »Montage-BR« sind die meisten »Neuen« und die BR der »Rastatter Liste« in der Minderheit. Jetzt gehören dort aber alle zur IGM-Koalition. Die BR der Verwaltungsbereiche kommen alle von der Rastatter Liste. Spannend ist es im »Karosseriebau/Oberflächen-BR«. Hier sitzen die »Zentrum«-BR – zwar in einem separaten BR-Büro, aber weitgehend integriert.
Es fehlt nach wie vor eine Stellungnahme der IG MetallerInnen zu »Zentrum«. Die KollegInnen in Untertürkheim haben das meiner Meinung nach in der richtigen Weise vorgemacht.
Wie beurteilst du die Bedeutung der BR-Wahl allgemein, insbesondere mit Blick auf das Interesse von – organisierten und nicht organisierten – Beschäftigten an den Wahlen? Welche Aufgaben haben jetzt Priorität, sowohl betrieblich wie auch im Umgang mit den rechten Tendenzen?
In den Autobuden sind die BR meiner Einschätzung nach echte Sozialpartner und werden wie zusätzliche Führungskräfte behandelt. So benehmen sie sich auch. Auch die IG Metall hält konsequent Kurs: Standort Deutschland, Leiharbeit, bis der Arzt kommt – Hauptsache Mitgliederzuwachs. Wohlgemerkt: Die IG Metall als Apparat ist gemeint, nicht meine kämpferischen KollegInnen, die trotzdem alles tun, dass Belegschaften organisiert gegen die Angriffe des Kapitals bestehen können.
Vor diesem Hintergrund sind BR-Wahlen ein Ausdruck unserer allgemeinen Schwäche. Wir als Belegschaft erwarten vom BR, dass er Dinge erledigt, durchsetzt. Diese reine Erwartungshaltung geht so nicht!
Deswegen und auch gegen das Erstarken von Nazi-Strukturen müssen wir das gemeinsame organisierte Handeln in den Mittelpunkt stellen. Damit das keine Eintagsfliegen bleiben, kommt niemand drum herum, die grundsätzlichen Fragen zu stellen – den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit und alles, was daraus folgt, diskutieren, sich gegenseitig bewusst machen! Priorität hat meiner Meinung nach, mit und in der Belegschaft Solidarität und Klassenbewusstsein zu fördern und gemeinsame Gegenwehr zu organisieren. Das klingt nach Allgemeinplätzen … ist aber Handlungsmaxime, die uns davor bewahrt, im Alltags-Klein-Klein in die »Realpolitik-Falle« zu geraten.
Constantin Opel, Vertrauensmann im Mercedes Benz-Werk Rastatt
Siehe zum Hintergrund unser Dossier: „Zentrum Automobil e.V.“ – eine neofaschistische Betriebsgruppe bei Daimler (nicht nur in Stuttgart)