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Der Widerstand gegen die Bahnprivatisierung in Frankreich – Zwischenbilanz eines Aktivisten

CGT Plakat gegen SNCF Privatisierung Februar 2018Lange soziale Auseinandersetzungen sind, genau wie Kriegsstimmungen, unabwägbar. Eine schwere Niederlage ist durchaus möglich und die Vergleiche mit Reagan und Thatcher werden in der französischen Presse dieser Tage häufig gezogen. Doch Im Moment bleibt festzuhalten, dass die Pläne der Regierung nicht so einfach aufgehen wie erwartet. Das vermeintlich Alternativlose und Unabwendbare ist eben doch aufzuhalten, bedenkt man den totalen Rückzug der Regierung Hollande im Jahr 2016 und der Präsidialerlasse von Emmanuel Macron anno 2017 auch nur vor einem Warnstreik oder der bloßen Streikdrohung des privaten Transportsektors. Denn der Güterverkehr findet bereits überwiegend auf der Straße statt. Dagegen ist die Hoffnung der Eisenbahner, dass die Störungen im Güterverkehr auf der Schiene, die vor allem mittlere und Kleinbetriebe betreffen, Wirkung zeigen, verhältnismäßig bescheiden. Macron ist der Präsident der Superreichen und hört auf das Finanzkapital. Die Chance der Lohnabhängigen, indirekten Druck über mittelständische Unternehmen auszuüben, halte ich für geringfügig bis illusorisch. Was den autokratisch-selbstherrlichen Stil Macrons angeht, so reiht er sich in die weltweite Rückkehr autoritärer Herrschaftsformen ein (siehe Trump, Putin oder Erdogan). Er ist sozusagen seine französische Variante“ – aus dem Gespräch „Die Pläne der Regierung Macron gehen nicht so einfach auf wie erwartet“ von Andreas Schuchardt mit Thierry Robin (ursprünglich in gekürzter Fassung am 18. Juni 2018 in der jungen Welt, hier der ganze Text mit Dank an den Autor).

„Die Pläne der Regierung Macron gehen nicht so einfach auf wie erwartet“

Ein Gespräch mit dem Pariser Basisgewerkschafter Thierry Robin zur aktuellen Streikwelle in Frankreich, den Analogien zum Mai 68, den autoritären Anwandlungen des Präsidenten Macron und einen an den Rand gedrängten Front National –  Interview: Andreas Schuchardt

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will die „Grand Nation“ in neoliberalem Sinne von Grund auf „reformieren“. Arbeitsrecht, Ausbildung, Steuern, Sozialversicherungen, Hochschulen, den Öffentlichen Dienst und ganz nebenbei natürlich auch noch die Europäische Union. Der ehemalige Banker und frisch gebackene Karlspreis-Träger gilt als großer Hoffnungsträger, aber auch als „Präsident der Reichen“ und hat mit seinem zuweilen an einen Bulldozer erinnernden Vorgehen in seiner erst kurzen Amtszeit bereits eine stattliche soziale Bewegung gegen sich aufgebracht, die manche an die berühmte Revolte des Mai 1968 erinnert. Kern des heutigen Widerstandes sind die Eisenbahner, die sich seit dem 3. April mit „rollenden Streiks“ und Demonstrationen gegen die Prekarisierung ihrer Arbeitsverhältnisse und die kaum verhohlenen Privatisierungspläne wehren. Nach fast zwei Monaten Streikbewegung ist es Zeit für den Versuch einer Zwischenbilanz. Dazu sprachen wir mit dem in der Pariser Banlieue lebenden Basisgewerkschafter Thierry Robin, der prekär Beschäftigte in unterschiedlichen Branchen organisiert und bei der Durchsetzung ihrer Interessen unterstützt und über reichlich Erfahrung in politischen und sozialen Protestbewegungen verfügt.

Seit Anfang April streiken die französischen Eisenbahner mit Unterbrechungen gegen die „Reformpläne“ der Regierung. Inzwischen mehren sich Meldungen über finanzielle Probleme der Kämpfenden und eine rückläufige Beteiligung. Wie ist die Lage nach fast zwei Monaten Streik bei der SNCF?

Zum aktuellen Privatisierungsplan der Regierung, dem so genannten “Eisenbahnpakt“ hat Premierminister Philippe wiederholt erklärt, die Öffnung für die Konkurrenz und die Abschaffung des Beamtenstatus ab 2020 seien nicht verhandelbar. Gerne verhandle man aber mit den Gewerkschaften über die Umsetzung der Reformen. Diese klare Ansage unter dem Zeichen einer ganz neuen „Verhandlungskultur“ hat alle Gewerkschaftsverbände bei der Bahn brüskiert. Kaum erwähnt wird in den französischen Medien dabei, dass es sich um die Umsetzung einer europäischen Direktive zur Auflösung der staatlichen Monopole bei der Bahn handelt.
Streiks bei der Bahn sind traditionell unbeliebt, obwohl die Akzeptanz für Arbeitsniederlegungen in Frankreich allgemein hoch ist. Dabei ist zu sagen, dass die gegenwärtige Bewegung nicht so negativ aufgenommen wird, wie zu erwarten gewesen wäre. Überraschend war für zahlreiche Beobachter (Journalisten, Soziologen und Politologen) der Streikkomitees, die hohe Kampfbereitschaft, besonders bei den jungen Arbeitnehmern, aber auch der mittleren und sogar leitenden Angestellten. Nicht kalkuliert sind auf der politischen Ebene auch die Widerstände in der Provinz gegen die befürchtete Schließung kleiner Bahnhöfe und das Abwälzen der Kosten auf die regionale beziehungsweise kommunale Ebene.
Anders als bei der Mobilisierung gegen die Arbeitsrechtsreform von 2016, wo die Dachverbände die interne Vorbereitung und die Organisation einer öffentlichen Diskussion völlig verschlafen haben, informieren bei der jetzigen Streikwelle Kollegen und Kolleginnen aktiv die Nutzer mit Flugblättern an den Bahnhöfen. Ebenso ein völliges Novum für die französische Gewerkschaftsbewegung ist die Initiative Streikkassen zu gründen, die aus Spenden alimentiert werden. Alle diese Anstöße kommen von der Basis und nicht der Leitung. Vielleicht bestätigt sich hierin der Ruf vom Eisenbahnsektor als Bastion kämpferischer Gewerkschafter.

Macht die Gewerkschaftstaktik, achtzehnmal für jeweils zwei Tage die Arbeit niederzulegen, die Streikenden nicht als eher selbst mürbe und die Fahrgäste ihren Aktionen gegenüber immer wütender?

Diese Vorhersehbarkeit der Streiktage, ist völlig neu für Frankreich. Bei dieser Strategie sind wohl verschiedenen Erwägungen zusammengeflossen. Zum einen glauben die Gewerkschaftsleitungen nicht mehr recht an ihre eigene Kraft, wie man auch in der vorangegangenen Bewegung gegen die Präsidialerlasse sehen konnte. Das ist übrigens eine Einschätzung, die die Regierung teilt. Zum anderen spielt auch eine Rolle, dass die Gewerkschaften gezielt die Akzeptanz des Bahnstreiks in der Öffentlichkeit suchen.
Mehr als die Aufrufe der CGT-Führung (der stärksten Gewerkschaft bei der Bahn), hat den Streikwillen der Kollegen gefördert, dass Regierung und Medien sie wahlweise zu Sündenböcken der fehlenden Investitionen in den letzten Jahrzehnten oder zu Privilegierten des Systems abgestempelt haben. Während die, früher der Kommunistischen Partei nahe stehende CGT in den Verhandlungen vergeblich für ihre alternativen Reformvorschläge wirbt, sind die ehemals sozialdemokratische CFDT und die so genannte Autonome Gewerkschaft der Bahn (UNSA) vor allem daran interessiert, bei den angekündigten Kürzungen die Gelder für das Funktionieren und die Funktionäre der Gewerkschaftsapparate zu bewahren. Sollte die Regierung hier Zugeständnisse machen, werden diese Privilegierten rasch die Forderungen an der Eisenbahnerbasis fallen lassen.
Die linke Basisgewerkschaft SUD, die unter den Bahnbeschäftigten recht stark ist, hält sich zugunsten einer gemeinsamen Strategie sehr zurück, obwohl sie seit Beginn der Bewegung für zumindest punktuell längere Ausstände plädieren. CGT und SUD setzen noch auf erhöhten Druck durch das Hinzutreten von Streikbewegungen in anderen Sektoren des öffentlichen Dienstes, wie etwa der Post oder dem Bildungswesen oder der Müllabfuhr. Auch die Streiks bei der bereits privatisierten Fluggesellschaft Air France sind dieser Taktik teils zuzurechnen. Bemühungen zur so genannten Konvergenz, kommen aber vor allem von der Jugend.
Was die Gewerkschaftsbürokratie anbelangt, ändert sich nichts seit 2016, sie scheinen vor allem vom Gesichtsverlust bekümmert und begreifen nicht, dass der Verhandlungssyndikalismus in der Krise ist, weil die Verhandlungspartner bei Unternehmen und Staat sie links liegen lassen. Gleichzeitig und gerade deswegen erleben wir ja die Zunahme der direkten Aktion in den Arbeitskämpfen.

Nicht alle Gewerkschaften beteiligen sich am Ausstand. Innerhalb von CFDT und Force Ouvrière (FO) soll es deshalb jedoch zunehmenden Unwillen vieler Mitglieder geben. Bewegt sich da etwas?

Bei der FO gibt es tatsächlich kämpferische Teile, die mit ihrer scheidenden Gewerkschaftsleitung im Zwist lagen, unzufrieden mit der Haltung zur Arbeitsrechtsreform waren, und der die aktuelle Strategie der rollenden Streiks (grève perlée) nicht weit genug geht. Auch bei der CFDT gibt es noch Reste, die in der Tradition der Selbstverwaltung der Nach-68er stehen, und die entgegen der Position und dem Willen ihrer Führung auf den Demonstrationen erscheinen.

Wegen der Auseinandersetzungen bei Air France und in weiteren Unternehmen sowie der Studentenproteste an den Universitäten werden gern Parallelen zum berühmten Mai 1968 gezogen. Ist das realistisch?

Es gibt zurzeit in Frankreich vielfältige und sich teilweise widersprechende Bewegungen im privaten wie öffentlichen Sektor. Im öffentlichen Dienst, wo am Dienstag (den 22. Mai 2018; Anm. d. Verf.) viele Beschäftigte im Gesundheitswesen, den Schulen und dem Energiesektor streikten, geht es letztlich im Hintergrund immer um Einsparungen. Den Großkonzernen könnten nur die Bewegungen in der so genannten freien Wirtschaft wirklich gefährlich werden.
Die Parallele zum Mai 68 halte ich für einen gerade grassierenden Modetrend, um nicht zu sagen für albern. Wenn überhaupt müsste man konkreter die Einzelaspekte vergleichen: Was ist denn so wie Mai 68? Gibt es massiv besetzte Fabriken? Nein! Ein Paar eingeschlagene Fensterscheiben? Ja, die gibt es, wie bei der 1.Mai-Demo in Paris! Haben wir es mit der internationalen anti-autoritären Bewegung einer ganzen Generation, auch in Paris, zu tun? Wohl kaum. Finden sich ein paar gescheite und erheiternde Sprüche an den Wänden? Ganz bestimmt. Wie ist es mit der alten und neuen Parole: „Die Einheit wird an der Basis stattfinden oder gar nicht“? Sicher, die stimmt nach wie vor…

Bürgerliche Medien sprechen aktuell von einem „Härtetest“ für den neuen Präsidenten Emmanuel Macron. Ist er zum Erfolg verdammt und hätte eine Niederlage der Eisenbahner ähnlich schwerwiegende Folgen wie Anfang der 80er Jahre die Niederlagen der Fluglotsen gegen Ronald Reagan in den USA sowie der Drucker und Bergarbeiter gegen Margaret Thatcher in Großbritannien?

Lange soziale Auseinandersetzungen sind, genau wie Kriegsstimmungen, unabwägbar. Eine schwere Niederlage ist durchaus möglich und die Vergleiche mit Reagan und Thatcher werden in der französischen Presse dieser Tage häufig gezogen. Doch Im Moment bleibt festzuhalten, dass die Pläne der Regierung nicht so einfach aufgehen wie erwartet. Das vermeintlich Alternativlose und Unabwendbare ist eben doch aufzuhalten, bedenkt man den totalen Rückzug der Regierung Hollande im Jahr 2016 und der Präsidialerlasse von Emmanuel Macron anno 2017 auch nur vor einem Warnstreik oder der bloßen Streikdrohung des privaten Transportsektors. Denn der Güterverkehr findet bereits überwiegend auf der Straße statt. Dagegen ist die Hoffnung der Eisenbahner, dass die Störungen im Güterverkehr auf der Schiene, die vor allem mittlere und Kleinbetriebe betreffen, Wirkung zeigen, verhältnismäßig bescheiden. Macron ist der Präsident der Superreichen und hört auf das Finanzkapital. Die Chance der Lohnabhängigen, indirekten Druck über mittelständische Unternehmen auszuüben, halte ich für geringfügig bis illusorisch.
Was den autokratisch-selbstherrlichen Stil Macrons angeht, so reiht er sich in die weltweite Rückkehr autoritärer Herrschaftsformen ein (siehe Trump, Putin oder Erdogan). Er ist sozusagen seine französische Variante. Nach dem Motto: „Macht was ihr wollt, streikt und demonstriert, egal. Die Sachen sind sowieso entschieden, denn wir wissen am besten, was für Euch richtig ist.“

Wie verhält sich eigentlich der rechtsextreme Rassemblement National (ehemals Front National – FN) in dieser Hinsicht. Versucht Marine Le Pen mit sozialer Demagogie an die Proteste anzudocken?

Der RN bzw. FN hat am 1. Mai gerade mal vermocht zweihundert Personen in Paris zu versammeln. Er steht völlig außerhalb der gegenwärtigen sozialen Bewegungen rund um die aktuelle Streikwelle. Die Partei war bis vor kurzem auch in den Medien an den Rand gedrängt worden. Die Anekdote um tausend Vermummte bei der 1.Mai-Demonstration hat Marine Le Pen dann genutzt, um ihre Ansichten zum Besten zu geben. Die „linksextremen Milizen“ seien Komplizen der Regierung, die aufgelöst gehörten. Interessanterweise hat auch der Chef und Präsidentschaftskandidat der linken France Insoumise, Jean-Luc  Melonchon in seiner ersten Stellungnahme behauptet, es handele sich um Faschisten, die den Gewerkschaftsumzug störten oder diskreditieren wollten. Inzwischen hat er das zurückgenommen.
Die Regierung steht hier auf dem Prüfstand und hat ein Legitimitätsproblem. Die Hälfte von Macrons Wählerschaft besteht aus Leuten, die aus republikanischem Bewusstsein, oder sagen wir aus antifaschistischen Motiven heraus, in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen für ihn votierte und nicht für sein wirtschaftsliberales Programm. Einen Teil seiner Wähler, nämlich die Rentner, hat er bereits mit der Erhöhung des Sozialbeitrags CSG (Contribution Sociale Généralisée) verstimmt. In Frankreich stellen sich Leute schon die Frage, ob Macron „das Bett für den Faschismus richtet“, also zum Steigbügelhalter des RN werden könnte.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=133866
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