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Wie weiter nach der „Volksflut“ in Frankreich?
„Aller Anfang ist schwer. Bei dieser Demonstration allerdings war es zunächst vor allem schwer, zu bestimmen, wo sie genau anfing. An diesem Samstag Nachmittag (26.05.18) begann sie zunächst, tröpfchenweise einzutreffen, wenn man – wie der Verf. dieser Zeilen – irgendwo auf halbem Wege zwischen der Pariser Place de la République und der Place de la Bastille Aufstellung bezog, um den Protestzug in Gänze sehen zu können. Letzterer war, offiziell um 14.30 Uhr (etwas Verspätung ist immer drin), bei der Gare de l’Est, also beim Pariser Ostbahnhof, losgelaufen. Da der Verfasser auf dem Weg zu seinem Beobachtungsort selbst zwischen 14.30 und 15 Uhr am Ostbahnhof vorbeizog, ließ sich bereits ermessen, dass die Demonstration nicht gänzlich klein ausfallen würden“ – so beginnt der Bericht „Paris: Nach den sozialen Protestdemonstrationen („Volxflut“) vom Samstag, den 26. Mai 18 – Wie weiter?“ von Bernard Schmid vom 28. Mai 2018 – wir danken!
Paris: Nach den sozialen Protestdemonstrationen („Volxflut“) vom Samstag, den 26. Mai 18 –
Wie weiter?
Von Bernard Schmid am 28. Mai 2018
Aller Anfang ist schwer. Bei dieser Demonstration allerdings war es zunächst vor allem schwer, zu bestimmen, wo sie genau anfing. An diesem Samstag Nachmittag (26.05.18) begann sie zunächst, tröpfchenweise einzutreffen, wenn man – wie der Verf. dieser Zeilen – irgendwo auf halbem Wege zwischen der Pariser place de la République und der place de la Bastille Aufstellung bezog, um den Protestzug in Gänze sehen zu können. Letzterer war, offiziell um 14.30 Uhr (etwas Verspätung ist immer drin), bei der Gare de l’Est, also beim Pariser Ostbahnhof, losgelaufen. Da der Verfasser auf dem Weg zu seinem Beobachtungsort selbst zwischen 14.30 und 15 Uhr am Ostbahnhof vorbeizog, ließ sich bereits ermessen, dass die Demonstration nicht gänzlich klein ausfallen würden.
Unorganisierte Demoblöcke, Individuen, kleine Gruppen fingen schon gegen 15.30 Uhr an, auf der Höhe des Cirque d’Hiver (Winterzirkus) genannten Gebäudes in der Nähe der place de la République vorzuziehen. Kurz vor 16 Uhr traf dann der, inzwischen bei vergleichbaren Demonstrationen „unvermeidlich“ gewordene, schwarze Block mit einem Pulk von rund 500 schwarzvermummten Personen ein und suchte relativ offensiv Scharmützel mit der in den Seitenstraßen positionierten Polizei. Diese hatte an dem Tag 1.400 Uniformierte mobilisiert und, im Vorfeld bereits über die Medien angekündigte, mehr oder minder umfangreiche Taschenkontrollen bei den Zugängen zur Demonstration vorgenommen, wie der Verf. auf dem Boulevard Magenta (welcher am Ostbahnhof vorbeiführt) selbst erleben konnte. Der Pulk der Schwarzkittel zeigte dennoch Präsenz. Einige Schaufenster wurden jedoch erst „stromabwärts“, kurz vor Eintreffen auf der place de la République, in Mitleidenschaft gezogen und noch nicht zu Anfang. Auf der Höhe des Bastille-Platzes – dem Ort des Abschlusses der Demonstration – detonierten dann einige Zeit lang mehrfach Reizgasgranaten der Polizei.
Ab circa 16 Uhr traf dann das Gros der übrigen (nicht vermummten) Demonstration ein. Ihr Vorbeiziehen am Fixpunkt dauerte circa eine Stunde und vierzig Minuten. Der Boulevard (Beumarchais) war an dieser Stelle zwar relativ breit, dennoch liefen nie mehr als zwanzig Personen gleichzeitig auf der Höhe eine Reihe vorbei, und die Demonstration wies einige Löcher auf bzw. blieb wegen davor sich abspielender Scharmützel mehrfach stehen. Insofern lässt sich die Teilnehmer/innen/zahl realistisch auf circa 40.000 beziffern. Am Abend sprach das französische Innenministerium von „21.000“ Teilnehmer/inne/n in Paris, der Gewerkschaftsdachverband CGT offiziell von „80.000“. Ein Medienkollektiv (Occurrence) bezifferte die Teilnehmerzahl seinerseits auf 31.700.
Da die leicht großspurig als maréé populaire (ungefähr: „Volksflut“ – Scheißübersetzung aber auch, nein nein, der deutsche „Volks“begriff ist glücklicherweise weit entfernt, „Volkssturm“, „Volksunion“ und ähnlicher Dreck auch -, oder eher mit „Menschenmeer aus den gesellschaftlichen Unterklassen“ zu übersetzen) angekündigte Protestmobilisierung fand jedoch nicht nur in Paris, sondern in ganz Frankreich statt. Auf das gesamte Frankreich bezogen, sprach die CGT am Samstag Abend von „280.000“ Demonstrierenden, das französische Innenministerium hingegen von „93.315“; das klingt, als habe es genau gerechnet. (Vgl. „Marée populaire“: 93.315 manifestants dans toute la France“ am 26. Mai 2018 in Le Figaro ). Mangels eigener Anschauung aus anderen Städten außerhalb von Paris möchte der Autor dieser Zeilen dazu nicht genau Stellung beziehen. Aus manchen Städten erstaunen die Unterschiede zu den Zahlenangaben dann doch, bezogen auf Marseille spricht die Polizei von „4.500“ und die CGT offiziell von „60.000“ Demonstrierenden, wobei die Realität wohl einem/r Augenzeugen/in ins Auge stechen dürfte… Doch der Verfasser war nicht vor Ort in der Mittelmeermetropole…
Allerdings steht es dem Autor offen, in Anbetracht einer Gesamtmobilisierung von real wohl zwischen 100.000 und 200.000 bezogen auf das ganze Frankreich die Einschätzung zu treffen, dass es nicht um eine der stärksten Protestmobilisierung der letzten Jahre handelt. Zuletzt wurde eine knappe Million an Teilnehmer/inne/n bei einer sozialen Protestmobilisierung (in ganz Frankreich) wohl am 31. März 2016 beim Protest gegen das – im August 2016 dann in Kraft getretene – „Arbeitsgesetz“ unter François Hollande erreicht. Und, ja, eine Million Demonstrant/inn/en auf einem Fleck hat es in Paris auch schon gegeben, zuletzt wohl am 27. Mai 2003, damals ging es um eine Renten„reform“ unter der Regierung Raffarin ( der Verf. berichtete damals darüber für Labournet.de ). Genau fünfzehn Jahre ist’s her.
Die (bürgerliche) Medienberichterstattung fokussierte sich, wie in den letzten Wochen üblich, einmal mehr ziemlich stark auf die Frage „Gewalt oder nicht?“, die – aus erheblich anderen Motiven – auch für Teile des linksradikalen und vor allem anarchistischen Spektrums seit März 2016 ebenfalls die einzig interessante Frage im Zusammenhang mit Protestdemonstrationen darzustellen scheint. Am Abend wurden 43 vorübergehend Festnahmen aus Paris vermeldet (vgl. „Marée populaire“: 43 interpellations à l’issue de la manifestation à Paris“ am 26. Mai 2018 in Le Figaro ) zum Teil „nur“ zur Personalienfeststellung, doch 26 Personen wurden auch in polizeilichen Gewahrsam genommen. Neun von ihnen befanden sich dort in der Nacht vom Sonntag zum Montag noch immer.
Zu den unbestreitbaren Erfolgen im Zusammenhang mit dieser Protestmobilisierung zählt, dass einige durch Organisationen gezogene Grenzen und Blockadeelemente in ihrem Vorfeld fielen. Seit den späten 1990er Jahren weigerte sich die Leitung des Gewerkschaftsdachverbands CGT i.d.R. standhaft, dann zu sozialen Protestdemonstrationen aufzurufen, wenn politische Organisationen zu ihnen die Initiative ergriffen hatten oder auch als (Mit-)Anmelder/innen relativ stark im Vordergrund zu stehen schienen. Erstmals machte sich dies im Vorfeld der Demonstration in Paris gegen Massenentlassungen beim Automobilhersteller Michelin am 16. Oktober 1999 bemerkbar. Dazu hatte seinerseits die (damals im Kabinett von Lionel Jospin mitregierende, und als Bettvorleger der Regierungssozialdemokratie dienende) französische KP unter ihrem damaligen Gartenzw.., pardon: Chef Robert Hue ursprünglich aufgerufen. Die Idee zu der Demo als solche war verdienstvoll, auch wenn die Regierungspartei von Robert Hue dadurch wohl auch von ihrer Ohnmacht gegenüber der realen Macht des Kapitals in ihren Ministerien freundlich abzulenken versuchte. Doch die strikte Weigerung der CGT, zu der Mobilisierung mit aufzurufen, weil eine politische Kraft dazu die Initiative ergriffen hatte, schwächte die Mobilisierung zu dieser Frage erheblich – statt zu versuchen, die Mobilisierung weiterzutreiben und dadurch der Kontrolle durch eine mitregierende Partei de facto zu entziehen.
Seitdem blieb die CGT stets offiziell bei dieser Linie. Einerseits handelte es sich dabei von ihrer Seite her um ein Stück Emanzipation, denn bis zum französischen KP-Parteitag im Dezember 1996 im Pariser Geschäftsviertel La Défense gehörte der jeweilige CGT-Generalsekretär bis dahin stets automatisch dem KP-Parteivorstand an – und die Partei übte bis zu diesem Zeitpunkt einen bestimmenden Einfluss auf ihre Gewerkschaftspolitik aus. (Ja, das ist heute vorüber.) Allerdings war die strikte Trennung, die die CGT ab diesem Zeitraum ausrief und auch im Hinblick auf die Präsenz in sozialen Protestbewegungen mehr oder minder eingehalten wurde, in der Folgezeit auch ein Faktor der Schwächung gesellschaftlicher Opposition.
Dieses Mal war es nun jedoch anders: Sowohl politische Parteien, unter ihnen in medial beherrschender Stellung die linkssozialdemokratische und in Teilen linksnationalistische Wahlplattform La France insoumise (LFI; ungefähr: „Das aufsässige Frankreich“) unter Jean-Luc Mélenchon, als auch die CGT sowie die beiden Gewerkschaftszusammenschlüsse Solidaires (linke Basisgewerkschaften) und FSU (Gewerkschaften im Bildungssektor) riefen nebeneinander als prominente Unterstützer/innen zur der samstäglichen Demo auf.
Real war LFI an diesem 26. Mai 18 erheblich weniger optisch präsent, ja dominant als bei der letzten berufsgruppenübergreifenden Protestdemo vom Samstag, den 05.05.18 in Paris (zu welcher damals allerdings frankreichweit und nicht nur regional durch die Partei mobilisiert worden war, ein Unterschied zum 26.05.18). Damals hatte LFI massiv Stellschilder über die gesamte Demonstration verteilt. Dieses Mal war die gewerkschaftliche Komponente erheblich stärker vertreten; ein Drittel bis die Hälfte des Protestzugs stellte allein die CGT mit ihren Kreisverbänden im Pariser Raum.
Doch wie geht es nun weiter, während an der Streikfront die Bahnbeschäftigten weitgehend allein kämpfen – und auch ihr Arbeitskampf nun erheblich abzubröckeln beginnt? Fortsetzung folgt alsbald. Unbedingt!