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Der Mord an der Stadträtin Marielle Franco in Rio de Janeiro – die Spitze eines Eisberges reaktionärer Gewalt
Am Mittwochabend, 14. März 2018 wurden in der Innenstadt von Rio de Janeiro die Stadträtin der Partei Freiheit und Sozialismus (PSol) Marielle Franco und ihr (Uber) Fahrer Anderson Gomes erschossen, aus einem daneben fahrenden Auto heraus, eine Mitarbeiterin ihres Stabes überlebte. Marielle Franco, in der Favela Maré in Rio geboren und aufgewachsen, war eine von mehreren jüngeren afrobrasilianischen Frauen aus Armutsvierteln, die in verschiedenen brasilianischen Großstädten bei der letzten Kommunalwahl erfolgreich für die PSol kandidierten – in ihrem Fall mit fast 50.000 WählerInnen, die fünftmeisten Stimmen der 51 gewählten Abgeordneten (in Brasilien sind Stadträte Abgeordnete eines Parlaments). Sie kam von einer Versammlung, auf der der Ausnahmezustand mit dem Einsatz der Armee in Rios Armenvierteln kritisiert wurde – für dessen menschenrechtliche Beobachtung sie vom Stadtrat beauftragt worden war. Der bisher ungeklärte Mord geschah zur selben Zeit, da die Mörder eines Umweltaktivisten in Barcarena im Norden Brasiliens zwei Tage zuvor weiterhin frei sind. Paulo Sérgio Almeida Nascimento hatte auf die – inzwischen zum Medienthema gewordenen – Wasserverschmutzung durch die größte Aluminium-Schmelze der Welt, die Alunorte des norwegische Hydro-Unternehmens in seiner Stadt hingewiesen.Seine Forderung nach Polizeischutz, nachdem er Todesdrohungen erhalten hatte, war abgelehnt worden. Derweil melden sich immer mehr Generäle ungebeten zu Wort, die Mord und Totschlag von 1964 und 2018 rechtfertigen… Zum Mord an Marielle Franco und den Protesten dagegen, sowie zu einigen Hintergründen und dem vorherigen Mord in Nordbrasilien unsere aktuelle Materialsammlung „Der Mord an Marielle Franco – Spitze des Eisbergs der reaktionären Offensive in Brasilien“ vom 16. März 2018
Der Mord an Marielle Franco – Spitze des Eisbergs der reaktionären Offensive in Brasilien
„Mord an prominenter Links-Politikerin in Brasilien“ von Mario Schenk am 16. März 2018 bei amerika21.de berichtet: „Die Ermittler gehen von einer Hinrichtung aus. Laut Polizeiangaben hatten die Täter genaue Kenntnis vom Sitzplatz der Politikerin. Die Schüsse seien gezielt auf Franco abgegeben worden, gleichwohl die Scheiben komplett verdunkelt waren, berichtet das Nachrichtenportal UOL unter Berufung auf die Polizei. Aus dem Umfeld der Menschenrechtspolitikerin hieß es, dass weder die Partei noch ihre Familie Kenntnis von Drohungen gegen sie hatten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es keine Anhaltspunkte für Verdächtigungen. Doch die offensichtliche Hinrichtung deutet auf eine klare Botschaft an die Öffentlichkeit und Machtdemonstration hin: Medienberichten zufolge erinnert die Art des Verbrechens an die Ermordung der Richterin Patrícia Acioli aus dem Jahr 2011, die gegen Milizen ermittelte und, wie sich herausstellte, von diesen ermordet wurde“ – zur Rolle dieser Milizen (und ihrer Unterschiede zu den Drogenbanden) siehe weiter hinten in dieser Sammlung.
„Menschenrechtlerin Marielle Franco in Rio erschossen“ am 15. März 2018 bei der Deutschen Welle meldet: „Ermittler gehen von einer Hinrichtung aus: Die brasilianische Politikerin Marielle Franco ist ermordet worden. Sie hatte die Aktivitäten des Militärs in Rio überwacht und zuletzt die Polizei dreier Morde beschuldigt. Mitten im Zentrum von Rio de Janeiro ist die prominente Menschenrechtsaktivistin Marielle Franco von Unbekannten erschossen worden. Die 38-jährige Abgeordnete des Stadtparlaments von Rio leitete die Menschenrechtskommission, die die Mitte Februar gestartete Intervention des Militärs in Rio überwachte. Der Wagen der Abgeordneten der linken PSOL-Partei wurde den Angaben zufolge gegen 21.30 Uhr (Ortszeit) von einem anderen Fahrzeug gestoppt. Mindestens acht Schüsse seien auf Francos Wagen abgegeben worden. Auch ihr Fahrer erlag seinen Schussverletzungen; eine Assistentin überlebte verletzt. Die Täter flüchteten“.
„Linke Stadträtin in Rio ermordet“ von Martin Kaul am 15. März 2018 in der taz berichtet: „Die linke Kommunalpolitikerin gehörte zu den größten Kritikerinnen der sogenannten Sicherheitspolitik in Rio de Janeiro, wo in den Armenvierteln der Stadt jede Nacht Menschen durch Polizeigewalt ums Leben kommen und seit Februar das brasilianische Militär das Kommando übernommen hat. Erst am Samstag hatte Franco, 38, die bei den Kommunalwahlen 2016 für die freiheitlich-sozialistische Bewegungspartei Partei PSOL antrat und das fünftbeste Ergebnis aller Abgeordneten erzielte, auf ihrem Facebook-Account auf den Tod zweier Jugendlicher hingewiesen, die im Armenviertel Acari erschossen und in einem Graben hinterlassen worden waren. Dabei veröffentlichte sie auch Bilder, wie gepanzerte Militärfahrzeuge durch ein Armenviertel fahren und beschuldigte ein Bataillon des Mordes an den Jugendlichen. Die Bewohner würden systematisch terrorisiert, schrieb sie, und wörtlich: „Hört auf, uns zu ermorden!“ Vier Tage später ist sie tot“.
„Linke Polizeikritikerin in Brasilien erschossen“ von Ivo Marusczyk am 15. März 2018 in der tagesschau hebt zum Mordopfer hervor: „Brasilianische Medien berichten, die 38-Jährige sei regelrecht hingerichtet worden. Die Politikerin und ihr Fahrer wurden in ihrem Auto erschossen. Franco hatte als Stadträtin in Rio de Janeiro immer wieder Polizeigewalt und Korruption in der Polizei angeprangert. Sie galt als eine der bekanntesten Menschenrechtsaktivistinnen des Landes. Zuletzt hatte sie der Polizei vorgeworfen, Beamte hätten mehrere Morde begangen. In Rio leitete sie eine Kommission, die den Polizei- und Militäreinsatz gegen Drogenbanden in den Armenvierteln der Stadt überwachen soll“.
„Vereadora do PSOL é assassinada a tiros no centro do Rio“ von Pedro Rafael Vilela und Douglas Correa am 14. März 2018 bei der Agência Brasil war noch am Abend des Mordes die erste Meldung darüber. Darin wird, neben ersten Informationen über den Mord, vor allem auf das Wirken Marielle Francos hingewiesen, die eben in der Kommission zur Beobachtung des Militäreinsatzes in Rio leitend tätig war und noch am Tag vorher neuerliche Übergriffe der Polizei auf jugendliche in einem Armenviertel Rios kritisiert hatte.
„O novo sempre vem“ von Marielle Franco am 08. März 2018 bei der PSol ist ein Beitrag der ermordeten Aktivistin zum internationalen Frauentag, in dem sie eine Bilanz der feministischen Bewegung in Brasilien seit der Gründung des Centro da Mulher Brasileira (CMB) im Jahr 1975 zieht – der ersten feministischen Organisation Brasiliens. Die bereits damals geäußerte Kritik afrobrasilianischer und indigener Frauen an der CMB habe sich im Verlauf der vier Jahrzehnte durchgesetzt und eine Bewegung geschaffen, die ihre Stärke aus der Vielfalt der Anliegen und Kämpfe beziehe. Diese feministische Bewegung stehe auch in vorderster Front im Kampf gegen die aktuelle rechte Offensive im Land, die auch eine Offensive des Rassismus und Sexismus sei, bemerkt sie in dem Artikel abschließend – auch, indem sie auf ihren gemeinsamen Kampf mit anderen weiblichen afrobrasilianischen Abgeordneten in anderen Städten verweist.
„PSOL zum Mord an Marielle Franco“ am 15. März 2018 bei RedGlobe ist die Übersetzung der ersten Stellungnahme der PSol zum Mord an ihrer Abgeordneten, in der es heißt: „Die Partei Sozialismus und Freiheit erklärt ihre Trauer über die Ermordung der Stadträtin Marielle Franco und des sie begleitenden Fahrers Anderson Pedro Gomes. Wir stehen in diesem Moment des Schmerzes und der Empörung an der Seite der Familienangehörigen, Freunde, Berater und Parteiführer der PSOL Rio de Janeiro. Das Handeln von Marielle als Stadträtin und Menschenrechtsaktivistin erfüllt die gesamte Mitgliedschaft der PSOL mit Stolz und wird in der Fortsetzung ihres Kampfes in Ehren gehalten. Wir können die Hypothese eines politischen Verbrechens, also einer Hinrichtung, nicht ausschließen. Marielle hat das brutale und aggressive Vorgehen der Militärpolizei in der Region Irajá in der Gemeinde Acari angeprangert. Außerdem unterstützen die Umstände des Verbrechens diese Möglichkeit…“
„Mulheres do PSOL: Marielle, PRESENTE!“ am 15. März 2018 bei der PSol ist die Erklärung der Frauenkommission der Partei zu dem Mord, in der dazu aufgerufen wird „das Erbe dieser Kämpferin in Entschlossenheit für den weiteren Kampf umzuwandeln“.
„Trauer und Kampf“ von Peter Steiniger am 16. März 2018 in der jungen welt berichtet unter anderem von den Reaktionen auf den Mord beim derzeit stattfindenden Weltsozialforum in Salvador: „Die Soziologin setzte sich besonders mit den Ursachen der Gewalt in den Favelas auseinander und kritisierte immer wieder das brutale Vorgehen der Einsatzkräfte gegen deren Bewohner, besonders die schwarze Jugend dort. Nur einen Tag vor ihrem eigenen hatte Franco auf Twitter die Militärpolizei für den Tod eines 23jährigen verantwortlich gemacht, den Schüsse trafen, als eine Kirche verließ. »Wie viele müssen noch sterben, damit dieser Krieg endet?« fragte sie. Alles spricht für einen politischen Hintergrund der Tat. Die Behörden versprechen intensive Ermittlungen zur Ergreifung der Täter, linke Politiker und Menschenrechtler – darunter Amnesty International – fordern Aufklärung. Der Mord überschattet auch das derzeit im nordostbrasilianischen Salvador stattfindende Weltsozialforum (…) Am Donnerstag morgen versammelten sich viele WSF-Teilnehmer zu einem Protestmarsch. Hochrufe auf Marielle Franco waren zu hören, in kurzen Ansprachen wurde die Notwendigkeit von mehr Einheit unter Brasiliens Linkskräften betont. An vielen Orten Brasiliens riefen Aktivisten zu Versammlungen auf, um der ermordeten Stadträtin zu gedenken und die Gewalt gegen die schwarze Bevölkerung anzuprangern“.
„Assassinato da vereadora Marielle Franco provoca indignação e tristeza“ am 15. März 2018 beim Portal Vermelho ist eines von vielen möglichen Beispielen der Reaktionen der linken und demokratischen Bewegungen und Organisationen Brasiliens auf den Mord. Die Info-Webseite der KP Brasiliens dokumentiert darin. Neben Stellungnahmen einiger Abgeordneter aus der eigenen Partei und solchen von PT-PolitikerInnen auch die Stellungnahmen einer ganzen Reihe sozialer Bewegungen aus verschiedenen geographischen und gesellschaftlichen Bereichen des Landes. So etwa des landesweiten Netzwerkes der Anwohnervereinigungen Confederação Nacional das Associações de Moradores (CONAN), der Landlosenbewegung Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra (MST) und des Gewerkschaftsbundes Central dos Trabalhadores e Trabalhadoras do Brasil (CTB – Rio de Janeiro).
„Marielle, presente! Atos pelo país são organizados em repúdio ao assassinato de vereadora do PSOL/RJ“ am 15. März 2018 beim Gewerkschaftsbund CSP Conlutas ist Dokumentation – und Aufruf zur Teilnahme – der zahlreichen Demonstrationen in vielen Städten Brasiliens gegen den Mord und für seine Aufklärung, die in zahlreichen Hauptstädten verschiedener Bundesstaaten ebenso stattfinden, wie in kleineren und größeren Städten im Landesinneren.
„Horrible asesinato de la concejala mariellefranco“ am 15. März 2018 auf dem Twitter-Kanal von Ada Colau – der Tweet der Bürgermeisterin von Barcelona steht hier als Beispiel zahlreicher empörter Stellungnahmen und Solidaritäts-Aufrufen „rund um die Welt“, die etwa von Basis-Aktivistinnen aus Südafrika bis zur Expräsidentin Argentiniens reichen.
„Morte de Marielle Franco repercute na imprensa internacional „ am 15. März 2018 beim Gewerkschaftsbund CUT ist eine Dokumentation der Berichterstattung internationaler Medien über den Mord an Marielle Franco, die in der Regel das Leben und den Kampf Marielle Francos unter Schlagworten wir „Vom Slum ins Parlament“ zusammenfassen.
„„Hört auf, uns zu töten“ rufen Tausende in ganz Brasilien nach dem Mord an Marielle Franco“ von Niklas Franzen am 15. März 2018 auf seinem Twitter-Kanal ist ein Beitrag mit einem kurzen Video von der Demonstration gegen den Mord auf dem Weltsozialforum in Salvador.
„Thousands of people gathered in Rio de Janeiro today“ am 15. März 2018 beim Twitter-Kanal Marielle Franco presente ist ein Kurzbericht über die Protestdemonstration in Rio de Janeiro am Tag nach dem Mord, an der sich nach verschiedenen Angaben über 100.000 Menschen beteiligten.
„Líderes da direita respondem ao assassinato de Marielle Franco com abusos, politicagem e silêncio“ von Andrew Fishman am 15. März 2018 in der brasilianischen Ausgabe von The Intercept ist eine (extrem kritische) Dokumentation der Reaktionen führender brasilianischer Rechter auf den Mord. Natürlich zahlreiche Versuche, von der eigenen Verantwortung (die man zumindest qua politischer Hetze trägt) abzulenken – und sozusagen (mit klammheimlicher Freude?) darauf „hinzuweisen“, sie sei ja mit ihrer ewigen Kritik an Polizei und Armee selbst Schuld, wenn Unsicherheit regiere…
„Beifall für General in Brasilien nach Äußerungen über Rolle des Militärs“ von Vanessa Brinktrine am 14. März 2018 bei amerika21.de , worin es zur politischen Offensive der Armee und ihrer Forderung nach einer größeren Rolle anhand der Äußerungen des früheren Kommandierenden der Haiti-Intervention heißt: „Bei seinem Vortrag ging es auch um die Debatte über die Situation in Rio de Janeiro und die Intervention der Streitkräfte. Ribeiro unterstützte die Entscheidung von De-facto-Präsident Michel Temer, dort mit General Walter Souza Braga Netto einen Militär als Verantwortlichen einzusetzen. Temer hatte im Februar die innere Sicherheit des Bundesstaates Rio de Janeiro per Dekret dem Militär unter Kommando des Armeegenerals Walter Souza Braga Netto überantwortet. Damit sind ihm das Ministerium für Sicherheit, die Polizeieinheiten, die Feuerwehr sowie das Gefängnissystem unterstellt. Die Regelung soll bis zum Jahresende gelten und stellt ein Novum in der Geschichte des Landes dar. Dies sei gerechtfertigt, da die Militärs „sich ein Leben lang darauf vorbereiten“, so der General. „Wir werden schlecht genutzt“, erklärte er und plädierte für ein „flexibles Engagement“ der Soldaten, die im Zuge der Intervention in Rio de Janeiro tätig sind. Dabei hätten die Streitkräfte schließlich die Macht, Personen, die einer feindlichen Absicht oder Tat verdächtigt würden und bewaffnet seien, zu verletzen oder sogar tödlich zu verwunden. Bereits zuvor hatte sich Ribeiro während zu diesem Thema geäußert: „Wenn jemand mit einem Gewehr bewaffnet ist, überfällt und raubt, wird er zu einem Ziel und von da an kann ich ihn eliminieren. Und wer dies vollstreckt, ist frei von juristischer Verantwortung.“ Der General äußerte auch die Befürchtung, Brasilien riskiere, ein „Narco-Staat“ wie Kolumbien zu werden. Es gebe eine hohe Zahl von Straftaten, die mit dem Kokainhandel in Verbindung stünden. Zu Kolumbien als Beispiel gescheiterter Politik erwähnte Ribeiro lobend das brutale Vorgehen der brasilianischen Armee gegen die Guerilla von Araguaia. Dabei wurden zwischen 1972 und 1975 über 60 Menschen getötet. „Kolumbien hat 50 Jahre Bürgerkrieg erlebt, weil sie nicht das gemacht haben, was wir mit Araguaia gemacht haben“, rühmte sich Ribeiro“.
„Operações do Exército no Rio ignoram áreas dominadas por milícias“ von Lucas Vettorazzo und Sérgio Rangel am 08. März 2018 in der Folha de Sao Paulo war ein Beitrag über eine Thema der Militärintervention in Rio, mit dem sich auch Marielle Franco mehrfach befasst hatte. Es geht dabei darum, dass der konkrete Militäreinsatz sich (bisher?) darauf beschränkt, in jenen Slums aufzumarschieren, die von kriminellen Banden wenn nicht beherrscht, so doch wesentlich beeinflusst werden. Zur selben Zeit gibt es aber zahlreiche solcher Viertel, die – in einer für Außenstehende nicht leicht zu verstehenden Differenzierung – von sogenannten Milizen beherrscht werden, in denen bisher keiner militärische Aktivitäten stattfanden. Diese Milizen sind heute regierende Banden, die überall in den Vierteln für nahezu alles „Steuern“ erheben und sich gegenseitig „Geschäftsbereiche“ zugestehen. Entstanden waren sie vor Jahren oftmals durch die Aktivität von Militärpolizisten, die selbst in solchen Slums wohnten. Diese mehr als dubiose „Verschränkung“ von Militär und Verbrechen ist immer ein sehr gefährliches Thema – und es gibt nicht wenige Vermutungen, dass der Mord an Marielle Franco aus diesen Zusammenhängen heraus in Auftrag gegeben worden sei…
„Líder que denunciava Hydro e teve proteção de vida negada pelo Governo é assassinado“ am 13. März 2018 bei Diario Online ist die Meldung über die Ermordung von Paulo Nascimento am 12. März in Barcarena im Bundesstaat Pará (in der Nähe der Landeshauptstadt Belém). Der Sprecher der Vereinigung Associação dos Caboclos, indígenas e Quilombolas da Amazônia (CAINQUIAMA) hatte verschiedentlich auf die Wasserverschmutzung durch Hydro Norsk hingewiesen und gefordert, die Akten über das Unternehmen und seine Erlaubnis zur „Abfall-Beseitigung“ einsehen zu dürfen. In der Meldung wird auch darauf verwiesen, dass er und andere Aktive der Vereinigung bereits am 19. Januar 2018 Polizeischutz beantragt hatten, da mehrere Menschen Todesdrohungen erhalten hatten.
„Community leader known for reporting environmental crimes killed in Pará“ von Alex Rodrigues am 13. März 2018 bei der Agência Brasil ist die englische Meldung über die Ermordung Paulo Nascimentos, worin auch noch berichtet wird, dass die Behörden darauf verwiesen, der Antrag auf Polizeischutz sei an der „falschen Stelle“ eingereicht worden…
„Lideranças em Barcarena (PA) temem perseguições após 2º assassinato em 3 meses“ von Rute Pina am 12. März 2018 bei Brasil de Fato ist ein Beitrag über diesen Mord – und darüber, dass dies innerhalb von drei Monaten bereits der zweite Aktivist dieser Bewegung war, der ermordet wurde – am 22. Dezember 2017 war bereits Fernando Pereira erschossen worden. Sprecher der Bewegung betonten bei verschiedenen Anlässen, dass die Drohungen und Schikanen massiv zugenommen hätten, seitdem sie juristisch gegen Hydro Alunorte vorgehen.
„Brasilien: Die Röhre, die niemand in der Firma kannte“ von Thomas Bauer und Christian Russau am 26. Februar 2018 im tazblog berichtet sehr ausführlich und lesenswert über die Hintergründe der Auseinandersetzungen und das „Wirken“ von Alunorte: „Aus der weltgrößten Aluminiumschmelze Alunorte in Barcarena, im brasilianischen Bundesstaat Pará, traten in den vergangenen Tagen große Mengen an rotgefärbten Abwässern aus, diese erreichten einen kleinen Bach und verbreiteten sich von dort in den umliegenden Dörfern aus. Die AnwohnerInnen brachen in Panik aus, fürchteten, dass es sich dabei um giftige Abwässer des Rotschlammbeckens aus der Aluminiumproduktion handeln könnte. Die verantwortliche Firma verwies auf den Starkregen der letzten Tage, erklärte die rote Färbung mit dem dort natürlich vorkommenden rotgefärbten Erdboden und versicherte, die Aluminiumschmelze sei sicher und erfülle voll und ganz alle Umweltvorgaben. Dann fanden die AnwohnerInnen tote Fische in den Flüssen, den AnwohnerInnen starben ihre Hühner, und die Kinder, die in Kontakt mit dem Wasser geraten waren, bekamen Hautausschlag. Alles ganz ungefährlich? Leider nein. (…) Nachdem die Minenverantwortlichen ihre Schuld eingestanden haben, haben nun auch der Governeur Simão Jatene und sein Regierungsteam Maßnahmen angekündigt, um die betroffenen BewohnerInnen zu schützen und den Schaden wiedergutzumachen. Wahrscheinlich nicht viel mehr wie leere Worte, denn es bleibt zu befürchten, dass es im Falle der Alunorte ähnlich ablaufen wird wie im Falle „Mariana“, wo im November 2015 das Rückhaltebecken des Bergbaukonzerns SAMARCO (deren Anteilseigner die brasilianische Firma Vale und die anglo-australische BHP Billiton je zur Hälfte sind) brach und das Rio Doce-Flusstal mit giftigem Schlamm flutete und bis heute niemand der Verantwortlichen dafür juristisch zur Verantwortung gezogen wurde. Der Mutterkonzern der Alunorte, Norsk Hydro, extrahiert Bauxit in Paragominas und Trombetas, allein bei Mineração Rio do Norte (MRN) in Trombetas sind es 23 Tailings. Der Bruttoumsatz des Bergbaukonzerns Norsk Hydro lag im Jahr 2017 bei umgerechnet 11 Mrd. Euro, der Gewinn nach Steuern lag bei umgerechnet 918 Millionen Euro. Alunorte produziert aus dem in den Hydro-eigenen Minen gewonnenen Bauxit im Werk in Barcarena jedes Jahr 5,8 Millionen Tonnen Aluminium, das zu 86% ins Ausland (Naher Osten, Nordamerika und Europa) exportiert wird. Die Jahresmenge von 5,8 Millionen Tonnen raffinerierten Aluminiums allein bei Alunorte in Barcarena entspricht ganzen zehn Prozent der weltweiten Aluminiumproduktion“.