Gegen Demonstrationsverbot, Feierverbot, Veröffentlichungsverbot, weitere Bilderverbote – gegen den bundesweiten Ausnahmezustand für alles Kurdische
Dossier
„… Noch im Dezember 2017 schien alles wie immer. Das demokratische Gesellschaftszentrum der Kurdinnen (Nav-Dem) hat die zentrale Newroz Veranstaltung 2018 in Hannover als Versammlung angemeldet. Ein erstes Kooperationsgespräch mit der Polizei fand statt, der Verlauf war entspannt und einvernehmlich. Nur das Thema der skandalösen Verbote bestimmter kurdischer Fahnen- und Symbolverbote wurde auf ein weiteres Gespräch vertagt. Zwei Monate später war plötzlich alles anders: Die Polizeidirektion Hannover kündigte ein Verbot des Newroz-Festes an, das noch vor zwei Jahren problemlos in Hannover stattfinden konnte. Selbst der Bürgermeister hielt damals ein Grußwort. Was hat sich von Dezember bis heute verändert? Es gab mehrere Treffen zwischen Noch-Außenminister Gabriel (SPD) und seinem türkischen Amtskollegen. Waffenlieferungen wurden in Aussicht gestellt, die Türkei suchte Rückendeckung für ihren geplanten Angriff auf die Region Afrin in Nordsyrien. Dieser Angriffskrieg findet seit dem 20. Januar statt, von Russland geduldet, von der NATO gerechtfertigt, von der Bundesregierung nur halbherzig kritisiert. Auf allen Bildern von der Front: Panzer und andere Waffen aus deutscher Produktion. Parallel die Freilassung von Dennis Yücel – endlich nach einem Jahr politischer Geiselhaft in der Türkei. Angeblich gab es keinen Deal und doch verschärft sich seitdem die Repression gegen die kurdische Freiheitsbewegung in Deutschland. Demonstrationen werden verboten, Fahnen beschlagnahmt und wie jüngst beim Mesopotamien-Verlag in Münster sogar LKW-Ladungen von kurdischen Büchern beschlagnahmt. Das ist es, was sich verändert hat: Es ist die Kumpanei Deutschland mit dem türkischen Angriffskrieg gegen Afrin und die Erfüllung des Deals mit dem Dikatator Erdogan, den es angeblich nie gegeben hat…“ – aus der Erklärung „Newroz ist unser Newroz – und Newroz lässt sich nicht verbieten“ der Interventionistischen Linken, hier am 13. März 2018 bei scharf links dokumentiert, worin es abschließend noch heißt: „Inzwischen hat eine Gruppe der „Kulturschaffenden für den Frieden“ zu einer weiteren Kundgebung aufgerufen. Der ehemalige Oberbürgermeister von Hannover Herbert Schmalstieg will dort reden. Auch sie stehen dafür, dass Newroz in Hannover stattfinden können muss und dass Newroz auch ihr Newroz ist“. Siehe den Aufruf nach Hannover am 17.3. und aktuelle Beiträge zu weiteren Solidaritätsaktionen sowie zu polizeistaatlichen Maßnahmen:
- Newroz-Feier in Hannover: Von der Polizei verboten – vom Gericht erlaubt
„Das Verbot des kurdischen Neujahrsfestes durch die Polizei Hannover ist nach Auffassung der 10. Kammer des Verwaltungsgerichts rechtswidrig. Damit wurde einem entsprechenden Eilantrag stattgegeben. Die zentrale Versammlung des kurdischen Neujahrsfestes Newroz wird am 17. März 2018 in Hannover stattfinden. (…) Die drei Initiativen haben beschlossen, ihre Versammlungen zusammenzulegen, um gemeinsam „Unser Newroz“ zu begehen. (…) Das Fest wird daher nicht, wie vorher bekannt gegeben, ohne Demonstration auf dem Expo-Plaza-Gelände stattfinden. Der Start für die Demonstration für Teilnehmer aus Nord- und Ostdeutschland wird die Fössestraße (Roter Demonstrationszug) sein. Für Teilnehmer aus West- und Süddeutschland beginnt die Demonstration auf dem Schützenplatz (Grüner Demonstrationszug). Ab 9.30 Uhr werden die Teilnehmer erwartet. Planmäßiger Beginn der Demonstrationszüge ist um 12.30 Uhr. Die Demonstration soll um 13.30 Uhr auf dem Opernplatz enden“ – aus der Meldung „Newroz: Demonstration und Fest in Hannover“ vom 16. März 2018 bei der ANF die folgendermaßen eingeleitet wird: „Morgen findet eine bundesweite Demonstration in Hannover statt. Die Verbotsverfügung war rechtswidrig. Zentrales Thema der Veranstaltung ist der Widerstand von Efrîn…“
- „Newroz ist auch unser Newroz“ – unter dem Motto rufen die Interventionistische Linke, Afrin-Solidaritätsplattform und Tobias Pflüger, MdB Partei Die LINKE, zur Newroz-Demonstration am Samstag, dem 17. März 2018, in Hannover auf, siehe den Aufruf bei der IL
- „Keine Pressefreiheit für Kurden: Türkische Zustände in Deutschland“ von Elke Dangeleit am 13. März 2018 bei telepolis , worin es zur Beschlagnahme von Büchern und CDs unter anderem abschließend heißt: „Das Ganze erinnert an einen Vorfall, der sich im Februar dieses Jahres in Diyarbakir ereignete. Dort wurde der Verlag ‘Aram’ im Stadtteil Huzurevleri durchsucht. Plakate mit Büchervorstellungen wurden von den Wänden gerissen, die Bücher aus den Regalen auf dem Fußboden verstreut, Festplatten von drei Computern beschlagnahmt. Zehn Säcke mit Büchern aus dem Lager wurden in ein gepanzertes Fahrzeug verladen. Wie beim Mezopotamien Verlag in Neuss wurden die Bücher Abdullah Öcalans und die dreiteilige Biographie von Sakine Cansız sowie die Schriften des ermordeten kurdischen Autors Musa Anter sowie von mehreren anderen Autoren beschlagnahmt. Ein solch massives Vorgehen gegen politisch nicht gewollte Buchverlage ist wohl einzigartig seit Bestehen der Bundesrepublik und wirft ein beschämendes Licht auf den Zustand unserer Demokratie. Wo bleibt der Aufschrei der Medien und Verlage in Deutschland?“
- „»Behörden haben den ganzen Verlag leergeräumt«“ am 14. März 2018 in der jungen welt ist ein Gespräch von Peter Schaber mit dem Übersetzer Reimar Heider über die Polizeistaats-Aktion gegen den Mezopotamien-Verlag, worin unter anderem festgehalten wird: „Großes Vorbild ist hier die Türkei. Kurdische Verlage haben sich im Exil in Europa angesiedelt – das geht ja auf die Verfolgungspolitik der Türkei Anfang der 1990er zurück. Es war eine Zeit, in der es völlig unmöglich war, dort irgend etwas auf Kurdisch herauszugeben. Kurdische Journalisten wurden damals nicht nur eingekerkert, sondern erschossen. Zu der Zeit verlagerte sich der Schwerpunkt kurdischer Publikationen ins Ausland. Und auch heute noch besteht die Notwendigkeit, Bücher und Musik im Exil herauszugeben. Die jetzige Praxis, legale Bücher in ihrer kompletten Auflage zu beschlagnahmen, ist total irre. Die Behörden haben ja den ganzen Verlag leergeräumt, das hat ja mehrere Tage gedauert. Es gab nie irgendwelche Strafverfahren wegen dieser Bücher. Insofern ist das nicht mehr als eine unglaubliche Schikane, die juristisch nicht zu rechtfertigen ist. Außerhalb der Türkei dürfte das einzigartig sein. Dazu kommt die Ironie des Vorgangs. Monatelang fährt die Bundesregierung Kampagnen wegen Verletzung des Rechts auf Meinungsfreiheit in der Türkei, wenn es um bestimmte Journalisten geht. Und dann werden hier in Deutschland Verlage der kurdischen Opposition gegen Erdogan derartig schikaniert“.
- „Solidaritätserklärung mit dem Mezopotamien Verlag“ am 12. März 2018 bei Civaka Azad ist die Dokumentation der Solidaritätserklärung von Verlagen und Buchhandlungen nach der Hausdurchsuchung beim Mezopotamien Verlag in Neuss. Darin heißt es unter anderem: „Wir erklären uns solidarisch mit den von der Durchsuchung betroffenen Kolleginnen und Kollegen. Der Mezopotamien Verlag veröffentlicht in verschiedenen Sprachen Romane wie Biographien von Menschen aus der kurdischen Bewegung, Bücher zur kurdischen Geschichte und zur Verbreitung der kurdischen Sprache und v.a. auch zahlreiche Schriften zu Idee und Praxis des demokratischen Konföderalismus. Viel hat zu dieser Idee der seit 19 Jahren inhaftierte PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan beigetragen, dessen Schriften ebenfalls im Verlag erscheinen. Der demokratische Konföderalismus ist ein basisdemokratisches Gesellschaftsmodell, das zur Zeit in Nordsyrien aufgebaut wird. Dieses Projekt basiert auf der gleichberechtigten gemeinsamen Selbstverwaltung aller dort lebenden religiösen und ethnischen Gruppen sowie der Durchsetzung der Geschlechtergerechtigkeit. Es kann nicht zuletzt Modell für einen demokratischen Aufbau im gesamten Mittleren Osten sein. Wir können nicht erkennen, was sich daran gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten soll! Die Durchsuchung reiht sich ein in die in letzter Zeit immer massiver werdenden Repressionen gegen Vertreter*innen der kurdischen Bewegung in Deutschland: Verbote von Fahnen und Symbolen kurdischer Organisationen, immer mehr Demonstrationsverbote, Razzien – Maßnahmen, die ganz offensichtlich im Zusammenhang mit der engen politischen Verbundenheit zwischen Deutschland und dem NATO-Partner Türkei stehen. Verstehen wir es richtig, dass nach Meinung der Bundesregierung Völkerverständigung so zu funktionieren hat, dass üble politische Deals getätigt und Waffen an einen Staat geliefert werden, der einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt wie die Türkei im nordsyrischen Afrin? Wir fordern die Rückgabe der beschlagnahmten Materialien, damit der Mezopotamien Verlag und der Musikvertrieb Mir Multimedia weiterarbeiten können. Wir fordern die demokratischen Grundrechte der Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit auch für die kurdischen Menschen in Deutschland ein. Und wir fordern den sofortigen Stopp von Waffenlieferungen und dass die Bundesregierung sich endlich für das sofortige Ende der Angriffe auf Afrin einsetzt“.
- „Kurdische Verbände kriminalisiert“ von Nick Brauns am 13. März 2018 in der jungen welt charakterisiert diese stetig ausgeweitete Polizeioffensive gegen demokratische Grundrechte und in Bezug auf direkte und offene Polizeiwillkür so: „Im Januar 2013 wurden die Mitbegründerin der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Sakine Cansiz und ihre Genossinnen Fidan Dogan und Leyla Saylemez von einem türkischen Geheimagenten in Paris ermordet. Das Verbrechen blieb bis heute ungesühnt, der Mörder Ömer G. verstarb in Untersuchungshaft kurz vor Prozessbeginn an einer Krankheit. Nun hat die Polizeidirektion Hannover es untersagt, Fahnen mit Bildern der drei Politikerinnen auf Demonstrationen zu zeigen. Zwar seien die lilafarbenen Fahnen mit den »PKK-Märtyrerinnen« im aktuellen Kennzeichenverbot des Bundesinnenministeriums vom 29. Januar noch nicht gelistet, heißt es in einem Auflagenbescheid für geplante Demonstrationen, der dieser Redaktion vorliegt. Die Abbildungen hätten jedoch »aufgrund ihrer Symbolhaftigkeit« einen eindeutigen Bezug zur verbotenen PKK. Dadurch würde der Versammlungscharakter der Kundgebung »Gegen die Militäroffensive in Syrien – Überall ist Afrin – Überall ist Widerstand« unzulässig verändert. In dem seit mehr als 50 Tagen von der türkischen Armee angegriffenen kurdisch verwalteten Kanton Afrin in Nordsyrien wird Cansiz von den Frauenverteidigungseinheiten YPJ als Leitfigur betrachtet. Ihr Bild wird oft gemeinsam mit dem Porträt der vor 99 Jahren von rechten Freikorps in Deutschland ermordeten Kommunistin Rosa Luxemburg gezeigt“. Der Autor informiert allerdings nicht darüber, ob der Polizeiprässident von Deutsch-Hannover auch ein Bilderverbot gegen diese bekannte jüdisch-polnische Terroristin erwägt (Immerhin: „Spartakus-Aufstand“ – „Aufstand“!)