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Die rechte Welle in Europa: Warum sie in Italien besonders (lebens)gefährlich ist

Antifa Mobilisierungsplakat 3.2.2018 in GenuaSie schießen (aus dem Auto heraus) auf Menschen, sie stechen auf sie ein, sie überfallen Vorträge über die Geschichte Italiens für Jugendliche: völlig unvollständige Bilanz der Aktivitäten faschistischer Gruppierungen im letzten Jahr bis Anfang Februar 2018 in Italien. Was geschieht zur selben Zeit: Nationalistischer Auftrieb für die anstehenden Wahlen – wer verspricht, binnen kürzester Frist möglichst viele MigrantInnen zu verjagen, hat alle Chancen diese zu gewinnen. Und noch? Die Stadt Turin macht Jagd auf Obdachlose. Die Polizei greift sie an: Die antifaschistischen Demonstrationen. Nicht, dass es vergleichbare Ereignisse nicht auch in anderen europäischen Ländern gäbe – nicht zuletzt in der BRD und in Spanien – aber in Italien eben sowohl konzentriert und aktuell im Vorfeld der Wahlen. Als auch in der Tradition des Wirkens faschistischer, faschistoider und rechtsradikaler Mobilisierung, von der MSI, als Mussolinis Erben, bis heute zur Lega Nord und, wieder einmal: Berlusconi, das Trump-Original, was die Verbindung von Nationalismus, Rassismus und Neoliberalismus angeht. Das ganze politische Szenario auch hier, mitgeprägt durch eine Gewerkschaftsbewegung, die, was die Mehrheitsgewerkschaften angeht, aufgrund ihrer Erstarrung in ihrer Politik der sozialen Ausgestaltung eines neoliberalen Europa in ihrer Mobilisierungsfähigkeit, vorsichtig gesagt, behindert ist. Siehe zur rechten Offensive unsere aktuelle Materialsammlung „Faschistische Angriffe in Italien werden normalisiert“:

„Faschistische Angriffe in Italien werden normalisiert“

„Angreifer feuert aus fahrendem Auto auf Menschen“ am 03. Februar 2018 bei Zeit Online externer Link ist eine Meldung über das Verbrechen in Macerata: „Mit Schüssen aus einem fahrenden Auto hat ein Mann im mittelitalienischen Macerata sechs Menschen verletzt. Eines der Opfer habe lebensgefährliche Verletzungen erlitten, sagte Bürgermeister Romano Carancini dem Sender Sky TG24. Nach Polizeiangaben handelt es sich um fünf Männer und eine Frau. Sie seien alle schwarz und stammten aus dem Ausland. Im Zentrum der 42.000-Einwohner-Stadt in der Region Marken nahm die Polizei später einen Verdächtigen fest. Die Beamten fanden bei ihm eine Pistole. Medienberichten zufolge handelt es sich um den 28 Jahre alten Luca T., der bei Gemeindewahlen 2017 als Kandidat der rassistischen Lega Nord angetreten war. Den Berichten zufolge hat T. die Tat gestanden. Nach den Schüssen machte er laut Augenzeugen einen faschistischen Gruß vor einem Kriegsdenkmal der Stadt und schrie „Viva Italia!“.

„Genova – città antifascista // Zur Messerattacke auf einen genuesischen Antifaschisten“ am 23. Januar 2018 bei Left Report externer Link berichtet: „Die Gruppe von ca. 30 Neonazis war mit Messern, Flaschen und Gürteln bewaffnet1. Bei dem Angriff erlitt einer der Antifaschisten eine schwere Stichwunde am Rücken, überlebte jedoch. Die Angreifer können dem neuen Casa Pound in Genua zugeordnet werden, welches erst im November letzten Jahres eröffnete. Casa Pound ist eine neonazistische HausbesetzerInnenbewegung und Partei, die sich einen sozialen Anstrich gibt, tatsächlich aber klar rassistische und faschistische Positionen vertritt und durch vermeintlich gemeinnützige Arbeit die italienische Bevölkerung für ihre Ziele gewinnen will. Die Bewegung, die sich auf den Mussolini-Anhänger Ezra Pound bezieht, eröffnete seit ihrer Gründung im Jahr 2003 in mehreren italienischen Städten eigene Zentren – so nun auch in Genua, einer Stadt, die zuvor eher von starken antifaschistischen Strukturen geprägt war und in der es wenig nennenswerte Naziaktivitäten gab. Die Nazis aus dem neuen Casa Pound versuchen inzwischen, ihre faschistische Ideologie an Genueser Schulen und in den Arbeiter*innenvierteln zu verbreiten und das nach eigenen Angaben durchaus erfolgreich“.

„Varese, blitz dei naziskin contro il partigiano Pippo: minacce e intimidazioni all’incontro con i ragazzi“ von Paolo Berrizzi am o7. Mai 2017 in Repubblica externer Link war ein Bericht über einen Überfall einer Nazibande auf einen Vortrag eines 93-jährigen Antifaschisten vor Pfadfindern. Thema: Widerstand im faschistischen Italien. Steht hier als ein Beispiel dafür, welches Ausmaß diese Angriffen heutzutage angenommen haben, und wie „normal“ sie geworden sind.

„“Eine elendige und irre Person““ am 03. Februar 2018 in Spiegel Online externer Link berichtet über die Reaktionen auf die Schüsse von Macerata, wobei die simplifizierende Überschrift ein Zitat des früheren Ministerpräsidenten Renzi ist: „Der Verdächtige sei im vergangenen Jahr bei Kommunalwahlen für die ausländerfeindliche Lega Nord angetreten, schrieb Renzi, rief aber gleichzeitig dazu auf, den Vorfall aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Der Mann habe auch einen Schuss auf den Sitz der sozialdemokratischen PD in Macerata abgegeben. Lega-Chef Matteo Salvini sagte, er hoffe, die Wahlen am 4. März zu gewinnen, um in Italien für Sicherheit zu sorgen. „Die moralische Verantwortung für jede Episode von Gewalt, die in Italien passiert, haben diejenigen, die [das Land] mit illegalen Einwanderern gefüllt haben“, wurde er außerdem von Ansa zitiert. Die Lega ist Teil der Mitte-Rechts-Allianz mit Berlusconis Forza Italia und den rechten Fratelli d’Italia, die laut Umfragen gerade die meisten Stimmen auf sich vereint. Macerata war erst vor wenigen Tagen von dem grausamen Mord an einer 18-Jährigen erschüttert worden. Die Leiche des Mädchens war zerstückelt in zwei Koffern gefunden worden. Verdächtigt wird ein Mann aus Nigeria, der mit Drogen gedealt haben soll. Er sitzt in Untersuchungshaft. Italienische Medien berichten über die Vermutung, der Vorfall am Samstag sei eine Reaktion auf den Mord gewesen“. Der Lega Chef argumentiert, wie überall: Zu jenen Zeiten als bundesdeutscher Rassismus und Nationalismus sich noch gegen italienische Migranten richtete, waren sie in den Phrasen seiner hiesigen Gesinnungsgenossen alle Mafiosi…

„Italian Right praises fascists and incites war to defend ‘white race’“ von  Andrea Colombo am 18. Januar 2018 bei Il Manifesto Global externer Link ist ein knapper Überblick über einige rechte Kandidaten bei den kommenden Regionalwahlen – Kandidaten, wohlgemerkt, die Chancen haben, zu gewinnen – einige von ihnen Bürgermeister größerer Städte Italiens. Die Autorin fasst die diversen Rassenkriegs-Aussprüche dieser Typen so zusammen, dass sich neben ihnen Marine Le Pen anhöre, wie ein Chormädchen, zumal, wenn die öffentlich bekennenden Mussolini-Fans aussichtsreiche Kandidaten sind. Sie rufen zum „Krieg zur Verteidigung der weißen Rasse“.

„Lega Nord besorgt um „weiße Rasse““ von Michael Braun am 19. Januar 2018 in der taz externer Link gibt einen Überblick über den rassistischen Wahlkampf der italienischen Rechten: „Weniger selbstverständlich allerdings ist, dass Silvio Berlusconi seine Verbündeten von der fremdenfeindlichen Lega Nord gleich rechts überholen wollte. Vor einigen Tagen tönte er im Fernsehen, die Unsicherheit habe zugenommen, „da die Kriminalität von 476.000 Immigranten hinzugekommen ist, die Verbrechen verüben müssen, um zu essen“. Das Indiz: Bei Wohnungseinbrüchen werde immer zuerst der Kühlschrank ausgeräumt. So präzise Berlusconis Auskunft klingt, hat er jedoch keinerlei Beleg für seine Zahl, ebenso wenig wie für die angeblich steigende Unsicherheit. Im Jahr 2017 gingen die Verbrechen in Italien deutlich zurück. Dennoch wollte die Lega Nord nicht hintanstehen. Aus ihren Reihen stammt der Spitzenkandidat der Rechts­allianz für die parallel zu den nationalen Wahlen am 4. März stattfindenden Regionalwahlen in der Lombardei, Attilio Fontana. Und der wusste seinerseits noch viel Schlimmeres zu vermelden als geplünderte Kühlschränke. „Wir können nicht alle Immigranten aufnehmen, die kommen, wir müssen entscheiden, ob unsere Ethnie, unsere weiße Rasse, unsere Gesellschaft fortbestehen oder ausradiert werden sollen“, gab Fontana zum Besten und forderte gleich noch, die Italiener müssten „rebellieren““.

„How the Italian media have helped CasaPound ‘glamourise’ fascism“ von Claudia Torrisi am 29.Januar 2018 im Open Democracy Net externer Link ist eine Kritik der Rolle der italienischen Großmedien bei der Popularisierung der faschistischen Casa Pound-Gruppen. Ausgehend von der Selbstdefinition der CasaPound Italia (CPI) als „Faschisten des 3. Jahrtausends“ zeichnet die Autorin konkret nach, wie diverse Mainstream-Medien Italiens den „Glamour“ dieser „neuen Bewegung“ verbreitet haben – bis hin zu Artikeln in Marie Claire darüber, was die Frauen von Casa Pound denn so anziehen…

„Huge #antifa demo in #Genova“ am 03. Februar 2018 beim Twitterkanal von Eatps externer Link ist eine ausführliche Videodokumentation über die antifaschistische  Demonstration in Genua vom Tage, die sich vor allem gegen die oben berichtete Messerattacke richtete, aber auch gegen den gesamten rechten Vormarsch in Italien Stellung bezog. Das in solchen Fällen übliche Polizeiaufgebot ist ebenfalls ausführlich im Film vertreten – ganz im Gegensatz zu ihrer Abwesenheit im folgenden Beitrag…

„Genova 3 febbraio. L’OpposizioneCgil al corteo antifascista“ am 03. Februar 2018 bei Il sindicato è un’altra cosa externer Link war der letzte Aufruf der Gewerkschaftsopposition in der CGIL zur Teilnahme an der Genueser antifaschistischen Demonstration. Darin wird auch die Haltung der Gewerkschaftsführung heftig kritisiert, die nach eingangs erfolgter Teilnahme an den Vorbereitungstreffen zu dieser Demonstration seit Mitte Januar 2018 „umdisponiert“ hatte und verkünden ließ, ihre Mitgliedschaft „könne“ durchaus an der Aktion teilnehmen…

„PER L’UNITA’ DI TUTTI I LAVORATORI, CONTRO OGNI RAZZISMO, SOLIDARIETA’ A NAZRUL!“ am 17. Dezember 2018 bei SI Cobas externer Link Rom war ein Solidaritätsaufruf der Basisgewerkschaft nach dem Überfall einer Bande von Jungnazis, die einen Arbeiter aus Bangladesch verfolgt und blutig geschlagen hatten. Da dies unmittelbar vor seiner Wohnung geschah, rief sein Bruder die Polizei – vergebens. Einmal ein weiteres Dokument darüber, wie alltäglich solche Angriffe geworden sind, wie die Faschisten versuchen, den Terror auf der Straße zum Normalzustand zu entwickeln, andererseits auch ein Dokument dazu, dass es die Basisgewerkschaften Italiens sind, die versuchen, dagegen zu mobilisieren.

„Macerata: Cgil, fatti sconcertanti alimentati da clima di odio e violenza“ am 03. Februar 2018 beim Gewerkschaftsbund CGIL externer Link ist eine knappe Presseerklärung des größten italienischen Gewerkschaftsbundes, worin sich dieser darauf beschränkt, angesichts der Schüsse von Macerata zu versichern, dass der angestachelte Rassenhass nicht das wirkliche Italien sei, dessen Werte in der Verfassung  festgehalten worden seien. Nicht Untätigkeit und Nachplappern der Sozialdemokratie sollen hier kritisiert werden, sondern einfach die Frage gestellt: Was, wenn doch?

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=127558
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