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[Buch] Wenn arme Leute sich nicht mehr fügen…! Bemerkungen über den Zusammenhang von Alltag und Protest
„Armut ist ein umstrittenes Thema in Deutschland. Während die einen (etwa der Paritätische Wohlfahrtsverband) in regelmäßigen Wiederholungen auf verschiedene, sich vergrößernde Armutsproblematiken (z.B. die Kinderarmut) hinweisen, leugnen die anderen, die Lebenssituation von Hartz-IV-BezieherInnen als arm zu beschreiben, denn schließlich verhindere der Bezug von Arbeitslosengeld II genau dieses Phänomen. Armut sei ein „Verliererthema“. Arme Leute sind gezwungen, ihren Protest und ihre Selbstbehauptung in anderer Form auszutragen, als die gängigen sozialen Bewegungen dies tun. Ihre Repräsentanz findet sich nicht in Parteien und Institutionen wieder, in sozialen Bewegungen finden ihre Ansprüche wenig Gehör. Der Autor beschreibt die Geschichte des Widerstands armer Leute von der Weimarer Republik, über die Hartz-IV-Proteste bis hin zum alltäglichen „stummen Protest“. Darüber hinaus werden einige wissenschaftliche Konzepte der Armutsforschung kritisch hinterfragt: „Wissenschaft trifft arme Leute“.“ Umschlagtext zum Buch von Harald Rein (ISBN 978-3-945959-25-1 / 2017 / 184 Seiten / 14,80 Euro) bei AG Spak. Siehe weitere Infos und Kapitel 5 „Widerstand von armen Leuten“ als Leseprobe und nun auch eine Rezension:
- Kapitel 5: Widerstand von armen Leuten
„… Dauerhafte materielle Einschnitte im Leben Einzelner können, bei einer gemeinsam empfundenen Ungerechtigkeit (z.B. das Vorenthalten von Leistungsauszahlungen) zu kollektivem, kurzfristigem Aufbegehren führen. Gleichzeitig kann die Befreiung von regelmäßiger Lohnarbeit zu einem Bewusstsein oder zu Ideen führen, in denen eine Gesellschaftsform präferiert wird, die gänzlich auf Lohnarbeit verzichtet. (…) Im Weiteren möchte ich einen Einblick in die Widerstandsgeschichte von armen Leuten, am Beispiel von Erwerbslosen geben. In einem ersten Teil setzte ich mich noch einmal mit verschiedenen Einschätzungen aus Wissenschaftskreisen auseinander, was unter Widerstand zu verstehen und wann mit diesem zu rechnen ist. In einem zweiten Teil gebe ich einen historischen Überblick wie Erwerbslose ihre Situation selbst in die Hand genommen und wie ihre Aktivitäten ausgesehen haben. Dabei konnten in unterschiedlichen Zeitepochen ähnliche Erfahrungs- und Handlungsstränge gefunden werden. Abschließend gehe ich auf die aktuelle Situation von Erwerbslosen ein und werde unter der Begrifflichkeit „stummer Protest“ zu verdeutlichen versuchen, dass Widerstand sich nicht nur kollektiv zeigt, sondern Widerstand zur Verbesserung der materiellen Situation individuell gewitzt auftreten kann. Dass diese unterschiedlichen Formen nicht immer konform zueinander laufen, es aber dennoch immer wieder Überschneidungen gibt, ist ein wichtiges Ergebnis dieser Untersuchung. (…) Durch solcherart differenziellen Einschüchterungen und kaum entwickeltem Solidaritätswillen bleibt es oft beim individuellen Widersetzen, von einem „Vorrücken“ der Armutsbevölkerung auf die reichen Metropolenzentren kann keine Rede sein. Dennoch wird der Widerstandswille dort gefördert, wo institutionelle Demütigungen zunehmen, berufliche Perspektivlosigkeit offensichtlich wird und Armut allgegenwärtig ist. Trotz ungleicher Bedingungen kristallisieren sich in Zusammenhang mit der Entstehung und Entwicklung verschiedener Initiativen von Armen in unterschiedlichen Ländern drei zentrale Gemeinsamkeiten des stillen oder lauten Aufstandes heraus: der Willen nach einem selbstbestimmten Leben, die Forderung nach Gerechtigkeit und die Einhaltung der Würde.“ Kapitel 5 als Leseprobe im LabourNet Germany, wir danken Autor und Verlag!
- [Rezension] Erwerbslose können kämpfen
„Wenn von »armen Leuten« die Rede ist, schwingt schnell ein Klang von Bedauern und Mitleid in den Worten mit. Doch wenn der Sozialwissenschaftler und Erwerbslosenaktivist Harald Rein seinem neuesten Buch den Titel »Wenn arme Leute sich nicht mehr fügen« gibt, knüpft er damit an die Debatte über eine selbstbewusste politische Bewegung an. Er meint Aktivisten, die weitgehend außerhalb der Lohnarbeitsprozesse stehen. In einem zentralen Kapitel setzt sich Rein kritisch mit der – auch von manchen von linken – Wissenschaftlern vertretenen Meinung auseinander, dass arme Leute nicht in der Lage wären, sich politisch zu artikulieren. Der Autor beschäftigt sich speziell mit der »Marienthal-Studie« von Anfang der 1930er Jahre, auf die sich viele dieser Intellektuellen in ihrer Argumentation berufen. Marienthal war ein österreichisches Dorf, in dem nach der Schließung einer großen Textilfabrik ein Großteil der Bewohner erwerbslos wurde. Der Jobverlust führte laut der Studie bei einem Großteil der Bewohner zu Resignation und Apathie. Ein Ergebnis, das Rein auch nicht bestreitet. Er kritisiert allerdings, dass die Befunde unzulässig verallgemeinert worden seien. Vor allen in Großstädten und bei jüngeren Menschen hätte Erwerbslosigkeit laut dem Sozialwissenschaftler auch zu Lebensperspektiven jenseits der Lohnarbeit geführt. Kenntnisreich beschreibt Rein etwa, wie sich Erwerbslose nach der Novemberrevolution von 1918 in eigenen Räten organisiert und von den Gewerkschaften selbstbewusst Unterstützung eingefordert hatten…“ Rezension von Peter Nowak bei neues Deutschland vom 29. November 2017