Wurzen als Modell? Keine Rechtsradikalen mehr, nur normale – Rassisten. Unter SEK-Schutz gegen Antifa-Demo

Dossier

2.9.2017 SEK in Wurzen gegen AntifademoEine eher kleine Demonstration war am Samstag in Wurzen angekündigt: Antifa. Dafür ein riesiges Polizeiaufgebot – in der BRD nach Hamburg ist die Welt wieder in (rechter) Ordnung. Den Innenminister wird dieser sein politischer Erfolg freuen, viele Wurzener  BürgerInnen freute die Demonstration gar nicht. Weil – und das wird selbst in der Berichterstattung des MDR deutlich – es in Wurzen keine Rechten gibt (oder wenigstens: Viel weniger, als früher da waren). Es gibt halt nur normale Bürger. Und Bürgerinnen. Von denen offensichtlich nicht wenige meinen, „Ausländer“ gehören nicht hierher. Was vermutlich heutzutage in der BRD auch offiziell nicht mehr als rechts gilt – sondern als normal. Und die Leute haben Angst – nicht zuletzt um (und nicht etwa: vor) ihre Autos, das weiß man ja dank Behörden und Medien und deswegen auch ein SEK mit MPs. Abseits von Fragen wie der, ob es sinnvoll ist, „von Außen“ eine solche Demo zu machen, und erst recht der – wichtigeren– Frage, ob es vielleicht auch eine lokale Antifa gibt und wenn Nein, warum nicht, ist das ganze „Ereignis“ ein Schlaglicht auf die Zustände in der BRD 2017. Die etwa heißen: Herr de Mazière ist ein Demokrat, verstanden? Die Maschinenpistolen des SEK sowieso. „Ausländer raus!“ – offensichtlich auch (und die Kanzlerkandidaten überschlagen sich darin, wer effizienter abschieben kann). Siehe in unserer kleinen Materialsammlung vier aktuelle Beiträge, einen immer noch aktuellen Beitrag vom Juni und eine Presseerklärung der DemonstrantInnen:

  • „Wir halten für Sachsen den Kopf hin“ von Lars Tuncay am 01. September 2017 bei MDR Aktuell externer Link ist ein Beitrag, der die Stimmung in der Stadt Wurzen – unter vielen Beteuerungen, die Lage habe sich gebessert – unter anderem so zum Ausdruck bringt: „Eine Gruppe älterer Wurzener ist sichtlich verärgert über die angekündigte Demonstration. „Wir wollen diese linken Säcke hier nicht haben! Wir sind keine Rechten. Wir sind ganz normale Einwohner hier. Warum so eine Demo? Das sind Krawallmacher, sonst nichts. Ich sehe hier keine Rechten, wenn ich abends nach 22 Uhr durch die Straßen gehe. Den schlechten Ruf wird man nicht mehr los, dabei haben wir in Wurzen soviel dafür getan.“ (…) Die Stadt gibt sich Mühe, sich als tolerant und weltoffen zu geben. Und doch ist da der ältere Herr mit dem Bier in der Hand, der unter dem Schirm einer Gaststätte am Markt Schutz vor dem Regen sucht. Als ein junger Mann mit dunklem Teint durch den Regen in Richtung Wirtschaft rennt, ruft er ihm ganz selbstverständlich ein „Ihr Südländer gehört ja auch nicht hierher!“ entgegen“.
  • „Angst und Schrecken in Wurzen“ von René Loch am 31. August 2017 in der jungle world externer Link, wo zu den Hintergründen von Demonstration und Reaktion unter anderem ausgeführt wird: „Die Kampagne hat schon mehrere Orte in Sachsen besucht und keinen davon in Schutt und Asche gelegt. Gleichwohl sehen viele Bürger und Bürgerinnen in Wurzen nun den vermeintlichen Ruf ihrer Stadt als weltoffen in Gefahr und fürchten ähnliche Krawalle wie während des G20-Gipfels in Hamburg. Ein Indiz für bevorstehende Ausschreitungen soll der Anmelder sein: Andreas Blechschmidt. Die Leipziger Volkszeitung beschreibt den Sprecher der »Roten Flora« als »Kopf« beziehungsweise »Vorkämpfer« der autonomen Szene in Hamburg, der – so die Vermutung des Boulevardportals Tag 24 – die »berüchtigte Antifa-Szene der Hansestadt« mitbringen wird. Betont wird vor allem, dass Blechschmidt auch die »Welcome to Hell«-Demonstration in Hamburg angemeldet hat – die jedoch von der Polizei zerschlagen wurde. Die Kampagne bezeichnet Wurzen in ihrem Aufruf als »Schwerpunkt neonazistischer Gewalt und Strukturen in der Region Leipzig« und verweist auf Verbindungen zu Legida, dem rechtsextremen Angriff in Leipzig-Connewitz im Januar 2016 und auf »neonazistische Vertriebsstrukturen«. Zudem beklagt sie, rechtsextreme Angriffe würden in der Stadt verharmlost und nicht entschieden genug bekämpft würden. Das sorgt in Wurzen für Unmut. Politiker und Wirtschaftsinitiativen behaupten, dass sich die Einwohner mit internationalen Fußballturnieren, Fotoausstellungen, Stolpersteinen und Hilfsangeboten für Flüchtlinge vielfältig engagierten. Die geplante Demonstration empfinden viele als Bedrohung und Einmischung. Gleichsetzungen wie »Neonazis gibt es genauso wie einzelne Flüchtlinge, die sich danebenbenehmen« oder »gegen rechten wie linken Krawalltourismus« finden sich in den Wortmeldungen Wurzener Bürger zuhauf“.
  • „SEK-Einsatz bei antifaschistischer Demo in Sachsen“ am 03. September 2017 bei Perspektive Online externer Link ist ein Kurzbericht über den schwerbewaffneten Polizeiaufmarsch in Wurzen, der unter anderem hervor hebt: „Das linke Bündnis „Irgendwo in Deutschland“ rief gestern, am 02.09., zu einer Demonstration in Wurzen (Nähe Leipzig) auf. Unter dem Motto „Das Land – rassistisch, der Frieden – völkisch, unser Bruch – unversöhnlich“ nahmen rund 500 DemonstrantInnen an dem Protestmarsch gegen faschistische Strukturen teil. Neben Gegenprotesten rechter Demonstrierender wurde der Zug auch von massivem Polizeiaufgebot begleitet – darunter auch ein Sondereinsatzkommando (SEK) mit Hubschrauber“.
  • „Hunderte protestieren gegen Nazis“ am 04. September 2017 in neues deutschland externer Link ist ein detaillierter Bericht über die Demonstration, in dem unter anderem darüber informiert wird: „Laut Polizei kam es im Umfeld auch zu mehreren gegen die Demonstration gerichteten rechtsextremen Straftaten, darunter zu einer gefährlichen Körperverletzung durch einen 46-jährigen Neonazi. Ermittelt werde außerdem wegen verfassungswidriger Kennzeichen. Vor der Demonstration hatten Unbekannte an einer Eisenbahnbrücke in Wurzen eine Strohpuppe aufgehängt, die ein durchgestrichenes Antifa-Symbol auf der Brust trug. »Die Puppe wurde beseitigt«, hieß es dazu bei der Polizei weiter. Das Bündnis »Irgendwo in Deutschland« kritisierte, die von Rechtsextremen Angegriffenen hätten sich selbst verteidigen müssen. Täter seien lediglich ermahnt worden und die Beamten hätten sich »bei den vielen bei Hitler- und Kühnengrüßen für nicht zuständig« erklärt. »Hier waren die Wurzener Zustände für alle sichtbar«, sagte Bündnissprecherin Sandra Merth. Die Polizei bezeichnete die Proteste gegen Rechtsextremismus im Anschluss als eine »friedliche Demonstration in Wurzen mit keinerlei gewalttätigen Auseinandersetzungen«. Straftaten wurden demnach aus der Demonstration heraus oder von Teilnehmern nicht begangen. Im Vorfeld hatten Geschäftsleute und Anwohner der Demonstrationsroute Medienberichten zufolge zum Teil ihre Häuser verbarrikadiert und Schutzwände vor Fenster geschraubt, um sich vor möglichen Gewalttaten zu schützen“.
  • „Ausschreitungen vor Flüchtlingsunterkunft in Wurzen“ am 14. Juni 2017 beim MDR Sachsen externer Link berichtete aus dem Wurzener Alltag: „Polizeisprecher Voigt zufolge hätte es ohne den Polizeieinsatz zu gewalttätigen Übergriffen kommen können: „Die wollten ran an die Leute. Die wussten, wo das Objekt ist. Diese Gruppe war stark alkoholisiert und sehr aggressiv.“ Die Bilanz des Abends: Zwei Demonstranten wurden vorübergehend in Gewahrsam genommen, gegen mehrere Teilnehmer wurde Anzeige erstattet. Seit dem Zwischenfall muss Wurzen sich wieder die Frage gefallen lassen, wie fremdenfeindlich die Bewohner der Stadt sind. Schließlich ist es nicht der erste Vorfall dieser Art: Erst im Januar war eine Flüchtlings-WG angegriffen worden und im Dezember 2015 hatte es eine Attacke auf Flüchtlingskinder gegeben“.
  • „500 Antifaschist*innen stören den rassistischen Normalzustand in Wurzen“ am 02. September 2017 bei irgendwoindeutschland externer Link ist die Pressemitteilung des Demonstrations-Bündnisses im Anschluss an die Aktion, in der hervor gehoben wird: „Konfrontiert wurde die Demonstration zunächst mit einem martialischen Polizeiaufgebot von mehreren Hundertschaften, fünf Wasserwerfern und dem SEK. Medial wurde die Stimmung schon Wochen vor der Demonstration angeheizt: Es war stets die Rede von einem “zweiten Hamburg” oder einem “zweiten G20”. “Dies machte es sehr schwer, unsere Inhalte gerade an die Wurzener*innen zu vermitteln. Stattdessen schürte das massive Polizei-Aufgebot und das Medienecho zuvor ein Szenario der Angst”, so die Sprecherin weiter. Die Demonstration lief entschlossen aber friedlich an verbarrikadierten Läden und unzähligen Kameras von Außenstehenden vorbei. Sie machte mit Transparenten und zahlreichen Redebeiträgen dennoch auf den rassistischen Alltag und die Mobstimmung in Wurzen aufmerksam. Diese war durch die vielen hitlergrüßenden und vermummten Neonazis am Rande der Demonstration an diesem Tag auch mehr als sichtbar“.  Die Sprecherin der Demonstration wird darin aber immerhin auch mit der Aussage zitiert: „Wir waren sehr erfreut, dass trotz der vorherigen Angstmache auch engagierte Wurzner*innen den Weg auf unsere Demonstration gefunden haben, und hoffen, dass die Demonstration weitere Wurzener*innen für unsere Inhalte sensibilisiert wurden und sich den rassistischen Zuständen in Zukunft entgegenstellen werden”.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=120960
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