»Sonderprivatrecht?« Patrick Fütterer über Betriebsrätemobbing, Union Busting und einem Rollback bei den Arbeitsgerichten
Artikel von Patrick Fütterer [*], Fachanwalt für Arbeitsrecht, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 11/2016
Die Berichterstattung von NGOs und Gewerkschaften über Betriebsrätemobbing und Union Busting vor den Arbeitsgerichten ist häufig einseitig geprägt. Es dominiert die Erzählung von den UnrechtsanwältInnen, die ein Kündigungsverfahren nach dem anderen einleiten, um Druck auf die Betroffenen auszuüben; dabei aber ein Verfahren nach dem anderen verlieren. Es entsteht der Eindruck, dass Betriebsrätemobbing und Union Busting zwar zum Himmel schreiendes Unrecht sind, das für die Betroffenen psychisch wie physisch stark belastend ist, sich aber vor Gericht die Gerechtigkeit immer durchsetzen wird. Vor dem Hintergrund dieser auf Skandalisierung setzenden Berichterstattung und entsprechender Begleitkampagnen, die oft auf eine juristische Klärung orientieren, werden im Folgenden Erfahrungen mit den Arbeitsgerichten in Fällen von BR-Mobbing und Union Busting dargestellt und strukturelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung von Beschäftigteninteressen aufgezeigt. Diese reichen von einem nicht hinreichenden oder zu spät einsetzenden Rechtsschutz bis hin zu kaum noch verborgener Unterstützung einzelner ArbeitsrichterInnen für Union Buster und Mobber.
Betrachtet man die Gesetzeslage, scheint zum Thema Betriebsrätemobbing und Union Busting eigentlich alles klar zu sein: Die Behinderung der Betriebsratsarbeit ist gemäß § 78 BetrVG zu unterlassen und gemäß § 119 BetrVG sogar strafbar. Mobbing ist eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der betroffenen Betriebsratsmitglieder und zieht Schadensersatzansprüche nach sich. In der Praxis ist die Entscheidung, ob bestimmte Verhaltensweisen eine Behinderung der Betriebsratsarbeit oder gar Mobbing darstellen, hingegen häufig alles andere als eindeutig.
Um dies zu verstehen, ist es hilfreich, sich einmal die Mobbingdefinition der Rechtsprechung näher anzuschauen. Das Bundesarbeitsgericht definiert seit seiner Entscheidung vom 15. Januar 1997 (Az.: 7 ABR 14/96) Mobbing wie folgt: »Mobbing ist das systematische Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte.«
Voraussetzung für das Vorliegen von Mobbing ist eine klare Täter-Opfer-Konstellation und eine Intensität, die über »normale« Konflikte am Arbeitsplatz hinausreicht. Die Unschärfe der Mobbing-Definition eröffnet zwangsläufig einen großen Spielraum für subjektive Wertungen der Gerichte, ob eine klare Täter-Opfer-Konstellation und ob ein »normaler« Konflikt am Arbeitsplatz vorliegt. Hinzu kommt, dass die Gerichte eine Beweiserleichterung bei Mobbing nicht anerkennen. Eine typische Beweiserleichterung ist das Fehlen einer geschlechtsneutralen Stellenausschreibung, die gemäß § 22 AGG dazu führt, dass das ausschreibende Unternehmen nachweisen muss, dass das Geschlecht bei der Auswahl keine Rolle gespielt hat. In der Praxis gelingt der Nachweis von Mobbing daher nur selten.
Beschäftigt man sich zudem speziell mit dem Mobbing von Betriebsräten, stellt man fest, dass diese Mobbing-Definition hierauf nur bedingt passt. So sah die ursprüngliche Diskussion Mobbing vor allem als Ergebnis eines gestörten Miteinanders der ArbeitnehmerInnen im Betrieb an, an dem auch der Arbeitgeber kein Interesse haben kann. In diesem Verständnis ist Mobbing keine Personalmanagementstrategie gegen unbequeme ArbeitnehmerInnen aller Art, insbesondere Betriebsratsmitglieder.
Betriebsratsmitglieder haben im Vergleich zu »normalen« ArbeitnehmerInnen besondere Schutzrechte und Betriebsratsgremien haben besondere Handlungsinstrumente gegenüber dem Arbeitgeber. Auch stehen Betriebsratsmitglieder als InteressenvertreterInnen qua Amt in einem besonderen Konfliktverhältnis mit dem Arbeitgeber. Dies erschwert es den Arbeitsgerichten zusätzlich einzuschätzen, ob es sich hierbei um einen »normalen« Konflikt handelt oder ob der Arbeitgeber Grenzen überschreitet. Wie das Arbeitsgericht das Amt des Betriebsrates bewertet, ist daher von großer Bedeutung für seine Beurteilung der Schutzbedürftigkeit des Betriebsrats und seiner Arbeit.
Sieht ein Gericht den Betriebsrat vor allem als ein Gremium, in das sich die »Low Performer« wählen lassen, die beruflich nicht mehr weiterkommen und sich nur noch auf dem Sonderkündigungsschutz ausruhen wollen, wird es wenig Verständnis dafür aufbringen, dass ein solches Gremium den Arbeitgeber auch noch verklagt und von den Arbeitsgerichten Schutz möchte. Auch wenn die Arbeit von Betriebsräten von den meisten ArbeitsrichterInnen durchaus auch als im Interesse des Arbeitgebers liegend anerkannt wird, birgt diese wohl auch dem Leitbild der Arbeitsgerichtsbarkeit entsprechende sozialpartnerschaftliche Sichtweise auf Betriebsräte ihre Tücken. So wird, ähnlich wie verbreitet auch in Gewerkschaftskreisen, Betriebsratsmobbing als betriebswirtschaftlich irrational angesehen. Dabei wird jedoch grundsätzlich der Arbeitgeberseite unterstellt, dass sie über die größere wirtschaftliche Vernunft verfügt als die Betriebsratsseite. Dadurch ist diese Sichtweise anfällig für Betriebsratsmobbing-Strategien, die auf persönliche Defizite und/oder die Unerfahrenheit von Betriebsratsmitgliedern abzielen. Denn auch die Union Busting-BeraterInnen sind sich dieser richterlichen Vorurteile bewusst und benutzen diese gezielt in juristischen Auseinandersetzungen gegen einzelne BR-Mitglieder sowie ganze Betriebsratsgremien.
Auch in den herrschenden arbeitsrechtlichen Fachdiskursen kommt das Thema Betriebsratsmobbing und Union Busting nicht vor. In den Fachzeitschriften und auf den einschlägigen Arbeitstagungen wird sowohl von Arbeitgeber- als auch ArbeitnehmervertreterInnen vornehmlich die Reichweite der Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten diskutiert.
Die Betriebsratsarbeit selbst fand in den herrschenden arbeitsrechtlichen Fachdiskursen der jüngeren Vergangenheit nur in Bezug auf Betriebsräte in Großkonzernen (VW, Siemens, Opel, etc.) und nur in Bezug auf ihre Vergütung statt. Die Diskussion war dabei vor allem durch die skandalträchtigen Betriebsratsbegünstigungen und ihre Sanktionierung und nicht durch die eigentlich erheblich praxisrelevantere Frage der Benachteiligung der beruflichen Entwicklung wegen der Betriebsratsarbeit geprägt (vgl. etwa Rieble, in: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2008, S. 276 ff.). Zum Thema der Behinderung der Betriebsratsarbeit scheint in den §§ 78 und 119 BetrVG zumindest aus Sicht der breiten Fachöffentlichkeit alles geregelt und gesagt zu sein.
Wie weit ein fehlgeleitetes richterliches Vorverständnis führen kann, soll an zwei Entscheidungen des Arbeitsgerichts Köln und des Arbeitsgericht Darmstadt verdeutlicht werden.
»Die von der Klägerin geschilderte Historie ihres Arbeitsverhältnisses […] zeigt das übliche Bild einer unbeliebten, von Vorgesetzten, beteiligten Ärzten und Kollegen als wenig leistungsfähig und daher ihre jeweilige Selbstverwirklichung störend angesehenen Mitarbeiterin und Kollegin, die erheblicher Kritik ausgesetzt ist und sich ihrerseits zu Abwehr- und Selbstbehauptungsaktionen veranlasst sieht, die ihre allgemeine Unbeliebtheit weiter verstärken. […] Das Zurückweisen einer bei den Kolleginnen unbeliebten Mitarbeiterin, welche die anderen als wenig leistungsfähig ansehen und sich daher in ihrer eigenen Arbeit beeinträchtigt fühlen bzw. den Eindruck haben, Defizite durch eigene Mehrleistungen ausgleichen zu müssen, entspricht der Lebenswirklichkeit im Arbeitsleben. Auch die Ausgrenzung einer solchen Kollegin ist sozial adäquat, ebenso der Versuch, deren Herausnahme aus der eigenen Arbeitsgruppe zu erreichen. Mit solchen Verhaltensweisen muß jeder Arbeitnehmer oder jeder andere, in welchem Rechtsstatus auch immer mit Menschen zusammenarbeitende Bedienstete rechnen.« (ArbG Köln vom 9. Juli 2002 – 8 Ca 3274/02)
Mobbing wird hier als sozial adäquate Reaktion auf »Low Performer« dargestellt. Mobbingopfer sind selbst an ihrer Situation Schuld und verschärfen sie durch querulatorisches Verhalten noch weiter.
»Was dem Beteiligten zu 3.) als Arbeitnehmer ohne weiteres möglich ist, nämlich Verhandlungen über die Gehaltshöhe zu führen, kann betriebsverfassungsrechtlich eine Pflichtverletzung darstellen. […] Nachdem aber Gerüchte über seine Forderungen im Betrieb aufgekommen waren und für eine entsprechende Unruhe gesorgt hatten, wäre der Beteiligte zu 3.) zur unverzüglichen Aufklärung darüber verpflichtet gewesen, welche Ansprüche er geltend gemacht hatte und aus welchem Rechtsgrund er sich hierfür auch für berechtigt gehalten hat. Mitglieder des Betriebsrats und insbesondere der Vorsitzende des Gremiums sind verpflichtet, auch nur den Anschein einer ungerechtfertigten Begünstigung oder eines entsprechenden Versuchs zu vermeiden.« (ArbG Darmstadt vom 2. April 2013 – 9 BV 22/12)
Nachdem ArbeitgebervertreterInnen entsprechende Gerüchte über eine Betriebsratsbegünstigung verbreitet hatten, gewährt das Arbeitsgericht dem Betriebsrat nicht etwa Schutz hiergegen, sondern hebt die Unschuldsvermutung für Betriebsratsmitglieder einfach auf.
Diese Entscheidungen stellen sicherlich Extrembeispiele dar. Das Positive an diesen Entscheidungen ist, dass sie ziemlich unverblümt das richterliche Vorverständnis offen legen. Eine vergleichbare Offenheit wird man in Entscheidungen der höheren Instanzen schon aufgrund der größeren Aufmerksamkeit, die Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte und vor allem des Bundesarbeitsgerichts genießen, nicht finden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass es derartige Sichtweisen in den höheren Instanzen nicht auch gibt. Ohne Mobbing wie das Arbeitsgericht Köln als sozialadäquat bezeichnen zu müssen, kann Mobbing mit Hilfe der weiten Definition des Bundesarbeitsgerichts ohne Weiteres zu einem normalen Arbeitsplatzkonflikt verharmlost werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Strukturen der Arbeitsgerichtsbarkeit fehlerhafte vorurteilsgeleitete Entscheidungen begünstigen. So sind die Kapazitäten der Arbeitsgerichte auf hohe Fallzahlen bei einer hohen, nur durch eine große Anzahl von Vergleichen erreichbaren Erledigungsquote ausgelegt (ein typischer Vergleich ist z.B., dass sich die Parteien ohne gerichtliche Entscheidung im Rahmen einer Kündigungsschutzklage darauf verständigen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet wird und der Arbeitgeber dafür eine Abfindung zahlt). Zusätzlich leiden auch die Arbeitsgerichte wie die übrige Justiz an den Sparprogrammen und dem Personalabbau im öffentlichen Dienst. Verfahren aus dem Betriebsverfassungsrecht machen zudem nur einen sehr geringen Teil der arbeitsgerichtlichen Verfahren aus. Das arbeitsgerichtliche Revisionsrecht (dritte Instanz vor dem Bundesarbeitsgericht) ist schließlich im Vergleich etwa zur allgemeinen Zivilgerichtsbarkeit äußerst restriktiv und erlaubt bei Nichtzulassung der Revision durch die Landesarbeitsgerichte nur eine sehr eingeschränkte Überprüfung fehlerhafter Entscheidungen.
Erweitert man schließlich den Blickwinkel, so muss man feststellen, dass der Umgang der Arbeitsgerichtsbarkeit mit dem Thema Betriebsrätemobbing und Union Busting Ausdruck einer Veränderung der Verhältnisse im Arbeitsrecht und in der Gesellschaft sind. Anders als in den 1970er Jahren bewegen sich Betriebsräte und Gewerkschaften nicht mehr in einer Zeit des gesellschaftlichen Aufbruchs, in der unter der Brandtschen Formel »Mehr Demokratie wagen« die Demokratisierung der Gesellschaft, insbesondere der Betriebe eingefordert wurde. Dass dieser Aufbruch, wenn man sich beispielsweise die Berufsverbotspolitik der Regierung Brandt betrachtet, höchst widersprüchlich war, ändert nichts daran, dass er die Gesellschaft und auch die Justiz geprägt hat. Die heutigen gesellschaftlichen Maximen wird man vielmehr mit den Merkelschen Worten der »marktkonformen Demokratie« beschreiben können. Das Standort- und Flexibilitätsdenken findet sich nicht nur in den Köpfen der Beschäftigten, sondern auch in denen vieler ArbeitsrichterInnen. Entsprechend hat es auch ein Betriebsrat, der auf die Einhaltung seiner Mitbestimmungsrechte beispielsweise bei den Arbeitszeiten besteht, vor Gericht schwerer, wenn der Arbeitgeber die Litanei des Kostendrucks und der notwendigen Flexibilität anstimmt. Dies kann dann so weit gehen, dass ein Arbeitgeber, der sich mit Union Busting– und Mobbing-Methoden Betriebsratsmitgliedern, die es mit den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats allzu genau nehmen, entledigen will, auch bei den Arbeitsgerichten auf Verständnis trifft. Entsprechend wandelt sich ausgehend von den Universitäten auch das Verständnis des Arbeitsrechts von einem Rechtsgebiet, dessen Gegenstand durch ein besonderes wirtschaftliches und persönliches Abhängigkeitsverhältnis geprägt ist, hin zu einem bloßen Sonderprivatrecht. Dabei wird zwar grundsätzlich noch anerkannt, dass es sich beim Arbeitsrecht um eine Spezialmaterie handelt. Das Spezielle wird aber in den vom allgemeinen Zivilrecht abweichenden gesetzlichen Regelung gesehen und nicht in den wirtschaftlichen und sozialen Besonderheiten des Regelungsgegenstandes der abhängigen Arbeit selbst. Hierdurch verliert das Arbeitsrecht als soziales Menschenrecht im Betrieb weiter an Bedeutung und degeneriert in der Praxis weiter zu einer Art »soft law«, über das nur noch im Fall der Kündigung, also nachdem das Arbeitsverhältnis bereits beendet worden ist, vor Gericht gestritten wird.
Um den Umgang der Arbeitsgerichte mit Betriebsrätemobbing und Union Busting zu verändern, ist es zunächst einmal wichtig, diesen illusionslos zur Kenntnis zu nehmen und im Rahmen der politischen Strategien zur Abwehr von Betriebsrätemobbing und Union Busting einzukalkulieren. Richtig ist es sicher, die gesellschaftliche Diskussion über Betriebsrätemobbing und Union Busting weiter vor-anzutreiben und insbesondere die arbeitsrechtliche Fachdiskussion hierüber von ArbeitnehmerInnen- und Gewerkschaftsseite überhaupt erst zu eröffnen. Darüber hinaus muss man aber auch den Zustand der Arbeitsgerichtsbarkeit als Teil des neoliberalen »Roll back« begreifen, den es ebenso zu kritisieren gilt wie die Hartz-Reformen, die Agenda 2010 und die Rente mit 67. Gleichzeitig gilt es, das Arbeitsrecht und die Arbeitsgerichtsbarkeit ebenso wie die Arbeitslosen-, Renten- oder Krankenversicherung als dem Kapitalismus abgetrotzte soziale Errungenschaften gegen den Rechtsnihilismus der Arbeitgeberseite zu verteidigen.
* Dr. Patrick Fütterer ist Fachanwalt für Arbeitsrecht in Frankfurt am Main.