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Bangladesch

Terror in Bangladesch – nicht nur am Arbeitsplatz für Markentextilien

Protest gegen dieserienweisen islamistischen Morde an Bloggern in BangladeschDie internationalen Dschihadistennetzwerke „Islamischer Staat“ und Al Qaida befinden sich nicht überall auf dem Rückzug. Während sie in ihren bisherigen Bastionen in Syrien, Irak, Libyen und Jemen an Boden verlieren, fassen sie im Süden Asiens Fuß. Mit  dem Massaker eines IS-Kommandos im Nobelrestaurant „Holey Artisan Bakery“ der Hauptstadt Dhaka mit 20 toten Managern westlicher Bekleidungsfirmen Anfang Juli ist das ehemalige Ost-Pakistan unbestreitbar zu einem der neuen Brennpunkte geworden. Bereits in den Monaten zuvor waren immer wieder Ausländer, kritische Blogger und Mitglieder religiöser wie sexueller Minderheiten durch islamistische Attentäter getötet worden“ – so beginnt der Artikel „Heilsversprechen im Armenhaus“ von Raoul Rigault vom 18. August 2016 (ursprünglich in gekürzter Fassung in der jungen Welt unter dem Titel „Geschäftsschädigender Terror“ – wir danken dem Autor). Zu den politischen Bedingungen der textilen Terrorbuden heißt es in dem Artikel noch: „Daran wird sich unter der herrschenden Politik auch nichts ändern, denn jeder Zehnte der 300 Abgeordneten ist ganz offiziell Besitzer eines Textilunternehmens. Real sind es wesentlich mehr, weil etliche „Volksvertreter“ ihre Geschäfte über Strohmänner laufen lassen…

Heilsversprechen im Armenhaus

Die westliche Bekleidungsfabrik Bangladesch könnte zum nächsten Schauplatz des „Heiligen Krieges“ werden

Von Raoul Rigault

Die internationalen Dschihadistennetzwerke „Islamischer Staat“ und Al Qaida befinden sich nicht überall auf dem Rückzug. Während sie in ihren bisherigen Bastionen in Syrien, Irak, Libyen und Jemen an Boden verlieren, fassen sie im Süden Asiens Fuß. Mit  dem Massaker eines IS-Kommandos im Nobelrestaurant „Holey Artisan Bakery“ der Hauptstadt Dhaka mit 20 toten Managern westlicher Bekleidungsfirmen Anfang Juli ist das ehemalige Ost-Pakistan unbestreitbar zu einem der neuen Brennpunkte geworden. Bereits in den Monaten zuvor waren immer wieder Ausländer, kritische Blogger und Mitglieder religiöser wie sexueller Minderheiten durch islamistische Attentäter getötet worden.

Der Angriff im Reichenviertel Gulshan, dem neun Italiener, sieben Japaner, ein US-Amerikaner, ein Inder und zwei Einheimische zum Opfer fielen, versetzt die Vertreter des westlichen Kapitals faktisch in einen Belagerungszustand. Massive Polizei- und Militärkontrollen sorgen für lange Staus und Wartezeiten. Die meisten Klubhäuser, die in kolonialer Tradition zu den wichtigsten Treffpunkten der in- und ausländischen Elite zählten, bleiben geschlossen. Westliche Botschaften bauen Stellen ab und schicken Familienangehörige nach Hause. Manager umgeben sich mit schwer bewaffneten Leibgarden und Geschäftsmeetings werden vorsichtshalber nach Hongkong oder Singapur verlegt. Seit einiger Zeit schon lassen Großbritannien, Australien oder die Bundesrepublik mit Verweis auf die ungenügenden Kontrollen am Flughafen von Dhaka aus Angst vor Anschlägen keine direkten Cargo-Flüge mehr zu.

Allerorten stellt man sich die Frage: „Woher kommt nur dieser Hass? Dhaka ist doch nicht Bagdad oder Kabul.“ Genau diese Zustände wollen die zumeist gebildeten jungen Attentäter jedoch schaffen und sie finden für ihre Heilsversprechen der angeblich reinen islamischen Lehre dank der sozialen Misere eine potenzielle Massenbasis. Zusammen mit Afghanistan und Haiti zählt Bangladesch zu den ärmsten Ländern der Erde und ist zugleich einer der fünf größten Exporteure von Textilien und Bekleidung. Die entsprechenden Ausfuhren explodierten von 4,65 Milliarden US-Dollar 2002 auf 26 Milliarden 2015. Die vier Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter der Branche profitieren davon allerdings nicht. Ihr durchschnittlicher Monatslohn beträgt 68 Dollar gegenüber 280 $ in China und die Beschäftigungsverhältnisse ähneln oftmals denen der Sklaverei.

„Seit der Wiederherstellung des parlamentarischen Systems 1991 folgen die jeweiligen Regierungen einem unternehmerfreundlichen Kurs“, freute sich das deutsche Außenministerium noch im Mai. „Zuverlässigkeit und Qualität bei tiefen Preisen stellen weiterhin gewichtige Standortvorteile dar“, konstatiert die „Neue Zürcher Zeitung“ einen Monat nach dem Blutbad in der „Bakery“ kühl, auch wenn leider die „indirekten Kosten“ aufgrund der angespannten Sicherheitslage gestiegen seien. Eine Produktionsverlagerung mache angesichts der günstigen Bedingungen aber „keinen Sinn“, erklärt ein Manager, der gern anonym bleiben möchte

Tatsächlich kostet ein Marken-T-Shirt von Tommy Hilfiger, das in Londoner Geschäften für fast 40 Dollar verkauft wird, in der Produktion hier nur 3,80 Dollar. Die Edelmarke G-Star Raw hat sogar noch höhere Gewinnspannen. Ihre Leibchen werden in den Schwitzbuden von Dhaka für 4,60 $ geschneidert, aber in London für 60 Sterling vertrieben. Dafür wird im Zweifel auch über Leichen gegangen, wie der Einsturz des achtstöckigen Fabrikgebäudes Rana Plaza am 24.April 2013 in Savar, einem Vorort der Hauptstadt, zeigte, bei dem 1129 Beschäftigte getötet und 2500 Menschen verletzt wurden. Es war die größte derartige Katastrophe in der Geschichte. Während die im Erdgeschoss untergebrachte Bank sowie einige Läden geräumt wurden, nachdem am Vortag tiefe Risse aufgetreten waren, trieb man die Arbeiterinnen und Arbeiter gnadenlos an die Werkbänke, um für westliche Handelskonzerne zu schuften.

Auch wenn eine Reihe von Firmen in ein Abkommen für Brandschutz und Bauaufsicht einwilligten und die Wirtschaft jedes Jahr um sechs Prozent wächst, hat sich die Lage der breiten Masse kaum verbessert. Noch immer leben – offiziellen Zahlen zufolge – 26,5 Prozent der Bevölkerung, das heißt 44 Millionen Menschen, mit einem Einkommen von weniger als 1,25 Dollar unter der Armutsgrenze. 38,5 Prozent sind Analphabeten. Die Lebenserwartung ist auch ohne Einsturzkatastrophen gering, öffentliche Dienstleistungen kaum vorhanden. Nur 5,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes fließen in den Staatsverbrauch. In Deutschland sind es viermal soviel. Entsprechend verbreitet ist die Korruption. Bangladesch liegt im „Corruption Perception Index“ auf dem 139.Rang und gehört damit weltweit zu den Schlußlichtern.

Daran wird sich unter der herrschenden Politik auch nichts ändern, denn jeder Zehnte der 300 Abgeordneten ist ganz offiziell Besitzer eines Textilunternehmens. Real sind es wesentlich mehr, weil etliche „Volksvertreter“ ihre Geschäfte über Strohmänner laufen lassen. Zur Bildung legaler Gewerkschaften, die als Verhandlungspartner anerkannt werden, muss mit Namenslisten die Unterstützung eines Drittels der jeweiligen Belegschaft nachgewiesen werden. Angesichts der üblichen Einschüchterungsmaßnahmen und der ökonomischen Erpressbarkeit ein schwieriges Unterfangen.

Obendrein kontrollieren 16 Prozent der Landbesitzer knapp zwei Drittel des Grund und Bodens. An dem geringen Ertrag der einheimischen Landwirtschaft wird sich unter ihrer Herrschaft wenig ändern, denn obwohl fast die Hälfte der Erwerbstätigen Ackerbau und Viehzucht betreiben, trägt der Agrarsektor nur 16 Prozent zur Wirtschaftsleistung bei. Laut dem ehemaligen Handelsminister Amir Khosru Chowdhury gehen die Binneninvestitionen zurück während das Vermögen der heimischen Oberschicht auf Schweizer Bankkonten kontinuierlich ansteigt.

Das Land mit seinen 160 Millionen Einwohnern, die sich auf einer Fläche halb so groß wie Italien drängen, kann sich nicht selbst ernähren. Nach Baumwolle, Garnen und Stoffen machen Nahrungsmittel mit 14,3 Prozent den zweitgrößten Posten der Einfuhren aus. Trotz der Rolle als Billigschneiderei der Welt verzeichnet das Land ein chronisches Außenhandelsdefizit, vor allem gegenüber China, Indien und Singapur. Im letzten Jahr gab es ein Minus von 11,4 Milliarden Dollar, was mehr als einem Viertel der Importe entspricht. Ohne die Überweisungen der vielen Arbeitsmigranten, die in den Golfstaaten den Reichtum mehren und im vergangenen Jahr gut 15 Milliarden Dollar nach Hause transferierten, wäre das Elend noch größer.

Ministerpräsidentin Sheikh Hasina von der weltlich-nationalistisch orientierten Awami-Liga regiert derweil immer repressiver und hat die größte Oppositionspartei, die konservativ-islamische BNP unter Führung ihrer Widersacherin Khaleda Zia, so zum Rückzug aus dem Parlament veranlasst. Die BNP wehrt sich in einem Dauermachtkampf mit Massendemonstrationen und politisch motivierten Streiks, bislang jedoch ohne Erfolg. Auch politisch ergibt das in dem islamisch geprägten Land eine sehr viel versprechende Ausgangslage für Heilige Krieger, die die Enttäuschten mit Unbestechlichkeit, anti-westlicher Ausrichtung und dem Einzug ins Paradies locken. Zumal die schwache und zerstrittene Linke des Landes dem bislang wenig entgegenzusetzen hat.

(Ursprünglich in gekürzter Fassung am 18.8.2016 in der jungen Welt)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=103444
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